„Ich lasse das Leben auf mich regnen.“
Diesen Satz von Rahel Varnhagen zitiert Hannah Arendt in ihrer Biographie über diese. Es ist eine Biographie, welche nicht nur Rahel Varnhagen so beschreibt, wie sie sich selber in ihren Worten beschrieben hätte (dies war der Anspruch Arendts beim Verfassen der Schrift), sondern auch ein Spiegel der Autorin Hannah Arendt selbst. Sie thematisiert in diesem Buch die Befreiung einer Frau aus gängigen Mustern des zurückgezogenen und abhängigen Frauseins und auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Judentum. Es ist die Suche einer Frau nach ihrem Platz in der Welt, als Frau und als Jüdin.
Das In-der-Welt-Sein geht zurück auf Martin Heidegger, welcher in diesem den Kern des Menschseins überhaupt sah, „weil zu Dasein wesenhaft das In-der-Welt-Sein gehört“. Diese Welt ist immer eine, die ich mit anderen teile. Insofern ist unser Dasein in der Welt nach Heidegger ein Mitsein mit Anderen. darauf fusst Hannah Arendts Begriff der Pluralität: Menschen sind immer Verschiedene, als solche bewohnen sie gemeinsam eine Welt. Das ist die menschliche Bedingtheit: Das Teilen einer Welt als Gleiche und doch Verschiedene. Soweit Hannah Arendts Theorie, die nicht nur aus tiefgründigem Denken entstand, sondern durchaus Bezug zu ihrem Leben hatte.
„Die Fremde,
die Dir selber fremd,
sie ist:
Gebirg der Wonne,
Meer des Leids,
die Wüste des Verlangens,
Frühlicht der Ankunft.
[…]“
Hannah Arendt war in ihrem Leben immer wieder gezwungen, ihren Platz in der Welt zu suchen. Vertrieben aus der Heimat von einem Schreckensregime, interniert in einem Lager in Frankreich und schlussendlich in einem neuen Land mit fremder Sprache, muss sie sich einrichten in der Fremde. Sie selber sagte dazu:
»Genaugenommen war und bin ich, wohin ich auch kam, immer das Mädchen aus der Fremde gewesen, von dem ein Gedicht Schillers spricht – in Deutschland nur ein bißchen weniger fremd als in Amerika. Und hier wie da, am wenigsten noch im geliebten Italien, hat mich die Angst begleitet, ich könnte zuletzt mir selber verlorengehen.«
Wir werden in eine Welt geboren, die wir mit anderen teilen. In dieser Welt leben wir nun als die, welche wir sind, und sind darauf angewiesen, dass die Anderen uns so akzeptieren, wie wir sind, dass sie uns als Teil ihrer Gemeinschaft aufnehmen. Wir leben nur dann gut, wenn wir diesen Platz gefunden haben, an welchem wir tief empfinden, was Goethes Faust auf dem Osterspaziergang sagte:
„Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“
Wenn dieses Gefühl nicht eintritt, leben wir in einem Zustand der Entfremdung, uns fehlt die Beziehung zu anderen Menschen und damit etwas ganz Grundlegendes für unser Leben. Es ist das In-Beziehung-Treten, das uns lebendig fühlen lässt. Wenn dieses da ist, können wir das Leben auf uns regnen lassen, weil wir uns ihm hingeben können.
Ich glaube, dass die Technologie des Informationszeitalters ganz neue Strukturen entstehen lassen, über die fast nie nachgedacht wird. Die Welt ist vernetzt, aber das heißt ja nicht nur, sie rückt zusammen, das heißt auch, dass neue Konversationen gepflegt werden, ein neues Taktmaß entsteht wie in Twitter und auf Blogs etc … das ist alles völlig neu. Die Technologie selbst als Logos schiebt sich intermittierend zwischen die Menschen (zu sehen an der Bushaltestelle, wenn 20 Menschen auf ihr Smartphone schauen). Mich würde Arendt sehr als Zeitgenössin interessieren – ihre ganze Öffentlichkeitskonzeption geht mit Präsens und Begegnung Hand in Hand … darüber habe ich beim Lesen deines Artikels nachgedacht. Viele Grüße.
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Arendt heute wäre spannend, ja.
Ich denke, die neue Technologie hat Vor- und Nachteile, Digitalisierung kann helfen, Wissen und Kontakte erreichbar zu machen, aber es nimmt auch die unmittelbare Präsenz des Gegenübers mit der natürlichen Interaktion (in Gesten und Mimik). Zoom ersetzt das nicht, es ist eine andere Form der Interaktion. Vielleicht wird es mal so gewohnt, dass wir es mehrheitlich so kennen – wer weiss.
Herzliche Grüsse zu dir
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