Ein Rückblick in Büchern: Juni

Der Juni war ein … Monat. Ich habe mit dem Satz begonnen und merke, ich kann kein Adjektiv finden. Ich weiss nicht, wie er war, weil irgendwie so viel durcheinander lief in mir und ausserhalb von mir. Es war ein Monat voller Ambivalenzen in meiner Gefühlswelt, Vorfreude paarte sich mit Wehmut, vieles war zu viel oder zu wenig, zu voll oder zu leer. Es war ein Monat mit schönen Begegnungen aber auch mit dem Gefühl der Verlassenheit dann und wann. Und lesetechnisch war es ein suchender Monat – ein Suchen nach Themen, nach passenden Inhalten, nach Büchern, die weder zu populärwissenschaftlich noch zu akademisch, weder zu oberflächlich noch zu akribisch analysierend sind. Was habe ich gefunden?

Ich habe mich der menschlichen Würde, der Wertschätzung und der Moral auseinandergesetzt, habe den Menschen als Gemeinwesen erforscht, begleitete eine Liebe und beschäftigte mich mit dem Thema der Flucht. Es interessierte mich, was das Gute ist und wieso es so oft verloren geht, wenn Ungleichheiten herrschen, liess mich vom Streiten faszinieren und vieles mehr.

Die Lesehighlights für mich waren sicher Michel Friedmans «Streiten» und Hanno Sauers «Moral». Nun sind wir schon im Juli angelangt, ich bin gespannt, was er bringen wird, einiges ist schon gesetzt, anderes noch in der Schwebe.

Was waren eure Lesehighlights im Juni?

Hier die ganze Leseliste:

Klaus Feldmann: Soziologie kompakt. Eine EinführungEinzelne Theorien und Systeme werden vorgestellt, unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft beleuchtet und Ansätze der Betrachtung derselben diskutiert. Sehr informativ, kompetent und gut lesbar. 5
Hanno Sauer: Moral. Die Erfindung von Gut und BöseEine Geschichte unserer Moral über die Jahrtausende hinweg. Wie haben sich Gesellschaften entwickelt, wie ihre Werte, ihre moralischen Haltungen? Erst wenn wir erkennen, woher unsere Moral kommt und die damit verbundenen Probleme in der heutigen Zeit, können wir dahin gehen, diese Probleme zu lösen und gangbare Wege hin zu einer Gesellschaft gehen, die unseren Werten wirklich entspricht. Ein grossartiges Buch, das eigentlich 7 Punkte verdient hätte. 5
Martin Hartmann: Vertrauen – abgebrochenWas sind Lügen, was ist Wahrheit, wie beeinflussen sie das Vertrauen und worauf baut dieses überhaupt? Martin Hartmann plaudert so vor sich hin und hat mich dabei verloren…
Habbo Knoch: Im Namen der Würde. Eine deutsche GeschichteHabbo Knoch erzählt die Geschichte der Würde, ihrer Einbettung in die historischen Gegebenheiten der einzelnen Jahrhunderte, die gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Veränderungen, welche einen Wandel des Würde-Begriffs mit sich brachten. Was ist Würde, wem steht sie weswegen zu und wie können wir sie schützen? Das Buch ist fundiert, mir aber – was nahelag durch den Untertitel – zu historisch und zu wenig ideengeschichtlich.3
Helga Schubert: Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe – abgebrochenDie Geschichte einer Liebe zwischen damals und heute. Erinnerungen inmitten des täglichen Pflegens. Der Alltag inmitten von Ängsten, Ohnmacht, Müdigkeit, und immer wieder Liebe. Ein persönliches, warmherziges, ehrliches Buch – einfach für mich zur falschen Zeit. 4
Heinz Bude: Die Gesellschaft der Angst – abgebrochenWir sind eine Gesellschaft, die von Angst getrieben ist. Die Haltlosigkeit im System, das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen, und die Sehnsucht nach Anerkennung kumulieren im Gefühl der Angst, das uns anfällig macht für Abhängigkeiten und Obrigkeiten. Mir fehlte allerdings die stringente Argumentation, es war eher ein Herummäandern, bei dem ich verloren ging. 
Corine Pelluchon: Ethik der Wertschätzung: Tugenden für eine ungewisse WeltAnschliessend an die antike Tugendlehre entwickelt Pelluchon eine Ethik, die den Mensch mit seiner Verwundbarkeit und Körperlichkeit im Blick hat mit all seinen Mängeln und Prägungen, und darauf aufbauend Tugenden entwickelt, die in der Welt von heute dazu führen, die Wertschätzung seiner selbst, aller lebenden Wesen und der Umwelt zu leben und damit ein Zusammenleben zu ermöglichen.4
Philosophie der Moral. Texte von der Antike bis zur Gegenwart, herausgegeben von Robin Celikates und Stefan GosepathEinzelne zentrale Texte zur Philosophie der Moral, jeder mit einer kleinen Einleitung, die den Philosophen und dessen Verständnis von Moral vorstellt. Ein guter Überblick über die historische Entwicklung eines schwer zu fassenden Begriffs. 5
Michael J. Sandel: Das Unbehagen in der DemokratieWie kam es dazu, dass die demokratische Gesellschaft gespalten ist, die Bürger sich nicht mehr einbringen, sich nicht mal mehr identifizieren? Ein Blick auf die amerikanische Wirtschafts- und Politikgeschichte, um einzelne Strömungen zu. verfolgen und die heutige Problematik in ihrem Gewachsein sein zu präsentieren. Für mich zu geschichtslastig und zu wenig philosophisch. 4
Hannah Arendt: Wir FlüchtlingeHannah Arendt beleuchtet in diesem Essay, was es bedeutet, Flüchtling zu sein. Sie zeigt auf, wie Menschen alles verlieren und aus der Welt fallen, wie sie nur noch auf Wohlwollen angewiesen sind und keine eigenen Rechte oder Möglichkeit der Teilnahme am Gemeinwesen haben. Abgerundet durch einen fundierten Essay von Thomas Meyer, der sowohl die zentralen Punkte Arendts nochmals aufgreift und sie auf die heutige Situation bezieht. 5
Michael Lüders: Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragenEine Analyse der gegenwärtigen (hauptsächlich Anti-Russland-)Politik und der herrschenden Ideologien (Identitätspolitik und Moralismus). Das Buch zeigt eine andere Sichtweise gegenüber dem Mainstream, ist dabei durchaus ab und zu interessant und durchaus überzeugend, es überwiegen aber Populismus und plakative Aussagen, was das Lesen sehr bemühend macht.2
Philipppa Foot: Die Natur des GutenDreiteilige Abhandlung darüber, was den Menschen zu guten Taten motiviert: Kritik am der humeanischen praktischen Vernunft zugunsten einer werthaften, Verbindung derselben mit dem Speziesgedanken und Tugendgewinnung aus dieser meschlich-werthaften Vernunft heraus. Wenig Neues, etwas zu verworren und wenig stringent – und wenig überzeugend, da mehr Ablehnung als wirklich eigene Ideen. 2
Maria Barankow, Christian Baron: Kampf und Klasse14 Autoren erzählen ihre Geschichte, sie erzählen davon, wie es ist, in einem Land aufzuwachsen, in dem die Schere zwischen arm und reich immer weiter wird, sie erzählen von der Scham, von der Diskriminierung, vom Gefühl, nicht dazuzugehören als Armer. Ein persönliches Buch, das Einblicke gibt in die gravierenden strukturellen Ungleichheiten, teils sachlich, teils sehr erzählerisch. 3
Norbert Bolz: Keine Macht der MoralEin historischer Abriss des STaatsvertrags mit Blick auf Machiavelli, Hobbes, Weber, Schmitt und Rousseau, sehr viel Redundanz, keine klare Argumentationskette. Das Fazit ist schwammig, wenn es denn eines gibt, ein paar wenige klärende Sätze, vielleicht der Schluss: Zu viel moralische Empörung verhindert eine argumentativ gestützte Sachpolitik.2
Michel Friedmann: Streiten? UnbedingtEin kurzes, gut zu lesendes Buch über die Qualität des Streits und den Wert einer Streitkultur. Die Frage ist, wo die Grenze zwischen Diskurs und Streit ist, aber das ist reine Begrifflichkeit. Streiten bedingt Respekt und Zuhören, es ist ein Miteinander auf der Suche nach der Wahrheit. 4
Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der GleichheitWie hat sich unser System in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhundert verändert im Hinblick auf mehr Gleichheit und wie müssen wir uns weiter bewegen, um diese zu verbessern? Das der Weg hin zu mehr Gleichheit immer ein Prozess mit offenem Ausgang ist, liegt auf der Hand, es gibt aber Möglichkeiten, wie wir das Ziel erreichen können: Souveräne staatliche Entscheidungen im Hinblick auf universale Ziele, ein demokratischer, föderalistischer, partizipativer, ökologischer und multikultureller Sozialismus. 5

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