«Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!
Ihr Ungeheuer mit dem Namen Hans! Mit diesem Namen, den ich nie vergessen kann.»
Undine sinniert über die Welt, welche eine Welt von Ungeheuern ist, eine Welt von Männern namens Hans, die die Welt und auch sie beherrschen. Doch einige sind anders, einen Hans liebt sie sogar. Und doch wird sie nicht glücklich mit dieser Liebe.
«Mein Gedächtnis ist unmenschlich. An alles habe ich denken müssen, an jeden Verrat und jede Niedrigkeit.»
Sie erinnert sich an all das Leid, das ihr passiert ist, all die Schmach. Und geht schliesslich ins Wasser. Und damit aus der Welt der Männer, aus der Welt überhaupt.
«Beinah verstummt,
beinahe noch
den Ruf
hörend.Komm. Nur einmal.
Komm.»
Doch: Ist sie wirklich ganz gegangen? Ist da nicht noch ein Blick zurück, eine Hoffnung, die Möglichkeit eines neuen Versuchs?
«Verräter! Wenn euch nichts mehr half, dann half die Schmähung. Dann wusstet ihr plötzlich, was euch an mir verdächtig war, Wasser und Schleier und was sich nicht festlegen lässt. Dann war ich plötzlich eine Gefahr, die ihr noch rechtzeitig erkanntet, und verwünscht war ich und bereut war alles im Handumdrehen.»
«Undine geht» ist die letzte Erzählung in Ingeborg Bachmanns Erzählband «Das dreissigste Jahr», einem Zyklus von sieben Erzählungen, welcher im Jahr 1961 erschienen ist. Thema der Erzählung ist das herrschende Patriarchat, eine Männerwelt, welche sowohl Frauen wie Männern klare Rollen zuteilt. Während die Frau domestiziert wird, verkörpert der Mann das rationale Prinzip, steht mit diesem der Natur gegenüber und damit auch Undine, diesem nicht fassbaren Wasserwesen, welches für den nach Erklärungen und Sicherheit strebenden Mann eine Gefahr darstellt.
Bachmann greift mit Undine auf einen der (halbgöttlichen) Elementargeister (Bewohner der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft) der mittelalterlichen Welt zurück. Dort besitzt das Wasserwesen ein menschliches Aussehen, sie ist ein jungfräulicher Wassergeist. Um eine unsterbliche Seele zu erlangen bedarf es der Vermählung mit einem Mann (so will es der christliche Glaube damaliger Zeit). Ingeborg Bachmann holt dieses Wesen in die Gegenwart und lässt es mit der bürgerlichen Welt abrechnen, mit dem gestörten Verhältnis zwischen den Geschlechtern, bei dem die Frau durch monsterhafte Männer unterdrückt werden («Ihr Monster mit den festen und unruhigen Händen»).
«Alles hast du mit den Worten und Sätzen gemacht, hast dich verständigt mit ihnen oder hast sie gewandelt, hast etwas neu benannt…»
Auch die Sprache, eines von Ingeborg Bachmanns immer wiederkehrenden Themen, ist zentral. Sprache, die den Menschen als solchen eigentlich ausmacht, verkümmert mehr und mehr, es bleiben Belanglosigkeiten, Floskeln im Privaten, im Politischen, im öffentlichen Raum wird sie instrumentalisiert um Macht und Herrschaft (des Manns) zu zementieren. Durch das Spiel mit der Wahrheit, das Spiel mit Worten und ihren Doppeldeutigkeiten zementiert sich die Vorherschafft der Einen, Eingeweihten, gegenüber den Andern. Ingeborg Bachmann hinterfragt allgemein die Kommunikation zwischen den Menschen, und sieht ein Verkümmern, sowohl in der Sprache wie auch im Sein.
Immer wieder wurde Ingeborg Bachmann darauf angesprochen, ob Undine eine autobiographische Darstellung sei. Sie antwortete darauf in einem Interview:
„Sie ist meinetwegen ein Selbstbekenntnis. Nur glaube ich, dass es darüber schon genug Missverständnisse gibt. Denn die Leser und auch die Hörer identifizieren ja sofort – die Erzählung ist ja in der Ich-Form geschrieben – dieses Ich mit dem Autor. Das ist keineswegs so. Die Undine ist keine Frau, auch kein Lebewesen, sondern, um es mit Büchner zu sagen, ‚die Kunst, ach die Kunst‘. Und der Autor, in dem Fall ich, ist auf der anderen Seite zu suchen, also unter denen, die Hans genannt werden.“ (Ingeborg Bachmann: Wir müssen wahre Sätze finden)
Wie so oft in Ingeborg Bachmanns ist das Werk nicht vom Leben zu trennen. Die Verletzungen der Frau durch den Mann sind erlebt, die Enttäuschung und ab und an auch Verzweiflung an unglücklichen Beziehungen ist tief gefühlt, die Hoffnung, doch noch Liebe zu finden, stirbt nie. Undine ist zerrissen zwischen dem Zwang, zu lieben, und der Flucht vor der Liebe, in welcher sie doch nur Verletzungen sieht. Und Einsamkeit.
Fazit:
Eine Abrechnung mit dem Patriarchat in Ingeborg Bachmanns ganz eigenem, prägnanten und doch lyrischen und sinnlichen Ton. Ganz grosse Leseempfehlung!
Zur Autorin
Ingeborg Bachmann wird am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen im Zweiten Weltkrieg endete nach Bachmanns Aussagen die Kindheit jä – ein Ereignis, das ihr späteres Schreiben immer wieder prägen wird. Erste Gedichte finden sich schon bei der 12-jährigen Ingeborg Bachmann. 1945 beginnt Ingeborg Bachmann ihr Studium in Literatur, Kunst und Jura in Insbruck, wechselt später nach Graz und dann nach Wien, wo sie mit Philosophie und Psychologie abschloss und 1950 eine Dissertation über Martin Heidegger schrieb. Es folgten journalistische Arbeiten, welche aber neben dem schon da dringenden Wunsch, Schriftstellerin zu sein, mehrheitlich eher als ungeliebter Brotjob anzusehen waren. Nach einer Einladung in die Gruppe 47 im Jahr 1952 konnte sie im Jahr 1953 deren Preis gewinnen, im gleichen Jahr erschien ihr erster Gedichtband «Die gestundete Zeit», 1956 der zweite mit dem Titel «Anrufung des Grossen Bären». Damit stand ihr Ruhm als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen der literarischen Moderne fest, was aber leider finanziell zu wenig einträglich war, um davon zu überleben.
Es folgten mehrere Stellen, dem finanziellen Überleben geschuldet, sowie diverse Umzüge, welche wohl finanzielle und andere, der persönlichen Unrast und privatem Unglück geschuldete Gründe hatten. Über die Jahre finden sich verschiedene Liebschaften, denen allesamt wenig (und vor allem kein anhaltendes) Glück beschieden war. Irgendwann versiegten bei Ingeborg Bachmann die Gedichte, sie widmete sich Prosawerken, später einem gross gedachten Romanprojekt, von welchem aber nur ein Roman wirklich fertiggestellt wurde: 1971 erschien Malina.
Die zunehmenden psychischen Probleme, die sie immer wieder plagten, gepaart mit Alkoholexzessen und Tablettenabhängigkeiten verdüsterten das Leben der Dichterin zunehmend. Bei einem einem Feuer in ihrer Wohnung in Rom erlitt Ingeborg Bachmann starke Verbrennungen, weswegen sie ins Krankenhaus kam. Gestorben ist sie aber mutmasslich an den Entzugserscheinungen eines Medikaments, bei welchem bis zu spät nicht klar war, welches es ist. Ingeborg Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.
Deine Texte helfen, die Sprache der Dichterin zu verstehen, die sonst nur geahnt sind.
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Das freut mich sehr. Ingeborg Bachmann ist in der Tat nicht ganz einfach zu verstehen, verpackt sie doch in ihre Werke Themen, die sich der althergebrachten Sprache entziehen und die deswegen einer neuen, oft auch eher bruchstückhaften bedürfen. Gerade diese Verwendung von Sprache soll auch ein Aufbruch einer Ordnung darstellen, die den Menschen als Einzelnen unterdrückt und in eine Konformität zwingt, worin Bachmann eine Gefahr sieht. Das kommt durch ihren Stil sowohl erzählerisch wie auch sprachlich zum Ausdruck.
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Gerne würde ich mich mit Ihnen über Ingeborg Bachmanns Undine austauschen. Habe den Monolog 1991 einstudiert und es in 7 Hoerszenen, musikalisch begleitet, auf CD gebrannt.
Leider haben oeffentliche Rundfunkanstalten das Hoerstueck bisher abgelehnt, aber ich stehe dazu, sehe immer noch Reflexionsbedarf in der Gesellschaft und bin dabei das Stück neu aufzulegen.
Wenn Sie möchten, würde ich Ihnen gerne eine CD schenken und vielleicht können Sie sich Zusammenhänge vorstellen, wo Sie/ich sie einseten koennte?
Oder Sie geben mir eine Resonanz?
Es gibt einige Stellen im Text, wo ich finde, dass Ingeborg Bachmann beschreibt, welche Lösungen sie sieht.,.
❤️ liche Grüße, Barbara Wolf
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