Gedankensplitter: Sprache als Heimat

«Ohne Sprache, ohne Schreiben, fühle ich mich wie ein Obdachloser ohne Heimat.» Carolin Emcke

Ich weiss nicht, wann sie anfing, die Liebe zur Sprache, zum Wort. Zuerst war sie beim Lesen da, ich liebte Geschichten, ich hörte sie vorgelesen und von Tonbändern. Ich lernte früh lesen, und von da an war kein irgendwo geschriebenes Wort mehr sicher vor mir. Jedes Plakat, jede Inschrift wollte gelesen sein. Die wöchentlichen Gänge in die Ortsbibliothek waren mein Highlight, ich deckte mich jedes Mal mit Stapeln ein, die ich zu Hause feinsäuberlich lesend abtrug (damals waren die Stapel offensichtlich überschaubarer als heute). Bald kam zur Liebe zu beschriebenen Büchern die zu schönen leeren dazu, die ich selbst schreibend füllen wollte. Manchmal holte ich auch die Schreibmaschine meiner Mutter aus dem Schrank und fühlte mich wie ein Schriftsteller, wenn ich davorsass und tippte.

Diese zwei Lieben sind geblieben, mein Leben lang bis heute. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht lese, es gibt keinen Tag, an dem ich nicht schreibe. Ich höre oft, ich solle mal Urlaub machen, mal ausspannen, mal einen Tag einfach nur frei sein. Ich verstehe diese Gedanken, allein sie verkennen, dass für mich Schreiben und Lesen Freiheit sind, nämlich die Freiheit, ganz ich zu sein, an genau dem Ort zu sein, wo ich mich zuhause fühle. Ich habe mich in meinem Leben immer wieder gefragt, was Heimat bedeutet, wo ich zuhause bin. Ich glaube, das ist die Antwort: In der Sprache. 

Was bedeutet Heimat für euch?

9 Kommentare zu „Gedankensplitter: Sprache als Heimat

  1. Manchmal denke ich, Worte sind im Grunde sehr überflüssig, weil so vieles im Leben unbeschreiblich ist, sich so anfühlt. Dann wieder funktioniert diese Brücke zwischen Gehirn und Gefühl, dann dürfen die Worte fließen.

    Heimat…es gibt eine physische, dort, wo gerade meine Möbel stehen, im tieferen Sinne dort, wo ich aufgewachsen bin. Und es gibt eine spirituelle Heimat, die ist nicht ortsgebunden. Was gut so ist, sie lässt sich immer mitnehmen 🙂

    Liebe Grüße, Reiner

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  2. Die Sprache ist sicher auch bei mir Heimat, drum halte ich das Blogschreiben aufrecht. Es ist meine tägliche Verbindung zur Muttersprache. Darüberhinaus gibt es aber auch eine andere Heimat, das ist die örtliche, mitmenschliche, hier gelebte. Eine schwierige gebrochene Heimat ist das, genauso wie die, aus der ich ursprünglich stamme. Heimat ist nichts Einfaches, nichts romantisch Weiches, in das man sich fallen lassen kann. Heimat ist eine Herausforderung, etwas, an dem man arbeiten muss, das Kosten hat, genauso wie Freundschaften und Liebe.

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  3. Heimat…
    ist eine romantisierte Illusion.

    Wir sind irgendwohin geboren worden…

    An einem bestimmten Ort ist es passiert, meist im Bett der Mutter. Das macht den geografischen Ort scheinbar individuell besonders, weil wir hier unsere ersten Jahre verbracht haben, unsere ersten Eindrücke bekommen und die ersten Erfahrungen gemacht haben.

    Deswegen kann sich später an ihm eine gewisse Sentimentalität breit machen – muß aber nicht, denn es gibt keinen Fleck im ganzen Universum, der uns nicht irgendwie vertraut ist. Wir sind hier keine Fremden. Ganz egal, wo wir uns körperlich oder emotional gerade befinden, letztlich sind wir immer, in jeder Situation, an jedem Ort, in jeder Befindlichkeit… zuhause.

    Sprache ist ein Modul für
    effiziente Verständigung.

    Wie sehr wir daran gewöhnt sind, die uns aktuell vertraute Verbal-Sprache ganz selbstverständlich verwenden zu können merken wir, wenn wir uns plötzlich in einem Gebiet befinden, in dem wir uns derart nicht verständigen können. Das ist wie… wenn plötzlich der Strom oder das Wasser abgestellt wurden.

    Es braucht einige Momente, bis wir bemerken, wie
    uns die Intelligenz dabei hilft, flexibel zu reagieren.

    Mit jeder Geburt ändert sich einfach alles: Ort, Sprache, Moral, Etikette, Gesetze, Hautfarbe, Familie, Klima, Topografie, Religion, Weltbild, Geschlecht, politische Gegebenheiten und vieles mehr ― ohne jede Erinnerung an ein Leben davor.

    Würde ich gefragt:

    Zuhause bin ich, wo/
    wenn ich bewußt bin.

    Grüße! 🌾

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