Tagesgedanken: Was kann ich wissen?

Kürzlich dachte ich so bei mir, dass ich vieles nicht weiss, weil mich Dinge früher zu wenig interessiert haben oder ich zu sehr mit anderem beschäftigt war. Und es kam das Gefühl auf: Das kann ich nie mehr aufholen. Es war ein Bedauern darin. Wenn ich lese, komme ich meist von einem Buch zu xxx anderen, die auch noch lesenswert wären. Ich lege Listen an und sehe diese immer mehr anwachsen. Und mir wird bewusst: Das werde ich nie alles lesen können, es wird mir nie möglich sein, alles wirklich tief zu ergründen. Auch da schwingt ein Bedauern mit und immer die Frage: Könnte ich mehr tun? Müsste ich mehr tun? Alles werde ich wohl nie wissen, das ist mir klar, aber zu sehen, wie wenig vom grossen Ganzen ich selber erfasse, gibt ab und zu das Gefühl des Klein-Seins. Hier Sokrates zu zitieren wäre zu billig…

Neben dem Bedauern denke ich aber auch, dass es vielleicht gut ist, sich bewusst zu sein, wie wenig man eigentlich weiss – wissen kann. Da draussen ist so viel und wir haben nie alles von allen Seiten im Blick. Umso erstaunlicher ist es doch, mit welcher Vehemenz teilweise Dinge behauptet werden, Wissen demonstriert wird. Wie viele (oft selbsternannte) Experten erklären uns die Welt, im Glauben, die einzig richtige Sicht auf alles zu haben? Und wie oft lassen wir uns davon beeindrucken und fühlen uns klein daneben, statt wirklich zu hinterfragen, ob das wirklich so ist, so sein muss, oder ob es nicht auch andere Möglichkeiten gäbe, die Dinge zu sehen?

Ein gutes Beispiel sind die russischen Medien: Sie fälschen gezielt Informationen, um das Volk zu manipulieren. Wer einfach in blindem Glauben und Gehorsam folgt, wird nur das von der Welt wissen, was ihn andere glauben machen wollen. Kant sagte einst, man solle den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Ich ziehe meinen Hut vor dem Mut von Maria Ovsiannikova, ich hätte ihn wohl nicht, aber es zeigt, dass man Dinge immer hinterfragen sollte, im Wissen, dass man die Wahrheit vielleicht nie entdeckt, sich ihr aber annähern kann durch eine Ausweitung des eigenen Blicks, die verschiedene Perspektiven zulässt.

12 Kommentare zu „Tagesgedanken: Was kann ich wissen?

  1. Nach deiner langen sinnreichen Einleitung (ich dachte weniger an Sokrates als an Fausts Monolog „Ich weiß, dass wir nichts wissen können, das will mir schier das Herz verbrennen“) erwartete ich eigentlich nicht, dass du mit dem Beispiel „russische Medien“ kommen würdest. Wenn, dann hätte ich erwartet, dass du die „westlichen Medien“ hinterfragst, die ja für uns sehr viel wichtiger sind. Vielleicht magst du auch die hinterfragen? Dies las ich gerade, der Autor ist ein sehr informierter Schweizer und stellt einige wichtige Fragen:
    https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-4-vom-15-maerz-2022.html#article_1306

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    1. Die sind natürlich sehr im Zentrum, der russische Fall war einfach grad präsent. Da ich aber ja schrieb, dass man immer hinterfragen solle, denke ich, für einen kurzen Tagesgedanken ist das so in Ordnung. Es steht jedem frei, diese Gedanken auszuführen und eigene Beispiele anzufügen – was du hier getan hast. Herzlichen Dank dafür.

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  2. Seit einigen Jahren entdecke ich nach und nach, welche Freiheit das Nichtwissen in sich birgt – sich nicht zu Allem äußern zu müssen, loslassen von festen Ansichten und geprägten Meinungen, oder sich einer Ansicht anzunähern, sie sich spielerisch anzueignen- um sie dann ohne Bedauern zu verlassen…. Kein RECHT zu haben in dieser Welt voll von rechthaberischen Besserwissern. Ein wahres Vergnügen!
    Allerdings, was gute Bücher angeht- dieses Bedauern, nicht alles lesen zu können empfinde ich auch. Letztlich, auf die Frage meines Sohnes – „was würdest du als Letztes tun wollen, wenn die Welt plötzlich untergeht?“ antwortete ich spontan „mein Buch schnell zu Ende lesen!“ (Ray Bradbury, „Löwenzahnwein“ – wunderschön).

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    1. Ich habe mich damit angefreundet, dazu stehen zu können und zu wollen, dass ich gar nicht alles wissen will, dass es Themen gibt, bei denen ich mich nicht auskenne und das wohl auch nicht ändern werde, da es nie „für alles reicht“ und man eben Präferenzen hat.

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  3. Sandra: „Das werde ich nie alles lesen können, es wird mir nie möglich sein, alles wirklich tief zu ergründen.“

    Warum auch?

    Das allermeiste von dem, was je geschrieben wurde, geht uns doch gar nichts an.

    Und für diejenigen, die wirklich (!) begriffen haben, daß sie sich nicht einmal einen Bruchteil dessen aneignen können, was sie sich (theoretisch) aneignen könnten, stellt sich die Frage: Was von all dem ist für mich relevant?

    Wenn das Lesen wenigstens die Intelligenz fördern, schärfen, entwickeln, stärken könnte…

    An der Geistigen Reife gespiegelt, ordnet sich das Lesen auf einer der untersten Stufen, nämlich im Kindlichen (2) ein. Hier spielt das „brauchen“ eine wichtige Rolle.

    Das „geben“ kommt mit der Erwachsenen-Reife (4), wozu auch das (verantwortungsbewußte) Schreiben gehört.

    Das Lesen ist geistig nicht besonders herausfordernd.
    Es benötigt die Intelligenz nur rudimentär und kann auf die Weisheit ganz verzichten.

    Die „geistige Arbeit“ ist ja schon getan, man braucht jenen bereits vorgedachten Gedanken, Phantasien und Erkenntnissen nur dicht hinterher zu laufen.

    „alles wirklich tief ergründen“ können wir
    nur selber, das kann uns keiner abnehmen.

    Die Weisheit kommt
    ohne Bibliothek aus.

    Wir befinden uns auf dem Holzweg, wenn wir glauben, uns Erkenntnisse auf billigem Wege (über das Lesen) einverleiben zu können.

    🌷

    Sandra: „Hier Sokrates zu zitieren wäre zu billig“

    Informationen aller Art und Geschichten lassen sich verbreiten, aber:

    Erkenntnisse sind
    individueller Art.

    Sie sind nicht kommunizierbar.

    Der Satz des Sokrates wurde schon tausendfach kommuniziert, aber nur Sokrates hatte diese Erkenntnis.

    Sog. „Wissen“ läßt sich vervielfältigen und
    verbreiten – aber keine einzige Erkenntnis.

    🌷

    Sandra: „Wer einfach in blindem Glauben und Gehorsam folgt, wird nur das von der Welt wissen, was ihn andere glauben machen wollen“

    Darum ist es sinnvoll, mit eigenem Gespür selber in die Dinge zu blicken.

    🌷

    Sandra: „Kant sagte einst, man solle den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“

    Mal ein Imperativ, den ich sehr schätze.

    „Sapere aude, incipe!“ …fordert Horaz.

    Das ist nicht an die „Experten“, sondern an jeden von uns gerichtet. Und ja, er hat Recht, wenn er dazu sagt: „Einmal begonnen, hast du bereits die halbe Strecke.“

    Dafür müssen wir die Bücher aber mal kurz beiseite legen.

    Einen heiteren
    sonnigen ☀️ Tag
    wünscht Nirmalo

    Gefällt 2 Personen

  4. Ja, das Wissen… Vielleicht ein Haufen passender Irrtümer. Ich meine es nicht abwertend. Nur wer etwas weiss, kann sich auch irren. Neben dem Bedauern darüber, wie wenig ein jeder weiss ist auch die Gewissheit, dass es so ist. Wie sagt es Fausts Famulus, den Faust als „trockenen Schleicher“ beschreibt:

    Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen.
    Zwar weiss ich viel, doch möcht ich alles wissen.

    Ist doch schön, dass uns dieses Bestreben abgeht und wir dadurch nicht der Überheblichkeit anheim fallen.

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