Was ist ein gutes Leben?

„Wie geht es dir?“

Wie oft werden wir das gefragt, wie oft interessiert es den anderen wirklich? Und wie oft denkt er, die Antwort zu wissen, weil er sich selber etwas zusammenreimt? Was heisst das eigentlich:

„Es geht mir gut.“

Worauf gründet es? Geht es mir gut, wenn ich Geld habe? Wenn ich gesund bin? Wenn ich eine Familie habe? Wenn ich einen Job habe, der mich ausfüllt? Wenn ich Freunde habe? Wenn ich Spass habe? Brauche ich alles davon oder reicht auch ein Teil? Und wenn ja, welcher?

  • Kann es jemandem, der reich ist, schlecht gehen? Kann man dieses „gut gehen“ kaufen?
  • Kann es jemandem schlecht gehen, der geliebt wird? Oder muss er zuerst selber lieben? Reicht eine einseitige Liebe oder muss sie gegenseitig sein?
  • Ist „gut gehen“ individuell oder universell?
  • Ist es dauerhaft oder situativ?

Wer setzt den Massstab? Reden wir überhaupt vom Gleichen, wenn wir von „gut“ reden? Oder setzen wir die jeweils eigenen Massstäbe beim anderen an und befinden dann, dass es dem durchaus gut (oder eben nicht gut) gehen müsste, weil wir denken, uns ginge es dann so, wenn wir hätten, was er hat, oder wären, wo er ist (oder eben nicht)?

Ich schreibe auf dieser Plattform seit über 10 Jahren. Der Inhalt hat sich über die Jahre ein wenig verändert. Anfänglich waren es viele Rezensionen, literarische Texte, dann kamen mehr und mehr philosophische und auch lyrische dazu. Dabei blieb es nicht aus, dass vieles auch sehr persönlich klang – teilweise auch war. Wie sagte schon Goethe:

Alles Schreiben ist autobiographisch.

Das liegt natürlich auf der Hand, da es zumindest aus mir raus kam/kommt. Und darum wohl wurden viele meiner Texte ganz autobiographisch interpretiert. Nur: Es ist nicht alles, was aus mir rauskommt, aktuelles Erleben. Vieles ist erinnert, durch mein Leben spaziert und durchdacht worden. Anderes mag aus Stimmungen heraus entstanden sein oder aber durch Gedankenspielereien. Was allem eigen ist: Es ist mir ein Anliegen, ich schriebe es sonst nicht. Nur:

Geht es mir gut, wenn ich traurige Texte schreibe? Geht es mir gut, wenn ich fröhliche Texte schreibe? Bei beidem wäre wohl die Antwort ja und nein. Wie alle Menschen habe ich (m)ein Leben. In diesem Leben habe ich zu unterschiedlichen Zeiten Dinge erlebt, die Freude machten, und solche, die Kummer bereiteten. Das ganz normale Leben eben. Und immer hatte ich in gewissen Teilen etwas, das andere nicht hatten, gerne gehabt hätten, anderes wiederum nicht, das andere hatten, ich aber nicht. Indem wir uns nun gegenseitig vergleichen und schauen, wer was hat und wer nicht, wenn wir uns bewerten nach Haben und Nichthaben, ohne das aktuell empfundene Sein dahinter zu kennen, begeben wir uns einerseits in einen Wettbewerb, liefern uns andererseits dem (eigenen und dem des Anderen) Leiden aus.

Im Buddhismus heisst es, dass Leben Leiden heisst. Und ja, wir alle leiden dann und wann. Es heisst im Buddhismus weiter, dass alle Menschen glücklich sein wollen. Darin sind wir uns gleich. Ebenso im Leiden. Nun gibt es im Buddhismus auch die vier edlen Wahrheiten, die das Leid erläutern und den Weg daraus beschreiben. So weit möchte ich hier heute nicht gehen, das Thema habe ich mehrfach behandelt. Nur so viel:

Leiden ist oft hausgemacht. Durch die Bewertung unserer Umstände empfinden wir uns als Leidende oder als Glückliche. Und so kann es durchaus sein, dass jemand, der nach aussen alles hat, selber grad unglücklich ist, ein anderer, der von aussen gesehen wenig hat, glücklich ist. Morgen ist es vielleicht andersrum. Aber in dem Moment ist es so. Und ja, vielleicht könnte er dies mit buddhistischer Weisheit, stoischem Gedankentum oder etwas mehr Demut in jedem Augenblick wenden, wenn er grad im Dunkeln sitzt, statt das Licht zu geniessen.

Ich denke oft, dass jeder ein Recht auf seine dunklen Stunden hat. Ich habe Rilke kürzlich schon zitiert, ich tue es gerne nochmals, zumal er einer meiner Lieblingsdichter ist:

Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden.

Ich stimme ihm insofern nicht zu, als ich in den dunklen Stunden, die ich durchaus habe (ich denke, die hat jeder, aber dies nur eine Hypothese, ich habe noch nicht jeden danach befragt), leide und nichts lieber hätte als mehr Licht. Aber: Es entstand in der Vergangenheit auch immer ganz viel Gutes und Wichtiges aus solchen Stunden. Wäre es sonst auch entstanden? Ich weiss es nicht. Ich hoffe mal, dass es auch ohne entsteht, denn ich möchte ab heute keine dunkle Stunde mehr haben. Da ich dies aber als Utopie erachte, belasse ich es dabei, den Sinn dieser Stunden darin zu sehen, dass sie mich weiter bringen. Ganz in Nietzsches Sinn:

Wer ein Warum hat zu leben, erträgt fast jedes Wie.

Viktor Frankl hat darauf eine ganze Psychologie aufgebaut. Welchen Sinn geben wir unserem Leben? Da gibt es keine Vergleiche, da gibt es kein gut oder schlecht. Sinn kann schon gar nicht von aussen aufgeladen und bewertet werden, er entsteht im Inneren.

Geht es mir gut? Oft ja, ab und an nicht. Das ganz pralle Leben halt. Es hat wenig mit äusseren Umständen zu tun, diese sind aber oft Auslöser. Es sind die eigenen Befindlichkeiten im Moment. Ich finde, sie dürfen sein (für den Moment – wenn sie andauern, würde ich doch noch genauer hinschauen). Und keiner hat sie zu bewerten. Schön ist, wenn die dunklen Seiten von lichtvollen Wesen mitgetragen, und nicht die lichtvollen Seiten von dunklen Gedanken verurteilt werden. Darauf haben wir aber wenig Einfluss. Wir können nur eines: Unser Leben leben und nach unseren Fähigkeiten dafür sorgen, dass es ein für uns gutes ist. Egal, was die anderen sagen.

7 Kommentare zu „Was ist ein gutes Leben?

  1. Ich bin reich und werde von vielen gemocht. Mir ging es in meinem ganzen Leben noch nie so schlecht. Hast du eine Idee was ich dagegen tun kann? Dein Blog mit deinen Themen ist genau das was mich gerade beschäftigt. Geht es dir auch so?

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    1. Ich würde mir nie anmassen, jemandem zu sagen, was er tun soll oder könnte. Das Einzige, was ginge, wäre ein Zusammensitzen und Reden. Wo stehst du an? Was bereitet dir Leiden? Was davon ist in deiner Hand, kannst du ändern? Was nicht? Und ab und an ist gar nicht ersichtlich, was man ändern könnte – weil man zu tief drin sitz, Ängste hat… All das wäre relevant.

      Vielleicht magst du selber mal hinsitzen. Genau hinschauen. Wo leidest du. Aber ganz wichtig auch: Was ist gut, was habe ich, wo bin ich eigentlich gesegnet?

      Ganz viele Philosophien und Theorien sagen es, ich denke, sie haben nicht unrecht: Nicht die Dinge selber bringen uns das Leiden, sondern die Bedeutung, die wir ihnen zumessen.

      Und damit sage ich nicht, dass alles leicht zu ändern wäre… Das ist nur der Anfangspunkt.

      Ganz liebe Grüsse zu dir

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  2. Was mir leiden bereitet: das denken müssen und Gefühle, die manchmal nicht angenehm sind, aushalten zu müssen. Ich kann gar nicht sagen, ob mir das mit 20 leichter fiel oder ob es nicht jetzt mit dem älter werden immer leichter wird. Manchmal sind die Gefühle ja auch angenehm und denken zu können kann ja auch von Vorteil sein. Dann macht man keine Dummheiten. Als ich noch jünger war hatte alles eine gewisse Stetigkeit. Mir macht jetzt wo ich ein paar Jahre älter bin der ständige Wechsel zu schaffen. Ich hoffe es ist nur eine Phase und es stabilisiert sich wieder. Stabilisiert sich das wieder? Kannst du mir das sagen?

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  3. Die Frage wie geht es dir wirkt manchmal wie eine Floskel.Viele interessiert es nicht.Oder besser gesagt nur,wenn man mit gut antwortet.Wenn es einem nicht so gut geht,wollen das viele nicht hören.In Zeiten von Dauerhappysein und tausend Anleitungen zum glücklich sein.Natürlich möchte jeder glücklich sein.Tiefen gehören leider auch dazu.

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    1. Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht die Tiefen das Leben schwer macht, sondern unsere Sicht, dass diese nicht sein dürfen. Wir werden mit Bildern berieselt, auf denen immer Glück und Wohlstand als erstrebenswert gesehen werden. Wir werden mit Lebensmustern konfrontiert, die nur Erfolg und Wohlstand als erstrebens- und lebenswert propagieren, nie aber Trauer, Wut, Enttäuschung, Misserfolg. Und wir lassen uns davon antreiben, sehen, dass wir nicht mithalten können und… viele verzweifeln, leiden wirklich, gehen sogar zugrunde. Weil sie nicht mithalten können mit diesem Bild, das so wenig der (Lebens-)Realität entspricht, aber als solche propagiert wird.

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