Tagesbild: Bunt ist die Hoffnung

«Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.» Ernst Bloch

Angst ist ein schlechter Ratgeber, heisst es landläufig. Ernst Bloch fand das nicht zwingend. Wichtig aber fand er, zu ergründen, woher sie kommt, was sie auslöst und welche Bilder sie für die Zukunft malt. Auf dieser Grundlage sollte die Hoffnung entstehen. Der Gedanke: «Es könnte auch anders kommen.» Ist ein wichtiger, einer, in dem die Kraft der Veränderung angelegt ist. Er fängt mit der Hoffnung an und führt im besten Fall zum Tun.

«Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.» Ernst Bloch

Es ist nie sicher, ob das Vorhaben gelingt, doch wenn wir es nicht probieren, dann haben wir schon verloren. Ansonsten lernen wir dazu und versuchen es nochmals. So lange, bis es gelingt. Und immer wieder, so auch hier, kommt mir meine Lieblingszeile von Rilke in den Sinn, die gleichzeitig auch mein Lebensmotto ist:

«Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
Die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
Aber versuchen will ich ihn.»

Habt einen schönen Tag!

Tagesbild: Bad Hair Day

«We don’t see things as they are, we see things as we are.» Anaïs Nin

Es gibt den schönen Spruch, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Wenn zwei Menschen das Gleiche sehen, sehen sie oft nicht dasselbe. Jeder sieht, was er durch sein So-Sein, seine Prägungen, Muster, Gewohnheiten, Erfahrungen hineinlegt. Hockney bezog sich auf diesen Umstand, als er die Kamera als Gefahr für die Kunst sah. Viele Maler kämen vom gegenständlichen Malen ab, weil sie dächten, die Kamera erfasse die Dinge genauer. Aber, und der Gedanke findet sich schon bei Cézanne, eine Kamera erfasse nicht gleich viel wie der Mensch. Die Wirklichkeit ist mehr, als ein aus einer Perspektive abgelichtetes Objekt.

Übertragen auf das Leben könnte man sagen, dass das Urteil anderer oft mehr über sie als über einen selbst aussagt. Nicht, dass man es ignorieren sollte, aber man sollte im Bewusstsein behalten, dass dies nur eine Sicht von vielen ist – die, eines anderen.

Habt einen schönen Tag!

Bücherwelten: Buchtipps und mehr

„Lass die Realität eine Realität sein. Lass die Dinge auf natürliche Weise vorwärts fließen, wie sie wollen“. Lao Tzu

Heraklit sagte, dass nichts so beständig sei wie der Wandel. Dieser Gedanke findet sich bei vielen Philosophen wieder und schaut man in die Natur, sieht man das Prinzip der Veränderung vor sich. Nichts bleibt, wie es ist, alles kommt, bleibt und vergeht. So auch beim Menschen.

„Das Geheimnis des Wandels besteht darin, seine ganze Energie nicht auf den Kampf gegen das Alte, sondern auf den Aufbau des Neuen zu richten.“ – Sokrates

In meinem Leben hat es auch eine Verlagerung gegeben. Nachdem lange das Wort und Bücher im Mittelpunkt standen, habe ich mich mehr zu Farben und Bildern hingewandt. Trotzdem gibt es da draussen wunderbare Bücher, die ich wichtig und gut und lesenswert finde.

  • Philipp Hübl: Moralspektakel – wieso Moralismus oft mehr mit Selbstprofilierung zu tun hat
  • Yuval Noah Harari: Nexus – die Tücken des technischen Fortschritts und welche Entscheidungen nun anstehen
  • David Terwiel: Freundschaft als Beziehung zur Welt – wie Hannah Arendts begriff der Freundschaft als Schule der Pluralität uns gesellschaftlich und politisch helfen kann
  • Wolfram Eilenberger: Geister der Gegenwart – was uns die grossen Denker der jüngsten Gegenwart auch heute noch zu sagen haben
  • Anselm Grün: Alles in allem. Was letztlich zählt im Leben – persönliche und tiefgründige An- und Einsichten eines Menschen, der ungebrochen neugierig und offen für das Leben ist.

Kennt ihr schon eines davon?

Habt einen schönen Tag!

Maike Weisspflug: Hannah Arendt


100 Seiten

«Amor Mundi: Handelt von der Welt, die sich als Zeit-Raum bildet, sobald Menschen im Plural sind.» Hannah Arendt

Hannah Arendt, bekannt als streitbare, energische und eigenständige Denkerin, die ohne Rücksicht und manchmal sehr schonungslos, als arrogant erscheinend ihre Meinung kundtut – man könnte denken, hier spricht eine Einzelgängerin, doch weit gefehlt. Einer der obersten Werte in ihrem Denken und Handeln (was unter dem Strich das gleiche ist) ist die Vielfalt, die Pluralität. IN ihr sieht Hannah Arendt den Motivator unseres Tuns, durch sie kann unsere Welt als eine gemeinsame erst entstehen.

«Arendts wichtigste Botschaft dabei: Zusammen-Handeln macht Spass, es stiftet Sinn, auch wenn die Lage aussichtslos erscheint.» Maike Weisspflug

Dies ist sicher eine wichtige Botschaft für die heutige Zeit, in welcher sich wieder immer kleinere Gruppen positionieren und gegen andere abgrenzen, statt gemeinsam Kräfte zu nutzen und so mehr zu erreichen.

«Der Handelnde bleibt immer in Bezug zu anderen Handelnden und von ihnen abhängig; souverän gerade ist er nie.» Maike Weisspflug

Wir scheinen vergessen zu haben, dass diese Welt immer eine geteilte ist und die verschiedenen Einzelinteressen zwar wichtig und gut sein mögen, wir sie aber allein und nur auf uns gestellt mit uns im Blick nicht umsetzen können.

«Und eine gemeinsame Welt kann, so Arendt, nur zwischen Personen entstehen, die um ihre Unterschiedlichkeit wissen – als geteilte Welt, in die viele Welten passen.» Maike Weisspflug

Die Welt, in die wir durch unsere Geburt treten, ist so, wie sie die vor uns gestaltet haben. Als Neuanfang in dieser Welt – so sieht Arendt jeden neuen Menschen – ist es an uns, unseren Faden in das Gewebe der Welt zu schlagen.

«Der Mensch ist vielmehr das, was er aus sich macht. Und zwar im Rahmen seiner Möglichkeiten und Grenzen, die Arendt die ‚menschliche Bedingtheit‘ nennt.» Maike Weisspflug

Dabei ist es wichtig, einzusehen, dass wir mit dem arbeiten müssen, was wir haben. Nicht jeder besitzt jede Fähigkeit oder Möglichkeit. Das mag ungerecht erscheinen, doch lässt es sich leider nicht in allen Belangen ändern. Besser ist, die vorhandene Energie in das zu stecken, was sich ändern lässt, um das best mögliche herauszuholen aus dem, was ist.

«Geschichten erschliessen Bedeutung, ohne etwas zu eng zu definieren.» Maike Weisspflug

Hannah Arendt ist nicht nur eine tiefgründige und analytische Denkerin, sie ist eine begeisterte Geschichtenerzählerin. Ihre Bücher sind gespickt mit Literaturbezügen und auch selbst greift gerne zur Geschichte statt trockener Theorie.

Maike Weisspflug hat sich dieser Denkerin auf 100 Seiten angenommen. Ein denkbar kleiner Ramen für ein so immenses Werk, zu dem schon 1000e von Seiten geschrieben worden sind. Aber genau in dieser Kürze liegt auch der Wert dieses Büchleins. Es geht der Frage nach, wie Hannah Arendt heute noch gelesen werden kann? Wie passen ihre Theorien und Ideen in die heutige Zeit?

«Arendt kann ich solchen Momenten wie eine gute Freundin sein, die mir hilft, wieder in einen anderen Denkmodus zu kommen.» Maike Weisspflug

Maike Weisspflug geht diesen Fragen anhand von Arendts wichtigsten Werken und Gedanken nach und versucht so, Arendts Relevanz auch in Bezug auf heutige Probleme aufzuzeigen. Dass in der Kürze keine wirkliche Tiefe erreicht werden kann, liegt auf der Hand, allerdings bietet das Buch Inspirationen und Ansporn zur eigenen Lektüre. Schön wären genauere Stellenangaben zu einzelnen Zitaten gewesen, aber das wäre auf Kosten von Lesbarkeit und Platz gegangen, so dass sich das Fehlen verschmerzen lässt. Ein gelungener Versuch und gut abgerundet durch weiterführende Literatur.

Ingeborg Gleichauf: Hannah Arendt und Karl Jaspers


Geschichte einer einzigartigen Freundschaft

«…als ich jung war, waren Sie der einzige Mensch, der mich erzogen hat. Als ich Sie nach dem Krieg als erwachsener Mensch wiederfand und eine Freundschaft zwischen uns entstand, haben Sie mir die Garantie für die Kontinuität meines Lebens gegeben. Und heute ist es so, dass ich an das Haus in Basel wie an die Heimat denke.»

Das schreibt Hannah Arendt in einem Brief an Karl Jaspers. Sie, die in so vielen Bereichen ihres Lebens Brüche und Verluste erlebte, fand in der Freundschaft zu ihrem früheren Professor, Doktorvater und später Freund und Vertrauten einen Menschen, der ihr ein Stück Lebensverbundenheit und Rückhalt bot, ein Gefühl von Dauer und Beständigkeit.

Er war ihr Mentor, ihr Professor, sie schreibt von Erziehen, doch die Verbindung der beiden, die enge Freundschaft über viele Jahrzehnte, war eine auf Augenhöhe. So schreibt er denn in seiner philosophischen Autobiografie:

«Mit ihr konnte ich noch einmal wieder auf die Weise diskutieren, die ich mein Leben lang begehrte… in der vollkommenen Rückhaltlosigkeit, die keine Hintergedanken zulässt – in dem Übermut, sich vergaloppieren zu dürfen, da es korrigiert wird und selber etwas anzeigt, das sich lohnt, in der Spannung vielleicht tief gegründeter Differenzen, die doch umgriffen sind von einem Vertrauen, das auch sie offenbar zu werden erlaubt, ohne dass die Neigung gemindert würde…»

Ingeborg Gleichauf hat sich dieser Beziehung angenommen. Anhand von verschiedenen Themen erzählt sie von der Freundschaft in Briefen und Gesprächen zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers, weist auf Gemeinsamkeiten und Gegensätzlichkeiten hin, belegt diese mit Passagen aus dem Werk der beiden. Die Autorin erweist sich dabei als durchaus belesen und kompetent, doch die beiden Menschen, um die es geht, bleiben seltsam blutleer.

Die einzelnen Kapitel sind wie Perlen auf einer Kette aneinandergefügt ohne Verbindung. So erfährt man mehr über einzelne Ansichten als die Menschen dahinter und deren Beziehung zueinander. Das ist durchaus interessant, in der Kürze aber nicht umfassend und leider am erwarteten Thema etwas vorbei.

Trotzdem ist ein aufschlussreichendes, anregendes Buch entstanden, das Lust macht, in die Werke der beiden Protagonisten einzutauchen, mit ihnen ins Gespräch zu treten, wie Gleichauf es immer wieder propagiert, leider aber zu wenig tut.

Bücherwelten: Barbara Bleisch – Mitte des Lebens

Kennt ihr das? Ihr wollt ein Buch so sehr mögen, weil ihr den Autor, die Autorin mögt, doch es wird schwierig?

So ging es mir mit diesem Buch. Die Mitte des Lebens. Da stecke ich gerade. Ich wäre die prädestinierte Zielgruppe. Doch es erreichte mich nicht. Barbara Bleisch nimmt sich der Mitte des Lebens an, einem Thema, das aktuell zu boomen scheint neben dem Alter danach. Ist sie Fülle oder nahendes Ende? Krise oder Aufbruch zu Neuem?

Entstanden ist ein teilweise persönliches Buch mit philosophischem Anspruch. Es ist ein Buch, das viele zitiert. Es werden mögliche Erklärungen für Befindlichkeiten geliefert, Sichtwechsel propagiert, Dankbarkeit und Genügsamkeit empfohlen. Es gibt für dieses Buch sicher ein Publikum, es ist gut lesbar geschrieben, man merkt, die Autorin ist belesen, kompetent, persönlich betroffen. Nur leider: Es war schlicht nicht für mich. Ich fand nichts Neues darin. Es war mir zu wenig lebenspraktisch und ebenso zu wenig philosophisch. Vielleicht war der Anspruch, beides abdecken zu wollen, hoch gegriffen. Was mich schmerzt: Ich wollte es so gerne mögen. Vielleicht, weil ich kurz vorher ein Interview mit ihr gehört habe und das so toll fand. Im Interview fand ich mich wieder. Im Buch leider nicht.

Habt ihr das Buch schon gelesen? Wie ging es euch damit?

Hannah Arendt: Über Palästina

«Unmittelbar vor den Grenzen des Staates Israel gibt es rund eine Million Menschen, die aus ihren Häusern, von ihren Bauernhöfen und Arbeitsplätzen vertrieben wurden. Sie leben hauptsächlich von den Almosen einer provisorischen und unzureichend finanzierten UN-Organisation in erzwungener Untätigkeit, Frustration und Verbitterung, mehr als ein Drittel davon in Flüchtlingslagern.»

Es geht weiter:

«Doch nicht nur der Frieden im Nahen Osten ist gefährdet. Die ganze Welt lebt im Schatten einer nuklearen Katastrophe.»

und kommt zum Schluss:

«Eine Lösung dieses Problems ist (natürlich unter anderem) für die Sicherheit der ganzen Welt nötig.»

Wenn man bedenkt, dass Hannah Arendt diesen Text 1958 geschrieben hat, und dann auf die Welt heute schaut, zeigt sich, wie wenig sich zum Guten getan hat (im Gegenteil) und wie aktuell Hannah Arendt auch heute noch ist. Ihre Analyse der Problemstellung ist konzis und differenziert. Sie beleuchtet die Situation aller Beteiligter und weist auf die grössten Herausforderungen hin. Sie bleibt dabei aber nicht bei der blossen Theorie und Analyse und Theorie stehen, sie denkt auch über eine mögliche Lösung nach.

«Das gegenwärtige Problem kann nicht gelöst werden, indem man über die relative Legitimität von Eroberungsansprüchen von vor dreitausend, tausend oder zehn Jahren diskutiert… Die einzigen Ansprüche, die uns an dieser Stelle interessieren, sind die Rechte der Flüchtlinge auf ein würdevolles und normales Leben, sowie die Rechte des Nahen Ostens und der ganzen Welt auf ein höheres Mass an Sicherheit für alle Menschen.»

Hannah Arendt präsentiert in der Folge einen Plan mit 23 Punkten, der zu einer Lösung führen soll. Er gewährleistet, dass keine Nation das Gefühl hat, bedroht zu sein, gibt den Flüchtlingen ein Zuhause zurück und soll den Frieden im Nahen Osten gewährleisten. Wichtig dabei ist Hannah Arendt, wie es ihrer Philosophie eigen ist, der Dialog zwischen den Beteiligten. Es soll keine Lösung am Tisch gezeichnet und über das Ganze gestülpt, sondern in einem Miteinander soll eine solche geschaffen werden.

Wer weiss, wie die Lage im Nahen Osten aussähe, hätte man Hannah Arendts Punkten damals Gehör geschenkt. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Was Hannah Arendt schreibt, könnte auch heute noch zu einer Lösung beitragen – wenn nur die Beteiligten und Betroffenen ein Interesse daran hätten.

Das Buch hat mit betroffen und nachdenklich zurückgelassen. Und es hat mir einmal mehr gezeigt, was für eine grossartige Denkerin Hannah Arendt war. Ich kann die Lektüre nur empfehlen.

Gedankensplitter: Loslassen

«Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.» Heraklit

Der Herbst zeigt sich schon deutlich, bald färben sich die Blätter der Bäume bunt und fallen zu Boden. Die Welt ist im Wandel, sie lässt los und bereitet sich auf die winterliche Ruhe ein, nach der wieder Neues spriessen wird. In der indischen Philosophie gibt es die drei Götter Brahma, Vishnu und Shiva. Sie verkörpern den Kreislauf des Lebens mit dem Entstehen, Erhalten, Zerstören. Landläufig sehen wir im Zerstören, in den Brüchen und Umbrüchen ein Übel. Wir wollen das Gute behalten, es nicht loslassen. Doch wenn wir uns anklammern und nichts gehen lassen, kann auch nichts Neues entstehen. Wie viel wäre uns entgangen, wäre nicht immer wieder etwas Neues in unser Leben getreten. Wir sässen noch heute im Laufstall und würden mit Murmeln spielen. 

«Das Leben gehört dem Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.» Johann Wolfgang von Goethe

Ich passe mich wohl aktuell den Jahreszeiten an. Eine grosse Leseflaute brachte mich dazu, über die (eigenen) Bücher zu gehen und zu sehen, was ich will, was gut ist, was ich loslassen muss. Das sind immer schwierige Zeiten im Moment, die aber im Nachhinein Früchte tragen. 

«Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun.» Buddha

So bin ich gespannt, wie die Reise weitergeht. Gegen die Leseflaute hilft hoffentlich ein Klassiker, es muss mal wieder Geistesnahrung sein. Und über allem schwebt noch immer die Musik und auch die Zeichenstifte habe ich wieder hervorgeholt nach langer Pause. 

Wie habt ihr’s mit dem Loslassen? Habt einen schönen Tag!

Philosophisches: Vom Anfangen

„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen,“ Heraklit

Ich tauche ein in die alten Weisheiten des Taos. Es ist nicht das erste Mal und doch ist es neu. Weil ich nicht die bin, die ich war, als ich es beim letzten Mal las. Wie viel ist seit da passiert. Wie viel Neues habe ich erlebt, gelernt, gesehen. All das nehme ich mit auf meine Reise in die Philosophie des Taos, es wirkt mit beim Aufnehmen der Gedanken. 

Das ist es wohl auch, was Rilke meint mit seinen wachsenden Ringen. Alles wird immer grösser, weil wir selbst wachsen durch all das, was wir tun und erleben. Ich mag Rilkes Bild, das Gedicht ist eines meiner liebsten, wenn nicht das liebste. 

„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, 
die sich über die Dinge ziehen. 
Ich werde den letzten wohl nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.“

Ich mag auch den Gedanken des Weitergehens. NIe aufhören. Selbst wenn etwas gross scheint, zu gross. Es versuchen. Den Mut haben. Im Tao heisst es dazu:

„Das ist der Moment, einzusteigen,
alle günstigen Zeichen sind vorhanden.“

Dann mal los. Ich wünsche euch einen schönen Tag!

Bücherwelten: Psychothriller

Heute stöberte ich in meinem Krimi- und Thrillerregal und suchte nach Psychothrillern. Dabei fragte ich mich plötzlich, ob das nicht eigentlich ein Pleonasmus ist. Ich meine: Welcher normale Mensch käme auf die Idee, auf grausame und meist blutige Weise Menschen zu töten, oft in Serie? Und nicht selten wird dem Ganzen ein Psychospiel vom Feinsten zur Seite gestellt, das den Leser gleich mit verwirrt.

Vermutlich liegt aber gerade da ein Teil des Reizes dieses Genres: Zu erleben, wie vordergründig normale Menschen plötzlich als Bestie enttarnt werden. Der nette Schwiegersohn von nebenan, der freundliche Postbote, der nach aussen hin charmante Ehemann – und plötzlich ist alles anders. Kann jeder zu einer Bestie werden? Tragen wir dieses Böse wirklich in uns, wie Hobbes antönte, als er den Menschen als von Grund auf Böse hinstellte und daraus die Berechtigung eines (Rechts-)Staates ableitete?

Was mir wieder einmal auffällt, ist: In keinem anderen Genre stecken so viele philosophische und psychologische Fragen wie bei den Krimis und Thrillern. Die menschliche Natur auf dem Seziertisch. Und das alles auf eine so wunderbar packende Weise übermittelt – hätten Kant und Konsorten mal so geschrieben, das hätte den Zugang zu ihren wunderbaren Gedanken für viele erleichtert.

Ich glaube, ich bin abgeschweift. Nun denn – im Bild drei Psychothriller mit Prädikat «Absolute Leseempfehlung»:

  • Max Bentow: Der Federmann
  • Arno Strobel: Der Trip
  • Sebastian Fitzek: Mimik

    Habt ein schönes Wochenende! 💕

Gedankensplitter: Liebe zur Literatur

«Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune.» Johann Wolfgang von Goethe

Wenn ich mir die aktuellen Neuerscheinungen im Bereich Philosophie und Soziologie anschaue, frage ich mich manchmal: Welchen Lebensbezug hat all das noch? Wie oft betreffen die gestellten Fragen wirklich den Menschen in seinem Sein, in seinem Alltag, den jeder zu bestreiten hat? Sogar lebensrelevante Fragen der Politik und des Zusammenlebens werden auf eine Weise thematisiert, dass ihnen jeglicher konkrete Lebensbezug genommen ist. Verfasser der Bücher sind mehrheitlich sehr intelligente, oft namhafte Grössen des Universitätsbetriebs oder aber der frei forschenden Intelligenzia. Manchmal scheint es, als ob sie sich gegenseitig die Bälle zuspielten, wie ich dereinst auf dem Pausenplatz am Pingpongtisch.

Ich habe mich lange in diesem hochgeistigen Umfeld bewegt. Und ja ich tat es gerne, ich ging darin auf, weil es etwas war, das ich konnte. Es lag mir, mich in Gebiete zu vertiefen, sie zu erfassen und sie auf konzise Weise wieder von mir zu geben. Das gab mir eine Rechtfertigung für mein Tun, das ich mir hart erkämpft hatte als Klassenaufsteigerin, die ich war, geschlagen noch mit diversen Eigenheiten, die nicht mehrheitskompatibel waren. Es war ein Feld, in dem ich mich behaupten konnte. Ich hatte das dringend nötig, da ich ausser meinem Geist nicht viel hatte, auf das ich vertraute im Leben, vor allem nicht in Bezug auf mich und meinen Stand in diesem.

Nietzsche sagte einst, dass alle Philosophie obsolet sei, wenn sie nicht zum Leben tauge. Ob seine eigene diesem Anspruch genügte, mag ich bezweifeln, doch abgesehen davon stimme ich ihm zu. Schaut man in die Welt, sieht man da Probleme, die in neuen philosophischen Büchern und den meisten geführten Diskussionen kein Thema mehr zu sein scheinen. Die behandelten Themen in der Politik und in den Universitäten haben mit denen des wirklichen Lebens wenig gemein. Die ehemals linken Kreise, die sich um Armut sowie Ausnutzung und Diskriminierung von Unterprivilegierten bemühten, haben sich auf Nischen verlegt, mit denen sich die Mehrheit der Not leidenden Menschen nicht mehr identifizieren können, die rechten Parteien sahnen ab, weil sie vordergründig lebenspraktische Anliegen behandeln. Wir mögen am Schluss vielleicht eine Sprache definiert haben, die keiner mehr sprechen kann, und für alle Befindlichkeiten entsprechende Toiletten gebaut haben. Daneben darben alte Menschen in Armut, alleinerziehende Mütter wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, und einst hart erkämpfte Rechte (straffreier Schwangerschaftsabbruch z. B.), werden nach und nach wieder eliminiert. Ich bin mir der Plakativität dieser Aussagen bewusst, doch sie ist ebenso gewählt.

Die Philosophie hätte so viel zu sagen. Es ist eine Disziplin, die den Überblick hat, und das in einer Zeit, in der man alles in immer noch kleinere Einheiten fasst und die Interdisziplinarität ignoriert, obwohl die wirklich grossen Denker, die wir noch heute kennen, immer das grosse Ganze betrachtet haben und sich ihr Erfolg gerade daraus speiste. Es scheint fast, als hätte Hannah Arendt recht gehabt, als sie sinngemäss sagte, dass da, wo die Philosophie endet, die Literatur einsetzt, weil vieles nicht in abstrakten Begriffen zu erfassen sei, sondern in Geschichten erfahrbar werde.

Die gelehrten Philosophen, die in ihrem Elfenbeinturm sitzen und sich an ihren geistigen Höhenflügen ergötzen, rümpfen oft die Nase über die, welche Geschichten erzählen. Das erscheint ihnen als eine minderwertige Form des Ausdrucks und die Geschichten werden oft als Befindlichkeiten abgetan. Diese Geringschätzung von Autor und Form war auch der Grund, wieso einst Peter Bieri unter Pseudonym zum Romancier wurde. Er hatte recht daran getan, denn als es aufflog, sank er in der Achtung seiner Fachkollegen merklich. Er hat es zum Glück gut verkraftet und seinen Lesern (und seinen Studenten) viel geschenkt).

Wenn man bedenkt, dass der Mensch seit Urgedenken Geschichten erzählt, dass das Erzählen von Geschichten gar oft als den Menschen ausmachende Seinsweise definiert wird, verwundert diese Geringschätzung auf den ersten Blick. Auf den zweiten könnte man sie so deuten, dass man sich durch den abstrakt elaborierten Code über das Allgemeinmenschliche erheben und zum Übermenschen werden möchte. Und ja, wer träumt nicht vom kleinen bisschen Ruhm, vom erhabenen Moment als Pfau im Hühnerstall. Aber vielleicht ist es auch ganz anders:

Beim Schreiben über all das, fällt mir auf, wie sehr sich meine Sprache der Materie anpasst. Die vielen wissenschaftlichen Artikel und Beiträge haben sich in mein Schreiben eingebrannt. Während meine literarische Sprache einen eigenen Stil hat, der komplett anders ist, verfalle ich ohne es zu wollen oder bewusst zu wählen beim Schreiben eines sachlichen Themas in den Duktus der Fachsprache. Eine spannende Selbst-Beobachtung, die eine weitere Möglichkeit der Erklärung mit sich bringt.

Ich trug immer beide Lieben in mir: die zur Literatur und die zur Philosophie. Angefangen hat alles mit Literatur, danach schwang mal die eine, mal die andere oben auf. Missen würde ich keine wollen, doch merke ich, dass das Pendel mit zunehmendem Alter wieder dahin zurückschlägt, wo ich herkam: zur Literatur. Ich bin sehr dankbar für die Philosophie im Rücken, als Unterbau, als Denkschule, als Zettelkasten, auf welchen ich immer wieder zurückgreifen kann beim Lesen und Schreiben. Aber: Die Philosophie, wie ich sie heute erlebe, in all ihrer Abgehobenheit, ihrem Anspruch, ihrer Geziertheit, sie holt mich nicht mehr ab, sie spricht nicht mehr zu mir. Es ist und bleibt immer das gleiche, was mich umtreibt: Der Mensch in seinem Lebensumfeld, sein Sein und Mit-Sein. Ich suche es in den Büchern, ich finde es in der Literatur. Und ja, in ihr steckt alles drin: Philosophie, Kultur, Zeitgeschichte, Lebensrealität. Man muss sie nur finden. Und das kann jeder für sich selbst tun. Für mich ist das ein Stück Freiheit.

Bücher meines Lebens – zum Weltbuchtag

«Denn ich ohne Bücher bin nicht ich.» Christa Wolf

Heute ist Welttag des Buches, damit irgendwie auch mein Tag, denn es geht mir wie Christa. Diese Liebe zu Büchern, die nun schon so viele Jahrzehnte anhält, ist die Konstante in meinem Leben. Bücher haben immer einen Halt gegeben, ein Zuhause war immer erst eines, wenn meine Bücher da waren. Bücher sind für mich Türen zu Welten. 

Jagoda Marinic hat die wunderbare Sendung «Bücher meines Lebens» auf Arte. Ich nehme das Konzept als Vorbild und präsentiere hier die Bücher meines Lebens, wohl wissend, dass dies eigentlich ein Unterfangen ist, das nie endgültig und abschliessend ist, da einige vielleicht wechseln, andere fehlen, weil es zu viele würden. Und doch ist die Auswahl hier durchaus richtig und wichtig. Die Reihenfolge ist dem Moment geschuldet, wie sie in mein Leben traten:

Thomas Mann: Doktor Faustus – ich habe im Rahmen meiner Masterarbeit 9 Monate mit Thomas Mann gelebt, seine Musik gehört, alle Bücher gelesen, Biografien, Filme, alles von und über ihn aufgesogen
Rainer Maria Rilke: Gesammelte Gedichte – ich habe das Buch geschenkt bekommen und wirklich jedes einzelne Gedicht gelesen und für mich durchdacht und «analysiert»
Hannah Arendt: Denktagebuch – diese Frau und ihr Denken haben mich immer fasziniert. 
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht – ein Klassiker einer Frau, die mich tief in ihren Bann gezogen hat
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims – dieses Buch war für mich der Augenöffner schlechthin, ich erfasste, wie meine eigene Reise weitergehen soll

Welches sind eure Lebensbücher?

Habt einen schönen Tag!

Inspirationen für die Woche – KW 16

Beim Gang durch die Welt schnappe ich immer wieder Dinge auf, die mich inspirieren, die mich bewegen, die mich begeistern. Diese möchte ich mit uns teilen. Vielleicht findet ihr etwas für euch dabei.

Folgende Bücher kann ich ans Herz legen, sie haben mich begeistert beim Lesen:

Michael Schmidt-Salomon: Die Evolution des Denkens

«Tatsächlich hat ‘das Genie’ mit der realen Person, die im Zentrum des Verehrungskults steht, oft wenig gemein… Hinter dem Kult verbirgt sich jedoch ein tiefes menschliches Bedürfnis: Wir brauchen Vorbilder, um uns in unserem Leben zu orientieren. Sie sind Teil unserer Identität, sagen uns, wer wir sind oder sein könnten.»

10 grosse Denker, ihr Leben und Schaffen im Blick, um daraus Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Michael Schmidt-Salomon zeigt, dass all die klugen Geister ihr mutiges und neugieriges Denken und Forschen, ihre Unabhängigkeit, ihr Sinn für Vernetzung und ihr offener Blick sowie der Umstand, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, zu den Denkriesen machte, als die wir sie heute sehen. Was können sie uns also zeigen, was uns für unsere Zeit nützt? Ein sehr informatives, kurzweiliges, packendes Buch.

(Michael Schmidt-Salomon: Die Evolution des Denkens: Das moderne Weltbild – und wem wir es verdanken, Piper Verlag 2024)

Sarah Bakewell: Wie man Mensch wird

«Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches erachte ich als mir fremd.» Publius Terentius Afer

Sarah Bakewell rollt die Geschichte des Humanismus von Anfang an auf. Was heisst es, humanistisch zu denken und zu handeln? Worauf gründen Entscheidungen, was macht den Menschen aus? Ausgehend von der Idee, dass der Mensch im Kern gut sei, bildete sich vor über 700 Jahren eine Lebenshaltung aus, deren Ziel es ist, den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zum Menschen zu machen, der er ist: ein freies, glückliches, im Hier und Jetzt lebendes Wesen, dem das friedliche Miteinander am Herzen liegt, weswegen er auf Mitgefühl und Verantwortung setzt statt auf Gebote und Gesetze. Bakewell erzählt aus dem Leben verschiedener Literaten, Künstler, Denker und zeigt ihre Lebens- und Denkwege auf. Für mich etwas viel Geschichte und zu wenig Denken, was aber subjektiven Vorlieben geschuldet ist.

(Sarah Bakewell: Wie man Mensch wird: Auf den Spuren der Humanisten, C. H. Beck Verlag 2023)

Arthur Schnitzler: Die Traumnovelle

«So gewiss, als ich ahne, dass die Wirklichkeit einer Nacht, dass nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet.»

«Und kein Traum», seufzte er leise, «ist völlig Traum.»

Die Geschichte von Fridolin und Albertine, einem jungen Ehepaar mit einer kleinen Tochter, verbunden in einer innigen Beziehung, die Risse bekommt, als sie beschliessen, sich alles zu sagen. Die jeweiligen erotischen und Fantasien und Hoffnungen verwirren nicht nur jeden für sich, sondern führen auch zu emotionalen Abgründen miteinander. Was für eine Sprache, was für eine Welt, in die man da hineingerät: In die Tiefen des menschlichen Fühlens und Wünschen. Wo liegt die Wahrheit? Was ist wirklich gewollt, gelebt, was nur geträumt?

(Arthur Schnitzler: Traumnovelle – in verschiedenen Ausgaben, unter anderem SZ Bibliothek 2004)

Folgenden Podcast habe ich gehört:

Freiheit Deluxe mit Jagoda Marinić und Ilker Çatak

Hier geht’s zum Podcast

«Freiheit kommt mit Bewusstsein.» David Foster-Wallace (abgekürzt)

Ein Gespräch über Freiheit, über Ausgrenzung, darüber, ignoriert und ausgeschlossen zu werden. Es ist ein Gespräch über die blinden Flecken in der Gesellschaft, in welcher Exklusion schon in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass es nicht mehr auffällt – ausser, man ist betroffen. Es ist ein Gespräch darüber, wie wir mit mehr Bewusstsein unser Leben leben sollen, denn nur so sind wir frei. Und vieles mehr.

Das vollständige Zitat lautet:

„Die wirklich wichtige Art der Freiheit beinhaltet Aufmerksamkeit und Bewusstsein, Disziplin und Anstrengung, und die Fähigkeit, sich wirklich um andere Menschen zu sorgen, für Sie Opfer zu bringen, jeden Tag auf neue auf unzählige, kleine, unsittliche Arten und Weisen.“

Überhaupt möchte ich euch den Podcast von Jagoda Marinić ans Herz legen. Sie hat eine sehr warme, kompetente Art zu fragen und zuzuhören. Es sind Gespräche, die in die Tiefe gehen, die Persönliches ans Licht bringen und auch die Gesellschaft, wie sie ist, und unser Sein darin immer wieder hinterfragen.

In der ARD-Mediathek und bei SRF Play findet sich nun der von Daniel Kehlmann geschriebene Sechsteiler über Franz Kafka. Da kommt alles zur Sprache: Das Verhältnis zum Vater, die Beziehungen zu den verschiedenen Frauen, seine Freundschaft zu Max Brod – und vieles mehr. Ich bin sehr gespannt, ich habe die Serie noch nicht gesehen.

Hier geht’s zur Sendung

Zu Kafka werde ich in den nächsten Wochen sicher noch mehr schreiben.

Ich hoffe, ihr habt etwas gefunden, das euch anspricht. Wenn ihr Tipps für mich habt, immer nur her damit.

Habt eine gute Woche!

Gedankensplitter: Die Wahl, wie man leben will

«Jede Zeit wie jeder Mensch hat ein gewisses Gedankenfeld, über das hinaus nichts wahrgenommen wird.» Bertha von Suttner

Eigentlich ist es schon lange bekannt: Wir nehmen nur einen kleinen Bruchteil dessen wahr, was ist. Vor allem was einen selbst betrifft, hat man oft blinde Flecken, Dinge, die von aussen offensichtlich sind, die man selbst nicht sieht. Diese blinden Flecke bei sich und in der Wahrnehmung des Aussen sind vielem geschuldet: Der Zeit, in der wir leben, der Kultur, in der wir aufgewachsen sind, dem Umfeld, in dem wir uns bewegen, und verschiedenen anderen Prägungen aus Erfahrungen und Erlebnissen. Wir sind geprägte Menschen und agieren aus diesen Prägungen heraus. Sind wir ihnen ausgeliefert?

Teilweise wohl schon, zumindest so lange, bis wir uns bewusst werden, dass wir sie haben und sie zu ergründen suchen. Dass dies nicht immer angenehm ist, liegt auf der Hand. Wer im Dunkeln buddelt, kann auf Dreck stossen. Den wollen wir oft nicht sehen, wollen uns die Hände nicht schmutzig machen. 

«Bedenke, was du bist: vor allem ein Mensch, das bedeutet, ein Wesen, dass keine wesentlichere Aufgabe hat als seinen freien Willen.» Epiktet

Im Buddhismus heisst es, dass die schönste Lotusblume aus dem Sumpf kommt. Es braucht wohl immer beide Seiten, um Leben zu kreieren. Die dunklen, düsteren Seiten zu verneinen, zu verurteilen, wird an keinen guten Ort führen, denn das macht uns zu Sklaven dieser Arbeit. Sie anzunehmen, hinzusehen, ihre Funktion anzuerkennen, aber ihnen dann nicht mehr Macht zu geben, sondern unser Sein und Tun aktiv dem Guten hinzuwenden, wäre die bessere Alternative. So würden wir zu den Menschen, die wir sein wollen, im Wissen, dass alles in uns steckt, aber wir die Wahl haben, was wir leben wollen. 


Gedankensplitter: Durch Vernunft in die Freiheit

«Das menschliche Unvermögen in Mässigung und Beschränkung der Affekte nenne ich Unfreiheit. Denn der den Affekten unterworfene Mensch ist nicht in seiner eigenen Gewalt, sondern in der des Schicksals, unter dessen Herrschaft er sich dermassen befindet, dass er oft, obschon er das Bessere sieht, dennoch dem Schlechteren nachzufolgen gezwungen wird.» Baruch de Spinoza

Aus dem Bauch heraus handeln. Es wird oft als ursprünglich, als authentisch, als intuitiv bewertet und hochgehalten. Mittlerweile ist bekannt, dass das unüberlegte, unreflektierte aus dem Bauch hinaus Handeln in keiner Weise einfach frei ist, sondern nur die eigenen Prägungen reflektiert. Hinzu kommt, dass dieses «aus dem Bauch heraus» oft auch schlicht einem Affekt folgt, dass hochkommende Impulse ungefiltert in Aktion übergehen. Das kann mitunter nicht nur zu unerwünschten Ergebnissen führen, es erweist sich manchmal auch als schlichtweg dumm, wie man mit einer Mässigung der Affekte und einer Hinzunahme des Denkens leicht eingesehen hätte. Nicht umsonst wohl halten viele Philosophie das Denken hoch, nennen gar die Vernunft eine Macht, auf die wir nicht unfreiwillig verzichten sollen.

Baruch de Spinoza sieht in den Affekten einen Weg in die Unfreiheit. Indem wir uns ihnen hingeben, geben wir das Steuer aus der Hand. Wir verzichten auf das wichtige Mittel, das uns selbst zum Herrn unseres Lebens macht: Die Vernunft.

«Ich werde also hier von der Macht der Vernunft handeln, indem ich zeige, was die Vernunft an sich über die Affekte vermag, und sodann was Freiheit des Geistes oder Glückseligkeit ist, woraus wir ersehen können, wieviel mächtiger der Weise ist als der Ungebildete.» Baruch de Spinoza

***

Am 21. Februar vor 347 Jahren ist Baruch de Spinoza (24.11.1632 – 21.2.1677) gestorben. Ich hebe mein Glas auf einen Denker, dessen Bücher uns auch heute noch viel zu sagen haben.