Wer entscheidet über richtig oder falsch?

Die Frage nach der Legitimität von ritueller Beschneidung bei Jungen spaltet die Meinungen. Ist es der Religionsfreiheit geschuldet, den Anhängern bestimmter Religionen freie Hand bei der Ausübung ihrer rituellen Handlungen zu geben oder gelten auch hier die staatsinternen Grundrechte in ihrer Hierarchie? Wer bestimmt über die Hierarchie und wer sagt, was richtig ist, was falsch?

 

Ist die Beschneidung eines jüdischen Knaben Körperverletzung und damit zu verurteilen oder aber eine rituelle Handlung, wie sie seit Jahrtausenden vorgenommen wird? Darf ein Christ diese Tradition unterbinden und seine eigenen Wertmassstäbe aufsetzen? Wieso schreit niemand auf, wenn kleinen Mädchen Ohrlöcher geschossen werden? Gibt es dafür nicht viel weniger Argumente als für eine Beschneidung, welche seit Jahrtausenden durchgeführt wird und in den seltensten Fällen Probleme zeigt? Wäre es ein Problem, wären die jüdischen Männer nicht selber auf die Barrikaden gegangen, hätten ihre Rituale angepasst? Dass nun ein paar kommen und meinen, traumatisiert zu sein, zeugt nicht wirklich von der Grausamkeit der Prozedur, sondern eher davon, den Zug zu nutzen und aufzuspringen. 

Wer darf hier richten? Wer ist in der Lage, Schiedsrichter zu spielen? Kann ein christliches Gericht beurteilen, was Juden in ihrer Religion tun dürfen und was nicht? Doch wo ist die Grenze? Was, wenn Anhänger einer Religion mit Menschenopfern in der Schweiz sich niederlassen? Dürften sie ihre Religion ausüben? Oder griffe hier das christliche „du sollst nicht töten“? Wer bestimmt die Grenzen? Wer setzt die Moral? Und wem folgt das Recht?

 

Der deutsche Bundestag kam heute zum Punkt, dass es in Deutschland schnell ein Gesetz geben müsse, das die rituelle Beschneidung erlaube. Deutschland ist ein gebranntes Kind und noch nach bald 70 Jahren in der Situation, sich nach aussen korrekt zu verhalten, da sie sich sonst immer mit der Nazivergangenheit konfrontiert sehen. Am selben Tag dieses Entscheids erscheint in den Schweizer Medien ein Artikel, dass die Kinderklinik in Zürich die Beschneidungen vorübergehend einstellt, um zu überlegen, was richtig ist. Wer soll es ihnen sagen? Auf welcher Basis? 


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2 Kommentare zu „Wer entscheidet über richtig oder falsch?

  1. Der beste Weg wird sein, es formell als Versehrung des Körpers einzustufen, aber nur zu verfolgen, wenn der Beschnittene es als Volljähriger anzeigt. Nebenbei empfehle ich eine kleine Textänderung. „Du sollst nicht töten“ gilt in allen großen Religionen, insbesondere im Judentum, da altes Testament. Also kein christliches Gebot.

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    1. Damit hast du natürlich recht, dass dieses Gebot kein allein christliches ist. Die Schwierigkeit der möglichen Verfolgung im Erwachsenenalter ist, dass Eltern dann bis dahin in einem rechtsfreien Raum schweben. Sie stehen in der Gefahr, dass das Kind dann dahin geht und Strafverfolgung für etwas verlangen kann, das in Kindertagen passierte, damals noch erlaubt, nun verfolgt. Das wäre eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit.

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