Hannah Arendt – Der Film

Hannah Arendt fragte beim New Yorker an, ob sie als Berichterstatterin zum Eichmannprozess nach Jerusalem fahren dürfe. Natürlich war man erfreut, eine so renommierte Philosophin für das eigene Blatt vor Ort zu haben. Was war Hannah Arendts Motivation? Sie wollte den Menschen leibhaftig sehen, der für so viel Leid, für all die Greuel verantwortlich gemacht wurde. Sie wollte dem Bösen in die Augen sehen und erwartete, ein Monster, einen bösen Menschen zu sehen. Wirklich gesehen hat sie einen mittelmässigen Menschen, dem, so beschreibt sie es, die Fähigkeit zu denken abhanden gekommen ist. Ein Mensch, der nichts Teuflisches verkörperte, sondern ein ganz normaler Mensch war, der in seinen Augen nur dem damals herrschenden Gesetz gehorchte. Diese „Banalität des Bösen“, wie Hannah Arendt es nannte, war sicher schon weit neben dem, was man gerne gelesen hätte, dass sie aber die Rolle der Judenräte in den Ghettos kritisch beleuchtete, brachte ihr den Bruch vieler Freundschaften und Anfeindungen von vielen Seiten.

Wieso hat sie es getan? Sie wollte verstehen. Als Philosophin wollte sie hinschauen und verstehen, wie es kam, was war. Sie wollte denkend die Wahrheit finden,wobei sie im Gegensatz zu ihren erzürnten Lesern verstehen von vergeben unterschied. Zu recht aus der philosophischen Warte, allerdings verkannt in den Augen derjenigen, die vom Hass und der negativen Gefühle zerfressen nur die eine Botschaft hören und sehen wollen, nämlich die, dass die einen die bösen Täter, die anderen die armen Opfer waren. Man war (noch?) nicht bereit für die sachliche Sicht, für die sicher auch teilweise unbarmherzige Sicht.

Um die Geschichte des Eichmann-Prozesses herum wird im Film Hannah Arendt das Portrait einer grossartigen Denkerin gemalt. Man sieht eine Denkerin, die mit der ganzen Radikalität ihres Geistes der Wahrheit auf den Grund gehen will, die dabei keine Kompromisse eingeht. Sie selbst sagte einst, sie betreibe „Denken ohne Geländer“. Genau diese Radikalität zeigte sich am Beispiel des Eichmann-Buches deutlich. Die eigenen Gefühle wurden aussen vor gelassen, die Gefühle der anderen ebenso. Nicht Gefühle, nicht vorgefertigte Meinungen zählten, sondern der pure klare Blick auf das, was war. Sehr spannend waren die Einblendungen des Originalfilmes aus dem Eichmann-Prozess. Die Mimik, die Argumente – sie zeigten ein deutliches Bild dessen, was Hannah Arendt danach beschrieb. Zwar hätte ich eine gewisse Arroganz in seinen Blick hineingelesen, ganz sicher aber drückte das Unverständnis durch, dass man nicht verstehen wollte, dass er nur Befehle ausführte. Dass er selber keine Juden tötete, nicht mal was gegen sie hatte. Er war – so erscheint es deutlich – ein gedankenloses Rad in einer gnadenlosen Maschinerie. Ein farbloser Bürokrat, der nur auf seine Formulare schielt, den gesunden Menschenverstand ausgeschaltet lässt. Hannah Arendt hat genau das geschrieben.

Ob sie naiv genug war, zu denken, dass man das kommentarlos oder zumindest ohne weitere Probleme hinnehmen werde, oder ob sie die danach auftretenden Probleme und Ressentiments einfach in Kauf nahm, ist schwer abschliessend zu sagen. Ich würde dazu tendieren, dass es sowohl als auch war. Sie muss sich – so klug war sie – bewusst gewesen sein, dass sie mit der Sicht, die ja auch ihre eigenen Erwartungen von vor dem Prozess negierten, viele Leute vor die Köpfe stiess. Doch war sie wohl zu sehr Philosophin und ihrer eigenen Natur ihres Denkens verfallen, um  sich der wirklichen Sprengkraft eines solchen Schreibens bewusst zu werden. Zudem denke ich, dass sie, selbst wenn sie sich bewusst gewesen wäre, es nicht hätte unterlassen können. Denn – und das war ihr immer wichtig – Denken lässt keine Geländer zu, es hat keine Grenzen, es soll nur ein Ziel haben: Die Wahrheit. Und Wahrheit bedeutet für Hannah Arendt, „das zu sagen, was ist.“

Der Film ist sicher sehenswert, denn er zeigt das Leben einer wirklich herausragenden Philosophin unserer Zeit. Er behandelt zudem eine Thematik, die unsere Zeit durch ihre Grausamkeit geprägt hat, indem sie das Denken und auch unsere Gesetze massgeblich geprägt hat. Negativ fiel mir auf, dass Hannah Arendt fast schon penetrant rauchend dargestellt wurde. Zigaretten hatten die grössere Präsenz im Film als ihr Geist und ihre Person. Ich bin weit davon entfernt, ein militanter Nichtraucher zu sein, doch fiel mir dieses schon fast als Leitmotiv anmutende Detail störend auf. Die Frage, was es verkörpern soll, lag auf der Hand. Die rauchende Intellektuelle als Kunstbild? Die Nervosität der Denkerin, welche ihre Nerven durch Suchtkrücken still hält?  So oder so – ich empfand diese Präsenz als enorm störend und vom wirklichen Inhalt ablenkend. Die Hauptdarstellerin Barbara Sukowa überzeugte mich nicht als Hannah Arendt. Es wirkte gespielt, es wirkte als Rolle. Authentizität vermisste ich. Vermutlich war das aber auch schwer zu erlangen. Das Original ist gar gross und noch immer präsent – zumindest für eine Philosophin wie mich.

Fazit:

Ein absolut sehenswerter Film mit vielen Mängeln, der aber trotz allem zu denken anregt. Ein Film, der zeigt, dass Denken gefährlich sein kann, vor allem, wenn man es radikal betreibt. Ein Portrait einer grossen Denkerin, die ich ob ihrer Radikalität des Denkens sehr schätze.


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6 Kommentare zu „Hannah Arendt – Der Film

    1. Ich kann ihn trotz allem sehr empfehlen, was aber sicher auch mit meinem Interesse an Hannah Arendt zusammenhängt. Ich bin gespannt, was du sagst.

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  1. Alles, was sich mit dieser großen Frau auseinandersetzt ist grundsätzlich sehenswert. Auch dieser Artikel hier ist es wegen seines persönlichen Bezugs auch. Man verliert immer ein paar Freunde, wenn man ehrlich sagt, was man denkt. Aber die Übriggebliebenen sind die wahren.

    Auch heute gibt es die Mitläufer, die Unmenschlichkeit erst möglich machen, und das ist schon wieder auch „menschlich“. Doch wir haben eine idealisierte Vorstellung vom Menschen, und um diese „Menschlichkeit“ müssen wir bemüht bleiben. Wir streben nach dem „Göttlichen“, auf welchem Weg auch immer. Diese Ähnlichkeit suchen wir und das können wir nicht als Mitläufer.

    In den letzten Tagen habe ich das einmal so gesehen:
    https://www.facebook.com/notes/gerhard-falk/die-verantwortung-der-mitläufer/10151203673147330

    „Hannah Arendt wollte dem Bösen ins Gesicht schauen“, es ist auch heute ganz unscheinbar unterwegs. Hinter jedem Gesicht kann es sich verbergen und sie merken es nicht einmal. Deshalb mahnt uns auch dieser nachdenkenswerte Artikel über Hannah Arendt wie der Film zur Wachsamkeit und dem Wehren der Anfänge.

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    1. Danke für deinen Kommentar, Gerhard. Ja, sie ist gross und ihre Gradlinigkeit im Denken und Handeln hat mir immer sehr imponiert. Dass dies seinen Preis hat, liegt auf der Hand. Der Preis, den man für stille Mitläuferschaft bezahlt, ist grösser. Zwar bezahlt man den meist nicht selber und meist nicht unmittelbar, aber das Kollektiv wird es doppelt und dreifach spüren. Irgendwo ist man diesem und jedem Einzelnen, der das Kollektiv ausmacht, gegenüber verpflichtet, einen Beitrag zu leisten, auch wenn er ab und an viel von einem fordert.

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  2. Hannah Arendt ist sicher eine Der weiblichen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Ihre
    Formulierung „Die Banalität des Bösen“ finde ich allerdings etwas unglücklich. Das Böse ist nie banal. Es hat Ursachen, die man klar in ihren Anfängen erkennen muss. Eichmann war sicherlich kein gewöhnlicher Mensch. Es ist doch eher die Unfassbarkeit der Alltäglichkeit des Bösen, dass es sich in unserer unmittelbaren Umgebung abspielen kann, kaschiert, getarnt unter dem Deckmantel des Gewöhnlichen, weil wir uns meist nicht die Mühe machen, genauer hinzuschauen.

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    1. Was heisst banal? Dass es einfach ist, dass es eben nicht durchdacht ist. Es ist, wie es ist, es ist banal. Und genau so agierte Eichmann – so scheint es. Er war das Rad in der Maschine, der Ausführer der Befehle. Ja, ich denke, er hatte durchaus das Bestreben, seine Sache gut zu machen. Ein gewisser Opportunismus dürfte vorhanden sein. Sein Leben war ein einziges Scheitern, bis er in den Dienst eintrat. Da sah er seine Chance, doch noch was zu erreichen und das tat er mit vollem Ehrgeiz. Wohl war ihm auch jedes Mittel recht. Wie sehr er die Mittel wirklich durchschaute, weiss ich nicht.

      Die Banalität in dem Zusammenhang gebraucht hat einen relativierenden Beigeschmack. Ich denke nicht, dass sie es so gemeint hat. Sie hat den Begriff in meinen Augen richtig gewählt von der Begrifflichkeit her, aber vernachlässigt, welche Wirkung er alltäglich hat.

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