Simone de Beauvoir: In den besten Jahren

Inhalt

«Als ich im September 1929 wieder nach Paris kam, berauschte mich vor allem meine Freiheit. Seit meiner Kindheit hatte ich von ihr geträumt…»

Nach Memoiren eines Mädchens aus gutem Haus ist dies der zweite Teil von Simone de Beauvoirs autobiografischen Schriften. Sie schreibt darin über ihr Leben ab 20, das ihr endlich die ersehnte Freiheit gibt. Es ist die Erzählung ihrer Beziehung zu Sartre, zu ihren Beziehungen und Freundschaften, die sich über die Jahre bilden. Es ist ein Schreiben über ihr eigenes Schreiben und das Ringen um die ersten Romane sowie ein Blick in das Erstarken des Nationalsozialismus und den Ausbruch des Weltkrieges, wie die Kriegsjahre sich auf das Leben und die Gesinnung der Menschen auswirkten, sowie die Analyse der eigenen Verwandlung von einem apolitischen hin zu einem politisch engagierten Menschen.

Gedanken zum Buch

«Mit fünfzig Jahren hielt ich den Augenblick für gekommen; mein erinnerndes Bewusstsein hat für das Kind und das junge Mädchen – die beide auf dem Grunde der verlorenen Zeit ausgesetzt und mit ihr verloren sind – das Wort ergriffen. Ich habe ihnen eine Existenz in Schwarz und Weiss geschaffen.»

Es gibt Bücher, die eignen sich nicht fürs Lesen mit dem D-Zug, Bücher, die Satz für Satz gelesen werden wollen. Jeder Satz erschliesst dabei neue Gedankenwelten, die man ergründen, in die man sich hineindenken will. Solche Bücher weisen über sich hinaus, sie verleiten zu weiteren Lektüren, sie wecken neue Interessen. Wenn man sie dann gelesen hat, ist man nicht am Ende angelangt, sondern am Anfang, weil man am liebsten nach dem Umblättern der letzten Seite mit der ersten wieder beginnen möchte, es oft auch tut, und sei es nur, um nochmals einzelnen Sätzen nachzuspüren.

Ich habe Simone durch die Jahre nach dem Studium begleitet, habe mit ihr die Wandlung von einer politisch uninteressierten Frau hin zu einer, die sich engagieren will, erlebt. Ich habe sie ihr Schreiben bezweifeln und feiern sehen und die Kriegsjahre politisch wie lebenswirksam Revue passieren lassen. Ich habe sie auf ihre Wander- und Velotouren durch Frankreich begleitet und neue Freundschaften zu grossen Namen der damaligen Zeit kennengelernt.

Ich bin in Simone und in Sartres Schreiben und Denken eingetaucht, habe mitgedacht, markiert und notiert. Ich bin tiefer in das Leben und Schaffen einer Frau eingedrungen, die mich mehr und mehr fasziniert, weil ich immer wieder Parallelen entdecke, weil mich ihr Denken und ihr Leben faszinieren. Ich bin gespannt, wohin mich die weitere Reise mit Simone bringen wird.

«Ich möchte vom Leben alles.»

Zu Simone de Beauvoir
Simone de Beauvoir wurde am 9.1.1908 in Paris in ein ursprünglich wohlhabendes, später mit den Finanzen kämpfendes Elternhaus geboren. Mit fünfeinhalb Jahren kam Simone an das katholische Mädcheninstitut, den Cours Désir, Rue Jacob; als Musterschülerin legte sie dort den Baccalauréat, das französische Abitur, ab. 1925/26 studierte sie französische Philologie am Institut Sainte-Marie in Neuilly und Mathematik am Institut Catholique, bevor sie 1926/27 die Sorbonne bezog, um Philosophie zu studieren. 1928 erhielt sie die Licence, schrieb eine Diplomarbeit über Leibnitz, legte gemeinsam mit Merleau-Ponty und Lévi-Strauss ihre Probezeit als Lehramtskandidatin am Lycée Janson-de-Sailly ab und bereitete sich an der Sorbonne und der École Normale Supérieure auf die Agrégation in Philosophie vor. In ihrem letzten Studienjahr lernte sie dort eine Reihe später berühmt gewordener Schriftsteller kennen, darunter Jean-Paul Sartre, ihren Lebensgefährten seit jener Zeit.

1932-1936 unterrichtete sie zunächst in Rouen und bis 1943 dann am Lycée Molière und Camille Sée in Paris. Danach zog sie sich aus dem Schulleben zurück, um sich ganz der schriftstellerischen Arbeit zu widmen. Zusammen mit Sartre hat Simone de Beauvoir am politischen und gesellschaftlichen Geschehen ihrer Zeit stets aktiv teilgenommen. Sie hat sich, insbesondere seit Gründung des MLF (Mouvement de Libération des Femmes) 1970, stark in der französischen Frauenbewegung engagiert. 1971 unterzeichnete sie das französische Manifest zur Abtreibung. 1974 wurde sie Präsidentin der Partei für Frauenrechte, schlug allerdings die «Légion d’Honneur» aus, die ihr Mitterrand angetragen hatte. Am 14.4.1986 ist sie, 78-jährig, im Hospital Cochin gestorben. Sie wurde neben Sartre auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Rowohlt Taschenbuch; 32. Edition (1. Januar 1969)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Pocket Book ‏ : ‎ 744 Seiten
  • Übersetzung ‏ : ‎ Rolf Soellner
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3499111129

Reisen mit Simone: Italien

Ich bin ein Reisemuffel. Nur schon der Gedanke, ich müsste packen und mich auf den Weg machen, löst eine Unruhe und ein leichtes Unwohlsein in mir aus. Die Vorstellung, wie ich all mein mitzunehmendes Hab und Gut von A nach B schleppe, auf Fortbewegungsmittel warte, auf Anschlüsse und problemlose Umstände hoffe, vermag nicht, in mir Freudengefühle zu wecken. Nicht mal die Vorstellung auf die Zieldestination kann das uneingeschränkt, denn die Fragen, ob da auch alles klappt, was ich da den ganzen Tag machen soll, weil das, was ich am liebsten tue, sich eigentlich verbietet, wecken wenig Vorfreude, sondern lassen weitere Sorgenfalten im Gesicht auftauchen. «Du musst doch kein Buch einpacken, zum Lesen muss man nicht verreisen, da kann man auch zu Hause bleiben.» Ja, das würde ich auch am liebsten tun. Nun habe ich eine Form des Reisens gefunden, die mir entspricht:

Ich reise mit Simone de Beauvoir. Mit ihr entdecke ich Rouen, Le Havre, wir nehmen Sartre mit und es geht nach Rom, was ausnehmend schön ist:

«Ich liebte Rom, seine Küche, seinen Lärm, seine Plätze, seine Steine, seine Pinien.»

In Rom sollte Simone später auch eine Zeit lang wohnen, es scheint, bei dieser ersten Reise ist eine Liebe fürs Leben gepflanzt worden. So kann es also auch gehen auf Reisen. Ich kenne so eine Liebe auf den ersten Besuch mit München, das mir gleich zu Herzen ging und da für viele Jahre blieb.

Ganz anders als in Rom treffen wir es in Neapel:

«Neapel war uns ein Rätsel.»

Schon von ihrer Schwester, die unlängst selbst in Neapel gewesen war, hatte Simone gehört, dass Neapel nicht schön, sondern dreckig sei, und es reift die Erkenntnis, dass Dreck und verfallene Häuser allein nicht reichen, um einer Stadt eine Patina zu verleihen. Simone schlussfolgert weiter, dass der Umstand, dass man eine Stadt trotz ihrer Mängel mag, an den Menschen liegen muss. Auch da stimme ich mit meiner Reisebegleitung überein: Wie oft erkor ich Orte, auch Restaurants zu meinen Favoriten, nicht, weil sie besonders schön waren, sondern weil die Menschen mich ansprachen, ich eine Verbindung spürte.

Auf Reisen lernt man oft auch eine Menge, so auch ich auf meiner mit Simone:

«Wir wussten nicht, dass Lebensmittel immer dort mit besonderer Aufdringlichkeit zur Schau gestellt wurden, wo die Menschen Hunger leiden.»

Diese Verbindung hatte ich noch nie gemacht, fühlte mich durch sie aber an Bilder aus Indien und anderen Ländern erinnert, wo Armut und auch Hunger den Alltag vieler Menschen prägen (übrigens auch das Länder, die ich durch Bücher und Filme bereist habe). Ich frage mich, was dahintersteckt. Will man nach aussen ein Bild des Überflusses zeigen, welches den eigenen Mangel überdeckt? Herrscht der Hunger, weil man nur durch den Verkauf dessen, was man selbst am meisten benötigen würde, überhaupt überleben kann – im wahrsten Sinne des Wortes, da es zum Leben kaum reicht.

Simone und Sartre versöhnen sich auf ihre Weise mit Neapel:

«Wenn wir die Unbarmherzigkeit dieser Stadt ignorierten, fanden wir an Neapel manche liebenswürdige Seite.»

Und doch bleibt ein zwiespältiges Bild:

«Überall jedoch und jederzeit trug der Wind uns den trostlosen Staub der Docks oder feuchte, zweifelhafte Gerüche zu. Als wir den Posilipo erstiegen, konnte die ferne, trügerische Weisse Neapels uns nicht täuschen.»

Ich denke bei diesen Reisebeschreibungen an Goethes Ausspruch aus seiner «Italienischen Reise»:

«Io sono Napolitano. Vedi Napoli, e poi muori«

Er bezieht sich dabei auf eine neapolitanische Redensart, wonach man Neapel sehen und sterben könne, da man damit das Schönste und Höchste der Gefühle erlebt hätte, danach bliebe nur noch der Tod. Nun denn – die Geschmäcker scheinen verschieden. Trotzdem lassen sich Simone und Sartre nicht verdriessen, vor allem Sartre will als «emsiger Tourist» alles sehen und so erkunden die beiden alle Sehenswürdigkeiten der Stadt und die im Umland. Ich werde schon beim Lesen etwas müde ob all der Umtriebigkeiten und bin froh, diesen nur lesend beiwohnen zu müssen. Eigentlich ideal, auch wenn ich gestehe, dass ich auch beim Lesen Reisen nach Innen mehr liebe als solche durch die Welt.

Meine Reiseleiter fahren weiter nach Pompeji, wo Sartre einiges zu kritisch zu bemängeln hat, was er gleich seiner jungen Freundin Olga nach Hause schreiben muss. Überhaupt fällt mir der sehr kritische Blick der beiden auf vieles auf. War ihnen Neapel zu dreckig und hässlich, ist Pompeji nun zu schön:

«Sartre war verwirrt, weil er, wie er sagte: ‘nirgends einhaken kann’. Auch mir schien diese Schönheit zu einfach, zu glatt. Ich fand sie nicht ‘griffig’.»

Es ist vielleicht doch so, dass so manche Reise dann am schönsten ist, wenn man, wieder zu Hause, über sie erzählen kann. Und nun bin ich gespannt, wo mich meine Reise mit Simone noch hinführt.

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Alle Zitate (ausser das Goethe-Zitat) stammen aus: Simone de Beauvoir: In den besten Jahren