«Die Menschen sind nicht nur in der Kleidung und im Auftreten, in ihrer Gestalt und Gefühlsweise ein Resultat der Gesellschaft, sondern auch die Art, wie sie sehen und hören, ist von dem gesellschaftlichen Lebensprozess […] nicht abzulösen.» Max Horkheimer
In der heutigen Zeit ist es das höchste Ziel, möglichst selbstbestimmt, authentisch, autonom zu sein. Die eigene Identität steht im Zentrum des eigenen Universums, sie will gelebt werden, sie darf nicht unterdrückt werden, sondern ihre Freiheit im Sinne einer freien Entfaltung ist das höchste Gut. Einschränkungen werden mit Argwohn betrachtet, schnell abgelehnt und verurteilt. Dabei vergessen wir, dass wir als die, die wir sind, eigentlich ein Produkt der Gesellschaft sind, in die wir geboren wurden. Erst durch unseren Austausch mit anderen bildet sich unsere Persönlichkeit heraus, erst durch unser Handeln und Sprechen mit ihnen, können wir werden, wer wir sind.
Hannah Arendt hat das schöne Bild der Gesellschaft als Gewebe gezeichnet: Durch unser Sprechen miteinander schaffen wir ein Gewebe, das wir als Gesellschaft bezeichnen. Sie ist das, was zwischen uns entsteht, wenn wir sprechen und handeln. Wird nun ein neuer Mensch geboren, webt er sich durch sein Dazukommen und Mitreden als Faden in dieses Gewebe ein. Der gegenseitige Austausch prägt den Einzelnen in seinem Sein und gibt der Gesellschaft etwas Neues hinzu.
Webt man dieses Bild nun weiter, würde jeder Faden, der aus dem Gewebe herausgerissen wird, ein Loch entstehen lassen. Indem wir also Menschen, die zum Gewebe der Gesellschaft gehören, unterdrücken, diskriminieren, ausgrenzen, schädigen wir das Gewebe, in das unser Faden eingewebt ist, von innen heraus. Wir machen ein schadhaftes Gewebe daraus. Insofern schaden wir nicht nur denen, die wir schlecht behandeln, sondern fügen auch uns selbst Schaden zu, indem wir den Ort, der uns zu dem macht, die wir sind, auf eine Weise prägen, die auch das eigene Leben irgendwann beeinträchtigen kann, denn: Wer sagt, dass eine Gesellschaft, die sich gegen Pluralität stellt, nicht plötzlich auch etwas an uns selbst findet, das nicht in ihre Vorstellungen passt?
Ein Grund mehr, darauf zu achten und sich dessen bewusst zu sein: Jeder Mensch ist anders und er soll das sein dürfen. Er gehört in diesem So-Sein zum Gewebe, das unser Miteinander darstellt. Nur so kann ein strapazierfähiges, buntes Gewebe entstehen.
Bis zum gewissen Grade…Nun sind wir weder Freunde der ‚Frankfurter Schule‘ noch der ‚Kritischen Theopie‘ und die marxistische Idee, nur das Produkt unserer sozialen Umwelt zu sein.- sonst haetten wir alle Diversitaet verloren und die Ausnahme-Geister waern nie geboren. In diesem Sinne widerspricht sich Horkheimer selbst. Der Gewebe-Vergleich kann nur FUNKTIONIEREN, wenn wir unser Potential erkennen und entwickeln.
Liebe Gruesse
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Ich habe mich nie sonderlich mit der Frankfurter Schule befasst, sie hat mir zu wenig angezogen. Sicher, an gewissen Texten kam man nicht vorbei. Wirklich entsprochen hat mich nur einer: Erich Fromm. Er war aber auch eher ein Exot.
Liebe Grüsse
Sandra
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Sandra: „…dass wir als die, die wir sind, eigentlich ein Produkt der Gesellschaft sind“
Dieser und ein sehr ähnlicher Satz
des Karl Marx sind nicht zutreffend.
Wir sind nicht Mitglieder einer Herde ― wenn man es auch manchmal so deuten könnte und diese auf einer noch niedrigen Ebene der Reife ersehnt wird.
Mein Vater sagte mal zu seinen inzwischen erwachsenen Kindern: „Ihr habt euch überhaupt nicht verändert.“
So ist es. Die Gesellschaft (einschließlich die der Eltern) kann an dem „Charakter“, den wir in die jeweilige Inkarnation mitbringen, nicht viel ändern.
Im schlechten Fall versucht sie zu begrenzen,
im guten Fall unterstützt sie die Entfaltung.
Ja, die Konditionierung, von der du hier sprichst, läßt sich nicht vermeiden, aber sie betrifft nicht unseren Kern, betrifft nicht unser eigentliches Wesen, sondern nur die Persona an der Peripherie.
Nach meiner Erfahrung ist die Konditionierung von uns genau so gewollt, wie sie dann über uns gestülpt wird, nur… daß wir uns an diese Entscheidung nicht mehr erinnern. So wie sich nur wenige Menschen an das erinnern, was während ihrer Voll-Narkose um sie herum gesagt wurde.
Körperfunktionen können narkotisiert
werden ― aber nicht das Bewusstsein.
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Sandra: „Erst durch unseren Austausch mit anderen bildet sich unsere Persönlichkeit heraus“
Hier geschieht Lernen an der eigenen Peripherie.
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Sandra: „erst durch unser Handeln und Sprechen mit ihnen, können wir werden, wer wir sind“
Ist meine „Persönlichkeit“ nicht existent,
wenn ich nicht spreche oder handele?
Sie mag für andere nicht sichtbar,
nicht lesbar sein, aber… sie ist da.
Es ist klar zu unterscheiden zwischen
◾ dem Erfahrungen machen,
◾ dem ununterbrochenen Lernen,
◾ dem Geistigen Wachstum und
◾ dem, was wir längst sind.
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Sandra: „Durch unser Sprechen miteinander schaffen wir ein Gewebe, das wir als Gesellschaft bezeichnen“
In Kloster-Gemeinschaften wird
wenig bis gar nicht gesprochen.
Hannah Arendt überbewertet das Sprechen.
Die Kriterien „Sprechen“, „Reden“ und „Labern“
können bei einer ersten Sortierung schon helfen.
In unserer Gesellschaft dient das Reden
meist dem Vermeiden von Stille ―
und dem Vermeiden von Präsenz.
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„In einer guten Ehe
ernennt einer den andern
zum Beschützer seines Alleinseins.“
– Rainer Maria Rilke
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Die Sprache ist ein Spiegel für Entwicklung, Wissen, Wollen und Können eines Volkes. Jede verselbständigte Herrschaft versucht der Sprache die Lebendigkeit zu nehmen und sie zu Bollwerken zu verdinglichen, Betonklötze in die Sprache zu versenken und den Egregor Sprache durch entsinnlichte Mißgestaltung zu schwächen und sich selbst dadurch zu stärken. Es geht um eine gestaltende Kraft und die Sprache einer Macht, die bestimmte Ziele formuliert und diese auch über die Sprache zu erreichen versucht. Das für wahr zu nehmen, ist für viele Menschen schwierig. Im Reich der Televisionen ist wenig Platz für die eigenen Visionen und das eigene Fühlen. Der Televisionierung der Sprache durch schlechte Übersetzungen aus anderen Sprachen sind Tür und Tor geöffnet. Viele einwandernde Sprachen machen die deutsche Sprache zu einer Sandbank, wo abgetragen und angespült wird. Vielleicht sollte man die eigene Sprache mehr schätzen, denn diese war lange hochgeschätzt. Bis etwa 1923 scheint sie so hoch geschätzt worden zu sein, daß bis dahin alle Doktorarbeiten in Deutsch abgefaßt wurden. Erfreulich war, daß es auch noch für die Wissenschaftler Vorlesungen über verständliches Schreiben gab, was sich sichtbar in gut geschriebenen wissenschaftlichen Büchern bemerkbar machte. Auch die alte deutsche Schriftsprache mit sehr markanten Darstellungen, die um 1942 unter dem braunen Darsteller abgeschafft wurde, stellte noch eine eigene Entwicklung dar, die ebenfalls einer größenwahnsinnigen globalen Veränderung unterworfen wurde. Mit diesen Herausforderungen umzugehen, ist für die Philosophie und die Sprache eine Herausforderung, die die Menschen mit Achtung meistern können.
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