Gedankensplitter: Das Schöne wollen

« Es taumelt eine von Verdummung trunkene, verwahrloste Menschheit unter Ausschreien technischer und sportlicher Sensationsrekorde ihrem gar nicht mehr ungewollten Untergang entgegen»

Diese Worte wählte Thomas Mann 1955 in seinem «Versuch über Schiller anlässlich dessen 150. Geburtstag. Sie wären heute noch genauso passend, es scheint, die Welt ist, stillgestanden. Ich korrigiere: Die Welt hat sich (leider?) weitergedreht, doch wir Menschen sind stillgestanden und schauen ihr zu beim Untergang. Hier und da hört man ein schwaches «Man kann halt nichts tun.» Es erinnert mich immer an das «Man konnte halt nichts tun.» aus anderen Zeiten, aus dunklen Zeiten, aus Zeiten, aus denen wir offensichtlich wenig gelernt haben, schaut man sich in der Politik um.

Friedrich Schiller glaubte an die Moral, er glaubte an einen unbedingten Willen zur Moral, zu einer ästhetisierenden Moral. Indem der Mensch sich mit schöner Kunst beschäftige, finde er den Zugang zur Freiheit und zu vernünftigem Handeln, das auf moralischen Einsichten gründet. Das befördere nicht nur das Glück des Einzelnen, sondern das aller. 

Thomas Mann attestierte Schiller einen

„Willen zum Schönen, Wahren und Guten, zur Gesittung, zur inneren Freiheit, zur Kunst, zur Liebe, zum Frieden, zu rettender Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst»

Und vielleicht ist das der Weg hin zu einer Welt mit weniger Angst, zu einer Welt mit mehr Miteinander, zu einer Welt, in der der Mensch Mensch ist und als solcher zählt als Gleicher unter Gleichen. Das wäre Freiheit. Das wäre Menschenwürde. Sie stehen allen zu. 

3 Kommentare zu „Gedankensplitter: Das Schöne wollen

  1. Thomas Mann: »…Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst.«

    Es gibt Ausdrücke, die nicht von ihrer eigentlichen Wortbedeutung her verstanden werden können. „Ehrfurcht“ ist solch ein Ausdruck. Ehre und Furcht und auch mögliche Wortkombinationen führen nicht zu dem, was Ehrfurcht bedeutet.

    Hier ist von einer „Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst“ die Rede,
    Albert Schweitzer sprach von einer „Ehrfurcht vor dem Leben“.

    Doch in Ehrfurcht… sind wir nicht auf etwas Bestimmtes gerichtet.
    Ist Ehrfurcht gegeben, berührt sie alles ― sie macht keine Ausnahmen.

    Ehrfurcht ist eine Qualität, ist ein Ausdruck der Liebe.

    Ein ehrfürchtiger Mensch wird nicht nur seinesgleichen ehrfürchtig begegnen, sondern allem Leben.

    Je größer aber ein Mensch ist,
    desto mehr neigt er dazu,
    vor einer Blume niederzuknien.

    ― Gilbert Keith Chesterton

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  2. Guten Morgen liebe Sandra,

    Ja, auch ich glaube, zumindest unterbewusst ist der Untergang von vielen Menschen nicht ungewollt.
    Aber womit mag das Zusammenhängen? Liegt hier eine kollektive Depression vor? Die damit einhergehenden, viel zitierten Ängste?
    Gewiss mangelt es gesellschaftlich an Mut und Kraft, damit verbunden an den Möglichkeiten, innerer und ganzheitlicher Freiheit.
    Vielleicht empfinden auch viele Menschen, mehr Objekt als Subjekt sein zu dürfen.

    Die politisch desaströse Entwicklung hätte ich so niemals vorher gesehen!
    Ein 84jähriger Bekannter sagte mir einmal vor circa zehn Jahren, mit Bezug zum Geschehen des Nationalsozialismus, die Menschen haben sich nicht geändert, nur die Umstände.
    Natürlich wusste er, dass die Menschen die Umstände machen.
    Unabhängig des eigenen Wollens, Strebens und sowieso Tuns und Visualisierens, bleibt am Ende ganz vielleicht auch wiederum nur eine Akzeptanz.
    Auch wenn wir uns der Negativität entgegen stellen, ganz sicher!

    Wünsche dir einen schönen Mittwoch🌞
    Lieben Gruß von Matthias

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    1. Ich denke, oft sieht sich der Mensch mehr als Konsument als als Bürger. Er sieht keine Pflichten, zu handeln und sich einzubringen (weiss wohl mangels Demokratieverständnis auch nicht wie) und will genau das kriegen, was er will. Kriegt er das nicht, weil andere (mehr andere) etwas anderes entscheiden, sieht er sich übergangen und dann brechen die Reaktionen heraus: Mangelndes Vertrauen in die Politik, Aggressionen gegen die da… , etc.

      Liebe Grüsse zu dir
      Sandra

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