«Das mit der Wahrheit muss verschwinden. Solange die Wahrheit in den Köpfen der Menschen ist, ist da immer der andere, den ich umbringen muss, denn er hat sie nicht, ich habe sie ja.»
Dies sagte sinngemäss Heinz von Foerster. Es klingt auf den ersten Blick witzig: Die Wahrheit muss verschwinden. Doch denkt man weiter, fängt ein leises Nicken an. Blickt man auf die Welt und wie Menschen miteinander umgehen, nimmt das Nicken zu. Jeder denkt, er hätte die Wahrheit gefunden und propagiert sie nun nicht nur als seine, sondern als absolut gültige. Jeder, der widerspricht, muss natürlich im Unrecht sein, denn zwei Wahrheiten, die sich unter Umständen sogar widersprechen, kann es nicht geben. Wo die Gewissheit herkommt, dass die eigene Wahrheit wirklich die richtige ist, dass sie der Weisheit letzter Schluss ist, das muss nicht weiter begründet werden. Das ist einfach so.
Was ist eigentlich Wahrheit? Wie findet man sie? Wie weiss man, dass sie es ist? Diese Frage stellt man sich seit Jahrtausenden. Aesop kam zu folgendem Schluss:
«Jede Wahrheit hat zwei Seiten. Wir sollten uns beide Seiten anschauen, bevor wir uns für eine entscheiden.»
Wahrheit wird oft als Machtmittel benutzt (Wissen ist Macht): Wenn ich weiss, wie der Hase läuft, stehe ich über dir. Nur: Woher nimmt man diese Überzeugung? Was ist überhaupt zuerst: Unsere Wahrheit oder unser Machtdenken? Kehren wir nicht oft die ganze Sache um und propagieren um der Macht Willen eine Wahrheit, die wir als die richtige hinstellen, um die eigene Position zu stärken? Statt unsere Vernunft zu nutzen, um im Diskurs mit Anderen gemeinsame Wege zu finden, setzen wir sie ein, um eigene Zwecke zu erreichen. Adorno resignierte ob dem Umstand, schrieb seine negative Dialektik und pflegte fortan eine pessimistische Weltsicht. Habermas versuchte später, neuen Wind in die Frankfurter Schule zu bringen und teilte die Vernunft in zwei Teile: Die zweckrationale und die kommunikative. Aber auch er ist noch nicht sicher, welche gewinnen wird.
Nun, wir haben es in den Händen: Indem wir uns bewusst werden, wie wir im Umgang mit anderen Menschen agieren, ob wir sie mit Argumenten totschlagen wollen oder aber ob wir mit ihnen in einem quasi kommunikativen Tanz die verschiedenen Wahrheiten umgarnen und eine gemeinsame Melodie finden. Mir ist bewusst, dass dies einfacher klingt, als es ist, sind wir doch alle sozial geprägt und haben damit die zweckrationalen Muster in uns drin, nach denen wir dann, ganz dem Leistungsstreben unserer Gesellschaft verpflichtet, agieren. Aber wir sind ihnen nicht blind ausgeliefert, wir haben es in der Hand, die Veränderung zu suchen und uns neu zu besinnen, wie wir mit anderen umgehen wollen. Hannah Arendt sagte dazu:
«Wahrheit gibt es nur zu zweien.»
Wir haben auf diese Weise nicht mehr die Wahrheit für uns gepachtet, aber wir gewinnen die Möglichkeit, neue Wahrheiten kennenzulernen. Und wir haben mehr noch die Chance, anderen Menschen wirklich zu begegnen, was nur passiert, wenn wir in einen Dialog treten, in welchem beide einander zuhören und offen bleiben, um den anderen und seine Sicht der Welt kennenzulernen. Ein würdiger Ersatz für eine eigentlich nutzlose (da nur propagierte, selten aber wirklich gesicherte) Wahrheit, die nur als Totschlagargument taugt.
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Literatur zur weiteren Lektüre:
Von Heinz von Foerster stammt der Satz „DIe Wahrheit ist eine Erfindung des Lügners“ – wer diesen Satz kybernetisch liest, deckt sehr viel Konfusion in der Diskursethik auf. Adorno und Habermas, sie haben zur Zeit von Luhmann gelebt – es ist schade, dass sie ihn nicht ernstgenommen haben. Von Foerster war ein guter Freund von Luhmann. Im Grunde muss die aristotelische Logik überwunden werden, nämlich der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Ich wäre sehr interessiert, wie du die Systemtheorie rezipierst. Ich denke aber, dass du die Hauptschwierigkeit in deiner Analyse auf den Punkt gebracht hast – Wahrheit eben für Machterhalt und scheinbar ist für viele Macht attraktiv … viele Grüße!
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Man hat nie ernst genommen, was nicht ins Konzept passte. Aristoteles hatte viel Gutes, ich schätze ihn sehr, nur denke ich, Platon wäre sinnvoller gewesen als Wegbereiter. Oder Sokrates. Oder seneca. Aber der Zug fuhr ab.. leider.
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