Da sass sie nun, ein Glas Wein vor sich, eine Schale mit Nüssen daneben. Sie dachte an die letzten 24 Stunden und wie Schritt für Schritt das bisherige Leben sich verabschiedet hatte. Sie sah zurück auf das erste Unverständnis, als klar war, was kommen würde, fühlte den Kloss im Magen wieder, der sich damals ausbreitete, sie in den Boden zu drücken schien, immer schwerer wurde, kaum zu tragen war. Sie spürte noch den trockenen Hals, räusperte sich beim Gedanken daran, wusste aber nichts zu sagen – zu wem auch, da war niemand. Mehr.
Sie blickte auf den Wein, rot und samtig schmiegte er sich an die Wand des Glases, füllte es aus, sie hatte zuviel eingeschenkt. Doch wieso kleinlich sein, sie musste nicht teilen und war nur noch müde. Sie hoffte, der Wein würde sich in ihr genauso anschmiegsam zeigen und ihr den Wunsch, sich selber irgendwo anzuschmiegen, anzulehnen, geborgen zu sein, nehmen.
Ich gehe. Die Worte hallten nach. Ich muss es tun. Wie Messerspitzen trafen sie. Und ich? Hatte sie gefragt. Ein Blick, ein Schulterzucken. Es ist nicht gegen dich. Ich kann nicht anders. Du bist so stark. Sie wollte nicht stark sein. Sie konnte nicht mehr. Immer nur stark sein, es von allen Seiten hören, es immer wieder neu beweisen müssen, weil keine andere Wahl blieb. Sie schickte sich rein, sie würde es eh nicht ändern können. Ab und an begehrte sie wieder auf, suchte nach anderen Wegen. Hoffte auf Lösungen. Stritt, schrie, weinte. Beruhigte sich. Resignierte.
Die Tage gingen dahin. Der Tag kam näher. Ein Zurück gab es nicht. Sie nahm es ihm übel. Sie fühlte sich übergangen, verraten, belogen, betrogen um ein Leben, das sie anders im Blick gehabt hatte. Fallen gelassen, auch wenn beteuert wurde, das sei nicht wahr. Es fühlte sich so an. Immer noch. Immer mehr.
Der Tag war da. Er packte. Er ging. Sie blieb zurück. Tränen hatte sie keine. Ab und an wollte ein Kloss wachsen. Sie verdrängte ihn. Sie musste funktionieren. Gute Miene zum Spiel machen. War es ein böses? War es überhaupt Spiel? Es fühlte sich verdammt ernst an. Sie fühlte sich leer. Wo war das Leben, das mal greifbar schien? Wo die Zukunft, die erhofft? Wozu hatte man all das auf sich genommen? Wieso war man den Weg so weit gegangen, wenn man am Schluss sowieso alleine war?
Das Gefühl wurde stärker, dass man schlussendlich immer alleine ist. Egal, wo man ist, mit wem. Egal, was gesagt und beteuert, was beschworen und in schöne Worte gekleidet wird. Am Schluss sind erst die Nächsten dran und ganz am nächsten ist sich jeder selber. Selbst wenn jeder gerne besser wäre, gerne anders wäre, vielleicht sich sogar in seinem sich selber der Nächste Sein anders sieht, es für sich in bessere Gewänder, schönere Worte, beschwichtigende Argumente kleidet: Am Schluss ist man alleine, weil jeder für sich selber schaut. Weil jeder, der es mal erlebt hat, weiss, dass die anderen es ebenso tun. Und er es drum auch tut. Den Letzten beissen die Wölfe, wer wollte das sein?
Und so sass sie da, nahm das Glas, schaute nochmals versonnen in das tiefe Rot und setzte es an. Der fruchtige Geruch des Rioja drang ihr in die Nase, beim ersten Schluck füllte das samtige Gefühl des Weines den Mund, eine leichte Schärfe zog in die Nase, Wärme glitt den Hals hinab. Was war, das war. Zurück blieb Leere. Sie wird sich irgendwann füllen. Irgendwie. Vielleicht.Allein
„Sie musste funktionieren. Gute Miene zum Spiel machen. War es ein böses? War es überhaupt Spiel?…“
Nein, es war kein Spiel. Es war Ernst, Unvermögen, Vergangenheit,
mal wieder zur Gegenwart geworden…
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Vergangenheit holt immer ein, kommt immer wieder. Das kann gut und schlecht sein, wozu werten, es ist, wie es ist.
Unvermögen – wessen und welches?
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das Unvermögen zweier Menschen, Nähe zu leben
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Ob absolut oder nur miteinander steht dahin. Nähe und Distanz sind aber wohl bei vielen Menschen grosse Themen.
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einer der Klassiker unter den Menschheitsthemen 😉
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Der, der den anderen übers Verlassen informiert, ist bereits getrennt-.seit langem- zuerst emotional dann auch in den organisatorischen Überlegungen. Es spricht sich nämlich nicht so einfach aus, das Gehen. Zum, ich muss und ich kann nicht mehr gehört ein langer Weg- schmerzvoll und in stückchenweiser Einsicht.
Der, der gerade erfährt, er wird verlassen, ist – selbst wenn er sich bereits lange schon emotional abgeschnitten fühlen sollte, vollkommen überrascht. Das Das ist noch etwas anderes als das JETZT. Es muss sich wie bodenloses Versinken anfühlen, das gehen des Anderen, das eigene Zurückbleiben.
Erfahrungsgemäss kommt es immer später als es noch besser wäre als gut- nur macht sich diese Erkenntnis erst viel später wirklich breit nund bestätigt sich.
Du hast wesentliche Momente gut eingefangen …
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Das ist schon so, der Prozess bis zum „Ich gehe“ ist ein langer. Es ist ein Prozess der inneren Ablösung, des inneren Abwägens. Selbst wenn es nicht gut ist, ist es bekannt und was bekannt ist, ist angenehmer als das Unbekannte. Was kommt, wenn ich gehe? Wird es wirklich besser? Was kommt nach? Und diese Frage lässt einen zögern. Dazu kommt, dass nie alles nur schlecht ist – und man so zögert und abwartet, es hinausschiebt, leidet, und irgendwann – gehen muss…
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… ja- und vielleicht …. ich denke, es kommt irgendwann nicht mehr darauf an, was danach kommt, sondern nur noch ums Gehen- ich bin sicher, auch erst dann geht einer. Die Tür ist nur mal schmäler und mal breiter.
Gehen weil`s eine/n andere/n gibt – ist auch nicht schnell- nur scheinbar schmackhafter- vielleicht…. und sehr sehr sehr oft nur ein/e Übergangsandere/r … Übergangslieben machen Gehen leicht- Leben aber nicht. Sie scheitern sehr oft.
ich bin seinerzeit nach mehr als 20 Jahren gegangen und nichts war schlecht … es hätte alles so bleiben können und wäre immer gut gewesen … gut wie jeden Tag Suppe, gute Suppe, leckere Suppe, feine Suppe, aber eben nur jeden Tag Suppe. Sie war so gut, ich hielt sie nicht mehr aus. Hätte auch Braten sein können oder Kuchen egal…
Mein Mann war erschüttert, verzweifelt, beleidigt, was immer ein Mensch sein kann in so einer Situation. Er ist ein Mann wie Frauen ihn suchen- nur ich eben nicht (mehr)…
Jahre später, wir konnten/können all die Zeit gut miteinander reden, sagte er zu mir: „DU warst die Schlauste von uns Beiden, DU hättest wissen müssen, eigentlich wär ein paar Jahre eher auch gut gewesen für die Trennung.
So schloss sich der Kreis, ein Aufhören ist erst die wahre Möglichkeit für ein neues Beginnen … ansonsten besetzen sich zwei nur gegenseitig. Das ist unter Umständen wie Luftabdrücken, wie Herzkettchen mit Mühlstein tauschen …
liebste Grüsse
charlotte (ACR)
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Wahre Worte. Manchmal stimmt es nicht mehr und dann muss man den Mut haben, zu sich zu stehen – für sich und für den anderen.
Ganz liebe Grüsse zu dir
Sandra
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Hat dies auf Philovinum rebloggt und kommentierte:
Weingeschichten
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Es klingt zwar pessimistisch, aber es entspricht der Lebenswahrheit:
Letztendlich ist man allein auf sich gestellt, trotz Familie, trotz Kindern, trotz Partnern. Wendet man es ins positive, so ist man doch zumindest in gewissem Maße Schmied des eigenen Glücks, wenn man erkennt, was einem ganz persönlich gut tut und sich das auch gönnt, trotz aller notwendigen Kompromisse
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..ach Sandra… das Leben… die Liebe… warum alles so kompliziert…
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… und als Kontrastprogramm 😉 : Noch kurz vor dem Fall der Berliner Mauer hat niemand gedacht, dass das jemals möglich sein wird …
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