Anhand einer Blutuntersuchung kann man neu herausfinden, ob das erwartete Kind das Downsyndrom hat. Schon die Meldung dieses Tests stiess auf weit auseinander klaffende Meinungen, die Aufschreie waren laut. Mittlerweile sollen sogar Menschen aus anderen Ländern in die Schweiz, nach Bern, kommen, um den Test zu machen – so lässt es sich in einem Schweizer Boulevardblatt nachlesen. Was soll man davon halten? Ist das gut? Ist das verwerflich? Was daran wäre verwerflich? Wo liegt das Problem?
Die Hauptproblematik liegt wohl in einer Wertung des Lebens. Leben, das einwandfrei ist, frei von Krankheiten und Gebrechen, gar Behinderungen, ist lebenswert, das andere wird aussortiert. Dies die sehr krasse, harte aber durchaus im Kern zutreffende Analyse. Ist das moralisch vertretbar? Hat der Mensch nicht die Konsequenzen seines Tuns zu tragen, kann er sich so aus der Affäre ziehen? Ist das feige? Gar Mord?
Die Problematik ist heikel. Die beiden Lager – Befürworter und Gegner von pränatalen Tests – liegen weit auseinander, es gibt kaum Berührungspunkte. Dazu kommt, dass Abtreibung per se ein schwieriges Thema ist. Die Grundfrage ist doch: Wozu ist so ein Test gut? Man kann damit herausfinden, ob das Kind das sogenannte Downsyndrom hat oder nicht. Wenn man sich für einen solchen Test entscheiden will, muss einem klar sein, dass er unter Umständen eine Entscheidung fordert: Was mache ich, wenn der Fall eintritt? Wie reagiere ich, was will ich? Aber auch: Was kann ich? Man kann nicht einfach mal hingehen zu dem Test, um zu schauen, was ist, das geht tiefer.
Wenn man sich für so einen Test entscheidet, steckt sicher eine Angst dahinter. Die Angst, das Kind könnte „behindert“ (dieser Begriff ist umstritten, alltäglich aber immer noch in Gebraucht. Eine Behinderung soll hier nicht als Stigma oder gar als Abwertung gesehen werden, sondern schlicht als das, was das Wort ausdrückt: Das Leben ist in gewissen Bereichen mit Hindernissen ausgestattet. Diese Hindernisse sind ausgelöst durch die eigenen Lebensumstände, werden aber auch von der Umwelt gesetzt durch ebendiese) zur Welt kommen. Diese Angst löst eine innere Abwehr aus, sicher auch die Angst, damit nicht klar zu kommen. Aus verschiedenen Gründen: Werde ich selber die Kraft haben, das zu tragen? Werden wir als Familie das tragen können? Wie wird unser Leben sein? Kann ich damit umgehen? Überfordert es mich nicht? Zerbreche ich daran, weil ich tagtäglich damit konfrontiert bin? Nicht nur einfach mit dem Umstand, dass das eigene Kind nicht gesund ist, sondern auch mit der Reaktion der Gesellschaft darauf. Dazu kommt die Wehmut über all das, was dem Kind verwehrt sein wird. Die Trauer über all die Dinge, die nicht möglich sind. Für das Kind und für einen selber. Wird man das packen?
Was ist die Alternative? Abtreibung. Doch dann setzt man sich all den Verurteilungen aus, die da sagen, dass das nicht geht, dass man damit Mord begeht, unmoralisch handelt. Doch haben all die, die laut schreien, ein Recht, das zu tun? Wer gibt es ihnen? Von aussen ist es einfach zu richten, tragen müssen es dann die, über die man entschieden hat, was geht und was nicht. Niemand nimmt ihnen ihre Trauer ab. Niemand die zusätzlichen Anstrengungen im Alltag. Niemand ist da, sie zu halten, sie zu stützen. Im Vorfeld waren sie alle laut. Danach still und weg.
Ich möchte nicht entscheiden müssen, wer ein Kind bekommen soll und wer nicht. Welches Kind auf die Welt kommen kann und welches nicht. Ich ziehe es nachher nicht auf. Das tut nur der, welcher es kriegt. Niemand lebt das Leben des anderen, wieso also will man sich anmassen zu sagen, wie er es zu tun hat?
Man liest in diesen Debatten immer wieder die schönen Berichte davon, wie viel man von Kindern, Menschen mit Downsyndrom erhält an Liebe, an Freude, an Glück auch. Das sind berührende Berichte, Berichte, die einem das Herz aufgehen lassen. Es sind Berichte, bei denen man Freude verspürt, dass es Menschen so gut geht, dass alle mit der Situation so gut klar kommen, diese Kinder das Glück hatten, in eine solche Familie geboren zu werden. Was aber, wenn es eben nicht so aufgeht? Die Familie an der Belastung zerbricht? Die Fröhlichkeit und Liebe des Kindes die Trauer nicht vergessen macht? Wem wäre gedient? Ich denke, niemandem.
Die konsequente Alternative wäre wohl, auf Sex zu verzichten, wenn man ein behindertes Kind nicht tragen will. Die ist aber wohl unrealistisch, der Mensch ist nicht dazu geschaffen, enthaltsam zu leben – zumindest nicht die Mehrzahl. Und so müssen wir wohl oder übel mit den Konsequenzen leben, die da heissen: Was tun, wenn die Natur nicht so will, wie man sich das ausgemalt hat.
Sehr gut geschrieben. Danke für das Teilen Deiner Gedanken. Es betrifft die Frage, die mich jeden Tag beschäftigt: Gibt es richtige und falsche Wertvorstellungen? Verheiratet mit einer Chinesin erlebe ich das jeden Tag. Wir sind in grundsätzlich verschiedenen Kulturen aufgewachsen. Einzelne Werte die ich als Kind lernte, hab ich bewahrt, andere aber verworfen und andere angeeignet. Schlussfolgerung: Richtige Wertvorstellungen gibt es nicht. Es gibt nur „andere“. Und das muss jeder einzelne Mensch mit sich selbst ausmachen, welche Werte für ihn wichtig und richtig richtig sind. Zu behaupten, eine eigene Wertvorstellung sei für alle andern auch richtig, ist eher anmassend – aber gerade in unserer Gesellschaft leider immer mehr verbreitet.
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Der Gedanke, dass es Wertvorstellungen gibt, die universal gültig sind, ist ein tröstlicher. Man denkt, man hätte einen Halt, eine Leitlinie, die einem immer den richtigen Weg weist. Leider ist das nicht der Fall. Wertvorstellungen sind zeitlich wie räumlich geprägt. Jede Zeit, jede Kultur hat ihre eigenen Wertvorstellungen und leitet davon seine Moral ab. Nur schon das zeigt die begrenzte Gültigkeit von Moral und damit davon, was richtig ist und was falsch.
Je tiefer man ins Private geht, desto persönlicher werden die Vorstellungen und Belange, in denen man über richtig und falsch zu entscheiden hat. Und ich denke, schlussendlich muss jeder für sich selber sein Leben leben. Ich sehe es darum wie du: Es ist anmassend, für einen anderen entscheiden zu wollen, wie er seine Entscheidungen zu treffen hat, wie er richtig und falsch handeln würde in seinem Fall. Schlussendlich muss er das selber ausbaden, was er entscheidet. Und da fangen in meinen Augen die Grenzen an, die ein Mensch für sich in Anspruch nehmen darf: Es gibt einen Bereich, in dem jeder einzelne für sich selber verantwortlich ist und für sich den Weg finden muss, den er gehen kann und will (sicher mit einer gewissen Rücksicht, aber nicht unter Vernachlässigung der eigenen Person und Wertigkeit).
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Der Test ist aus meiner Sicht absolut zu befürworten. Warum? Weil er die Fruchtwasseruntersuchung, die für das ungeborene Leben gefährlich ist und für zahlreiche Abgänge völlig gesunder Kinder verantwortlich ist, ablösen kann. Die moralische Frage dahinter, die Wertvorstellung, der Umgang mit ungeborenem Leben: Sollte im persönlichen Entscheidungsfreiraum der betroffenen Frauen, bzw. werdenden Eltern verbleiben.
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Es gibt ja schon länger diverse Tests in der pränatalen Diagnostik, einzelne davon invasiv (grösseres Riskio für Kind und Mutter), andere nicht-invasiv wie Ultraschall. Aus meiner Sicht ist hier speziell, dass nun eine genetisch bedingte Krankheit/Behinderung/Handicap, die bisher nur mit invasiven Methoden erkennbar war, mit der einfacheren nicht-invasiven Methode feststellbar ist. Dies wird wohl dazu führen, dass mehr kommende Eltern den Test machen werden, da weniger „direkte“ Risiken damit verbunden sind.
Dies wird wiederum dazu führen, dass mehr Paare vor der Frage stehen, was machen, wenn der Bescheid lautet, dass das ungeborene Kind unter Trisomie 21 leidet (Downsyndrom); das führt wohl zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen als bisher. Gemäss unserem Rechtssystem sind Schwangerschaftsabbrüche bis zu einer gewissen Zeit zulässig und sind in der Entscheidungsgewalt der Mutter. Mehr Abtreibungen und weniger Kinder mit dieser Krankheit/Behinderung/Handicap ist wohl die Folge. Dies von mir eine nüchterne Betrachtung ohne irgendwelche Wertung aus ethischer oder moralischer Sicht.
Persönlich finde ich, sind wir in der glücklichen Lage, Menschen mit Handicap zu integrieren und unser System erlaubt auch ein gutes Leben trotz Handicap. Du beschreibst sehr gut, was für Folgen entstehen können. Glücklich schätzen dürfen sich auch all jene, deren Beziehungen schwierige Entscheidungen wie Abreibung oder Geburt mit Handicap bewältigen können – keine Entscheidung ist hier einfach.
Es gibt viele Länder, da sind leider immer noch die täglichen Probleme und Schwierigkeiten grösser, da werden solche Kinder kaum überleben oder nur verkümmern.
Und wie du schreibst in einem Kommentar – ich finde auch dass jeder einzelne für sich selber verantwortlich ist und für sich den Weg finden muss, den er gehen kann und will. Und in diesem speziellen Fall ist dies vor allem die werdende Mutter (solange das Kind ungeboren ist, empfinde ich es als Teil von ihr) und der hoffentlich vorhandene kommende Vater, die darüber zu entscheiden haben. Ich hoffe, dass unser Land noch möglichst lange diese Verantwortung so lässt und wir nicht von radikalen Positionen auf beiden Seiten in eine andere Richtung gedrängt werden.
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Da ich die meisten – nicht alle – Abtreibungsgegner (aus Erfahrung) für in der Regel nicht betroffene Heuchler halte (Kirchenmänner, Politiker, sonstige Männer mit angeblichen „Werten“ …) hätte ich, der ich Abtreibung auch für die in den allermeisten Fällen schlechteste Lösung halte, folgenden Vorschlag: Die Gegner sollten aus ihrem persönlichen Einkommen einen nennenswerten Prozentsatz, der mindestens den realen „laufenden“ Kosten für ein Kind entspricht, in einen Fond einzahlen, aus dem dann die Mütter, die aus wirtschaftlicher Not oder gesellschaftlichen Zwängen oder eben Bedenken wegen „Behinderung“ heraus ein Kind abgetrieben hätten, soviel Geld und sonstige Unterstützung (Pflegehilfe, Umbauten von Wohnungen etc.) erhalten, dass sie und ihr(e) Kind(er) sorgenfrei leben könnten. Leider bin ich mir ziemlich sicher, dass ich problemlos JEDE Wette eingehen könnte, dass nach Inkrafttreten einer solchen gesetzlichen Vorgabe zur „Anti-Abtreibungssteuer“ die Zahl der Abtreibungsgegner ganz plötzlich gegen Null schrumpfen würde.
Was würde z.B. die (kath.) Kirche, die sich allein in Deutschland (von ALLEN Steuerzahlern, nicht nur von der Kirchensteuer) Hunderte Bischöfe mit einem Monatsgehalt von ca. 10’000 € + Dienstwohnung + Dienstwagen mit Chauffeur zahlen lässt, daran hindern, dieses Geld für den Schutz und die Erhaltung ungeborenen Lebens durch massive finanzielle Unterstützung der Eltern auszugeben? Aber die braucht ihr Geld ja lieber für „Militärseelsorger“, die Waffen zur Vernichtung von bereits geborenem Leben segnen … und das ist nur die Spitze des Eisbergs „heuchlerisches Pack“ …
Sorry für die Abschweifung vom Thema, aber ich bin sicher: Wenn alle Mütter/Eltern sicher wüssten, dass sie und ihre (behinderten oder nicht behinderten) Kinder sorgenfrei leben könnten und jegliche Unterstützung erhielten, die möglich ist, – und der notwendige Reichtum dafür ist gesamtgesellschaftlich vorhanden!* –, gäbe es diese Diskussion um pränatale Untersuchungen und deren Folgen (fast) gar nicht oder nur in einer sehr reduzierten Form, oder?
*Man kann immer nur wieder Jean Ziegler zitieren, dass wir längst mehr Nahrungsmittel herstellen, als die Menschheit bräuchte, d.h. jeder verhungerte Mensch eigentlich wissentlich ermordet wird. Und da geht es „nur“ um die Nahrungsmittel … Kriegskosten u.ä. sind da noch gar nicht mit eingerechnet.
PS: Angeblich hätte man von den Kosten des II. Weltkriegs jeder Familie auf der Erde ein Eigenheim bauen können (nach westlichen Standards). In den 1980er Jahren lagen die monatlichen (oder waren es gar die wöchentlichen …?) Rüstungskosten weltweit so hoch wie die gesamten Kosten des II. WK … heute liegen sie natürlich darüber … Allein von den Kosten des Irak-Krieges hätte man jedem Iraker 80’000$ auszahlen können = die würden im Paradies leben und wären die grössten Fans der „westlichen“ Lebensweise …und es hätte KEINE Menschenleben gekostet. Aber solange selbst die grossen Kirchen an Rüstungsproduktion und Waffenhandel satt verdienen … na, ich hör schon auf, ist nicht gut für meinen Blutdruck 🙂
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Schon dich, ja, nicht dass mein Blog noch Schuld an deinem Blutdruck ist 😉 Aber es ist sicher viel Wahres dran. Die Umverteilung der vorhandenen Güter würde so manches Problem heutiger Zeit lösen, doch das liegt selten im Interesse derer, die das zu verteilende Gut haben. Die nutzen es lieber, ihren persönlichen Profit weiter auszubauen und die damit verbundene Machtstellung zu fundieren. Traurig, aber wahr – aber ein anderes Thema – vielleicht für einen nächsten Blog. Danke für deinen Kommentar!! Und nun: Ruhig Blut 😉
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