Viele kennen ihn wohl, den Satz: «Was werden bloss die anderen denken?» Dieser Satz war keine Frage, es war ein Hinweis darauf, dass etwas Ungehöriges im Gange war, und es gab eine richterliche Instanz: Die anderen, die die Stimme der Moral verkörpern. Sätze wie dieser haben die Angewohnheit, sich in einem festzusetzen. Fortan leben sie gemütlich im eigenen Sein, breiten sich aus und melden sich zu allen möglichen Gelegenheiten wieder zu Wort. Man möchte etwas tun, und zack: «Was werden bloss die anderen denken?»
Wir versuchen uns oft, anzupassen, wollen dazugehören, geben dafür Dinge auf, von denen wir denken, dass sie nicht genehm sind. Dass wir uns damit stückweise selbst aufgeben, nehmen wir in Kauf, wollen wir doch nicht Fremde sein und bleiben in dieser Welt, sondern einen Platz in ihr haben – es ist nicht nur ein Wollen, es ist ein Brauchen. Nur: Auch dann noch wird es Situationen geben, in denen wir in Konflikt geraten mit anderen Wertvorstellungen. Auch dann noch werden wir nicht allen gefallen. Nicht zu gefallen bei allem Bestreben, gefällig zu sein, ist ungleich schmerzhafter, weil man dann alles verloren hat: Sich selbst und das, was man damit erreichen wollte.
Vielleicht darf der Satz «Was werden die anderen denken?» bleiben, man darf ihm aber antworten. Zum Beispiel mit «Lass sie reden!» Wegzukommen von der Fremdbestimmung hin zu einer authentischen Lebensweise ist sehr befreiend. Das wird nie allen gefallen, nur: Wer soll der Massstab sein? Wer einen wegen seines So-Seins ablehnt, beweist damit nur die eigene Intoleranz, sagt aber nichts über einen selbst aus. Mit Humor geht das alles noch viel besser, Epiktet machte es vor:
«Wenn dir jemand mitteilt, dir sage jemand Böses nach, dann rechtfertige dich nicht, sondern antworte: Er kannte wohl meine anderen Fehler nicht; denn sonst würde er nicht nur diese hier erwähnen.»
Habt einen schönen Tag!
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Dein heutiger Text gefällt mir ganz besonders, liebe Sandra!
Die negativen Kräfte der Fremdbestimmung und hier des eigenen Kopfkinos, dabei den eigenen Möglichkeiten von Autonomie gegenübergestellt, bescheren auch mir manchmal ein ungewolltes Spannungsfeld.
Die Balance zu finden, bei weitreichende Ausübung des eigenen Selbstbestimmungsrechts, stellt sich für mich als immer wieder lohnenden, notwendigen, schwierigen und auch bereichernden Weg da.
Nicht nur politisch/philosophisch ist dieses vielleicht der einzige Weg, um nicht den Auswirkungen jeglicher Gewalt unterworfen zu werden.
Besonders hat mir bei deinem Text gefallen, die Frage, was die anderen denken mögen, versuchen zu beantworten.
Um es vielleicht bildhaft/süffisant aus meiner Sicht zu beschreiben:
Alle kochen, nur mit Wasser!
Auf bald wieder hier im Blog. –
Liebe Grüße an Dich
Matthias
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Ich danke dir, lieber Matthias. Ich denke, das Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen heisst, frei sein. Nur so können wir als eigenständige Menschen agieren und genau das soll ja sein, wollen wir nicht einfach von einer Gruppe vereinnahmen lassen und in ihrem Tramp mitmarschieren. Die Auswüchse, die das annehmen kann, sieht man an vielen negativen Beispielen.
Liebe Grüsse zu dir
Sandra
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Hallo Sandra, ich wollte nur anmerken, dass mir auch der Einband des Hefts sehr gut gefällt. Ich selbst nutze auch verschiedene Hefte, früher habe ich mehr geschrieben; heute schreibe auch meistens mit dem Computer oder dem Handy und nutze die Hefte zum Zeichnen. Hab einen schönen Tag! Michael
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Lieben Dank! Zum Zeichnen habe ich auch viele Bücher benutzt, nun aber wieder ziemlich damit aufgehört und mich wieder voll dem Schreiben zugewandt. Nur dann und wann verirrt sich noch eine Zeichung aufs Papier. Auch dir einen schönen Tag!
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