Aus dem Atelier: Rationaler Abgesang

Die westliche Welt ist eine mehrheitlich rationale. Alle Schöngeistigkeit wird einerseits bewundert, gilt aber andererseits als lebensfern und fällt damit durch die Raster (der Bildung, der Finanzierung, der gesellschaftlichen Relevanz, etc.) des allgemeingültig als anzustrebendes Leben Bewerteten. Viele Jahre war ich als Philosophin mittendrin in dieser rationalen Welt, diskutierte, argumentierte, feierte Kant und Konsorten, studierte wissenschaftliche und historische Zusammenhänge, wirtschaftliche Bedingungen und gesellschaftliche Abgründe. Wie viel Kraft es mich gekostet hat, merkte ich erst bei meinem ersten Ausbruch – damals in die östliche Welt des Yoga und Buddhismus, dann später immer wieder durch Ausflüchte in die Kunst. 

Das Schöne am Älterwerden ist, dass ich mittlerweile vieles hinter mir lassen darf, dass mich nicht mehr so sehr kümmern muss, was andere denken oder über mich sagen (und doch tut es das noch viel zu sehr, ich arbeite dran).  Dafür, dass mir die Worte abhanden gekommen sind, kamen nun doch wieder viele zusammen. Es werden wohl mitunter weniger werden, denn ich merke, die Suche nach Worten lässt mich ganz schweigsam zurück. 

Habt einen schönen Tag. 

Gedankensplitter: Liebe zur Literatur

«Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune.» Johann Wolfgang von Goethe

Wenn ich mir die aktuellen Neuerscheinungen im Bereich Philosophie und Soziologie anschaue, frage ich mich manchmal: Welchen Lebensbezug hat all das noch? Wie oft betreffen die gestellten Fragen wirklich den Menschen in seinem Sein, in seinem Alltag, den jeder zu bestreiten hat? Sogar lebensrelevante Fragen der Politik und des Zusammenlebens werden auf eine Weise thematisiert, dass ihnen jeglicher konkrete Lebensbezug genommen ist. Verfasser der Bücher sind mehrheitlich sehr intelligente, oft namhafte Grössen des Universitätsbetriebs oder aber der frei forschenden Intelligenzia. Manchmal scheint es, als ob sie sich gegenseitig die Bälle zuspielten, wie ich dereinst auf dem Pausenplatz am Pingpongtisch.

Ich habe mich lange in diesem hochgeistigen Umfeld bewegt. Und ja ich tat es gerne, ich ging darin auf, weil es etwas war, das ich konnte. Es lag mir, mich in Gebiete zu vertiefen, sie zu erfassen und sie auf konzise Weise wieder von mir zu geben. Das gab mir eine Rechtfertigung für mein Tun, das ich mir hart erkämpft hatte als Klassenaufsteigerin, die ich war, geschlagen noch mit diversen Eigenheiten, die nicht mehrheitskompatibel waren. Es war ein Feld, in dem ich mich behaupten konnte. Ich hatte das dringend nötig, da ich ausser meinem Geist nicht viel hatte, auf das ich vertraute im Leben, vor allem nicht in Bezug auf mich und meinen Stand in diesem.

Nietzsche sagte einst, dass alle Philosophie obsolet sei, wenn sie nicht zum Leben tauge. Ob seine eigene diesem Anspruch genügte, mag ich bezweifeln, doch abgesehen davon stimme ich ihm zu. Schaut man in die Welt, sieht man da Probleme, die in neuen philosophischen Büchern und den meisten geführten Diskussionen kein Thema mehr zu sein scheinen. Die behandelten Themen in der Politik und in den Universitäten haben mit denen des wirklichen Lebens wenig gemein. Die ehemals linken Kreise, die sich um Armut sowie Ausnutzung und Diskriminierung von Unterprivilegierten bemühten, haben sich auf Nischen verlegt, mit denen sich die Mehrheit der Not leidenden Menschen nicht mehr identifizieren können, die rechten Parteien sahnen ab, weil sie vordergründig lebenspraktische Anliegen behandeln. Wir mögen am Schluss vielleicht eine Sprache definiert haben, die keiner mehr sprechen kann, und für alle Befindlichkeiten entsprechende Toiletten gebaut haben. Daneben darben alte Menschen in Armut, alleinerziehende Mütter wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, und einst hart erkämpfte Rechte (straffreier Schwangerschaftsabbruch z. B.), werden nach und nach wieder eliminiert. Ich bin mir der Plakativität dieser Aussagen bewusst, doch sie ist ebenso gewählt.

Die Philosophie hätte so viel zu sagen. Es ist eine Disziplin, die den Überblick hat, und das in einer Zeit, in der man alles in immer noch kleinere Einheiten fasst und die Interdisziplinarität ignoriert, obwohl die wirklich grossen Denker, die wir noch heute kennen, immer das grosse Ganze betrachtet haben und sich ihr Erfolg gerade daraus speiste. Es scheint fast, als hätte Hannah Arendt recht gehabt, als sie sinngemäss sagte, dass da, wo die Philosophie endet, die Literatur einsetzt, weil vieles nicht in abstrakten Begriffen zu erfassen sei, sondern in Geschichten erfahrbar werde.

Die gelehrten Philosophen, die in ihrem Elfenbeinturm sitzen und sich an ihren geistigen Höhenflügen ergötzen, rümpfen oft die Nase über die, welche Geschichten erzählen. Das erscheint ihnen als eine minderwertige Form des Ausdrucks und die Geschichten werden oft als Befindlichkeiten abgetan. Diese Geringschätzung von Autor und Form war auch der Grund, wieso einst Peter Bieri unter Pseudonym zum Romancier wurde. Er hatte recht daran getan, denn als es aufflog, sank er in der Achtung seiner Fachkollegen merklich. Er hat es zum Glück gut verkraftet und seinen Lesern (und seinen Studenten) viel geschenkt).

Wenn man bedenkt, dass der Mensch seit Urgedenken Geschichten erzählt, dass das Erzählen von Geschichten gar oft als den Menschen ausmachende Seinsweise definiert wird, verwundert diese Geringschätzung auf den ersten Blick. Auf den zweiten könnte man sie so deuten, dass man sich durch den abstrakt elaborierten Code über das Allgemeinmenschliche erheben und zum Übermenschen werden möchte. Und ja, wer träumt nicht vom kleinen bisschen Ruhm, vom erhabenen Moment als Pfau im Hühnerstall. Aber vielleicht ist es auch ganz anders:

Beim Schreiben über all das, fällt mir auf, wie sehr sich meine Sprache der Materie anpasst. Die vielen wissenschaftlichen Artikel und Beiträge haben sich in mein Schreiben eingebrannt. Während meine literarische Sprache einen eigenen Stil hat, der komplett anders ist, verfalle ich ohne es zu wollen oder bewusst zu wählen beim Schreiben eines sachlichen Themas in den Duktus der Fachsprache. Eine spannende Selbst-Beobachtung, die eine weitere Möglichkeit der Erklärung mit sich bringt.

Ich trug immer beide Lieben in mir: die zur Literatur und die zur Philosophie. Angefangen hat alles mit Literatur, danach schwang mal die eine, mal die andere oben auf. Missen würde ich keine wollen, doch merke ich, dass das Pendel mit zunehmendem Alter wieder dahin zurückschlägt, wo ich herkam: zur Literatur. Ich bin sehr dankbar für die Philosophie im Rücken, als Unterbau, als Denkschule, als Zettelkasten, auf welchen ich immer wieder zurückgreifen kann beim Lesen und Schreiben. Aber: Die Philosophie, wie ich sie heute erlebe, in all ihrer Abgehobenheit, ihrem Anspruch, ihrer Geziertheit, sie holt mich nicht mehr ab, sie spricht nicht mehr zu mir. Es ist und bleibt immer das gleiche, was mich umtreibt: Der Mensch in seinem Lebensumfeld, sein Sein und Mit-Sein. Ich suche es in den Büchern, ich finde es in der Literatur. Und ja, in ihr steckt alles drin: Philosophie, Kultur, Zeitgeschichte, Lebensrealität. Man muss sie nur finden. Und das kann jeder für sich selbst tun. Für mich ist das ein Stück Freiheit.

150 Jahre Karl Kraus (28. April 1874)

Ich hebe mein Glas auf Karl Kraus, er würde heute 150 Jahre alt.

«Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davorsteht.“

Karl Kraus sicher kein einfacher Zeitgenosse, mit seinem kritischen Geist und seiner polemischen Art eckt er immer wieder an. Er ist einer, der mit seiner Meinung nicht hinterm Zaun hält, sondern immer wieder Mittel und Wege findet, den Finger in die Wunde des Systems zu stecken. Er will die Wahrheit hinter all den Lügen aufdecken, mit denen die Gesellschaft und die Politik den schönen Schein zu wahren versuchen. In dieser Rolle hängen ihm die Anhänger an den Lippen und die Gegner schimpfen ihn einen verbitterten Misanthropen. 

«Der Gedankenlose denkt, man habe nur dann einen Gedanken, wenn man ihn hat und in Worte kleidet. Er versteht nicht, dass in Wahrheit nur der ihn hat, der das Wort hat, in das der Gedanke hineinwächst.“

Karl Kraus’ Waffe ist die Sprache und die setzt er bewusst und klar ein. Er verachtet die allgemein üblichen und nachlässigen Wendungen, sieht in ihnen den Ursprung für viele Missstände in der Welt. Sprache sollte nach Kraus ein Medium des Denkens, sie sollte kritisch betrachtet und sorgsam gewählt sein. So hielt er es in seinem Schreiben, das nie nur lose dahingesagte Texte, sondern messerscharf kombinierte Sätze sind. 

Habt einen schönen Tag!

Mehr zu Karl Kraus findet ihr HIER

Gedankenströme: Verstehen wollen

«Sprache ist nicht Wahrheit, sondern reflektiert unser Dasein in der Welt.» Paul Auster

Wieso schreibe ich? Was treibt mich an, Tag für Tag Buchstaben zu Worten und Worte zu Sätzen zu formen? Es ist nicht mal so sehr ein Schreiben-Wollen, sondern eher ein Müssen, ein Wissen darum, dass ich nur im Schreiben das finde, was für mich lebensnotwendig ist, weil es mir im Leben immer wieder darum geht: Verstehen wollen. Ich will verstehen, wie die Dinge laufen. Ich will verstehen, wieso die Dinge sind, wie sie sind. Ich will verstehen, wieso ich bin, wie ich bin. Und ich will verstehen, wie ich durch die Welt gehe, und wieso ich es auf die Art und Weise tue, in der ich es tue. Ich möchte verstehen, wieso die Welt mir erscheint, wie sie es tut, und ich möchte verstehen, wieso Menschen auf mich reagieren, wie sie es tun. Und ich auf sie.

Ich schreibe, weil durch das Schreiben mir die Dinge verständlich werden. Wenn ich nicht schreibe, schwirren sie in wilden Formationen durch mein Hirn, drehen und wenden sich, werden kaum fassbar, sind oft ein Durcheinander von losen Fetzen, die mich umtreiben. Indem ich sie einfange, zu Papier bringen, nehmen sie langsam eine Ordnung an, werden sie zu etwas, das sich immer deutlicher zeigt, bis ich es fassen, erfassen kann. Dann komme ich dem Verstehen näher. Und mit dem Verstehen kommt die Ruhe.

Ich mag es nicht, wenn Dinge unklar sind. Ich mag es nicht, wenn ich Dinge nicht einordnen kann. Zwar mag ich Fragen, doch möchte ich sie dann klären. Das Ungeklärt lassen liegt mir nicht. Ich kann sie nicht einfach mal beiseiteschieben oder offenlassen. Sie lassen mir dann keine Ruhe, sondern drehen sich, löchern mich, bewegen mich, treiben mich um. Ich gehe den Dingen gerne nach, erforsche sie, will sie erkennen und erklären können. Zumindest für mich. Und oft, wenn in mir ein Wieso oder Warum auftaucht, greife ich zum Stift, weil ich gemerkt habe, dass sich die Lösungen meist im Prozess des Schreibens wie von selbst aufs Papier ergiessen.

Und manchmal denke ich, dass mein eigenes Leben ein grosses Geheimnis ist, eines, das ich noch nicht ergründet habe. Es liegt hinter mir, ist mit mir und erstreckt sich weiter in die Zukunft. Und im Heute denke ich manchmal, woher die Dinge kommen, die ich wahrnehme, wo sie ihren Ursprung nahmen. Wo sind all die Fragen, Sätze, Gefühle, Affekte entstanden, die ins Heute wirken, manchmal auch auf eine Weise, die ich mir selbst nicht erklären kann? Und so fange ich an, mich meinem Leben entlangzuschreiben, grabe in die Tiefen und hole, einem Archäologen gleich, die Fundstücke ans Licht. Vielleicht ist es genauso, wie es auch Daniel Schreiber in seinem Buch «Zuhause» schreibt, dass etwas in mir mich dazu trieb

«die Geschichten, die mich umtrieben, so oft zu erzählen, bis sie einen Platz in mir fanden, mit dem ich leben konnte.»

Gedankensplitter: Eigene blinde Flecke

«Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.» Roger Willemsen

Immer wieder lese oder höre ich von diesem «Gender-Seich». Kürzlich wurde ich gefragt, was ich denn davon halte, von diesem «Gender-Seich», die Hoffnung, dass ich mit ihm einen Empörungschor bilden würde, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Auch Argumente wie:

«Wir haben wahrlich genügend Krisen, wir sollten uns nicht mit solchen Gender-Idiotien rumschlagen müssen.»

Oder:

«Langsam machen mich diese woken Identitätspolitischen und Gender-Propagierer richtig aggressiv.»

Und ja, aggressiv ist das Klima der Diskussionen. Es geht schon lange nicht mehr um die Sache, wie mir scheint, es geht darum, recht zu haben, weil man die Wahrheit kennt, weil man weiss, wie es richtig läuft, und vor allem bei den Gegnern: Weil man es schon immer so gemacht hat und es doch klar ist, dass dies gut war.

Und es wird argumentiert, dass wenn man N* sage, meine man es niedlich, wenn man die männliche Form verwende, seien natürlich alle mitgemeint, nur ein Idiot kenne das generische Maskulinum nicht[1], wenn man finde, Kopftuch-Frauen gehören nicht in unser Land, verteidig man nur die häuslichen Sitten und Gebräuche.

Die Argumentation, man brauche all diese Diskussionen nicht, sondern sie lenken nur von den wirklichen Problemen wie dem des Klimas ab, ist, wie ich denke, eine typische Vermeidungsargumentation aus einer Position, die es sich leisten kann.

Wir haben viele Probleme aktuell und ich denke, wir können sie nur gemeinsam angehen, da sie sich gegenseitig befruchten und wiederum so wirken. Diskriminierungen auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Gründen sind sicher nicht einfach Kleinigkeiten, wenn man zur Gruppe der Unterdrückten gehört. Die Diskussion über das Gendern könnte man sich sparen, wenn nicht so viele teilweise aggressiv dagegen kämpfen würden (dann wäre auch eine gemässigtere Form als diese teilweise wirklich schwierigen Auswüchse) möglich. Wir könnten uns ebenso Diskussionen über Antisemitismus, Rassismus, Klassismus, soziale Ungerechtigkeiten auf lokaler und globaler Ebene sparen – wenn wir endlich hinsehen würden und gemeinsam für eine Welt kämpfen, die eine gemeinsame wird.

Aber: Wir sind nicht da. Menschen werden unterdrückt, Frauen sind in vielen Bereichen in einer benachteiligten Position und sind zu wenig gehört und gesehen. Migrant*Innen, Schwarze, Juden, Transsexuelle und viele nicht der weissen, westlichen Norm entsprechende Menschen werden diskriminiert und ausgeschlossen. Und solange das so ist, müssen wir darüber reden und dafür kämpfen, dass es ändern. Weil wir es ihnen und uns wert sind, weil es in der Verantwortung derer liegt, die es können, weil sie all die Privilegien haben, die anderen verschlossen sind.


[1] Das erinnert mich an die Frau Ende des 19. Jahrhunderts, welche vor Gericht ging, weil sie nicht zum Studium zugelassen wurde. Ihre Klage, die sich auf das Recht jedes Menschen auf Bildungszugang berief, wurde abgewiesen mit der Begründung, es sei klar, dass damit nur Männer gemeint seien. So viel zum generischen Maskulinum.

Gedankensplitter: «Ich bin so frei»

Ein höflicher Satz. Ein Satz des Anstands, oft begleitet mit einer entsprechenden Geste. So hat sich das eingeprägt, das ist unsere kulturelle und damit unhinterfragte Sicht. Schaut man aber genauer hin, holt man die Wendung aus ihrer gewohnten und damit unreflektierten Bedeutung heraus, zeigt sich ein anderes Bild. Verwendet wird diese Wendung mehrheitlich dann, wenn man einen eigentlichen Grenzüberschritt höflich verpacken will. Man würde es nicht sagen, wenn man nicht tief drin wüsste, dass das, was man zu tun vorhat, eine Grenze überschreitet, nämlich die des anderen: Man tritt ihm zu nah. Man begrenzt dessen Freiheit indem man sich explizit die eigene gewährt. Damit ist diese Wendung in Tat und Wahrheit eigentlich eine höfliche Entschuldigung, die aber nicht nach einer passierten Handlung nachgereicht wird und damit eine Einsicht des eigenen Fehlverhaltens impliziert, sondern eine vorweggenommene Rechtfertigung für ein noch auszuführendes Tun.

Würde man stattdessen fragen: «Darf ich?» und (ganz wichtig) die Antwort abwarten, um sie dann auch wirklich als Richtschnur für das eigene Handeln zu nehmen, sähe die Sache ganz anders aus. Dann hätten wir zwei Menschen auf Augenhöhe, von denen einer etwas will, bei dem er an die Grenzen eines anderen stösst. Der andere hat dann die Möglichkeit, seine eigenen Bedürfnisse oder Abneigungen zu formulieren, in denen er gesehen und respektiert würde. Ansonsten werden diese ignoriert und übergangen.

Ist das alles reine Sprachklauberei, eine weitere Form eines woken oder identitären Sprachverhunzungsprogramms, wie sie heute oft angeklagt werden? Nein, es ist die Aufforderung, hinzuschauen, was wir wirklich tun und sagen, die Worte auf ihren tatsächlichen Inhalt und die damit verbundenen Implikationen zu prüfen. Es ist die Aufforderung, Abwertungen und Machtverhältnisse im alltäglichen Sprachgebraucht zu sehen und zu überwinden, da diese die Strukturen unserer Welt schaffen. Sprache schafft Wirklichkeit oder wie Ludwig Wittgenstein sagte:

«Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.»

Die Art und Weise, wie ich spreche, offenbart viel von meinem Weltbild. Oft agieren wir unbewusst aus diesem heraus, weil wir schon die Sprache unbewusst verwenden. Wenn wir mit einem «Ich denke, also bin ich» durch die Welt gehen, unsere Gedanken als die richtigen sehen und diese den anderen überstülpen wollen, bleiben wir in unserer eigenen kleinen Welt gefangen und sehen die Weite hinterm Horizont nicht. Es entstehen Fronten von lauter Ichs, die die Welt erklären können, nur verstehen sie sich leider gegenseitig nicht, so dass jeder in seiner eigenen Welt vereinzelt lebt.

Wir müssen hin zu einem «Wir denken, also sind wir» kommen, im Wissen, dass der gemeinsame Blick auf eine Sache diese erst wirklich sichtbar macht – nämlich von verschiedenen Seiten. Indem wir unser Denken durch eine zugewandte und respektvolle Sprache mit dem Denken anderer zusammenbringen, schaffen wir eine gemeinsame Welt, in der jeder seinen Platz findet, weil durch das gegenseitige Verständnis und die Erweiterung des eigenen Blicks ein Miteinander möglich wird. So finden wir eine gemeinsame Sprache und schaffen damit eine gemeinsame Welt. Dann ist diese Welt grösser, da die Grenzen meiner Sprache nicht mehr die Grenze meiner Welt ist, sondern sie sich ausweitet hin zu den Grenzen unserer Sprache, die eine gemeinsame Welt begründen.

Gedankensplitter: Die Macht der Worte

«Nur durch Kommunikation können Menschen ein zivilisiertes, friedliches Leben miteinander gestalten. Die Brückenbildung des Wortes, auch des streitigen Wortes, ist elementar.» Michel Friedman

Worte haben eine Macht, eine Wirkmacht. Sie können verletzen, sie können treffen, sie können umschmeicheln, liebkosen. Worte können ein Pflaster für die Seele sein oder eine Mördergrube, in die man fällt. Worte können Brücken bauen oder Mauern einreissen. Sie können Gefängnisse errichten und Trennwände bilden. Worte sind unser Zuhause, sie machen unsere Welt aus. Mit unseren Worten stellen wir uns in die Welt und zeigen uns dieser als die, die wir sind, weil wir durch die Worte in sie hinein treten. 

„Die Worte, die du sprichst, werden zu dem Haus, in dem du lebst.“ (Hafiz)

Wir sind, was wir sagen, und wenn wir uns selbst sagen, wer wir sind, dann glauben wir uns das. Darum ist es wichtig, gut hinzusehen, welche Botschaft wir uns über uns selbst mitteilen, denn sie malen das Bild, das wir von uns selbst haben. Genauso wichtig ist es, die Worte gut zu wählen, die wir an andere richten, denn mit ihnen malen wir das Bild, das sich den anderen zeigt von uns. 

Sprache und Haltung

In einer Woche ist Weihnachten und ich kann es irgendwie noch gar nicht ganz fassen, dass das so sein wird. Ich bin kein Weihnachtsfan, vielleicht, weil Weihnachten für mich mit wenig Geschichten, wenig Erinnerungen, wenig positiven Gefühlen verbunden ist. Ich erinnere mich nicht an die Feste, weiss nicht mehr, wie wir zusammensassen, ob und wie ich mich freute über etwas. Ich erinnere mich an nichts und somit verbinde ich nichts mit Weihnachten. Die Gründe dafür können vielfältig sein, vermutlich ist es eher ein Verdrängen als ein Vergessen, schlussendlich ist es irrelevant – es ist, wie es ist. Heute kommt noch etwas dazu bei Weihnachten: Es ist irgendwie ein „Von-allem-Zuviel“: Zu viele Geschenke, zu viele Termine, zu viel Hektik… und zu wenig Ruhe, Musse, wirkliche Besinnlichkeit, die man der Zeit doch immer auf die Fahnen schreiben will. 

Eigentlich komisch, dass ich dann kürzlich sagte, das sei wie Weihnachten, als mir was wirklich Gutes widerfuhr. Ich hatte Zeit und Musse, wirklich lange in einer Buchhandlung zu sein, mich durch Regale und Bücher zu bewegen, zu stöbern, zu versinken. Am Schluss lief ich mit einer wunderbar gefüllten Tasche und ganz viel Vorfreude auf das Leseerlebnis hinaus. Ich kann mich nicht daran erinnern, an Weihnachten früher so ein Gefühl gehabt zu haben. Vielleicht ist es das Gefühl, das ich gerne gehabt hätte. Aber noch eher ist es einfach eine spontane Sprachwendung ohne tiefere Wort-Bedeutung.

Vor nicht langer Zeit kam es zu Diskussionen, weil ein süsses schokoladeüberzogenes Schaumgebäck seinen Namen ändern sollte. Nachdem das N-Wort schon lange nicht mehr adäquat war, sollte es nun auch dem M-Wort an den Kragen gehen. Die Begründung dafür war einfach: Das Wort verletzt die Gefühle von Menschen mit schwarzer Hautfarbe, sie fühlen sich dadurch herabgesetzt und beleidigt. Man könnte meinen, dass so eine Begriffsänderung eine Bagatelle sei, dass es nicht wirklich wichtig wäre, wie das Ding heisst, solange es schmeckt. Weit gefehlt. Das habe man immer so genannt. Das habe nichts mit den sich verletzt fühlenden Menschen zu tun. Die sollen sich mal nicht so anstellen, zumal man ja nichts gegen sie habe, dies nur ein Wort sei. Aber das wollte man sich nicht nehmen lassen. Schliesslich, so die Argumentation, denke man sich ja nichts dabei. Und vermutlich ist gerade das das Problem.

Wir verwenden Sprache oft auf eine unbewusste Weise. Wir hängen an alltagssprachlichen Gewohnheiten, ohne wirklich hinzuschauen. Dass es da nicht ausbleibt, dass Begriffe unbedacht verwendet werden, liegt auf der Hand. Das hat bei einer Redewendung wie eingangs erwähnt wenig Konsequenzen, kann aber in anderen Fällen schwerwiegendere Folgen haben: Dann nämlich, wenn man Menschen durch verletzende Ausdrücke und Zuschreibungen abwertet und diskriminiert. Das sind Menschen, die sich ihre Identität(en) nicht ausgesucht haben, die damit geboren wurden und nun damit leben. Sie wünschen sich in ihrem So-Sein genauso angenommen zu sein wie alle anderen. Sie möchten als gleichwertige Menschen unter Menschen leben können, ohne Angst zu laufen, in ihrer Würde und ihrem Sein angegriffen zu werden.

Wird das alles zum Thema, hört man die immer gleichen Argumente: Es ist nicht böse gemeint, das sagte man immer so, man wolle sich den Mund nicht verbieten lassen. Mir stellen sich dabei zwei Fragen:

  1. Ist ein offensichtlich unangebrachtes Wort so viel Wert und so wichtig, dass es egal ist, wenn damit ein Mensch (eine ganze Gruppe von Menschen) verletzt, abgewertet und sogar entwürdigt wird?
  2. Ist Sprache nicht auch etwas Prägendes? Was ich sage, prägt mein Denken, mein Fühlen und mein Handeln.

Wenn ich davon ausgehe, dass Sprache nicht nur einen Einfluss auf das Befinden des anderen hat, sondern auch auf mich als Sprechenden eine Wirkung ausübt, ist es umso wichtiger, mir dessen bewusst zu sein, was ich sage. Die Wahl der Worte, der bewusste Einsatz derselben kann mein Denken ändern und damit auch meine Haltung. Selbst wenn ich vordergründig wirklich nichts gegen Menschen habe, die ich mit einer unbedachten Sprache abwerte, würde in der Weigerung, diese zu ändern, sobald ich auf die Verletzung dieser Menschen durch mein Sprechen erfahre, ein latenter Angriff und eine Herabsetzung ihres Seins und Fühlens stecken. Und dann wäre es umso wichtiger, wirklich hinzusehen und etwas zu ändern. Die angemessene Sprache ist ein erster Schritt dahin.

Götterfreuden

Ich sprech’ mitunter sehr gehoben,
manche nennen’s auch verschroben,

wird doch aus ‘nem Furz kurzum
Fehlzündung aus Elysium.
Ein Rülpser heisst – das ist O-Ton:
«Kuss und Gruss von Gott Pluton.

Da haben wir die Götterwelt,
sie lebt sich aus, wie’s ihr gefällt.

©Sandra von Siebenthal

Du bist, was du sprichst

Die Sprache verroht, es
ist ein Vergehen.
Worte, sie sterben,
was kommt, ist nur Bruch.

Was früher mal hold, ist
heute voll krass und
Schönes, das nennen sie
fett und voll geil.

Ich wünschte, es gäb’
eine Sprachpolizei, die
kümmerte sich um
diesen Verfall.

Dann würden wir reden,
wie Goethe einst schrieb und
hätten uns sicher
auch wieder lieb.

Denn Sprache, sie bildet
Charakter und Denken,
sie formt so den Menschen
in seinem Sein.

Drum wähle die Worte
behutsam und klug, denn
was du heut sagst, wirst
du morgen sein.

©Sandra Matteotti

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Für die abc.etüden, Woche 27.18: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Wortspende für die Textwoche 27.18 kommt von Werner Kastens (wkastens.wordpress.com)

Sie lautet: Sprachpolizei, verroht, vergehen

Der Ursprungspost: HIER

Werbung oder: Der Fluch der Adjektive

AuftrittEs war Samstag. Wie jeden Samstag führte mich mein Weg zum Samstagseinkauf. Quer durch die Randgebiete Zürichs hin zum anvisierten Laden. Da der Hund auch Auslauf braucht, fuhr ich nicht, ich ging. Beim Gehen sieht man mehr als beim Fahren. Drum erlaufe ich mir Orte gerne. Sie wirken ganz anders. Es war also Samstag, ich erging meinen üblichen Samstagsweg. Und da sah ich es. Das Plakat. Und ich las, was drauf stand, da ich alles lese, was sich mir in Buchstaben darbietet.

Mit einem persönlichen Auftritt von Michael Flatley.

Zuerst dachte ich mir wenig. Dann stutzte ich. Und ich fragte mich: Wenn er auftritt, dann ist er ja da. So quasi persönlich. Wenn also hier ein „persönlicher Auftritt“ angekündigt ist, wie sähe dann ein unpersönlicher Auftritt auf? Gibt es das? Oder war hier mal wieder ein übereifriger Werbetexter am Werk, der ganz cool alle Adjektive in die Manege warf, die ihm grad in den Sinn kamen?

Ich tendiere, nach reiflicher, ganz tiefgehender, ultimativ substantieller, alles durchdringender Überlegung zur Variante mit dem Werbetexter. Ich find die Werbung aber nicht cool.

Facebook – Make New Friends

Ich war vor vielen Jahren einen Monat lang in Chicago, da in Unikreisen. Die Redewendung, die mir am meisten auffiel, war: Make new friends. Auf jedem Aushang stand es, jeder, der dich traf und dich zu irgendwas einladen wollte, sagte es. „Make new friends“ schien sowas wie das oberste Gebot, das, was man machen soll, will und wozu man ganz viele Gelegenheiten geboten kriegt.

Ich bin schon lange zurück in der beschaulichen Schweiz, der Schweizer hat es eher nicht so mit neuen Freunden, er ist skeptisch, zurückhalten, wenig outgoing und schon gar nicht aufgeschlossen Fremden gegenüber (was ich oft bedaure). Aber: Zum Glück gibt es Facebook. Da kann man viele neue Freunde finden und die nicht nur vor der Haustür, sondern auf der ganzen Welt. Da ich vielseitig interessiert und sehr kommunikativ bin, bleibt es nicht aus, dass ich doch einige Freunde auf Facebook habe. Täglich kommen auch neue Anfragen hinzu, die ich mehrheitlich annehme, ausser….

Immer wieder kriege ich Anfragen von Menschen, die meine Sprache nicht sprechen. Da ich fast ausschliesslich auf Deutsch schreibe, frage ich mich, was die bei mir gefunden haben, ausser die Aussicht auf eine Nummer mehr in der Freundesliste. Wenn sie sogar nur mit Zeichen schreiben, die ich nicht mal lesen kann, vermehren sich die Fragezeichen in meinem Kopf.

Was mich aber auch immer wieder erstaunt, ist, mit welcher Ignoranz sogenannte Freunde für ihre Seiten werben. Wenn mich jemand für eine Seite begeistern will, die Fleischesser an den Pranger stellt, hat er sich wohl noch nie damit beschäftigt, wer ich wirklich bin und was ich mag (ein Blick in meine Fotos würde ausreichen). Auch interessiert mich Ortspolitik in Ostdeutschland nicht und der Immobilienmarkt irgendwo in der deutschen Pampa ist auch nicht meins.

Bin ich zu fordernd, wenn ich denke, Facebook sei eine Kommunikationsplattform? Von einer solchen erwarte ich, dass man miteinander spricht. Und ich tue das nach bestem Wissen und Gewissen (und klar den zeitlichen Möglichkeiten). Klar kennt man nicht alles von allen, aber so ein bisschen? Ist Facebook nur ein Spiegel der Gesellschaft, in der sich auch kaum mehr wer interessiert, wer du wirklich bist, sondern nur, wozu er dich brauchen kann? Der moderne Strich in der Bettkante quasi?

Valeria Luiselli: Falsche Papiere

Sprachliches Erkunden der Welt

Aber vermutlich ist ein Mensch nur in zwei Räumen wirklich zu Hause: im Haus seiner Kindheit und im Grab. Alle anderen Orte, die wir bewohnen, sind bloss graue Fortsetzungen dieser ersten Wohnung, eine unbestimmte Abfolge von Mauern.

In diesen Kurzgeschichten durchstreift Valeria Luiselli die Welt, hinterfragt sie, lässt sie wirken. Es ist eine Reise durch die reale Welt, durch gedankliche Welten, Welten, die die Literatur bereitstellt und sprachliche Welten.

Sprachen zu lernen bedeutet, sich nach und nach darüber klar zu werden, dass wir über nichts irgendwas sagen können.

Falsche Papiere besticht durch Sprachschönheit, zahlreiche Literaturzitate, welche einerseits die Belesenheit der Autorin darlegen, die andererseits neue Ebenen in die Erzählungen einbauen, indem sie Verweise auf neue Geschichten bilden, die den Leser weiter führen, auf neue Welten verweisen. Luiselli hinterfragt das Offensichtliche, beleuchtet das hell da liegende und doch oft verkannte, reflektiert über das Leben, die Sprache, Friedhöfe, Reisen zu Fuss und per Fahrrad und vieles mehr. Schlussendlich stellen die Geschichten auch immer wieder eine Reise zur eigenen Identität dar. Wer bin ich, wie gehe ich durch die Welt und wie erfasse ich sie?

Man könnte sich durchaus vorstellen, dass jeder neue Eindruck ein weiteres Loch gräbt, die unförmige Materie ein wenig mehr verletzt, uns ein bisschen weiter leert. Geboren wurden angefüllt mit etwas – grauer Materie, Wasser, mit uns selbst -, und in uns allen findet Augenblick für Augenblick die langsame Alchimie der Erosion statt. Wir tragen auf dem Hals eine in Bildung begriffene Kaverne, Stücke, die Stückwerk sein werden.

Fazit:
Ein kurzes, sprachlich und literarisch schönes Buch. Sehr empfehlenswert.

 

Zum Autor
Valeria Luiselli
Valeria Luiselli, geboren 1983 in Mexiko City, schreibt für Magazine und Zeitungen wie Letras Libres und die New York Times. Sie hat für das New York City Ballet Libretti und den Essay-Band »Papeles falsos« geschrieben, der von der Kritik hoch gelobt wurde. Sie arbeitet als Lektorin, Journalistin und Dozentin und lebt in Mexico City und New York. Von ihr erschienen sind Die Schwerelosen, Falsche Papiere.

 

LusielliFalschePapiereAngaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
Verlag: Verlag Antje Kunstmann (15. Januar 2014)
Übersetzung: Dagmar Ploetz, Nora Haller
ISBN-Nr.: 978-3888979361
Preis: EUR  16.95 / CHF 27.90

Zu kaufen in jeder Buchhandlung vor Ort und online unter anderem bei AMAZON.DE und BOOKS.CH

 

 

 

Michael Stavarič – Nachgefragt

©Lukas Beck
©Lukas Beck

Michael Stavarič wurde am 7. Januar 1972 in Brünn geboren und kam mit 7 Jahren aus der damaligen Tschechoslowakei nach Österreich. Er studierte an der Universität Wien Bohemistik und Publizistik. Neben vielfältigen anderen Anstellungen arbeitete er auch als Rezensent für Die Presse sowie das Wiener Stadtmagazin Falter sowie als Gutachter für tschechische Literatur bei verschiedenen Verlagen. Michael Stavarič lebt heute als freier Schriftsteller in Wien. Er schreibt neben Romanen auch Gedichte, Essays und Kinderbücher, besticht dabei immer durch eine sehr kreative Sprache. Von ihm erschienen sind u. a.  Flüggellos (Gedichte, 2000), Böse Spiele (Roman, 2009), Brenntage (Roman, 2011), Gloria nach Adam Riese (Kinderbuch, 2012).

Michael Stavarič hat sich bereit erklärt, mir ein paar Fragen zu beantworten und mir damit einen Einblick in sein Schreiben gewährt.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Ich wollte schon immer Schriftsteller werden, liebte Bücher und es war alles in allem naheliegend. Hinzu kam meine Zweisprachigkeit und die damit verbundenen kleinen Traumata. Ich bin bis heute der Meinung, diese förderten die Lust zu schreiben.

Es gibt diverse Angebote, kreatives Schreiben zu lernen, sei es an Unis oder bei Schriftstellern. Ist alles Handwerk, kann man das lernen oder sitzt es in einem? Wie hast du gelernt zu schreiben?

 Ich glaube nicht, dass man „es“ lernen kann; es gibt so etwas wie eine Disposition in einem. Die hat man oder eben nicht. Das trifft auf jeden künstlerischen Beruf zu. Disposition meint natürlich auch Sozialisation etc. Man kann sich allerdings in Workshops, Unis etc. Rüstzeug aneignen.

Wie sieht dein Schreibprozess aus? Schreibst du einfach drauf los oder recherchierst du erst, planst, legst Notizen an, bevor du zu schreiben beginnst? Wann und wo schreibst du?

Ich schreibe meistens unterwegs, ich führe das Leben eines Nomaden. Ich überlege mir lange, WIE ich eine Geschichte erzählen möchte, wie die Sprache dazu aussieht, der Duktus etc. Der Rest kommt dann von allein. Das ist natürlich bei jedem Projekt verschieden. Meine Kinderbücher etwa sind viel „geplanter“.

Woher holst du die Ideen für deine Bücher? Natürlich erlebt man viel, sieht man viel. Aber wie entsteht plötzlich eine Geschichte daraus? Was inspiriert dich?

Woher kommt Inspiration? Keine Ahnung … manche Dinge bleiben im Verborgenen.

Hat ein Schriftsteller je Feierabend oder Ferien? Wie schaltest du ab?

 Nein, weil das Schreiben kein „Job“ oder „Beruf“ ist, es ist die sprichwörtliche Berufung. Ich habe nie und immer Ferien.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiographisch. Das stimmt sicher in Bezug darauf, dass man immer in dem drin steckt in Gedanken, was man schreibt. Bist du auch in deinen Figuren? Gibt es eine, mit der du dich speziell identifizierst?

 Die Literatur beginnt mit dem Autobiographischen. Später wird sie fiktiver und irgendwann ist sie hoffentlich eine Imagination. Natürlich gibt es Details aus dem Leben, die ich gern in meine Bücher einfließen lasse. Manche Figuren sind mir näher, andere ferner, auf das Gesamte betrachtet, habe ich sehr wenig mit meinen Romanfiguren zu tun.

Deine Literatur ist sprachlich ausgefallen, es steckt sehr viel Poesie und Sprachspiel in deiner Sprache. Was fasziniert dich an der Sprache? Ist die Sprache teilweise wichtiger als der Inhalt?

Sprache ist unser wichtigstes Kulturgut. Sie ist das, was den Menschen an sich ausmacht. Ich war schon immer von Sprache fasziniert. Und auch die Literatur erschloss sich mir stets über eine besondere Sprache, weniger mittels Geschichten.

Böse Spiele stellt die klassische Beziehung in Frage, Beziehungen erscheinen als komplizierte Angelegenheit. Ist Liebe nur ein Spiel oder macht man eines draus, weil sie überfordert?

Immerhin kann man festhalten, dass nur intelligente Lebensformen verspielt sind. Die Liebe ist eine Konfliktzone. Die Liebe ist Himmel auf Erden. Wir leben und denken bipolar. Auch das ist menschlich.

Was muss ein Buch haben, dass es dich anspricht? Gibt es Bücher/Schriftsteller, die du speziell magst?

Es muss mich sprachlich beeindrucken, alles andere bleibt für mich austauschbar.

Wenn du dich mit drei Worten beschreiben müssten, welche wären das?

Unbedacht. Unmöglich. Unverfälscht.

Ganz herzlichen Dank für diese Antworten über das Schreiben, die Sprache und den Autoren dahinter.

Ein Porträt von Michael Stavarič mit Bild und Ton findet sich hier: