Dass die Sprache sich im Laufe der Zeit ändert, ist nichts Neues. Liest man die Minnesänge des 12./13. Jahrhunderts, so kämpft man sich durch mittelhochdeutsche Wendungen, die oft schwer verständlich sind.
Aber nicht nur die Sprache änderte sich, auch ihr Gebrauch. Liest man Goethe oder Schiller, sieht man sich einer oft blumigen, epischen, ausschweifenden Sprache gegenüber. Es ist eine schöne und runde Sprache, die schöne und runde Geschichten erzählt. Sogar in den Gedichten wird nicht immer reduziert, sie fliessen dahin, rund und reimend, in Versformen und im Takt.
Viele der ihnen folgenden Autoren blieben dieser Sprache treu, sie pflegten eine Sprache, auf die Wert gelegt wurde, offensichtlich und explizit, will man ihren eigenen Ausführungen glauben. Thomas Mann bekannte, seine Texte immer und immer wieder umzuschreiben, aus Liebe zur Sprache, aus Sorge zu ihr. Und auch in der Zeit zwischen Goethe und Mann finden sich Sprachliebhaber. Neben der Sprachlichen Schönheit lag in dem Geschriebenen immer auch eine inhaltliche Tiefe.
Der zweite Weltkrieg stellte sicher einen Bruch dar. Theodor Adorno liess verlauten, dass danach keine Gedichte mehr geschrieben werden könnten. Der Grund lag auf der Hand: Wie soll Sprache, wie sie bislang die Welt beschrieb, dem genügen, was passiert ist? Wie soll man mit derselben Sprache, die vorher Liebe, blühende Felder und Wälder beschrieb, dem Grauen dieses Unrechts gerecht werden?
Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.**
Natürlich ging das Schreiben weiter, es war auch nicht Adornos Absicht, dieses auszuschalten. Dass aber neue Mittel und Wege beschritten werden müssen, lag auf der Hand. Die Trümmerliteratur wurde geboren. Die Schriftsteller dieser Epoche wollten sich lösen von den hergebrachten Literaturmustern, sie wollten wahr und echt und realistisch sein. Schönschreiberei hatte keinen Platz mehr, Echtheit und Wahrhaftigkeit war gefragt. Die Umsetzung dieser Postulate war nicht immer ganz gelungen,oft griffen sie doch auf die hergebrachten Stilmittel zurück, schrieben noch Sonette und griffen auf die Stilmittel der neuen Sachlichkeit oder auch des Expressionismus zurück. Inhaltlich war die Trümmerliteratur ganz der Beschreibung der Gegenwart nach dem Krieg und der Aufarbeitung der Vergangenheit gewidmet.
Der Krieg rückte in die Ferne, die Inhalte wurden wieder vielfältiger. Wo stehen wir heute? Die Frage, die oft im Raum steht, ist: Was ist gute Literatur? Die Trennung zwischen E und U wie in der Musik schwebt irgendwo in der Luft und wird immer wieder bekämpft. Trotzdem lächeln viele über Pilcher und Konsalik und wollen anderen Ansprüchen genügen – sowohl als Autoren als auch als Leser.
Ist ein Krimi, Thriller, Liebesroman hohe Literatur oder blosse Unterhaltung? Wäre es schlecht, wenn das so wäre? Die malerisch beschriebenen Mord- oder Kussszenen – hoher Markt- und Unterhaltungswert, wenig literarischer? Das mag durchaus sein, doch wieso soll das eine besser, das andere schlechter sein?
Man kann grosse Literatur vielleicht so beschreiben, dass sie eine Aussage hinter dem Text hat, dass sie tiefer geht, als die blossen Buchstaben es tun. Das macht sie anspruchsvoller als es die reine Unterhaltungsliteratur ist. Das will man nicht immer haben, das ist nicht besser als das andere, aber anders. Solche Kategorien helfen ja auch, für jeden offensichtlich zu machen, was ihn erwartet, so dass man frei nach der jeweiligen Laune und dem eigenen Geschmack wählen kann. Wertungen sind dann überflüssig.
Früher hätte ich bei der Definition von grosser Literatur noch die Sprache hinzugenommen. Ich hätte gesagt, dass sich grosse Literatur durch eine schöne Sprache, Sprachgefühl, Sprachliebe ausdrückt. Ich bin mir bei der heutigen Literatur nicht mehr sicher.
Ich las Kurzgeschichten, Romane, Erzählungen, alle in einem Staccato von Wörtern, Sätzen, Absätzen. Ich las Kapitel, die aus drei Sätzen bestanden, jedes nicht mehr als fünf Wörter. Ich las ganze Erzählungen, die denselben Stil pflegten. Und sie wurden gerühmt. Mir ging beim Lesen der Schnauf aus. Ich kam nie rein, weil der Satz zu Ende war, bevor ich mich einfühlen konnte. Vielleicht bin ich zu langsam. Oder der Text ist zu schnell, zu abgehackt. Nun kann man sagen, die Sprache spiegelt die Zeit wieder. Sie ist insofern ein Kunstmittel und damit eine zweite Ebene im Text. Das könnte man so sagen, damit diese Sprachform rechtfertigen.
Gefallen tut sie mir trotzdem nicht. Mir fehlt das Tragende, mir fehlt, dass ich im Lesen in eine Schwingung komme und in die Geschichte gleite, die mich dann gefangen nimmt. Mir fehlt das Plastische, das Wahrhaftige, das Konstante. Ich hangle mich bei dieser modernen Sprache von Satz zu Satz, bin bei jedem Punkt wieder rausgeworfen, muss beim nächsten grossen Buchstaben wieder andocken, um dann wieder rausgeworfen zu werden. Die Geschichten dahinter wären gut, ich bleibe dran, weil ich wissen will, was wird – und ab und an auch, weil ich nicht einfach wieder aufgeben will. Aber irgendwie fehlt mir was.
Irgendwie fällt für mich die sprachliche Schönheit weg. Alles ist brutal, schnell, kurz. Was ich in Gedichten schätze und liebe, stösst mir beim Roman und in Erzählungen irgendwie auf. Sie sind zu lang, als dass ich mich auf dieses Staccato einlassen will. Ab und an bin ich mir nicht sicher, ob diese neue Sprache in der Literatur, die den Anspruch hat, höher zu stehen als die gefälligen Liebes- und Kriminalromane, nicht einfach daher rührt, sich abheben zu wollen. Einer rühmte es, die anderen sehen das und machen es ihm gleich. Nie mehr über Schachtelsätzen brüten, keine Frage mehr nach Interpunktion, denn nach fünf Wörtern kommt ein Punkt. Der steht da, zeigt den Bruch, weckt auf. Man schaut sich um, ist aus der Geschichte geworfen, taucht wieder auf und wünscht sich, man wäre unten geblieben.
________________
*Reinmar: Lieder. Nach der Weingartner Handschrift (B). Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hrsg. von Günther Schweikle. Stuttgart: Reclam 2002 (=Universal-Bibliothek. 8318.), S.106.
**Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Gesammelte Schriften, Band 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I, „Prismen. Ohne Leitbild“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, S. 30.