#abcdeslesens – Stefan George (12.7.1868 – 4.12.1933)

Was will man über ihn sagen? Am besten nichts und gleichzeitig dazu aufrufen, alles, was bekannt ist, zu vergessen und sich den Gedichten zuzuwenden. Zwar stiessen auch diese auf Kritik, doch die war wohl auch oft Georges Leben und Unverständnis geschuldet, nicht den Gedichten selbst.

Leider fristen die Gedichte Stefan Georges ein eher ungelesenes Dasein, von ein paar eifrigen Germanistikstudenten und nach Neuem suchenden Literaturbegeisterten abgesehen, interessiert sich kaum jemand für diese eigentlich so wunderschöne Dichtung. Seine Heimatstadt Bingen versuchte eine Zeit lang, dem entgegenzuwirken und veröffentlichte jeden 15. des Monats eines seiner Gedichte auf der Homepage. Leider wurde das eingestellt und es bleibt nur noch ein sporadisch geöffnetes Museum. Und eben das wichtigste: Die Gedichte – mit ihrer eigenwilligen Schreibweise.

Komm in den totgesagten park

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade –
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.
Dort nimm das tiefe gelb – das weiche grau
Von birken und von buchs – der wind ist lau –
Die späten rosen welkten noch nicht ganz –
Erlese küsse sie und flicht den kranz –
Vergiss auch diese letzten astern nicht –
Den purpur um die ranken wilder reben –
und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.

Stefan George wollte sich abgrenzen. Abrenzen von althergebrachten Klischees, abgrenzen von der bekannten Spiesserlitertatur, abgrenzen von abgedroschenen Wendungen und offensichtlichen Reimen. Auch in den verwendeten Metaphern suchte er neue Wege, erschloss neue Bildwelten für seine Worte, was beim ersten Lesen wohl oft genau das auslöst, was beabsichtigt war: Ein Innehalten, ein genaues Hinsehen, weil man sich mit unbekannten Welten konfrontiert sieht, und die Aufgabe, sich diese lesend zu erschliessen. Stefan George setzte auf das Ungewöhnliche, auf das Neue, ab und an um den Preis, dass seine Dichtung dadurch schwer fassbar ist und auch zeitweise sperrig wirkt.

Teich der Erinnerung

Auf sehnsuchtvollem teiche der weissen erinnrung
Auf schlafenden fluten von angst und von wahn
Segl ich tief einsam in den stunden des seufzens
Auf nachtäugigen angedenkens kahn.

Ich gleite still und die schwäne der gefühle
Tauchen ferne von mir in das dunkel ein
Ich gleite wie in einer feudalen ballade
Mondlicht beleuchtet von der gedanken schein.

Ich segle schweigend – plötzlich aus klagenden fluten
Hebt sich die maid der raue in sagengrau
Und schluchzt die weissen lilienhände windend
Wie einsame quelle auf der verwitweten au.

Auf sehnsuchtsvollem teiche der weissen erinnrung
Auf schlafenden fluten von angst und von wahn
Swegl ich tief einsam in den drückenden nebeln
Auch nachtäugigen angedenkens kahn.

Neben der eigenen Dichtung hat sich Stefan George auch mit Übertragungen und Umdichtungen beschäftigt, neben Shakespeare, Dante und Mallarmé vor allem Baudelaires Blumen des Bösen. Der Vorwurf kam denn auch, er hätte seinen Tonfall bei Baudelaire entlehnt, was George vehement bestritt und auf Eigenständigkeit pochte. Die intensive Auseinandersetzung mag sicher ihre Spuren hinterlassen haben, doch selbst wenn, wäre das nicht verwerflich und keineswegs zum Schaden der Georgeschen Gedichte.

Neben dem Wunsch, sich abzugrenzen, Neues zu schaffen, ging es Stefan George immer um die Schönheit. Er stellte in seinen Gedichten den Sinn im Sinne eines Wortsinnes hinter die sinnliche Erfahrung des Ausdrucks. So hilft es beim Lesen, die strenge Rationalität auszuschalten zugunsten eines Aufnehmens mit allen Sinnen. Auf diese Weise steigt aus  den Worten plötzlich ein Erfahren, ein Erleben, das tiefer geht als es der Wortsinn je könnte.

Vogelschau

Weisse schwalben sah ich fliegen –
Schwalben schnee- und silberweiss –
Sah sie sich im winde wiegen –
In dem winde hell und heiss.

Bunte häher sah ich hüpfen –
Papagei und kolibri
Durch die wunder-bäume schlüpfen
In dem wald der Tusferi.

Grosse raben sah ich flattern –
Dohlen schwarz und dunkelgrau
Nah am grunde über nattern
Im verzauberten gehau.

Schwalben seh ich wieder fliegen –
Schnee- und silberweisse schar –
Wie sie sich im winde wiegen
In dem winde kalt und klar.

2 Kommentare zu „#abcdeslesens – Stefan George (12.7.1868 – 4.12.1933)

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s