Rezension: John Boyne – Die Geschichte der Einsamkeit

Nichts gesehen, nichts gewusst – die Wege des Herrn…

Inhalt

„Du hast eine Berufung, Odran“, rief sie. „Du hast eine Berufung zum Priester!“

Sie musste es ja wissen, denn sie war meine Mutter, und man hatte mich dazu erzogen, alles zu glauben, was meine Mutter sagte.

Als Odran Yates’ Mutter aus einer Eingebung heraus beschliesst, ihr Sohn sei zum Priester berufen, schickt sich Odran in sein Schicksal, hinterfragt es nicht, widersetzt sich nicht, sondern geht den Weg hin zum Priester. Die längste Zeit seiner Laufbahn bverbringt er aber nicht in einer Gemeinde, sondern an einem Internat als Lehrer, betreut da die Bibliothek und fühlt sich Jahr für Jahr mehr zu Hause. Als er plötzlich aus diesem Zuhause gerissen und in eine Gemeinde versetzt wird, vertraut er den Versprechen, dass er wieder zurück darf, und schickt sich auch in das Schicksal.

…aus purem Egoismus beschloss ich, das Problem zu ignorieren.

Wie sein Schicksal, so plätschert auch der Rest des Lebens mitsamt seiner Abgründe an ihm vorbei. Er übersieht sie wirklich, ignoriert sie vielleicht oder verschliesst bewusst die Augen. Immerhin gehört er einer unantastbaren Gilde an, ist Respektsperson.

Auf dem Weg nach Hause, wo mich mein leeres Bett erwartete, ahnte ich mit einem Mal, dass es die Welt, die mir vertraut war und an die ich mein Leben lang geglaubt hatte, bald nicht mehr geben würde. Die alte Welt lag im Sterben, und die neue war noch nicht geboren.

Dieses Ansehen bröckelt über die Jahre nach und nach, die katholische Kirche kommt unter Beschuss. Irgendwann kann auch Odran den Tatsachen gegenüber nicht mehr die Augen verschliessen. Jetzt wäre es an der Zeit, Stellung zu beziehen.

Rezension

Boyne weidet die ganze Problematik der katholischen Kirche aus, ohne mit dem erhobenen Moralfinger zu wedeln, sondern indem er sie in die Biographie eines eher willensschwachen Priesters packt. Odran steht für die Ignoranz derer, die nicht sehen wollen. In Odrans Fall steckt keine Boshaftigkeit dahinter, auch Absicht möchte man ihm nicht unterstellen. Es ist eine Gleichgültigkeit und auch Abgestumpftheit dem Leben gegenüber. Es ist blinder Gehorsam gegenüber wahrgenommenen Obrigkeiten, dem man sich verpflichtet fühlt.

Die Geschichte der Einsamkeit wirft Fragen auf, regt zum Nachdenken an. Wo fängt (Mit-)Schuld an? Wo kann man aufbegehren, wo muss man? Wie weit reicht der eigene freie Wille, was ist vorgegeben.

Der Roman hat einige Längen, zieht sich ab und an sehr und nimmt Windungen, die nicht dringend nötig, aber auch nicht absolut überflüssig sind. Insgesamt ist der Plot stimmig, die Charaktere sind glaubwürdig und plastisch, glaubhaft in ihrem Verhalten. Boyne ist eine Studie der Realität gelungen, welcher auf Missstände hinweist, ohne dabei moralisierend oder psychologisierend zu werden. Er ermüdet nicht durch Urteile, sondern lässt durch die Erzählung dem Leser die Möglichkeit, seine eigenen Fragen zu stellen und sein eigenes Urteil zu fällen.

Fazit:
Ein Roman, welcher der Realität den Spiegel vorhält, der Fragen aufwirft und zum Nachdenken anregt. Empfehlenswert.

Zum Autor
John Boyne
John Boyne, geboren 1971 in Dublin, ist einer der renommiertesten zeitgenössischen Autoren Irlands. Seine Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit seinem Roman »Der Junge im gestreiften Pyjama«, der in vielen Ländern auf den Bestsellerlisten stand und von der Kritik als »ein kleines Wunder« (The Guardian) gefeiert wurde.

Angaben zum Buch:
BoyneEinsamkeitTaschenbuch: 416 Seiten
Verlag: Piper Paperback (5. Oktober 2015
Übersetzung: Sonja Finck
ISBN-Nr.: 978-3492060141
Preis: EUR 19.99 / CHF 23.90

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