Grosse und kleine Welten

Die Welt ist schlecht und sie ist laut. Alle denken, je lauter sie schreien, desto besser werden sie gehört. Die leisen Töne sichern ungehört ins Nirgendwo, fast als wären sie nie gesprochen worden. Pessimisten unken, dass das immer so war und immer so sein würde. Der Mensch ist träge und faul, er geht lieber mit der Masse, folgt dem, der am lautesten die Parolen verkündet, weil den die meisten hören und ihm auch folgen. So geht die Masse im Gleichschritt, unhinterfragt, unbedacht, unbewusst – wie Marionetten.

Dass die Welt so sein mag, die Geschichte das belegt, die Gegenwart es bestätigt, mag stimmen. Dahinzugehen und die ganze Welt und alle Menschen ändern zu wollen, wäre ein Anspruch, der mit dem Kampf gegen Windmühlen vergleichbar wäre. Was aber immer in unserer Macht liegt, ist im Kleinen anzufangen, bei sich selber und in seinem Umfeld. Es ist nie zu spät, hinzuhören, wie man selber agiert und hinzuhören, was andere sagen. Man kann auch genauer hinhören, wenn man nur leise Töne hört, sie annehmen, aufnehmen, hinterfragen. Man kann mit einem neuen Bewusstsein ans Leben und ans Miteinander gehen und damit den leisen Tönen und ihren Verkündern wieder eine Plattform bieten. Und dabei entwickelt man vielleicht auch ein Bewusstsein für sich selber und dafür, was man im Leben will, wie man dieses gestalten will und wem oder was man wirklich Platz einräumen will, was draussen bleiben soll.

Nicht immer hat der recht, der am lautesten ruft, oft ist er nur am besten gehört. Wenn man im Kleinen anfängt, auf den Inhalt zu hören statt sich der Bequemlichkeit anheimzugeben, kann man im eigenen Leben sicher einige Weichen umstellen – für sie und seine Nächsten. Glaubt man der Yogaphilosophie, dann wird sich dieses Verhalten auch verbreiten. Vielleicht nicht im Sauseschritt, aber in kleinen nachhaltigen Schritten. Bewusstsein zieht Bewusstsein nach sich, das Erfahren von Dingen im Umfeld setzt sich im Inneren nieder und verändert da die Strukturen des eigenen Denkens, Handelns und Fühlens. Dass die Welt von heute auf morgen revolutioniert ist, wäre utopisch, aber wieso will man immer gleich die Welt ändern?

Meist ist der Anspruch, das Grosse anpacken zu wollen und alles zu lassen, wenn das nicht geht, eine Flucht vor der eigenen Verantwortlichkeit. Das unmögliche Grosse gibt einem die Rechtfertigung, das Kleine zu lassen. Man muss sich nicht drum kümmern, weil man belegen kann, dass es eh nichts bringen wird, die Welt dieselbe bleibt. Für die ganze Welt mag das (sicher kurz- und mittelfristig) so sein, für die kleine Welt stimmt das in meinen Augen nicht. Wir haben sehr viel in der Hand, wir müssen es nur wahrnehmen und uns dessen bewusst werden. Oft sind die vielen kleinen Schritte für das eigene Sein unendlich heilsam, weil sie eine neue Qualität bringen. Wo vorher Geschrei und Gleichschritt herrschte, könnten plötzlich leise Klänge und Eigenverantwortung stehen. Und damit könnte ein Weg sich öffnen, den man selber gewählt hat, statt ihn nur blind mitzugehen. Man muss nur den ersten Schritt machen.

Verantwortung fürs eigene Leben

Wir leben in einer Zeit, in der alles möglich ist. Tabus werden gesprengt, Grenzen ebenso. Wir kommen immer höher, weiter, tiefer. Der Mond wird erforscht, der Ozean ebenso. Wir haben Bilder von den Vorgängen im Gehirn und wissen, was im menschlichen Gehirn abgeht, wenn er handelt. Der Schritt dahin, das Gehirn so zu verändern, dass der Mensch handelt, wie er soll (von wem immer auch bestimmt), ist ein kleiner. Der Mensch ist eine Marionette. Wenn nicht schon, dann bald.

Alles ist möglich. Du kannst alles erreichen, wenn du nur dran glaubst. So oder so ähnlich klingen all die markigen Sprüche der Aussteigerbewegungen. Seien es Religionen, Sekten, Philosophien – alle predigen sie den Ausstieg aus dem Hamsterrad des als unsinnig deklarierten Allgemeinen der Gegenwart. Der Mensch schaut hin, verzweifelt ob der oft als unmenschlich wahrgenommenen Realität und denkt sich aufgehoben in neuen Werten. Diese Werte orientieren sich immer an den aktuellen Strömungen und formulieren Gegenwerte. Sie sind nie unabhängig, nie selber stehend. Ihr Fundament ist immer das, was sie bekämpfen. Der Mechanismus ist ein wirklicher: wir sind dagegen. Fällt die Basis des Bekämpften, fällt auch das Dagegen. Es gibt wieder nur Verlierer.

Ist wirklich alles möglich? Kann man einfach dem eigenen Herzen folgen, nur noch tun, was grad beliebt, erreichen, was man gerade im Sinn hat? Klar klingt das verlockend, ich denke aber nach wie vor, dass es unrealistisch ist. Alles im Leben hat seinen Preis. Und das Leben des Einzelnen ist nie unabhängig. Wenn es das ist, ist der Lebende eine arme Sau. Er ist verdammt einsam. Sobald da nur schon ein Mensch ist, besteht eine Abhängigkeit. Die muss nicht mal definiert sein, sie kann ganz einfach in irgendwelchen emotional begründeten, verbal nicht fassbaren Komponenten bestehen. Und schon geht nicht mehr alles. Man muss Rücksicht nehmen. Muss sich einschränken. Sind da mehr als nur ein Mensch, mehrere Menschen, werden die Rücksichten grösser.

Dann kommt da noch die ganze vermaledeite Gesellschaft dazu. Man will sich lossagen. Findet, die sei überbewertet, alter Zopf. Aber man steckt drin. Wuchs drin auf. Hat die Werte verinnerlicht. Das rigorose Nein dazu wäre auch nur von ihr selber genährt, weil man all das, was sie sagt, verneint. Wozu könnte man noch nein sagen, schwiege sie? Und wo wäre man, gäbe es sie nicht? Wo wäre man, gäbe es all die nicht, wegen denen  man Rücksicht nehmen musste, Dinge nicht verwirklichen konnte?

Es ist nie alles möglich. Die Illusion, es wäre so, führt ins Verderben – zumindest in die unendliche Unzufriedenheit. Alles im Leben hat seinen Preis. Wichtig ist, zu wissen, was man wirklich will und was man bereit ist, dafür zu bezahlen. Ist der Preis zu hoch, war der Wunsch zu klein. Ist der Wunsch gross, nimmt man den Preis in Kauf. Allen macht man es nie recht. Die Frage ist: Ist man sich selber so viel wert, dass man alle andern den eigenen Wünschen opfert, wiegen die doch mehr, dass man mal zurücksteht? Schlussendlich liegt die Entscheidung bei einem selber. Die Verantwortung auch. Es ist zu einfach, dem anderen die Schuld für die eigenen Entscheidungen zuzuschieben.

In guten wie in schlechten Tagen

Der Mensch ist ein Beziehungstier. Je näher einem andere Menschen sind, desto enger ist die Beziehung, desto grösser ist auch das Gefühl von Verbundenheit, von Miteinander, von Verantwortung. Man geht gewisse Stücke des Weges gemeinsam, schwört sich vielleicht, wenn es der Ehemann, die Ehefrau ist, ewige Treue, Zusammenhalt, in guten wie in schlechten Zeiten. Und die guten Zeiten sind toll, man durchlebt sie, feiert sie, geniesst sie, liebt sich, ist froh. Es gibt auch schlechte Zeiten, man übersteht sie, im Wissen, es kommen wieder andere. Man geht durch die Tiefen im Hinblick und in der Hoffnung auf bessere Tage. Und man geht am Schluss stärker daraus hervor. Man hat es geschafft.

Eines Tages kommt das nächste Tief. Eines, das kein Hoch mehr bringt. Eines, das nur noch tiefer geht. Immer tiefer, bis zum Schluss. Krankheit, Zerfall – unheilbar. Und man hat sich geschworen, dass man auch in schlechten Tagen da ist. Fühlt sich verpflichtet, aus Dankbarkeit für die guten gemeinsamen Tage, Wochen, Monate und Jahre, die ohne den anderen nie so gut gewesen wären, wie sie es waren. Man fühlt sich verpflichtet aus Liebe, die wuchs, über all die Jahre mit all den Höhen und Tiefen, durch all das Gemeinsame, das verbindet. Und man geht es an. Verspricht dem Partner: Ich bin da, ich trage dich, ich lasse dich nicht fallen. Ich bin an deiner Seite. Und man will das. Will es mit dem ganzen Herzen und erachtet es als gut und richtig.

Und es geht bergab. Mal mehr, mal weniger, die eigenen Kräfte schwinden, die Anforderungen steigen. Doch es gibt noch immer wieder gute Momente. Und noch immer die Erinnerung an das, was war und an das, was man schuldet. Und man macht weiter. Aufgeben gilt nicht. Man kann doch den Menschen, den man liebt, nicht einfach fallen lassen. Man hat es versprochen. Man will es halten. Und irgendwie ist man es auch schuldig. Ihm, sich selber und man denkt, auch die Gesellschaft erwartet es. Was denken die, wenn man einfach aufgibt, ein Heim sucht? Man wäre ein Verräter. Man hätte versagt, aufgegeben, das Versprechen gebrochen. Man hätte den Menschen, der da war, als er konnte, fallen gelassen, als er sich nicht mehr wehren konnte.

Im Moment gibt es gerade eine Kampagne von sogenannten Promis, die für menschenwürdigen Umgang mit Alzheimerpatienten werben, die von Freude im Umgang und positiven Erlebnissen sprechen. Ein Mensch, der nicht mehr weiss, wie er heisst, wie seine Kinder heissen, dass er Kinder hat, der spürt in seinem kurzen hellen Moment selber, dass er nicht mehr ist, wer er einmal war. Und das ist das, was die eigene Würde schrumpfen lässt. Und diese Kampagne verstärkt den Druck auf die Angehörigen, der eh schon immens ist. Sie macht nichts besser. Die Situation bleibt, wie sie ist. Daran ändern tolle Sätze und strahlende Gesichter nichts.

Doch: Wo bleibt der Angehörige? Wer kümmert sich um seine Rechte? Sein Leiden? Oft gehen die Angehörigen durch die Hölle und drunter. Sie erleben hautnah den Zerfall des geliebten Menschen, was an sich schon eine Qual ist. Dazu kommt die Belastung der Pflege und in gewissen Fällen auch die Unberechenbarkeit des Kranken. Wer schon mal erlebt hat, wie man sich fühlt, wenn ein nicht mehr selbständig denken und handeln könnender Mensch verschwunden ist, weiss, wovon ich schreibe. Das ist keine Freude, das ist kein positives Erlebnis. Das ist Panik: Lebt er noch? Wo ist er? Wie finde ich ihn wieder? Das ist Verzweiflung. Ist Selbstzweifel: Habe ich versagt? Und Hilflosigkeit: Ich bin ihm, dem Schicksal und allem ausgeliefert. Es ist Resignation: Ich habe kein eigenes Leben mehr.

Was schuldet man einem anderen Menschen? Was ist Pflicht? Würde ich wollen, dass jemand sein Leben und sich selber aufgibt, um sich aufzuopfern für mich, die ich sowieso nicht mehr das Leben führe, das ich führen will? Die ich sowieso nicht mehr ich bin? Ich würde mir wünschen, dass der von mir geliebte und mich liebende Mensch alles tut, dass es mir meinen Umständen entsprechend gut geht. Niemand mich plagt, niemand mich verletzt. Aber mich pflegen? Vor allem, wenn er selber nicht mehr kann? Das wäre nicht das, was ich dem  geliebten Menschen wünschen würde.

Man kann nun dahin gehen und sagen, das sagt sie so leicht, sie ist gesund. Oder: Sie steckt nicht drin. Ja, das ist momentan so. Und ich bin sehr dankbar dafür. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass es nichts bringt, sein eigenes Leben zu opfern für das Leben des anderen, vor allem, wenn man ihm damit nicht hilft. Oft steckt viel mehr Pflichtgefühl, Stolz und Zwang dahinter als wirkliche Pflege- und Hilfskompetenz. Wieso nicht diese Bereiche Menschen überlassen, die darin geschult sind, selber den Part der Liebenden und Sorgenden behalten? ich operiere ja auch nicht des Partners Beinbruch, nur weil ich sagte, immer für ihn da zu sein. Wieso denke ich, ich muss seine noch viel tiefer greifenden Krankheiten pflegen, im Griff haben?

Das Thema ist schwer. Und es ist traurig. Ich kenne es theoretisch und praktisch. Am Schluss bleibt immer das Gefühl, dass es kein gut oder schlecht gibt. Am Schluss bleibt die Trauer.

Suizid – Verbrechen oder Recht?

„Nichts ist dümmer und letzlich auch krimineller, als ein kaum angefangenes Leben wegzuwerfen, ohne auch nur zu ahnen, welche Überraschungen und spannenden Erlebnisse es für einen bereithält. Die Sterbezeit beginnt doch erst, wenn Neugierde und Lebenslust dauerhaft nachlassen, wenn der Überdruss unüberwindlich wird“, hörte er des Vaters Stimme von fern her flüstern.

Hat der Vater – in diesem Fall Thomas Mann, wie ihn Michael Degen in seinem Buch „Familienbande“ nach dem Selbstmordversuch seines jüngsten und ungeliebten Sohn Michael sprechen lässt – recht? Ist es dumm und (in einem moralischen Sinne) kriminell, sein Leben eigenständig zu beenden, bevor die Uhr abgelaufen ist? Oder gibt es eine Altersgrenze, welche besagt, dass man es vorher nicht dürfe, danach der Schritt aber akzeptabler wäre? 

In Thomas Manns Familie war Selbstmord keine Seltenheit. Seine beiden Schwestern haben sich umgebracht und zwei seiner Söhne gingen diesen Weg ebenfalls. Klaus wählte diesen Weg wohl aus Verzweiflung, weil trotz seines Talents nichts so gelang, wie er sich das wünschte, weil die Drogen kein Entrinnen zeigten, weil das Leben ihn von einer Enttäuschung in die nächste führte, immer den dominanten und erfolgreichen Vater im Nacken, aus dessen Schatten er nie kam. Michael Mann war erfolgreich.  Als Musiker und als Professor für Germanistik. Und doch beendete er sein Leben lange nach seiner schweren Zeit als ungeliebtes Kind zu Hause bei den Eltern. Konnte er sich nie von den Verletzungen lösen, die dieses kalte und lieblose Elternhaus bei ihm zurückliess?

Darf man einfach dahin gehen und sich umbringen? Hat man das Recht, das Leben, das einem geschenkt wurde, mutwillig zu beenden? Glaubt man an Gott, ist das Leben ein Gottesgeschenk. Sich dem zu entziehen wäre in dem Fall Undank gegen den grossen Schöpfer. Doch was ist, wenn man nicht an Gott glaubt? Wem schuldet man sein Leben? Den Eltern? Haben sie einen gefragt, ob man leben will? Sie haben das für einen bestimmt, wie so vieles mehr im Leben. Sie bestimmen die Religion, in die man hineingeboren wird und in welcher man die ersten Jahre des Lebens verbringt, bestimmen die Regeln, moralischen Grundsätze und Wertvorstellungen, die im familiären Haushalt gelten und zu befolgen sind. Sie sagen, was gut ist und was schlecht und sie prägen damit ganz massgeblich das Heranwachsen und die Entwicklung einer Persönlichkeit. Irgendwann wird man flügge und entscheidet selber. Man kann sein Leben selber in die Hand nehmen und trägt fortan die Verantwortung für sein Leben. Kann man sich aber wirklich ganz lösen? Von allem? Der Blick auf die Familie Mann scheint eine andere Sprache zu sprechen. 

Muss man leben, wenn man dieses Leben nun mal hat? Gibt es eine Pflicht zu leben? Es gibt ein Recht zu leben, dieses Recht ist ein Menschenrecht und niemand darf es einem nehmen. Aber eine Pflicht? Und wenn ich das Recht auf mein Leben habe, habe ich dann nicht auch das Recht auf meinen eigenen Tod? Darf ich nicht frei entscheiden, was ich mit diesem Leben anfangen will, ob ich es weiter führen oder aber beenden möchte? Bin ich kriminell und dumm, wenn ich beschliesse, dass das Leben nicht lebenswert ist für mich, zu hart, zu grausam, zu kalt? Vielleicht auch hoffnungslos?

Bin ich schwach, wenn ich den Weg in den Suizid gehe, weil ich mich feige vor den Herausforderungen des Lebens drücke oder bin ich  mutig, da ich den Weg in den Tod gehe, den Weg also, den die meisten Menschen so sehr fürchten? Welche Angst wäre grösser als die vor dem Tod? Und wenn einer ihn wählt gegen das Leben, wie schwer muss ihm dann dieses Leben gefallen sein?

Muss man jemanden retten, der nicht mehr leben will oder sollte man seinen Entscheid respektieren? Welche Gründe sind Grund genug für diesen Schritt, wo ist er akzeptabel? Nie? Immer? Mal so, mal so?

Suizid ist ein grosses Tabuthema. Er wird als feige, als schwach, als rücksichtslos, als egoistisch gesehen. Immer aber steckt viel Leid dahinter. Leid bei dem, der den Weg wählt. Wie verzweifelt muss er gewesen sein? Er sah sah nicht mehr genug Licht, das ihn hielt, das Dunkel erdrückte ihn. Er sah nicht mehr genug Sinn, fühlte sich nur noch hilflos, ausgeliefert, allein, überfordert. Das Leben war schlimmer als die gröste Angst des Menschen: der Tod.

Nach der Tat ist das Leid beim Umfeld. Im Raum stehen all die offenen Fragen: Hätten wir was tun können? Haben wir versagt? War es unsere Schuld? Haben wir nicht hingeschaut? Wie konnte er uns das antun? Was hat er aufgegeben? Wieso er? Er hatte doch so viel. Und man fängt an zu sehen, was er alles (in den eigenen Augen) hatte. Erfolg, Geld, Familie – all das, was einem selber erstrebenswert vorkommt legt man in die Waagschale des Lebens und sieht den Tod als sinnlos und unverständlich. Vergisst dabei aber, dass der Gegangene wohl eine andere Rechnung hatte. Dass ihm etwas (Lebens-)Wichtiges fehlte. Dass er ohne dieses Etwas das Leben nicht mehr lebbar empfand. Und sich zu einem Schluss entschloss. Für sich.

Ich denke, Selbstmord ist immer egoistisch. Das ist nicht negativ gemeint, sondern soll heissen, dass es nicht gegen jemanden anders gerichtet ist. Mit Selbstmord will man niemandem etwas heimzahlen, keine Rache üben. Es ist eine Tat an sich für sich. Man will sich selber erlösen aus etwas, das man selber nicht erträgt, nicht ertragen will und vermutlich nicht ertragen kann. Die Schuldfrage ist dabei müssig, es kommt wohl zu viel zusammen. Bei den Söhnen Thomas Manns ist man schnell dabei, die Kälte, Härte und Dominanz des Vaters als schuldig zu sehen. Die Söhne zerbrachen daran. Mag sein. War er schuld? Liest man seine Tagebücher, litt er genauso und konnte nicht ausbrechen, kanalisierte sein Leiden im Schreiben. Die Schuld ginge damit eine Generation zurück – der Selbstmord der Schwestern würde diese Schlussfolgerung unterstützen. Und vermutlich könnte man auf die Weise Glied für Glied zurück gehen und sehen, dass keiner aus seiner Haut konnte, jeder aber wohl die Möglichkeit hatte, mit dem Erlebten umzugehen. Die einen schafften es, für sich einen Weg im Leben zu finden, die anderen sahen nur den Tod. Und alle gingen ihren Weg.

Von aussen zu urteilen ist einfach. Man steckt nie drin. Fühlt nie das Leid. Fühlt nie den Schmerz. Schlussendlich hat jeder die Verantwortung für sein eigenes Leben. Man kann da sein für den anderen, kann helfen, unterstützen, lieben, die Hand bieten. Am Schluss wird man akzeptieren müssen, welchen weg er wählt. Im Leben oder ausserhalb. 

 

Neonazis bei Facebook und YouTube

Neonazis rekrutieren zunehmend über Facebook und YouTube. So lautet die Überschrift eines Artikels in Der Standard, einer österreichischen Zeitung.

Bezugnehmend auf einen Artikel von Jugendschutz.at heisst es, dass Facebook und YouTube zu den wichtigsten Rekrutierungsfeldern der rechtsradikalen Szene geworden ist. Vor allem Jugendliche werden so angesprochen. Dabei gehen die Drahtzieher verdeckt vor, indem sie die Zielgruppe mit Themen, die brennen ködern, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Finanzkrise oder sexueller Missbrauch. Weiterführende Links zielen dann direkt in die rechtsradikale Szene hinein.

Dass dies möglich ist, führen die Schreibenden auf mangelnde Kontrollen und vor allem fehlende Sanktionen zurück.

Sind wir zu lasch im Zusammenhang mit Rechtsradikalen? Müsste man direkter vorgehen? Mehr Kontrollinstanzen schalten? Dass der Rechtsradikalismus immer extremer wird, ist keine Neuigkeit, die Problematik ist schon lange Thema. Zumindest, wenn gerade aktuell etwas passiert. Dann versandet das Thema wieder, bis es wieder aktuell wird. Zwischendurch herrscht Vogelstrausspolitik, möchte man annehmen. Im Stil von „solange wir nichts hören, wird schon alles gut sein. Und diese Ruhezeiten lässt die Szene wachsen. Lässt ihre Sicherheit wachsen, dass sie es sich leisten können, nach aussen zu gehen, ihr Gedankengut zu verbreiten.

Die Taktik ging schon einmal auf. Ein Mann stand auf der Rednerbühne in der wirtschaftlich schwachen Zeit, versprach, unter seiner Führung würde alles besser, wenn man nur die Feinde besiege, die, welche das System untergraben, die Arbeitsplätze stehlen, verschlagen, falsch, profitgierig seien. Und die Juden wurden verfolgt. Heute sind es nicht die Juden. Es sind die Migranten, die Asylanten, alles, was nicht ins kleinkarierte Denken von heiler heimischer Welt passt, wird angegriffen, angefeindet, soll bekämpft werden. Zwar haben wir keinen Führer, der von ganz oben die Devisen durchgeben kann, doch die kleinen Ameisen untergraben das Rechtssystem. Sie graben ihre Höhlen im Berg, von aussen oft unbemerkt, innen langsam aushöhlend.

In letzter Zeit häufen sich die Meldungen verbaler Entgleisungen. Dabei handelt es sich aber nur um dumm dahergeschriebene Gewaltphantasien. Das allein ist schon bedenklich genug. Die Rekrutierung neuer MItglieder über soziale Medien geht dabei einen Schritt weiter. Die Szene will wachsen und schafft es über diese Medien auch. Dem sollte dringend ein Riegel vorgeschoben werden. Das Thema ist zu sehr in Vergessenheit geraten. Zu sehr herrscht die Meinung, das sei lange vorbei, Geschichte, nicht mehr aktuell. Und überhaupt sei es schon zu sehr durchgekaut, man hätte genug davon, man solle einen Schlussstrich ziehen.

Den zu ziehen wäre fatal. Das Ereignis der Shoah darf nicht vergessen werden. Und sollte nicht verschwiegen werden. DIe letzten Überlebenden sterben langsam alle, zurück bleibt Schweigen. Das wäre ein zweiter Tod. Der darf nicht sein. Es ist die Pflicht der heutigen Generation, der Opfer zu gedenken. So leben sie weiter, wenn ihnen dieses Recht schon in der realen Welt auf grausame Weise genommen wurde. Doch die Pflicht geht weiter. Sie betrifft die aktuelle und die zukünftige Generation. Wir schulden ihnen, gegen solche Strömungen anzugehen. Es ist unsere Pflicht, alles nur erdenklich Mögliche zu tun, dass es nie mehr zu so gewaltigen Ausschreitungen kommen kann. Ziel wäre ein friedliches Zusammenleben verschiedener Nationen, Glaubensrichtungen, Hautfarben, Denkrichtungen. Niemand muss die Meinung des anderen teilen, doch akzeptieren sollte man sie.

Was also wäre zu tun? Betreiber einer Plattform müssten genügend Sicherheits- und Kontrollmechanismen einbauen, dass rechtsradikales Gedankengut keine Verbreitung finden kann und die Verbreiter an die Mangel genommen werden können. Benutzer solcher Plattformen sollten die Courage und das Verantwortungsbewusstsein dem System gegenüber haben, Verstösse zu melden. Sie sollten nicht einfach wegschauen, denken, es gehe sie nichts an. Es ist an uns allen, gegen rechtsradikale Strömungen anzugehen.