#abcdeslesens – M wie Conrad Ferdinand Meyer

Er startete äusserlich mit guten Voraussetzungen ins Leben als Sohn eines Zürcher Regierungsrates. Mit 15 bekam das Leben sichtbare Risse, als sein Vater starb und er und seine Schwester mit der psychisch angeschlagenen Mutter zurückblieben, zu welcher Conrad Ferdinand Meyer ein schwieriges Verhältnis hatte. Im noch jugendlichen Alter lebte Conrad Ferdinand Meyer in Lausanne, wo er die französische Sprache und Literatur lieben lernte. Doch schon in frühen Jahren machte sich seine Depression bemerkbar, er kam in eine Nervenheilanstalt – leider nicht mit nachhaltigem Erfolg. Meyer sollte Zeit seines Lebens leiden – an sich, am Leben, daran, im bürgerlichen Leben nicht Fuss fassen zu können.

Möwenflug

Möwen sah um einen Felsen kreisen
Ich in unermüdlich gleichen Gleisen,
Auf gespannter Schwinge schweben bleibend,
Eine schimmernd weisse Bahn beschreibend,
Und zugleich in grünem Meeresspiegel
Sah ich um dieselben Felsenspitzen
Eine helle Jagd gestreckter Flügel
Unermüdlich durch die Tiefe blitzen.
Und der Spiegel hatte solche Klarheit,
Dass sich anders nicht die Flügel hoben
Tief im Meer, als hoch in Lüften oben,
Dass sich völlig glichen Trug und Wahrheit.

Allgemach beschlich es mich wie Grauen,
Schein und Wesen so verwandt zu schauen,
Und ich fragte mich, am Strand verharrend,
Ins gespenstische Geflatter starrend:
Und du selber? Bist du echt beflügelt?
Oder nur gemalt und abgespiegelt?
Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen?
Oder hast du Blut in deinen Schwingen?

1856 brachte sich Meyers Mutter um, sie hinterliess diesen in finanziell gesicherten Verhältnissen. Zusammen mit seiner Schwester Betsy reiste er dahin, wo alle Dichter hinwollen: Nach Italien. Tief beeindruckt kam er zurück, der erste Gedichtband war wohl schon im Entstehen, er sollte 1864 erscheinen. Wirklich Erfolg hatte er erst 1872 mit seinem Gedichtzyklus Huttens letzte Tage, wenig später erschienen Romane und Novellen, welche seinen Erfolg stützten.

In der Zeit nach Italien schrieb Conrad Ferdinand Meyer die erste Fassung seines Gedichts «Der römische Brunnen». Lange sollte er damit nicht zufrieden sein. Er rang um Worte, schrieb um, passte an, verfasste insgesamt sieben Fassungen. Erst 1882 erschien das Gedicht in seiner heute bekannten Form:

Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend giesst
Er voll der Marmorschale Rund,
Die sich verschleiernd, überfliesst
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Hier zeigt sich gut Meyers grosse Stärke, die er sowohl in seiner Lyrik wie auch in der Prosa zeigt: Mit wenigen Worten, stark verdichtet lässt er Bilder entstehen, erzählt er Geschichten, die leben und viel mehr in sich tragen, als in Worten da steht.

Ebenfalls 1882 schrieb Conrad Ferdinand Meyer ein anderes Dinggedicht: «Zwei Segel»

Zwei Segel

Zwei Segel erhellend
Die tiefblaue Bucht!
Zwei Segel sich schwellend
Zu unruhiger Flucht!

Wie eins in den Winden
Sich wölbt und bewegt,
Wird auch das Empfinden
Des andern erregt.

Begehrt eins zu hasten,
Das andre geht schnell,
Verlangt eins zu rasten,
Ruht auch sein Gesell.

Das Bild eines Boots, das über das Wasser gleitet, geführt von zwei Segeln, die miteinander harmonieren, um den Kurs halten zu können. Was für ein schönes Bild für die Liebe, in welcher zwei Menschen innig verbunden gemeinsam durchs Leben gehen.  

Der Erfolg hielt an, doch seine Seele litt weiter, das Arbeiten fiel zunehmend schwerer, bis er 1888 wieder in eine Heilanstalt eingeliefert werden musste. Er sollte sich nicht mehr ganz erholen, seine Frau pflegte ihn, bis er schliesslich 1898 mit gerade mal 73 Jahren starb.

Die gegeisselte Psyche

Wo von alter Schönheit Trümmern
Marmorhell die Säle schimmern,
Windet blass und lieblich eine
Psyche sich im Marmelsteine.

Unsichtbare Geisselhiebe
Beugt sie sich in Qual und Liebe,
Auf den zarten Knieen liegend
Enge sich zusammenschmiegend.

Flehend halb, und halb geduldig,
Trägt sie Schmach und weiss sich schuldig
Ihre Schmerzensblicke fragen
Liebst du mich? und kannst mich schlagen?

Soll dich der Olymp begrüssen,
Arme Psyche musst du büssen!
Eros, der dich sucht und peinigt
Will dich selig und gereinigt.

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