Status Quo

Jahresrückblicke hatten wir viele, ebenso  Vorsätze fürs neue Jahr oder aber Bilanzen des letzten. Es wird hier weder das eine noch das andere folgen, einfach ein paar Gedanken, die mir in letzter Zeit kamen. Alles willkürlich, alles hatte Auslöser und Gründe, nichts ist weltbewegend, trotzdem lag es mir im Sinn:

– Ich bin 40. Damit bin ich alt. Ich habe gestern den deutschen Bachelor gesehen und die Frauen da könnten teilweise meine Töchter sein. Erschreckend. 

– Ich dachte immer, ich kann nicht singen. Ich vermied zu singen aus eben diesem Grund. Nachdem ich gestern das Casting zu DSDS schaute, muss ich zwar nicht mein Urteil revidieren, dazu stehe ich noch immer, aber ich kann beruhigt singen, denn es gibt welche, die singen effektiv schlechter und tun das noch öffentlich. 

– Ich schaue zu viele schlechten Sendungen. Das sind alles Formate, die man tunlichst vermeiden sollte, wenn man etwas auf sich und seinen kulturellen Bildungsstand hält. Selbst wenn man diesen aussen vor liesse, fänden sich genügend ethische, moralische und  anderweitige Gründe, es nicht tun zu dürfen. Ich muss gestehen: Ich mag die. Sie unterhalten mich besser als ein Krimi, bei dem ich von Anfang an den Täter kenne oder eine Liebessülze, deren Ausgang genauso vorhersehbar ist (inklusive zwischenzeitliche Verstrickungen). 

– Eigentlich bin ich noch ganz gut in Schuss. Da ich heute schnell heim wollte, rannte ich den ganzen Weg zurück mit dem Hund. Andere würden das joggen nennen. Dazu bin ich zu faul. Ich nenne es effizientes Heimkommen. Und das klappte doch ganz gut. So alt ist 40 also doch nicht. Mir fällt grad ein Stein vom Herzen. Ob ich den mit übrig gebliebenen Weihnachtskeksen auffüllen darf?

– Ich bin verfressen. Ich denke an Weihnachtskekse im Januar. Und ich will entgegen aller Empfehlungen aus Hausarztwartezimmerzeitschriften keine Januardiät machen. Das geht gar nicht. Damit degradiere ich mich zum Einzelkämpfer. Ich bin wohl asozial. 

– Ich bin gar nicht so, wie die mich sehen, die mich gar nicht kennen. Letztes Jahr regte ich mich noch drüber auf. Dieses Jahr schmunzel ich schon. Wenn das so weiter geht, kriegen die bald den Schweizer Comedy Award, weil selten wer so gelacht hat. 

– Das Singleleben ist toll. Gerade erzählte mir mein guter Freund, dass er das ganze Wochenende lesen würde. Meine Meute würde mir was  husten, täte ich das tun wollen, was ich eigentlich auch tun wollte, täte ich es denn tun können. Leider tu ich es nicht tun können, tu schon nicht mal davon träumen aus Gründen der Nichttubarkeit. Aber tun können täten täte ich es gerne. Ok, wenn ich Glück habe, werde ich bekocht. Da greift dann der Punkt von vorher. Und alles kann man wohl nicht haben… wobei: ich könnte lesen, während ich bekocht werde. Und vorher müssten die Zutaten eingekauft werden, sprich: noch mehr Lesezeit. Irgendwie klingt mein Wochenende grad sehr gut. 

– Das Leben ist eigentlich ganz in Ordnung. Zwar auferlegt es einem immer mal wieder Prüfungen, man hadert, zaudert, zürnt. Doch bringt es einem doch immer auch so viele positive Dinge, dass man unterm Strich sagen kann: Eigentlich geht es uns gut. Klar kann man nun einwenden, dass ich nicht weiss, wie es denen geht, die das grad lesen, doch zeugt nur schon der Umstand des Lesens davon, dass sie lesen können, einen Computer besitzen, Zugang zum WWW haben und wohl momentan wohlgenährt in der warmen Stube sitzen, was sie zu den Privilegierten dieser Welt zählen lässt. Insofern: Es geht uns gut. 

– Zu guter Letzt: ich sollte früher schlafen gehen. Jeden Morgen kämpfe ich mit der Gravitation, überlege mir, wieso ich genau diesen Morgen liegen bleiben könnte, müsste, dürfte, um mich dann ächzend und stöhnend (und nein, das hat nichts, aber auch gar nichts mit Punkt eins dieser Liste zu tun) aus den Laken zu schälen und mit zugekniffenen Augen den täglichen Pflichten zu stellen. Wenn ich es mir so richtig überlegen würde, käme hier der Punkt mit dem Singleleben wieder ins Spiel: Ich müsste gar nicht aufstehen… andererseits müsste ich nun noch mit dem Hund raus, statt einfach ins Bett zu purzeln (wieder mal zu spät). 

Irgendwas scheint immer zu sein, aber grundsätzlich ist alles gut. Also eigentlich. Ausser… aber  eben….

Diane Broeckhoven: Kreuzweg

Nach fünfunddreissig Jahren kennt Theo Jesper jede noch so kleine Unebenheit, jede Mulde auf dem Bahnsteig, und doch geht er heute Morgen wie auf Eiern.

Auf einem Bahnhof in einem kleinen Ort beginnt die Geschichte und endet ebenda. Es ist die Lebensgeschichte einer Frau, welche auf die Geheimnisse ihres Lebens zurück blickt. Es ist ein Leben voller Schmerz, voller Tragik. Ein Leben, in welchem ihre Worte nicht gehört wurden und in dem sie bald keine Worte mehr findet für das, was ihr geschah.

 Alles wirkte so schrecklich alltäglich. Also beschloss ich, dass das alles überhaupt nicht passiert war. Dass ich das bloss geträumt hatte. Ich zog einen schweren Vorhang vor den Albtraum, der mich mit Scham erfüllte, und kehrte ihm den Rücken.

Sie zieht sich zurück, igelt sich ein, versteckt sich vor ihrer Umwelt und trägt ihre Geheimnisse selber aus. Später flieht sie vor ihrem Leben, bricht auf in ein neues, welches mit Erfolg und vor allem mit Vergessen gekrönt ist. Erst als der Vater alt und krank ist, kehrt sie zurück, stellt sich ihren Erinnerungen und merkt, wie diese langsam ihre Macht verlieren, dass sie die Vergangenheit ruhen lassen kann, sich nicht mehr davor fürchten muss.

Diane Broeckhoven erzählt mit sparsamen Worten einfühlsam den Weg einer jungen Frau, die versucht, ihr Leben von den Geistern zu befreien, die andere diesem aufgeladen haben. Dabei gelingt es, die Sprachlosigkeit der Protagonistin literarisch umzusetzen, sie den Leser fühlen zu lassen. Immer schwebt ein Geheimnis über dem Buch, welches zwar durchschaut werden kann, nie aber erzählt wird. So weiss der Leser zwar bald, was passiert ist, er sieht aber nur die Folgen davon und trägt sie lesend mit.

Fazit:

Ein berührendes, beklemmendes Buch über eine Frau, die versucht, ihren eigenen Erinnerungen zu entkommen. Ein herausragendes Werk, das ich jedem nur ans Herz legen kann.

(Diane Broeckhoven: Kreuzweg, übersetzt von Isabel Hessel, C.H.Beck Verlag, München 2012.)

Bild Angaben zum Buch:

Gebundene Ausgabe: 124 Seiten

Verlag: Beck Verlag (23. August 2012)

Übersetzung: Isabel Hessel

Preis: EUR: 14.95 ; CHF 21.90

 

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