Wenn ich früher jemandem erzählte, dass ich Philosophie studiere (und Germanistik dazu), kam postwendend die Frage: „Was macht man denn damit?“ Spätestens seit Precht weiss man, dass man bei entsprechendem Aussehen im Fernsehen als Allerwelt- und Für-alle-Themen-Philosoph gross rauskommen kann. Und nein, ich bin kein Precht-Verächter, ich finde gut und sinnvoll, was er tut und wie er es tut. Ich finde es grossartig, wie er es schafft, relevante Themen in einer Weise aufzubereiten, die zwar nicht neu, aber verständlich ist. Viele werfen ihm den ersten Teil vor, nur: Es ist alles schon mal gedacht worden, wirklich neu ist wenig. Was neu wäre, wenn all das Gedachte mal ankäme und zur Umsetzung gelangte. Aber das ist eine andere Baustelle, die hier heute nicht Thema ist.
Da nun nicht alle Fernsehphilosophen werden können, bleibt die Frage noch immer da. Und nun kam die neue Lösung: Grosse Konzerne wie Google, Facebook und Konsorten heuern Philosophen an. Sie sollen nicht etwa die 1673. Version der internen Firmenethik verfassen, sondern den Unternehmen aus einer Sinnkrise helfen. Nun machen sie alles so gut und doch wandern die Jungen ab… es geht ihnen also etwa so wie Müttern von Pubertierenden. Und nun soll die vormals verschmähte Philosophie helfen.
Das klingt nun vielleicht eher polemisch, und ja, ich bin mit mir selber im Zwiespalt. Eine Seite würde gerne jubeln und sagen: „Das sage ich doch schon lange. Schon Platon sagte es…“ Die andere ist skeptisch. Oft, wenn etwas zum grossen Retter erklärt wird – gerade, wenn es ein vormals belächeltes Objekt war (Subjekt liess man es kaum je werden) -, sind das Momentaufnahmen aus einer Verzweiflung. Und die ebbt irgendwann ab. Oder aber sie flacht die Inhalte des Hochgejubelten ab, indem denen die Tiefe genommen und sie mit plakativen Sprüchen mehrheitstauglich gemacht werden. Beides würde ich der westlichen Philosophie nicht wünschen (die östliche ging den Weg im Westen schon zu sehr, wie ich finde).
Ich bin durchaus der Meinung, dass was gehen muss. Und ich bin ebenso der Meinung, dass die Philosophie helfen könnte. Der Blick auf den Menschen und was ihn ausmacht, sollte gerade in einer Zeit, in der Maschinen zum Konkurrenten werden, ein zentraler werden. Wir müssten uns fragen, was wir eigentlich haben, das uns einzigartig macht, was wir fördern, leben müssen, weil es uns hilft, als Menschen unter Menschen zu bestehen. Aktuell sind wir wie Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpft: Wir pochen auf Wissen, das jede Maschine besser memoriert, lehren Dinge, die von Maschinen genauso gut, wenn nicht besser ausgeführt werden könnten. Was wir immer mehr vernachlässigen? Sozialkompetenzen, Werte, Beziehungen – das ganze meschliche Dasein da, wo nicht mehr Fakten und Zahlen zählen, sondern das Miteinander, das Sein im Dasein und das Fühlen desselben.
Das mag nun sehr esoterisch angehaucht klingen, ist aber alles andere als so gemeint. Ich bin ein sehr rationaler Mensch, der aber auf die ganz harte Tour gelernt hat, was fehlende Beziehungen und Zugewandtheit (in der Schule und privat) auslösen können. Und es gibt Studien, die das belegen. Der Mensch ist ein Beziehungstier. Der Mensch ist sozial. Ohne soziale Beziehungen geht der Mensch ein. Und genau das ist seine Schwäche. Und seine Stärke. Genau da hebt er sich von Maschinen ab. Maschinen können (fast) alles. Aber sie sind NIE sozial. Sie sind berechnet berechnend. Nun sind auch Menschen durchaus ab und an berechnend. Ich denke aber, sie sind es, weil sie in einem System aufwachsen, das aus Menschen Maschinen machen will.
Nur: Wir kommen nun in eine Zeit, in der Maschinen immer überlegen sein werden. Wenn es darum geht, Maschine zu sein. Vielleicht ist genau das das Glück. Der Mensch muss sich zurück besinnen. Auf sich. Und vielleicht ist es ein Glück, dass man irgendwann merkt, dass man das schon ganz früh tun sollte. In der Schule. Kinder müssen keine kleinen Computer sein, sie müssen Menschen bleiben dürfen. Kürzlich las ich einen Artikel* darüber, dass spielen das Hirn mehr fördert als jede Förderung (die Punkte könnte man gut weglassen, es sind immer Forderungen dahinter). Das wusste schon Schiller, wenn er sagte, dass der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt. Wir aber schaffen das Spiel immer früher ab, indem wir Kinder in die Frühförderung schicken, den Kindergarten verschulen. Wir entmenschlichen den Mensch und nehmen ihm damit die einzige Chance, die er hat, gegen Maschinen zu bestehen.
Vielleicht haben Google und seine Freunde doch recht: Philosophen an die Macht! Ich denke aber nicht. Es bräuchte nur ein wenig gesunden Menschenverstand und ein Herz auf dem richtigen Fleck. Und dann den Mut, alte Wege zu verlassen. Das wünsche ich mir.
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*https://mymonk.de/spielen-lassen/?fbclid=IwAR17GvT_6penv0RHI2FKVaf1M4W63KdQ5Ifm4az0kxDdaO0Z2i8r6fKPLxk
◾ Sandra Matteotti: „Konzerne wie Google, Facebook … heuern Philosophen an. Sie sollen … den Unternehmen aus einer Sinnkrise helfen.“
Diese Unternehmen sollten die monetären Interessen ein wenig herunter und statt dessen die Parameter des Gemeinwohl-Aspekts hoch fahren, dann hat sich das mit der Sinn-Krise bereits erledigt – ohne daß die Betreiber am Hungertuch nagen müssen.
◾ Sandra: „…in einer Zeit, in der Maschinen zum Konkurrenten werden“
Siehst du die Waschmaschine noch als Konkurrenz zu den Frauen, die ehemals an den Bächen, gebückt, die Kleidung der Familien waschen mußten?
Die Maschinen generieren – und zukünftig noch mehr – die materiellen und dienstlichen Werte, die vormals von Menschenhand produziert wurden. Das ist nicht Konkurrenz, das ist Unterstützung.
Daß wir unfähig sind, den Eigentumsbegriff und die mit ihm verknüpften gesetzlichen Regelungen zu kalibrieren und anschließend die Versteuerung der stetig ansteigenden Wertschöpfung der Maschinen intelligent zu regeln, ist nicht deren Verschulden.
Es ist der Mensch, der sich hier von (der Nutzung) der Intelligenz abtrennt, indem er nicht bereit ist, die sich klar abzeichnenden Entwicklungen erkennen und weise darauf antworten zu wollen.
◾ Sandra : „Dinge, die von Maschinen genauso gut, wenn nicht besser ausgeführt werden könnten“
Ja, es gibt Vieles, was die Maschinen besser können als wir. Autofahren, zum Beispiel. Und sehr viele rationale Aufgaben lösen sie in Nullkommanichts. Sie sorgen dafür, daß wir mehr Wohlstand und mehr Freizeit haben.
Nur um die VERTEILUNG des maschinell generierten Wohlstands und um das künftig anstehende soziale Problem der wegbrechenden (Arbeits-) Struktur müssen wir uns (die Gesellschaft) gefälligst selber kümmern.
◾ Sandra: „Ich bin ein sehr rationaler Mensch, der aber … gelernt hat, … es gibt Studien, die das belegen.“
Und wenn es keine Studien gibt, „die das belegen“?
Ist Gesehenes, Erfahrenes, Gelerntes erst dann real (also nicht „spinnert“), wenn es Studien gibt, die das belegen?
Weisheit in „wissenschaftliche Studien“ hineinprojizieren?? Ich nehme das mal als Scherz. 🤗
Zu keiner Zeit werden Studien (welcher Art auch immer und wie klug auch immer aufgestellt) Intelligenz & Weisheit ersetzen.
Studien kommen ohne Weisheit aus,
aber niemals… der einzelne Mensch.
Mir ist jedenfalls noch kein Mensch, dem wir Weisheit zusprechen würden, untergekommen, der erst eine Studie abgewartet hätte, oder eine abwarten würde, bevor er zu sprechen anfängt. 🙂
Wir sollten uns daran erinnern, daß wir die Wahl haben zwischen
der geistigen Emanzipation und einem Sich-bevormunden-lassen.
◾ Sandra: „Nun sind auch Menschen durchaus ab und an berechnend. Ich denke aber, sie sind es, weil sie in einem System aufwachsen, das aus Menschen Maschinen machen will.“
Das hört sich an, wie: `Einige Menschen sind Opfer des Systems.´`Die Maschinen verändern uns´.
Wir sollten uns daran erinnern.., daß wir wählen
können zwischen Emanzipation und Opferstatus.
◾ Sandra: „Wir kommen nun in eine Zeit, in der Maschinen immer überlegen sein werden.“
Das klingt auch wieder nach Opfer-Haltung. 😉
Ausdrücklich: Nein! Der Mensch ist IMMER der Maschine überlegen.
Jede Maschine wird letztlich von Menschen
gesteuert – auch die „autonom“ agierende.
Alles, was eine Maschine kann und tut, wurde vorab von Menschen erdacht und der Maschine eingepflanzt. Obwohl es manchmal auf den ersten Blick so scheinen mag, aber: Keine Maschine hat einen eigenen „Willen“.
Die Verantwortung
liegt immer bei uns.
Das gilt sowohl für die Programmierung,
als auch für die Nutzung der Maschinen.
◾ Sandra: „Wir entmenschlichen den Mensch und nehmen ihm damit die einzige Chance, die er hat, gegen Maschinen zu bestehen.“
? ? ? Wer, bitte, ist „wir“? Ich jedenfalls entmenschliche den Menschen nicht und nehme ihm auch nicht die Chance, in intelligenter Weise mit Maschinen umzugehen. 😊
Die nachwachsenden Generationen werden spielend mit ihnen kooperieren und umgehen können. Sie bringen die nötige Matrix dafür bereits mit.
Maschinen sind Werkzeuge – weiter nichts. Weder ihre Größe, noch irgend eine Eigenschaft ändern daran etwas.
◾ Sandra: „Förderung (die Punkte könnte man gut weglassen, es sind immer Forderungen dahinter)“ (Bildung betreffend)
Das mag im Großen und Ganzen zutreffen, ist aber nicht prinzipiell so, denn: Es kommt auf die Intention an, die unsere jeweilige Förderung leitet.
Ja, Förderung kann Richtung Erwartung und Druck gehen, aber auch in die Richtung, das vorhandene Potenzial erkennen und zur Entfaltung… einladen wollen.
◾ Sandra: „Wir aber schaffen das Spiel immer früher ab“
Liegt es denn nicht in unserer Hand, ob wir das Leben leicht & spielerisch oder mit ernster Miene angehen? Ich selber fühle mich diesbezüglich in keiner Weise unfrei und kann auch bei anderen keine Knechtung (von Außen kommend!) erkennen.
Und ja, wir (die Gesellschaft und die Wissenschaft) haben noch nicht verstanden, welchen Wert das Spielen allein im Feld des Lernens ausmacht.
◾ Sandra: „Philosophen an die Macht! Ich denke aber nicht.“
Warum nicht? Warum nicht die Weisheit über die Ratio stellen? Derzeit spielt die Weisheit im allgemeinen Bewußtsein so gut wie keine Rolle, aber:
Der Mensch wird umkommen,
wenn er die Kehre nicht packt.
Wir benötigen sie dringend in den Zentren der Macht, die Weisheit!
Zum angedeuteten Satz vom Platon über Philosophen und Macht:
https://nirmalo.wordpress.com/2019/03/24/macht-philosophie/
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