Rezension – Ann Patchett: Diese kostbaren Tage

Zum Inhalt
Immer beim Schreiben eines Romans überfielen Ann Patchett die Gedanken an den Tod. Die Angst, er könnte sie ereilen, bevor der Roman fertig ist, wurde gross und grösser. Als die Pandemie begann, war an einen neuen Roman nicht zu denken, der Gedanke stand schon zu sehr im Raum. Sie besann sich auf das, was sie neben den Romanen immer geschrieben hat: auf Essays. Und sie schrieb Geschichten, die des Leben schreibt, nämlich die Geschichten ihres Lebens. Sie erzählt von ihrem Aufwachsen mit drei Vätern, davon, wie sie als junge Studentin einen Truthahn für ihre Mitstudenten zubereitete und gewünscht hätte, als Kind besser aufgepasst zu haben, wenn ihre Mutter das für die Familie tat, sie erzählt von ihrem Mann und ihren Freundinnen, davon, wie es ist, nicht mehr zu shoppen für ein Jahr.

«Bücher waren für mich nicht nur Bildung und Unterhaltung, sie waren Partner für mich. Sie zeigten mir auf, welche Fähigkeiten in mir schlummerten. Sie eröffneten mir einen weiten Blick auf den Weg verschiedener Möglichkeiten und halfen mir so dabei, Entscheidungen zu treffen.»

Es ist ein Buch über Liebe und Familie, ein Buch über das Schreiben und das Leben. Es ist ein Buch über Unsicherheiten, Efolge, Freude und Trauer. Es ist ein Buch, das die schönen Seiten des Lebens zeigt und auch Verletzlichkeit offenbart. Es sind kleine Einsichten in ein gelebtes Leben, erzählt mit dem klaren Blick zurück, ohne Verklärung, mit Humor und viel Charme.

Gedanken zum Buch

«Von jedem meiner drei Väter nahm ich die Dinge, die ich benötigte, und dann verwandelte ich sie in Geschichten – mein Vater schenkte mir Kraft, von Mike erhielt ich grenzenlose Liebe und Bewunderung, von Darrell Akzeptanz. Diese Geschichten sind alle wahr, doch ebenso wahr sind Tausende weitere Geschichten.»

Wer aus seinem Leben schreibt, steht immer vor der Frage, wieviel er preisgeben will und kann. Diese Unsicherheit kam auch bei Ann Pratchett auf, als sie das Buch schrieb. Durch das Lesen dieser autobiographischen Essays kommt der Leser der Autorin näher, er blickt hinter die Kulissen, wenn auch nur so weit, wie die Autorin es zulässt. Es gilt also, die Gratwanderung zu bestehen, nicht zu viel preiszugeben, um danach nicht nackt und sich darüber schämend dazustehen, und doch so viel, dass das Bild ein ganzes und rundes wird.

«Durch diese Essays konnte ich mir zusehen, wie ich mich beim Schreiben mit denselben Themen auseinandersetzte wie in meinem Leben: was ich brauche, wen ich liebte, was ich loslassen konnte und wie viel Kraft dieses Loslassen kosten würde. Wieder und wieder stellte ich mir die Frage, worauf es in diese gefährdeten und kostbaren Leben am meisten ankommt.»

Ann Patchett hat sich sprichwörtlich dem Leben entlang geschrieben und dieses beim Schreiben auch selbst neu entdeckt. Dass dies passieren konnte, zeigt die Ehrlichkeit, mit der diese Zeilen geschrieben wurden. Es sind keine publikumswirksamen Zeilen und Geschichten, es sind persönliche Erlebnisse und Gefühle, die immer der Frage geschuldet sind: Was macht das Leben schön. Wenn man das Buch so liest, kommt man nach und nach zum Schluss: Das Leben in seiner ganzen Buntheit, mit allem, was es ausmacht, die schönen wie die schwierigen Momente, sind es, die das Leben schön machen, weil es dann genau das eigene Leben ist, man sich darin zuhause fühlt.

Fazit
Ein persönliches Buch mit Einblicken in ein gelebtes Leben, liebenswürdig, charmant, ehrlich und offen. Sehr empfehlenswert.

Zur Autorin und zur Übersetzerin
Ann Patchett, 1963 in Los Angeles geboren, lebt als Schriftstellerin und Kritikerin in Nashville, Tennessee. Ihr Roman »Bel Canto«, übersetzt in dreißig Sprachen, wurde mit dem PEN/Faulkner Award und dem Orange Prize ausgezeichnet und war auch in Deutschland ein großer Erfolg. »Familienangelegenheiten« stieg in den USA auf Platz 8 der New-York-Times-Bestsellerliste ein.

Ulrike Thiesmeyer wurde 1967 in Düsseldorf geboren 1967 und übersetzt seit 1998 aus dem Englischen und Französischen. Sie übertrug u. a. Werke von Ann Patchett, Kamila Shamsie, Nicholas Sparks, Joanna Trollope und Bernard Henri Lévy ins Deutsche.

Angaben zum Buch
Herausgeber: ‎ Berlin Verlag; 1. Edition (27. Oktober 2022)
Sprache: ‎ Deutsch
Gebundene Ausgabe: ‎ 384 Seiten
Übersetzung: Ulrike Thiesmeyer
ISBN-13: ‎ 978-3827014696

2 Kommentare zu „Rezension – Ann Patchett: Diese kostbaren Tage

  1. Fröhlicher kann ich nicht in die Woche starten, als mit einem solchen Satz:

    „Das Leben in seiner ganzen Buntheit, mit allem, was es ausmacht, die schönen wie die schwierigen Momente, sind es, die das Leben schön machen, weil es dann genau das eigene Leben ist, man sich darin zuhause fühlt.“

    Da läuft es sich beschwingt zur Arbeit. Vielen Dank und viele Grüße!

    Gefällt 2 Personen

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