Ingeborg Bachmann: Malina – eine erste Annährerung

«Seit ich diese Nummer wählen kann, nimmt mein Leben endlich keinen Verlauf mehr, ich gerate nicht mehr unter die Räder, ich komme in keine ausweglosen Schwierigkeiten, nicht mehr vorwärts und nicht vom Weg ab, da ich den Atem anhalte, die Zeit aufhalte und telefoniere und rauche und warte.»

Eine Frau lebt mit einem Mann zusammen, Malina, sie braucht ihn, da er ihr immer wieder den Boden unter die Füsse gibt, sie von der zu leidenschaftlichen, zu gefühlverlorenen, zu selbstvergessenden Ebene in die rationale Lebenswelt zurückholt. Die Frau liebt einen anderen Mann, Ivan, den sie als ihr Leben, als ihren Mittelpunkt, als Sonne ihres Seins begreift. Ohne ihn ist sie nicht, ihr Leben ist ein Warten auf seinen Anruf, ein Hoffen auf seine Zeit, ein Wissen um das Lebensende, wäre er nicht mehr.

«Es ist unmöglich, Ivan etwas von mir zu erzählen. Aber weitermachen, ohne mich ins Spiel zu bringen?»

Die Frau ist ein verwundetes Wesen, viel hat sie erlebt, viel hat sie geprägt. Sie lebt in ihren Ängsten und Unsicherheiten, sucht nach Worten, findet sie nicht, verliert sich in Gefühlen, und sucht den Halt im Aussen, bei Malina, welcher sie ins Leben holt, bei Ivan, welcher sie aus diesem Leben in einen diesem enthobenen Raum führt, wo die eigenen Unzulänglichkeiten durch die Ausrichtung auf ihn in den Hintergrund geraten. Und doch stehen sie immer wieder zwischen ihnen, lassen sich aber nicht in Worte fassen. Die Frau ist ein schreibender Mensch, einer der Worte. Damit etwas ist, muss es dafür Worte geben.

«Kopfsätze haben wir viele, haufenweise, wie die Telefonsätze, die Schachsätze, wie die Sätze über das ganze Leben. Es fehlen uns noch viele Satzgruppen, über Gefühle haben wir noch keinen einzigen Satz, weil Ivan keinen ausspricht, weil ich es nicht wage, den ersten Satz dieser Art zu machen, doch ich denke nach über diese ferne fehlende Satzgruppe, trotz aller guten Sätze, die wir schon machen können.»

Ingeborg Bachmann ist ihren Themen treu geblieben: Liebe, Tod, Angst, Mord – alles kommt vor. Bei „Malina“ handelt es sich um einen Liebesroman, wenn auch keinen im traditionellen Sinn. Generell ist nichts an diesem Roman traditionell. Das fängt bei der Dreierbeziehung an und hört bei der Sprache noch lange nicht auf. Diese ist, wie man es bei Bachmann gewohnt ist aus ihrer Lyrik, einer Suche nach einer neuen Sprache geschuldet, die mit dem bricht, was nicht mehr brauchbar ist durch die Benutzung für das grösste Grauen der Menschengeschichte, welches auf Bachmann einen tiefen und nie verschwindenden, traumatischen Einfluss hatte. Das Unsagbare liegt offen da, indem die Worte einfach ausgespart sind, sich nur aus dem Vorhandenen erahnen lassen – oder aber schlicht nicht greifbar sind, weder für den Autor noch für den Leser.

«Die Gesellschaft ist der allergrösste Mordschauplatz. In der leichtesten Art sind in ihr seit jeher die Keime zu den unglaublichsten Verbrechen gelegt worden, die den Gerichten dieser Welt für immer unbekannt bleiben.»

„Malina“ ist auch ein Buch, welches von Unsicherheiten, Angst und vor allem vom Tod handelt. Bachmanns Bild der Welt als Kriegsschauplatz, als Mörder am Menschen, dringt durch alle Zeilen, spricht aus der ganzen Geschichte heraus, zumal die Frau an sich ein durch diese Welt verletztes Wesen ist.

«Es gibt Worte, es gibt Blicke, die töten können, niemand bemerkt es, alle halten sich an die Fassade, an eine gefärbte Darstellung.»

Die Welt besteht aus viel Schein, aus einer Fassade, hinter der das Wahre verborgen bleibt. Die Frau leidet daran und hält sich aber zum Schutz auch selber verborgen, kann nicht preisgeben, was mit ihr ist, was mit ihr geschehen ist, dass sie wurde, wer sie ist.

Ingeborg Bachmann wurde oft darauf angesprochen, ob «Malina» eine Autobiografie sei. Sie verneinte dies nicht, stellte allerdings klar, dass es sich dabei nicht um eine erzählte Geschichte, sondern um einen geistigen Prozess handle. Dies zeigt sich deutlich in der Bruchstückhaftigkeit des Buches, welches aus einzelnen Szenen und gesuchten Wörtern bestehen. Ingeborg Bachmann ist es gelungen, die individuellen Erfahrungen in paradigmatisch und symbolisch erdichtete Konstellationen zu übertragen.

Während im ersten Kapitel des Buches Ivan eine tragende Rolle spielt, indem sich alles auf ihn ausrichtet, zeigt sich im zweiten Kapitel das erzählende Ich durch seine Träume klar in seiner Verletztheit. Nur durch das Mittel des Traumes war es Ingeborg Bachmann möglich, das noch nachhallende Trauma des Krieges zu thematisieren, die Träume wurden zum Schauplatz der ihr und dem erzählenden Ich innewohnenden Angst.

Im letzten Kapitel übernimmt Malina nach und nach die Oberhand, er steuert das Kapitel durch die Gespräche. Das Ich weicht nach und nach zurück, bis es in der Wand verschwindet.

«Es war Mord.»

Mit diesem Satz endet ein Roman, der eigentlich viel mehr als ein Roman ist, der so viele Ebenen hat, dass sich bei jedem erneuten Lesen eine neue offenbart, der so viele Lücken hat, dass man als Leser in sie fallen, sich in ihnen verlieren, den Anschluss wieder neu suchen muss. Er hat so viel Offenes, das man als Leser füllt. «Malina» ist geprägt durch eine poetische, durch eine mystische Sprache, die nichts einfach klar darlegt, sondern in einer fast lyrischen Form mit den Worten spielt. Worte, Symbole – alles hat eine Bedeutung und danach noch viele über die erste hinausgreifende. Es entsteht ein Netz aus Bezügen innerhalb des Werkes und darüber hinaus ins Leben der Autorin, in andere literarische Werke, zu Aussagen von Philosophen, zu geschichtlichen Ereignissen und gesellschaftsprägenden Mechanismen.

«Malina» ist kein einfacher Roman, es empfielt sich, ihn langsam zu lesen, in Bruchstücken, wie er auch geschrieben steht. Es empfiehlt sich, Pausen zu machen, nachzudenken, nochmals zu lesen. Nur so wird man als Leser wohl dem Roman gerecht. Er ist keine leichte Lektüre für nebenbei, aber eine lohnende.

Fazit:
Ein vielschichtiges, tiefgründiges, weit verzweigtes Werk, welches seine vielen Ebenen erst nach und nach preisgibt. Durch die verschiedenen möglichen Lesarten ein Buch, das man sicher mehrfach lesen kann und sogar sollte. Ganz grosse Leseempfehlung!

Zur Autorin
Ingeborg Bachmann wird am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen im Zweiten Weltkrieg endete nach Bachmanns Aussagen die Kindheit jä – ein Ereignis, das ihr späteres Schreiben immer wieder prägen wird. Erste Gedichte finden sich schon bei der 12-jährigen Ingeborg Bachmann. 1945 beginnt Ingeborg Bachmann ihr Studium in Literatur, Kunst und Jura in Insbruck, wechselt später nach Graz und dann nach Wien, wo sie mit Philosophie und Psychologie abschloss und 1950 eine Dissertation über Martin Heidegger schrieb. Es folgten journalistische Arbeiten, welche aber neben dem schon da dringenden Wunsch, Schriftstellerin zu sein, mehrheitlich eher als ungeliebter Brotjob anzusehen waren. Nach einer Einladung in die Gruppe 47 im Jahr 1952 konnte sie im Jahr 1953 deren Preis gewinnen, im gleichen Jahr erschien ihr erster Gedichtband «Die gestundete Zeit», 1956 der zweite mit dem Titel «Anrufung des Grossen Bären». Damit stand ihr Ruhm als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen der literarischen Moderne fest, was aber leider finanziell zu wenig einträglich war, um davon zu überleben.

Es folgten mehrere Stellen, dem finanziellen Überleben geschuldet, sowie diverse Umzüge, welche wohl finanzielle und andere, der persönlichen Unrast und privatem Unglück geschuldete Gründe hatten. Über die Jahre finden sich verschiedene Liebschaften, denen allesamt wenig (und vor allem kein anhaltendes) Glück beschieden war. Irgendwann versiegten bei Ingeborg Bachmann die Gedichte, sie widmete sich Prosawerken, später einem gross gedachten Romanprojekt, von welchem aber nur ein Roman wirklich fertiggestellt wurde: 1971 erschien Malina.

Die zunehmenden psychischen Probleme, die sie immer wieder plagten, gepaart mit Alkoholexzessen und Tablettenabhängigkeiten verdüsterten das Leben der Dichterin zunehmend. Bei einem einem Feuer in ihrer Wohnung in Rom erlitt Ingeborg Bachmann starke Verbrennungen, weswegen sie ins Krankenhaus kam. Gestorben ist sie aber mutmasslich an den Entzugserscheinungen eines Medikaments, bei welchem bis zu spät nicht klar war, welches es ist. Ingeborg Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.

3 Kommentare zu „Ingeborg Bachmann: Malina – eine erste Annährerung

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