Imre Kertész gibt vor, mit Dossier K. das erste Mal auf äussere Veranlassung statt aus innerem Antrieb geschrieben zu haben. Entstanden ist dabei eine Autobiographie. In Form eines platonischen Dialogs entwickelt er sein Leben, angefangen bei der Kindheit bis hin zu seinen literarischen Erfolgen. Er zeichnet dabei ein Bild einer Lebensgeschichte, die von Tiefgang, Nachdenklichkeit und Selbstzweifeln geprägt ist.
Als ungarisches Kind sich scheidender Eltern kämpft er von klein an gegen die Widerstände des Lebens, allen voran den Makel des eigenen Judentums, mit dem er sich nicht anfreunden, geschweige denn identifizieren kann. MIt 15 kommt er nach Auschwitz, von da nach Buchenwald und überlebt die beiden Konzentrationslager auf mysteriöse Weise. Er bezeichnet das eigene Überleben nicht als Schicksal, da er das Vorhandensein eines solchen generell ablehnt. Schicksal bedeute Sinn und genau diesen sähe man in vielen Ereignissen – vor allem dem Holocaust (ein Begriff, den Kertész ablehnt) – nicht. Kertész sieht sich als einen dem Leben Ausgelieferten:
Aber dass ich Schriftsteller geworden bin, setzt ja an sich eine eigentümliche Natur voraus. Ich meine damit, dass ich mich wahrscheinlich in einem anderen Stoffwechsel mit der Realität befinde als andere Menschen.
Imre Kertész war nicht von Anfang an erfolgreich. Er hielt sich mit banalen Theaterstücken und Übersetzungen über Wasser, stahl sich quasi die Zeit für das, was ihm am Herzen lag: das Romaneschreiben. Dabei fühlte er sich in der Tat wie ein Verbrecher:
Ein Künstler muss sein Werk in der gleichen Gemütsverfassung beginnen, in der ein Verbrecher seine Tat ausführt […] Wenn ich zu arbeiten beginne, wird die Welt zu meinem Feind.
Der mangelnde Erfolg – auch wenn Erfolg nie Grund und Sinn des Schreibens war – nagte des Öfteren an Kertész Selbstbewusstsein. Seine Frau hielt das Paar über Wasser, er selber sah sich daneben oft in der Position dessen, der tat, was er tun musste, dabei aber nicht von der Gesellschaft akzeptiert war, nicht im System integriert war.
[Die Vernunft sagte mir], dass ich meine Zeit sinnlos vergeudete und wie ein Schmarotzer lebte; und beide Argumente nahm ich todernst…
Trotzdem hielt er am Schreiben fest, konnte nicht anders, als zu schreiben. Die Schande des eigenen Überlebens war sicher einer der Beweggründe. Der Umstand, dass er auf ein Leben zurückblickte, das Stoff für Romane bot, liess ihn immer weiter schreiben. Trotzdem wehrte er sich dagegen, sein Schreiben autobiographisch zu nennen, da alles, selbst Erinnertes, wenn es auf Papier kam, Fiktion wurde. Mit dem Schreiben bewältigte er so nach und nach seine Geschichte. Alles, was auf Papier stand, war für ihn abgeschlossen und damit fast schon vergessen.
Ich habe immer nur den Roman geschrieben, den ich gerade schrieb, und der erschien mir jedesmal ebenso fraglich wie mein eigenes Ausharren, ja, mein eigenes Fortbestehen.
Ein Zeugnis eines bewegten Lebens, welches das Bild eines Schriftstellers und seines Schreibens malt, voller Authentizität, Offenheit und Verletzlichkeit.
Fazit:
Eine Lektüre, die zum Nachdenken anregt, die demütig macht, packt und mitfühlen lässt. Nicht pathetisch, nicht mitleiderregend, sondern menschlich und sympathisch.
(Imre Kertész: Dossier K., Hamburg 2008.)