Eine Geschichte: Gemeinsame Momente (XXX)

Lieber Papa

Als ich dir vom Sporttag erzählte, bei dem all das, was ich nicht kann, so zentral war, kam mir auch das Singen wieder in den Sinn. Der Vorfall mit der Mitschülerin, die meinte, mit meiner Stimme könne man nicht singen. Und wie mir das das Singen nachher verleidet hat.

Da dachte ich an dich. Als ich noch kleiner war, hast du manchmal für mich gesungen. Nicht ernst. Es war ein kleiner Spass zwischen uns. Kein In-den-Schlaf-Singen, eher eine Parodie. Wie habe ich es geliebt. Oft war es „Uncle Satchmo’s Lullaby“ von Louis Armstrong. Du hast beide Stimmen gesungen. Zuerst hoch und piepsig:

«Ich sag gute Nacht…»

und dann tief und brummig:

«And I say good night…»

“Die Sonne geht schlafen, der Tag ist vorbei…”

«When Uncle Satchmo sings his lullaby…”

Danach konnte ich mich vor Lachen kaum mehr halten. Du hast nämlich auch den Part der Trompete gesungen. Es war wunderbar. Und ich merke, wie sich ein breites Grinsen auf meinem Gesicht eingenistet hat, während ich das schreibe. Ich würde es gerne nochmals erleben.

Wenn ich Louis Armstrong höre oder ein Bild von ihm sehe, denke ich an dich. Und an Uncle Satchmo. Und an diese wunderben Momente, die nur uns beiden gehörten. Es ist schön, diese Erinnerung zu haben.

Ich möchte hier nicht mehr weiterschreiben. Das soll so stehen bleiben. Weil es so schön ist. Für mich. Erinnerst du dich auch?

(«Alles aus Liebe», XXX)

Humor und Mitgefühl

Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Das impliziert, dass man lacht, obwohl es einem nicht gut geht. Trotzdem. Es klingt, als ob das gut ist so, gewollt.

„Niemand will dich weinen sehen, also lache, sonst stehst du alleine da. „

Diesen Rat erhielt ich als kleines Mädchen. Menschen wollen keine Probleme, die hätten sie schon selber, sie wollten Menschen, die feiern, fröhlich sind, positiv. Und wahrlich: Tauchen Probleme auf, reduzieren sich die Freunde oft. Man hört und sieht es überall.

Spass muss sein.

Muss er? Immer? Ist Ernst überholt? Antiquiert? Langweilig? Borniert? Sicher wohl abgelehnt.

Heute kann man alles durch den Kakao ziehen. Wer nicht lacht, hat den Witz nicht begriffen oder ist einfach zu steif. Humor kennt keine Grenzen und wo sie doch sind, werden sie gebrochen und die Brechenden fühlen sich als grosse Pioniere. Alle düsteren Themen werden plötzlich der Spasskultur anheim gegeben.

Szenenwechsel

Krieg, Unfrieden, Streitereien, Anonymität, Skrupellosigkeit, Unmenschlichkeit, Intoleranz. Ein paar Stichworte, die in der heutigen Gesellschaft häufig zu hören sind. Es gäbe derselben noch viele mehr. Keiner hört hin, keiner fühlt mit, jeder ist sich selbst der nächste, jeder schaut auf seinen Profit. Die Stimmen werden laut, man müsse wieder mehr für ein Miteinander einstehen, müsse wieder mehr am Leid der anderen teilnehmen, könne sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.

Kinder sterben, Alte verhungern, Kranke serbeln dahin. Nahrung fehlt, Geld fehlt, Würde fehlt. Wir sehen im Internet, TV und in Magazinen Bildern von Zerstörung, von Leid, von Tod. Wir blättern um, zappen weiter, klicken uns zur nächsten Seite. Unbeirrt,  nicht betroffen.

Wir seien abgebrüht, heisst es, wir seien abgestumpft durch die Überflutung durch Informationen. Unser Hirn müsse sich schützen, um nicht unterzugehen, es könne nur noch die wirklich wichtigen Dinge annehmen und darauf reagieren. Die Hürden werden höher gesetzt, es braucht immer noch mehr Blut, noch mehr Leid, noch mehr Gewalt, um etwas auszulösen.

Szenenwechsel

Ein Unglück passiert und man hört davon. Was nun?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht?

Einfach mal einen Witz machen, wer nicht lacht ist selber doof? Oder war das Unglück nur ein Witz? Man war ja nicht dabei… Würde man nun in Tränen ausbrechen, stünde man schön blöd da… Augen zu und durch, als hätte man nichts gesehen. Damit wahrt man das Gesicht und sollte was sein, kümmert sich sicher ein anderer… und war es was, macht sicher bald jemand einen Witz darüber und man kann noch zünftig lachen, um zu zeigen, dass man voll up to date und mit Humor gesegnet ist.

Ich könnte nun schreiben, dass es dieser Welt gut tun würde, wenn die Menschen wieder achtsamer mit sich umgehen, dass sie sich überlegen, wem gewisse Witze wirklich etwas bringen und ob sie nicht nur einfach deplatziert, weil auf dem Leid vieler Menschen aufgebaut sind. Ich könnte mir wünschen, dass Worte bewusster gewählt und Gefühle tiefer gespürt würden, könnte hoffen, dass das Mitgefühl wieder vermehrt Einzug hielte und man auch nach all den grässlichen Bildern überall nicht aufhören könnte, zu trauern, wenn Unrecht und Leid passieren. Ob das jemand lesen wollte?