Heute war ich an einem Anlass der Thomas Mann Gesellschaft zum Thema „Thomas Mann und der Erste Weltkrieg“. Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen standen im Zentrum, seine teilweise sehr kriegsverherrlichenden und seiner nicht würdig scheinenden, misst man ihn an seinen sonstigen Schriften und Meinungsbekundungen – vor allem auch im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg – wurden thematisiert, angeprangert, mit hochgezogenen Augenbrauen bedacht und einzuordnen versucht.
Den ersten Vortrag hielt der ausgewiesene Experte Heinrich Detering. Auf unterhaltsame und offensichtlich bewanderte Weise führte er in das Thema ein, zeigte sein Hintergrundwissen durch vielfältige und vielzählige Zitate. Im zweiten Vortrag bot der Historiker Georg Kreis – auf humorvolle, informative und kompetente Weise – den Kontext der Zeit dar. Eine Podiumsdiskussion schloss den Anlass ab, die Fragen waren eher spärlich und wenig tiefgründig, was wohl auch der anberaumten Zeit einer halben Stunde sowie dem Umstand, dass eine wirkliche Diskussion bei so vielen Menschen, die erfreulicher Weise gekommen waren, sowie dem Zeitpunkt an einem Samstag Morgen geschuldet war. Ein wirklich gelungener Anlass, der ob des durchaus fortgeschrittenen Alters der Besucher ein wenig am Nachwuchs der Thomas Mann-Fans zweifeln lässt, in der Hoffnung, dass die Momentaufnahme kein Bild der allgemeinen Situation sei.
Ein Punkt hat mich beschäftigt (sicher unter andern, dieser aber besonders auch aufgrund meiner eigenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Thomas Mann): Es wurde von Heinrich Detering vermehrt die Diskontinuität Thomas Manns gerade in den Betrachtungen eines Unpolitischen erwähnt. War dieser vorher sehr durchdacht, argumentativ stark, liberal und humanistisch eingestellt, setzte er sich im Zweiten Weltkrieg für die Opfer des Krieges ein und war ein Gegner desselben, so zeigte er sich beim Ersten Weltkrieg als euphorischer Befürworter desselben. Man findet Äusserungen, die das Heldentum, die Vormachtstellung, die ausgewiesene Siegerrolle Deutschlands propagieren, die Unterhundrolle der umliegenden Staaten proklamiert. Mit rassistischen, abwertenden, kriegsverherrlichenden Aussagen ergiesst er sich in seinen Betrachtungen. Er stilisiert das deutsche Volk zum männlich mächtigen, das französische zum weiblich verzärtelten, unterlegenen. Damit hat Detering sicher recht. Was mir aber aufstösst, sind zwei Punkte:
Die Diskontiunität eines Menschen verurteilend stellt sich doch die Frage, welcher Mensch in seiner Meinung über Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich und ohne Wandel sei. Liegt der Wandel nicht in der Natur der Dinge, somit auch im Menschen und dessen Denken selber? Ist es nicht naturgegeben, dass das Leben, die Umstände der Zeit und vieles mehr Meinungen wachsen, ändern, umstossen lassen? Ist es also so zu verdenken, dass Thomas Mann durchaus Änderungen in seinem Denken, Schreiben und Sein durchmachte? Wieso ist das im normal menschlichen Leben als natürlich akzeptiert, bei einem Schriftsteller des Kalibers Thomas Manns aber so verwerflich?
Der zweite Punkt, der mir aufstiess ist folgender: Es wurde zwar angetönt, dass Thomas Mann durchaus persönliche Gründe zu seiner Haltung haben könnte, dass er sich durch einige stilistische Mittel selber der Lüge in der nun so hasserfüllten, hitzigen Schreibe bezichtigte und damit entlarvte, allerdings wurde der Zweig nicht wirklich weiter verfolgt, versandete in Andeutungen, worauf wieder die Diskontinuität bemängelt wurde. Nun ist Thomas Mann in all seinen Werken ein durchaus autobiographischer Schreiber, er thematisiert sich und seinen eigenen Prozess als Künstler, Schriftsteller in praktisch jedem Werk, legt seine Tagesabläufe offen dar in seinen Romanen. Man weiss mittlerweile um sein Ringen zwischen Bürgertum und Künstlertum, um seine schreiberische Sublimation der eigenen homoerotischen Ausrichtung, kennt seine Aussprüche, dass er sich an strenge Regeln halten müsse, damit er nicht untergehe, will er doch im Bürgertum verhaftet, zu Hause, akzeptiert sein. Er kann und will sich kein Ausbrechen gönnen. Könnte – ja muss – man also seine Betrachtungen nicht als genau das lesen? Als verzweifelter Versuch, die eigene homoerotische Neigung zu unterdrückende, zu verneinende, zu verfluchende Schreibtirade? Deutschland als das Zuhause, als das Bürgertum quasi, mit Regeln, Macht, Ordnung, Männlichkeit allen voran, das gegen Frankreich, das weibische, künstlerische, freie, ungezügelte Land vorgeht? Kann man nicht in dem (nicht nur bei ihm, sondern im gesellschaftlichen Konnex damaliger Zeit vorherrschende) Bild die eigene Zerrisssenheit erkennen und damit diese Bekenntnisse nicht als Diskontinuität, sondern als Bekenntnis eines zutiefst umgetriebenen Menschen lesen?
Und so komme ich zum Schluss, dass die Betrachtungen eines Unpolitischen zwar einerseits durchaus politisch waren, indem sie auf die Politik damaliger Zeit hinweisen, allerdings genauso (wenn nicht mehr) persönlich waren, zeigen sie doch einen verzweifelten Thomas Mann, der zwischen den Zeilen seine Befindlichkeit offenbart, sie aber in Druckerschwärze überdeckt und eine zutiefst zeitgemässe, kriegsverherrlichende und seiner eigentlich ungebührliche Schrift hinterliess – würde sie man eins zu eins nehmen und lesen und nicht als Versuch, sich im Bürgertum zu verankern, den eigenen Neigungen abschwörend.
Und so komme ich einmal mehr zum Schluss: Das Schreiben Thomas Manns ist ein autobiographisches, das von dessen Leben, Denken und Sein nicht losgelöst zu beurteilen ist, dessen Botschaft immer eine eigene ist, die er in verschiedenen Schichten, Montagen und Kniffen überdeckt, so dass man ganz viel hineinlesen, herausinterpretieren kann und schlussendlich da landet, wo er selber gerne gewesen wäre, wären da nicht seine Neigungen, die er nicht leben, aber immer wieder beschreiben musste.
…. und es gibt ja da den „Zauberberg“, der die „Betrachtungen“ schon bald korrigieren sollte.
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Darauf hat Detering natürlich hingewiesen und auf vieles mehr. Daher rührt ja auch der Ausdruck der Diskontinuität, stehen doch die Betrachtungen ziemlich einsam da im Werk des sonst so durchdachten, weitsichtigen Autoren.
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Das künstlerische Schaffen Thomas Manns geriet mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs in eine schwere Krise, der begonnene „Zauberg“ wurde 1912 beiseitegelegt. Das Sammelsurium der 1918 erschienen „Betrachtungen“ können meiner Meinung nach schwerlich eine „Diskontinuität“ im Werk Thomas Manns begründen, die einzelnen Aufsätze und Gedankengänge sind bereits in sich stark widersprüchlicher bzw. gegensätzlicher Natur, voller interpretativer Problematiken, die kaum auf einen Nenner zu bringen sind, so dass ein Ausdruck wie „Diskontinuität“ dem doch eher bescheideneren künstlerischen Status der Aufsätze im Vergleich zum dahin vorliegenden Werk (Buddenbrooks, Tonio Kröger, Der Tod in Venedig etc.) nicht gerecht zu werden vermag. Mit der „Rede von deutscher Republik“ von 1922 und der Wiederaufnahme der Arbeit am „Zauberberg“ wäre dann wieder eine Wende des Reaktionären zum Demokraten und Humanen gelungen? Wird dieses „Ja oder Nein“ der Zerrissenheit Thomas Manns während dieser Phase überhaupt gerecht? Ich zweifle daran. DK
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Alles Schreiben – ausser eben drei Artikel/Werke – hat einen völlig anderen Tenor. Nun kann man daraus sicher eine Diskontinuität lesen, nur hiesse das, gewisse Anzeichen zu ignorieren. Detering hat selber drauf hingewiesen, ein Zeichen war die Korrektur des Fontaneaufsatzes, den er 1910 schrieb, 1919 in einer total diametralen Fassung neu veröffentlichte, später – ohne einen Hinweis – zurück korrigierte. Thomas Mann war sich seiner zeitweiligen Verfehlung bewusst. Nun kann man das verurteilen, man kann es auch als menschlich annehmen. Das ist es wohl, trotzdem tendiert die Literaturwissenschaft von Berufes wegen, alles zu zerpflücken (ich bin ja selber einer der Gattung). Ich möchte aber bedenken, dass schon im Schreibstil offenbar wird (auch darauf wies Detering hin), dass Thomas Mann selber Zeichen setzte, es durchschimmern liess, dass er nicht wirklich hinter allem stand (schwulstiger Stil, etc.). Und selbst wenn – in meinen Augen war dieser Exkurs, der politische Themen unter dem Deckmantel der Betrachtungen eines Unpolitischen verkaufte, durchaus gewollt. Es war ein Ausdruck seines Kampfes Künstler versus Bürgerlicher, darum der Unpolitische inmitten der politischen Themen. Es war ein Zeichen in einer Zeit und ein Bekenntnis, dessen er sich eigentlich schämte, das er aber doch nicht ganz unterdrücken konnte. Und auch hier – wie überall – bediente er sich der Montagetechnik, der Lagentechnik, legte Lage über Lage, um so ein Schriftstück zu gewinnen, das etwas aussagte, darunter aber eine Botschaft vermittelte.
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