Susan Sontag: The Doors und Dostojewski

«Das meiste, was ich tue, ist entgegen landläufiger Auffassung intuitiv und unreflektiert und ganz und gar nicht intellektuell und berechnend… Ich folge einfach meinen Instinkten und Eingebungen.»

Das schreibt Susan Sontag, von der man eine solche Aussage wohl kaum erwarten würde, gilt sie doch als Intellektuelle par excellence. Es ist nicht die einzige Stelle in diesem langen Interview, welche Susan Sontag in einem neuen Licht erscheinen lässt. Offen spricht sie über ihre Krankheit, ihr Schreiben und ihr Leben. Immer wieder lässt sie mich beim Lesen innehalten, nach- und weiterdenken. Ich habe das Gefühl, ich komme ihr näher, entdecke neue Facetten dieser grossartigen Frau. Und oft spricht sie mir auch aus dem Herzen, so dass ich eine Verbundenheit fühle.

Ein Satz, den ich mitnehme aus diesem Buch, ist der:

«Interpretieren heisst die Welt arm machen.»

Er erinnert mich daran, wie schnell wir dabei sind, die Dinge zu interpretieren, ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben, die wir dann als einzig wahre akzeptieren und damit all die Möglichkeiten, die es auch gegeben hätte, die Dinge zu sehen, ausblenden. Was für eine Verarmung, was für eine Einschränkung.

Habt einen schönen Tag!

Werkstattgespräche – Oliver Thalmann

Oliver Thalmann (1975) wuchs in Hergiswil am Napf im Kanton Luzern auf. Das Studium der Wirtschaftswissenschaften führte ihn nach St. Gallen, danach tobte er sich in Projekten im In- und Ausland aus. Das war noch nicht genug, daneben schrieb er eine Dissertation und bildete sich weiter. Nach weiteren innovativen und arbeitsintensiven Projekten kam die Kehrtwende: Der erste Roman entstand (»Mord im Hotel Savoy«) und landete gleich in den Top-Ten der offiziellen Schweizer Taschenbuch-Bestsellerliste. Weitere folgten, alle mit Ranglistenerfolg.

Oliver Thalmann lebt mit seiner Frau und seinen Kindern im Kanton Zürich.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Nächstes Jahr werde ich fünfzig Jahre alt. Ich bin unverhofft durch ein Schlüsselereignis Schriftsteller geworden und habe drei Kriminalromane geschrieben. Zuvor war ich als Unternehmer im Bereich der erneuerbaren Energien tätig, was auch spannend war, aber viel Reisetätigkeit mit sich brachte, auf die ich heute gerne verzichte. Ich bin glücklich verheiratet und habe zwei Töchter.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Rückblickend betrachtete, habe ich immer gerne geschrieben. Alles nur nicht Romane. Sportberichterstattungen in den Lokalzeitungen, Maturarbeit, Diplomarbeit und dann auch die Doktorarbeit haben mir keine Mühe abverlangt. Schriftsteller bin ich dann durch ein kleines, unscheinbares Ereignis geworden. Ich hörte in einem Restaurant einen Streit einer amerikanischen Familie und stellte mir vor, was geschähe, wenn eine Person vergiftet würde. Zurück im Zimmer nahm ich den Laptop hervor, begann eine Geschichte zu schreiben, die in „Mord im Hotel Savoy“ ihren Abschluss fand.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Ich wage zu behaupten, dass ich einen Schreibprozess habe. Bei mir beginnt er mit einem Problem aus dem Alltag, das mich beschäftigt und nicht mehr loslässt. Danach schreibe ich mir Fragen dazu auf – ohne Einschränkungen – einfach alles, was mir in den Sinn kommt. Mein Gehirn führt mich so zum Thema des Romans, und dieses dient dann als Leitplanke für meine Geschichte. Ich schreibe anschließend eine Zusammenfassung, versuche also Anfang, Mitte und Ende der Geschichte vorherzusagen. Aber wenn ich ehrlich bin, verändert sich die Geschichte während dem Schreiben noch einige Male. Und ich denke, das ist auch gut so. Denn das Leben verläuft größtenteils planlos, und so sollte auch ein guter Roman daherkommen.

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Ich schreibe direkt am Computer. Das hat zwei Gründe. Erstens gefällt mir meine Handschrift nicht. Ich finde es schöner, wenn ich den Text auf dem Bildschirm sehe. Er erscheint mir dann so, als ob er bereits in einem Buch abgedruckt wäre. Das sieht professionell aus und wirkt motivierend auf mich. Zweitens bin ich viel schneller, als wenn ich auf Papier oder Tablet von Hand schreiben würde, da ich dem Zehnfingersystem auf der Tastatur mächtig bin.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit oder stören dich andere Menschen nicht?

Am besten schreibe ich allein und einsam in der Dunkelkammer zu Hause, meist mit Musik.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Ich schreibe meine Texte am Vormittag respektive frühen Nachmittag zu Hause, da ich zu diesen Stunden am kreativsten bin. Bevor ich nicht tausend Wörter geschrieben habe, höre ich nicht auf.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Das schönste für mich ist das Schreiben der Texte selbst. Wenn ich am Computer sitze, die Geschichte entwerfe, weiterentwickle und dann wieder verändere, weil eine neue Idee mich in Euphorie versetzt hat. Weniger schön ist die fünfte Überarbeitung, wenn man am Feinschliff der Geschichte ist. In dieser Phase hat der kreative Anteil sein absolutes Minimum erreicht.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Nein, ich schalte nicht ab, das will und brauche ich auch nicht. Denn häufig kommen mir Einfälle, Ideen und Lösungen zu Problemstellen in der Geschichte nicht während den Bürozeiten, sondern in der Freizeit oder in der Nacht. Deshalb trage ich immer etwas zu Schreiben auf mir und notiere die Gedanken sofort.

In einem Interview bezeichnetest du Schreiben als dein Hobby. Es ist ein zeitaufwändiges. Was reizt dich an diesem doch eher einsamen Hobby? Was unterscheidet das Schreiben von einem Beruf?

Hobby ist es nicht mehr. In der Zwischenzeit ist es zu meinem Beruf geworden. In den meisten anderen Beruf geht es im Vergleich zum Autorenschaffen sehr strukturiert und prozessorientiert zu, und man hat andere Mitarbeiter, die einen unterstützen. Beim Schreiben ist man, bis auf die Lektorin, die einem am Schluss als Sparringpartner dient, auf sich allein gestellt.

Deine Krimis spielen in Zürich und auch mehrheitlich in einem Umfeld, in dem du dich wohl selbst bewegst. Kannst du da aus dem Vollen schöpfen oder brauchtest du doch noch Recherche?

Das Recherchieren gefällt mir, es regt meine Gedanken an. Es ist mein Doping als Schriftsteller. Ich gehe zu den Schauplätzen und laufe sie ab, um ein Gefühl für die Atmosphäre zu bekommen, die ich dann in den Text einfließen lasse. Ich führe gerne Interviews mit Polizisten, Forensiker, Gerichtsmediziner, Fachspezialisten, Mitarbeitern. Oft erhalte ich Informationen oder Details, die auch die beste Suchmaschine der Welt nicht findet.

Dein neuster Krimi spielt in der Kunstszene. Welchen Bezug hast du persönlich zu Kunst und dem dazugehörigen Markt?

Ich liebe durch Ausstellungen zu flanieren, obwohl ich kein Kunstexperte bin. Oft kommen mir viele Ideen für meine Buchprojekte in einem Museum. Komischerweise weisen diese Gedanken oft keinen (mir bekannten) Zusammenhang mit der Exposition auf.

Donna Leon liess ihre Romane nie ins Italienische übersetzen, andere Autoren schreiben unter Pseudonym. Hast du keine Angst, jemandem auf die Füsse zu treten?

Nein, die Figuren meiner Romane sind frei erfunden, und ich mache keine Politik. Natürlich kommt es vor, dass LeserInnen etwas reininterpretieren und mir etwas unterstellen, aber das gehört dazu. Jede Person darf sich ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen machen. Das ist gerade das Schöne am Lesen.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und seines Umfelds, wie viel von dir steckt in deinen Romanen, in einzelnen Figuren drin?

Schreiben ist eine Kunst, wo der Autor seine Fantasie, seine Gedanken, seine Gefühle, seine Stimmung, aber auch seine eigenen Erfahrungen in einem Buch niederschreibt. Die Autobiografie hat einen Anteil, aber denn würde ich nicht überbewerten.

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und wieso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Ein Buch muss spannend sein, einen bewegen und die eigene Vorstellungskraft anregen. Man muss sich die Figuren im Roman vorstellen können, als ob man als Zuschauer oder Akteur direkt Vorort beteiligt wäre. Wenn ich eine Geschichte schreibe, muss sie mir als Leser gefallen. Zum Glück haben meine Bücher bisher auch Anklang beim Publikum gefunden, sonst hätten wir ein Problem…

Wenn du fünf Bücher deines Lebens (vielleicht auch zu verschiedenen Zeiten desselben) nennen könntest, welche wären das?

  1. To kill a mockingbird von Harper Lee
  2. The nightingale von Kristin Hannah
  3. Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert von Joël Dicker
  4. The islands of missing trees von Elif Shafak
  5. Strangers on a Train von Patricia Highsmith

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

So viel wie möglich schreiben, und nicht auf die bösen Geister hören, die sagen: „Du bist nicht gut genug.“

Werkstattgespräche – Ina Haller

Ina Haller wurde in Wuppertal geboren. Nach der Schule studierte sie Geologie und arbeitete danach in einem Schweizer Versicherungsunternehmen. Sie lebt mit ihrer Familie im Kanton Aargau (in der Schweiz). Seit der Geburt ihrer drei Kinder ist sie »Vollzeit-Familienmanagerin« und Autorin. Zu ihrem Repertoire gehören Kriminalromane sowie Kurz- und Kindergeschichten.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Viel Spektakuläres gibt es da nichts zu erzählen. Ich wurde in Nordrhein-Westfalen geboren und bin dort zusammen mit meinem älteren Bruder aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach dem Abitur lernte ich meinen heutigen Mann bei einem Sprachaufenthalt kennen und zog nach dem Geologiestudium zu ihm in die Schweiz.

Heute lebe ich mit meiner Familie im Aargau.

Ich reise gerne und ich bin ein Bewegungsmensch – Joggen, Wandern, Velofahren gehören für mich zum Alltag. Ich muss jeden Tag raus, auch wenn es nur ein Spaziergang ist. Besonders liebe ich es in der Natur zu sein. Dort finde ich Ruhe und meine kriminellen Ideen, vor allem, wenn ich beim Schreiben einmal steckengeblieben bin

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Eigentlich habe ich nie gerne geschrieben. Meine Deutschlehrerin fand das, was ich zu Papier brachte, nicht besonders gut. Entsprechend sahen meine Noten aus 😊. Das war nicht gerade die Motivation, mit dem Schreiben zu beginnen …

Nach der Geburt unserer zweiten Tochter las zufällig ich in der Zeitung vom „Novemberschreiben“. Da habe ich einfach mal mitgemacht und merkte schnell, dass das Schreiben ein wunderbarer Ausgleich zum turbulenten Familienalltag mit kleinen Kindern ist, der emotional und körperlich anstrengend ist. Doch der Kopf kommt dabei zu kurz. Beim Schreiben war plötzlich der Kopf gefordert und das hat gutgetan. Als die Kinder grösser wurden, bin ich dabei geblieben.

Es heisst, Ideen liegen auf der Strasse, doch nicht jeder sieht dasselbe, interessiert sich für dasselbe. Wo findest du generell deine Ideen?

Das kann ich gar nicht so genau beantworten. Häufig ist die Idee plötzlich da.

Hilfreich beim Finden von Ideen ist es, mit offenen Augen und Ohren durch die Gegend zu laufen. Viel braucht es nicht, damit die Gedankenmaschinerie in meinem Kopf anspringt.

Eine weitere wunderbare Fundgrube ist meine Familie. Die Themen am Familientisch sind nicht unbedingt etwas für schwache Nerven. Z.B. der Auslöser der Idee zu Aargauer Grauen war meine Tochter. Wir waren Skifahren und machten gerade Mittagspause. Sie sagte, sie habe etwas Grässliches im Internet gesehen und zeigte mir das Bild einer Spinne. Und schon steckten wir in der Entwicklung eines Plots …

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Ich bin überhaupt nicht organisiert, sondern total chaotisch.

Der Schluss meiner Geschichte bildet stets den Ausgangspunkt: Das Motiv, die Tatwaffe, der Täter oder die Täterin. Von dort aus entwickle ich die Handlungen. Aber, wie gesagt, nicht geordnet, sondern ich schreibe drauf los. Generell ist das Schreiben für mich wie das Lesen eines Buches, das aber noch nicht existiert und daher aufgeschrieben werden muss. Oft passiert es mir, dass meine Protagonisten mir sagen, wo es lang geht, und ich erlebe dabei viele Überraschungen.

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Ich schreibe direkt am Computer. Entweder im Büro oder bei schönem Wetter mit meinem Laptop auf der Terrasse. Wenn mir etwas einfällt und ich nicht gerade am Computer sitze, wird der Gedanke auf einem Notizzettel notiert.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Ich glaube, du würdest dem zustimmen?

Keine Ahnung. Bisher werde ich nur durch meine Familie gestört. Meine Töchter haben ein besonderes Talent, genau dann zu mir zu kommen, sobald ich mich hingesetzt habe. Aber Auswirkungen auf mein Schreiben hat das nicht.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Mit einer Familie muss ich mir Schreibzeiten einrichten. Besonders, als die Kinder klein waren. Da hatte ich „meine Zeit“, während sie Mittagsschlaf gemacht haben. Diese Zeit ist heute geblieben.

Meine Schreiborte sind mein Büro oder mit dem Laptop auf der Terrasse. In einem Café, wie andere das machen, könnte ich nicht schreiben. Ich hätte das Gefühl, es würde mir immer jemand über die Schulter schauen und das ist etwas, das ich gar nicht mag.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Schreiben ist für mich ein Hobby (leben kann ich davon nicht). Und was bereitet mehr Freude, als das zu tun, was einem Spaß macht? Aber ich mache nicht alles gleich gern, wie zum Beispiel das sprachliche Überarbeiten, das zwar notwendig aber mühselig ist.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Abschalten kann ich am besten beim Sport oder wenn ich in der Natur bin. Das heißt aber nicht, dass meine Gedanken dann nicht hin und wieder zu meinen Protagonisten driften. Das finde ich aber nicht belastend – sie gehören ja zu mir.

Doch Ferien vom Schreiben habe ich auch. Hin und wieder muss der Kopf geleert werden, damit Neues Platz hat – zum Beispiel bei einer mehrtägigen Wanderung in diesem Sommer.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und seines Umfelds, wie viel von dir steckt in deinen Romanen, in den einzelnen Figuren?

Ich denke, das passiert automatisch und unabsichtlich, dass in den Figuren und im Roman etwas von mir steckt. Sicher fließen Erfahrungen von mir ein und Dinge, die ich selbst erlebt habe. Sei es kleine Szenen aus dem Alltag oder „größere“ Erfahrungen. Bei Rüebliland sind zum Beispiel die Szenen in Indien Eindrücke und Erfahrungen, die ich auf unserer Reise erlebt habe.

Deine Krimis spielen in der Region, in der du selbst lebst. Wieso hast du dich dafür entschieden und nicht die Chance gepackt, schreibend neue Gegenden zu erkunden?

Bei der Aargauer Reihe ist es so, da ich hier wohne. Aber bei der Reihe mit Samantha ist es anders. Ich kannte das Baselbiet nicht und lerne zusammen mit Samantha schreibend diesen Kanton kennen.

Für mich ist es wichtig, dass die Leserin/der Leser die Gegend in meinen Büchern „spüren“ kann. Es reichen schon Kleinigkeiten wie das Rauschen des Verkehrs auf einer Straße oder der Duft einer Bergwiese, um die Geschichte lebendig werden zu lassen. Das kann Google Maps nicht vermitteln und daher muss ich an den Ort gehen. Da ist es natürlich praktisch, wenn der Handlungsort vor der Haustür liegt.

Wenn ich die Gelegenheit habe, weiter weg zu reisen, lasse ich diese Eindrücke in meine Bücher einfließen (z.B. wie in Rüebliland oder Samanthas neuen Fall, der im Frühling 2025 erscheint).

Wie findest du die Namen deiner Figuren? Mir fiel auf, dass die Protagonisten alle italienischen Ursprung hatten (ausser Jamila), die anderen Figuren hiesigen. Gibt es dafür einen Grund?

Das ist Zufall. Wobei Andrina eine Bündner Großmutter hat und Enrico aus Süditalien stammt.

Für die Namen meiner Figuren schnappe ich entweder einen Namen auf oder ich surfe durch Telefonbücher oder auf Webseiten für Babynamen.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Mir gefällt diese Unterteilung gar nicht, besonders, wenn es abwertend gemeint ist. Mehr als einmal wurde mir gesagt, Krimis sind keine Literatur. Aber das stimmt überhaupt nicht. Literatur ist für mich alles, was mit dem Verfassen von Texten zu tun hat, also egal, ob es ein Gedicht, ein Krimi oder ein Liebesroman ist. In jedem Text steckt Herzblut und jeder Text unterhält auf seine eigene Art.

Auf mein Schreiben hat diese Unterteilung keinen Einfluss. Ich schreibe das, was mir gefällt und was mir Spaß macht.

Was treibt dich immer wieder an, noch ein Buch zu schreiben? Oder anders gefragt: Wäre ein Leben ohne zu schreiben denkbar für dich?

Ein Leben ohne Schreiben … Ganz ehrlich kann ich es mir im Moment nicht vorstellen. Schreiben ist ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Es ist für mich ein Ausgleich und ich kann in eine andere Welt eintauchen.

Allerdings weiß ich nicht, was in fünf oder zehn Jahren ist. Doch solange ich Ideen und weiterhin Freude daran habe, werde ich auf jeden Fall weiterschreiben.

Du bewegst dich in unterschiedlichen Genres, schreibst Krimis, Kurzgeschichten, Kindergeschichten. Wieso diese Vielfalt? Wäre es nicht einfacher, bei einem, das „funktioniert“, zu bleiben?

Einfacher wäre es vielleicht schon, aber auch langweiliger. Auch beim Schreiben braucht es hin und wieder eine Abwechslung und Herausforderung, wobei mein Hauptfokus die Krimis sind.

Gibt es einen Unterschied in deinem Schreibprozess in den unterschiedlichen Genres?

Eigentlich nicht. Ich habe eine Idee, fange einfach an und schreibe die Geschichte. Danach muss jeder Text den Überarbeitungsprozess durchlaufen. Dabei ist es egal, ob es ein Krimi oder eine Kurzgeschichte ist.

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und wieso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Allgemein schaue ich zuerst auf den Klappentext. Wenn dieser mich vom Thema und der Geschichte her anspricht, hat das Buch eine Chance, gelesen zu werden.

Ich muss die Protagonisten spüren und in sie hineinschlüpfen können. Der Anfang sollte nicht langatmig gehalten sein und die Sprache muss für mich passen. Wenn es mich nach zwanzig / dreißig Seiten nicht in den Bann gezogen hat, hat das Buch keine Chance mehr bei mir.

Zum Beispiel schätze ich es gar nicht, wenn das Erzählen in den verschiedenen Perspektiven nicht sauber umgesetzt ist, es viele inhaltliche Wiederholungen, zu viele Längen mit Nebensächlichkeiten, Adjektive oder Füllwörter hat.

Das sind alles Dinge, auf die ich beim eigenen Schreiben ebenfalls achte, wobei es mir bei anderen eher auffällt, wenn etwas nicht stimmig ist, als bei mir selbst. Daher bin ich meiner Lektorin und ihrem scharfen Auge dankbar, wenn sie gnadenlos ihren Rotstift schwenkt.

Wenn du fünf Bücher nennen müsstest, die in deinem Leben eine Bedeutung haben oder die du anderen empfehlen möchtest, welche wären es?

Puh, das ist schwierig. Allgemein hat jedes Buch für mich eine Bedeutung.

Von meinen eigenen Büchern gibt drei, die eine starke persönliche Bedeutung für mich haben: Rüebliland, Aargauer Grauen und Samanthas 7. Fall, der 2025 erscheint, dessen Titel ich aber hier noch nicht sagen darf.

Ansonsten fallen mir spontan die Krimis von Romy Fölck und Kathy Reichs ein. Mir gefallen ihre Erzählstile und die Leichtigkeit, mit denen sie geschrieben sind.

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

  • Zuerst: Lesen, lesen, lesen.
  • Recherchieren (sowohl den Ort als auch Fachliches)
  • Und dann: anfangen.
  • Sich nicht verunsichern lassen, nie aufgeben, sich nicht selbst im Weg stehen, Zweifeln keine Chance geben, hartnäckig sein und an sich glauben.
  • (Konstruktive) Kritik zulassen und offen für Ratschläge sein, sich aber auch dickes Fell zulegen und nicht herunterziehen lassen.
  • Nicht verbissen werden, sondern Freude am Schreiben haben und behalten.
  • Ein offenes Ohr für seine Protagonisten haben und zulassen, was sie dir zuflüstern, auch wenn die Wendung der Geschichte womöglich für den Moment nicht passend scheint.
  • Es nicht von Anfang an perfekt machen zu wollen, sondern einfach schreiben. Das Überarbeiten (was sehr wichtig ist) kommt später, muss aber dann gewissenhaft erledigt werden.
  • Kontakt zu anderen Schreibenden haben. Nur im Austausch bekommst du Tipps und Hilfe.

Herzlichen Dank, liebe Ina, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen und uns so ein paar Einblicke in deinen Schreiballtag gewährt hast.

Werkstattgespräche – T. M. Logan

T.M. Logan wurde in Berkshire als Sohn eines englischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. Er war Wissenschaftsreporter bei der Daily Mail und arbeitete anschließend in der Hochschulkommunikation. Seit 2017 lebt T.M. Logan vom Schreiben – und das sehr erfolgreich: Mit seinen Thrillern hat er ein ums andere Mal Bestseller geschrieben und in England bereits ein Millionenpublikum begeistert. Auf Deutsch von ihm erschienen sind u.a. «Trust me», «The Parents», «The Catch», «Holiday». Seine Bücher sind in über zwanzig Sprachen übersetzt, darunter Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch und Koreanisch. Der Autor lebt mit seiner Familie in Nottinghamshire.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Ich bin 53 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern (eine Tochter, 24, und einen Sohn, 21). Acht Jahre lang war ich Journalist und habe danach im Kommunikationsteam einer Universität gearbeitet, bis 2017 mein erster Roman veröffentlicht wurde – seitdem habe ich jedes Jahr ein Buch geschrieben und nun acht Bücher in Großbritannien veröffentlicht. Ich lebe in Nottingham, in der Nähe von dem Ort, an dem meine Frau Sally aufgewachsen ist.

Du bist als Sohn eines englischen Vaters und einer deutschen Mutter aufgewachsen. Hat dich dies in einer Weise beeinflusst? Durch unterschiedliche Kulturen oder Sprachen?

Meine Mutter Vera wurde in Leipzig geboren und ist in Köln aufgewachsen, bevor sie 1963 nach England zog, um meinen Vater zu heiraten. In meiner Kindheit habe ich oft mit meiner Familie Deutschland besucht, um Verwandte und Freunde zu sehen. Dadurch fühle ich mich sehr europäisch. Dass ich als Kind zu Hause Deutsch hörte, half mir zu erkennen, dass es viele verschiedene Arten gibt, eine Geschichte zu erzählen, und das neben den Erzähltraditionen, mit denen ich in Großbritannien aufgewachsen bin, viele andere Erzähltraditionen existieren.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Ich schreibe, weil ich es liebe! Schreiben war schon immer etwas, das ich tun wollte, seit meiner Teenagerzeit. Schreiben hat mich in die Welt des Journalismus gezogen. In meinen Dreißigern wurde mir klar, dass das Schreiben eines Buches ein weiteres Maß an Engagement erfordern würde. Ich war entschlossen herauszufinden, ob ich es schaffen könnte. Ich setzte mir das Ziel, jeden Tag 45 Minuten bis eine Stunde zu schreiben, vielleicht kamen dabei jeweils nur 300-400 Wörter heraus. Ich wollte sehen, ob ich das durchziehen könnte, bis ich ein vollständiges Buch habe.

Es heisst, Ideen liegen auf der Strasse, doch nicht jeder sieht dasselbe, interessiert sich für dasselbe. Wo findest du generell deine Ideen?

Oft finde ich die erste Inspiration im Alltag. Zum Beispiel kam die Idee für The Parents einfach von einer der Nächte, in denen ich darauf wartete, dass mein Sohn von einem Abend mit seinen Freunden nach Hause kam. Es war nach Mitternacht, und ich lag im Bett und fragte mich, wo er war und wann er zurückkommen würde – dann begann ich zu überlegen, was ich tun würde, wenn er in Schwierigkeiten oder in ein Verbrechen verwickelt worden wäre. Holiday wurde durch die jährliche Reise meiner Frau mit drei ihrer besten Freundinnen inspiriert. Die Inspiration für The Catch kam ursprünglich durch den Freund meiner Tochter, sie war damals noch ein Teenager.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Ich plane gerne einen Teil der Geschichte und habe eine gute Übersicht, bevor ich anfange. Ich verbringe 4-6 Wochen damit, den Plan, den Hauptbogen der Geschichte, einige der wichtigen Ereignisse und Wendepunkte auf dem Weg auszuarbeiten. Beim Schreiben beginnen dann die Charaktere oft, sich zu behaupten, und verändern dadurch Aspekte der Geschichte auf eine Weise, die ich ursprünglich nicht geplant hatte.

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Ich plane zuerst auf Papier, mit Bleistift in einem Notizbuch. Aber dann wechsle ich zum Computer, um die Geschichte selbst zu schreiben – ich benutze ein Programm namens Scrivener, das hilft, die gesamte Form der Geschichte zu sehen. Ich konvertiere es in Word, bevor ich es an meinen Lektor schicke, und gehe dann alle Bearbeitungen in Word durch.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Ich glaube, du würdest dem zustimmen?

Es kann schwierig sein, Zeit zum Schreiben zu finden. Das war besonders der Fall, als ich in einem Vollzeitjob arbeitete und meine Kinder noch kleiner waren: Es gab fast immer Unterbrechungen im Laufe des Tages. Ich habe einfach versucht, jeden Tag mindestens 45 Minuten zum Schreiben zu finden – manchmal spät am Abend oder früh morgens, bevor meine Kinder aufwachten, wenn es weniger Ablenkungen gab.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Ich versuche, an Wochentagen von 8 Uhr morgens bis zum Mittag zu schreiben, und nutze den Nachmittag für administrative Aufgaben, E-Mails, soziale Medien, meine Website usw. Auch zum Lesen! Aber generell arbeitet mein kreatives Gehirn besser am Morgen, also versuche ich, diese Zeit dem Schreiben zu widmen. Ich weiß, dass diese vier Schreibstunden am Morgen der wichtigste Teil meines Arbeitstages sind – alles andere ist zweitrangig.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Etwas aus dem Nichts zu erschaffen, ist das größte Vergnügen und Privileg des Schreibens. Menschen und Geschichten zum Leben zu erwecken, ist mein Lieblingsteil des Prozesses. Allerdings kann das Bearbeiten manchmal eine Herausforderung sein, aber es ist ein notwendiger und wichtiger Teil des Prozesses – auch wenn es sich anfühlt, als würde man die Geschichte auseinandernehmen und Stück für Stück wieder zusammenfügen.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Ich habe normalerweise an den Wochenenden frei und mache Urlaub mit meiner Frau und manchmal mit Freunden. Zum Abschalten lese ich, ob Belletristik oder Sachbücher, höre Podcasts und Hörbücher, schaue eine Serie im Fernsehen (ich genieße gerade Ted Lasso und Slow Horses) oder spiele Tennis.

Du hast als Wissenschaftsreporter gearbeitet, bevor du zum Schreiben von Büchern übergingst. Wieso hast du dich für Thriller entschieden?

Ich schreibe das, was ich selbst gerne lese, und deshalb habe ich mich für Thriller entschieden. Es ist mein Lieblingsgenre und das schon seit meinen Zwanzigern.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Wir haben eine ähnliche Trennung im Vereinigten Königreich! Aber es stört mich nicht allzu sehr. Es gibt hier eine gewisse Arroganz gegenüber Unterhaltungsliteratur oder Massenmarkt-Büchern, aber ich ignoriere das meistens. Vielfalt ist eine gute Sache und ich mag es, dass es Bücher für jeden Geschmack und jede Vorliebe gibt – meine Romane sind nur ein Teil davon.

In deinem Buch „The Parents“ schreibst du über das wohl Schlimmste, was Eltern passieren kann: Ihr Kind verschwindet. Dabei belässt du es aber nicht, sondern das Kind taucht wieder auf, steht nun aber unter Verdacht, eine grausame Tat begangen zu haben. Wie bist du auf dieses Thema gekommen? Was fasziniert dich daran?

Mich interessieren immer die Grauzonen, die zwischen richtig und falsch, zwischen weiss und schwarz liegen. Weiss und Schwarz sind nicht so interessant, es gibt keine Nuancen, keinen Zweifel. Aber wenn man sich irgendwo dazwischen befindet, ist das aus meiner Sicht als Leser und Schriftsteller viel faszinierender. Wir alle lieben unsere Kinder, aber wie weit würden wir gehen, um sie zu schützen, wenn sie etwas Schreckliches getan haben oder wir den Verdacht haben, dass sie es getan haben?

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und seines Umfelds, wie viel von dir steckt in deinen Romanen, in den einzelnen Figuren?

Es gibt in vielen meiner Charaktere Teile von mir. Sicherlich in den Protagonisten der Geschichten. Ich greife auch auf meine eigenen Kinder und deren Erfahrungen zurück, manchmal auf die Eigenschaften meiner Frau und anderer Menschen, die ich kenne.

Was treibt dich immer wieder an, noch ein Buch zu schreiben? Oder anders gefragt: Wäre ein Leben ohne zu schreiben denkbar für dich?

Ich liebe es, neue Geschichten zu erschaffen, und ich sehe nicht, dass ich so bald damit aufhören werde. Ich werde immer das Bedürfnis haben, etwas zu schreiben, was auch immer es ist. Ich denke, es wird immer einen Teil von mir geben, der eine neue Geschichte erschaffen will, der die Charaktere treffen und herausfinden möchte, wie alles endet.

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und wieso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Wenn ich lese, können es verschiedene Dinge sein – ein Charakter, der auf den Seiten zum Leben erwacht, ein großartiger Aufhänger, eine unerwartete Wendung, fesselnde Dialoge oder einfach eine schnelllebige Geschichte, mit der ich mich auf irgendeine Weise identifizieren kann. Ich mag es, all diese Elemente in meinen eigenen Romanen zu haben.

Wenn du fünf Bücher nennen müsstest, die in deinem Leben eine Bedeutung haben oder die du anderen empfehlen möchtest, welche wären es?

  • A Simple Plan von Scott Smith
  • Tell No-One von Harlan Coben
  • The Silence of the Lambs von Thomas Harris
  • On Writing von Stephen King
  • Into the Woods von John Yorke

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Lies viel und nimm so viel wie möglich auch aus anderen Medien auf. Sei ein Schwamm, der alles aufsaugt. Schreibe das Buch, das du selbst gerne lesen würdest. Versuche, dir jeden Tag ein bisschen Zeit dafür freizuhalten, denn Schreiben ist wie Laufen, eine Sprache zu lernen oder jede andere neue Fähigkeit zu erwerben: Du wirst durch regelmäßiges Üben besser. Leider gibt es wirklich keine Abkürzungen!

Herzlichen Dank Tim, dass du dir die Zeit für diese wunderbaren Antworten genommen hast!

Werkstattgespräche – Amelie Fried

Foto: Raimund Verspohl

Amelie Fried wurde 1958 in Ulm geboren. Nach Schule und Studium fing sie beim Fernsehen an, wo sie in verschiedenen Gefässen und unterschiedlichen Rollen über 35 Jahre blieb. Erinnerungskultur ist ihr ebenso ein Anliegen wie ihr Engagement für ein Kinderhospiz. Neben ihrem eigenen Schreiben leitet sie mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor und Schriftsteller Peter Probst Schreib-Workshops.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Geboren in ein bildungsbürgerliches Elternhaus in Ulm, aufgewachsen mit Kunst, Theater und vielen Büchern. Abitur mit 16, lange nicht gewusst, was tun, alles Mögliche ausprobiert, beim Fernsehen gelandet, Moderatorin der ersten bundesweiten Talkshow „Live aus der alten Oper“ geworden, danach weitere 35 Jahre moderiert. Mann gefunden, zwei Kinder bekommen, Mann behalten. Mitte der 90er Jahre das erste Buch veröffentlicht, über Nacht zur Bestsellerautorin geworden, seither fast 30 Bücher geschrieben oder herausgegeben. Glückskind, dankbar.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Als ich elf war, las ich das Kinderbuch „Harriet, Spionage aller Art“ von Louise Fitzhugh. Es erzählt von der elfjährigen Harriet in New York, die – da sie plant, Schriftstellerin zu werden – ein Tagebuch führt und sich regelmäßig im Geschirraufzug der elterlichen Wohnung versteckt, um Gespräche der Erwachsenen zu belauschen. Das scharfsinnige Mädchen schreibt über deren seltsames und widersprüchliches Verhalten und notiert auch wenig Schmeichelhaftes über ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Als denen das Tagebuch in die Hände fällt, wird Harriet gemobbt und ausgegrenzt. Ich begriff: Schriftstellerin zu sein bedeutet, eine machtvolle Waffe zu besitzen. Worte können viel. Sie können trösten und erfreuen, aber auch zerstören und verletzen. Sie können den Leser in eine fremde Welt entführen, ihm die Augen öffnen oder ihn zum Weinen bringen. Worte können – gesprochen, geschrieben oder gelesen – etwas bewirken.

Als ich das Buch zuklappte, wusste ich, dass ich Schriftstellerin werden wollte.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Zu Beginn habe ich eher intuitiv drauflos geschrieben, was viele Jahre gut funktioniert hat. Dann begann ich, gemeinsam mit meinem Mann Peter Probst (ebenfalls Autor und Drehbuchautor) Workshops in Kreativem Schreiben zu geben. Dafür musste ich mich mit der Theorie des Schreibens auseinandersetzen und erstmals reflektieren, was ich da eigentlich mache. Prompt erlebte ich eine Schreibblockade, die ich zum Glück inzwischen überwunden habe. Seither plane und strukturiere ich meine Arbeit besser und merke, dass es nicht schaden kann, sich an die Tipps zu halten, die wir unseren Workshop-Teilnehmerinnen geben!

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Ich mache Notizen auf Papier, egal welchem, aber der eigentliche Schreibprozess findet vom ersten Wort an auf dem Laptop statt.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit oder stören dich andere Menschen nicht?

Ich brauche, vor allem zu Beginn eines Buches, absolute Ruhe und Einsamkeit. Manchmal ziehe ich mich sogar für einige Wochen an einen abgeschiedenen Ort zurück, wo ich manchmal tagelang mit keinem Menschen spreche. Sobald die Geschichte Form annimmt und ich das Gefühl habe, sie in den Griff zu bekommen, kann ich auch wieder zuhause in meinem Arbeitszimmer schreiben und zwischendurch andere Termine wahrnehmen oder Menschen treffen.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Ich bin der Thomas Mann-Typ, also feste Zeiten, gleicher Ort, bloß kein Chaos. Manchmal muss ich die Wohnung aufräumen, bevor ich anfangen kann, zu schreiben.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Das Plotten und Strukturieren von Handlung bereiten mir Mühe. Ich werde beim Schreiben gern von mir selbst überrascht, deshalb ist bei mir – trotz besserer Planung als früher – immer noch Raum für Unerwartetes.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Eine Schriftstellerin ist eigentlich immer im Dienst, ihr ganzes Leben ist Recherche. Selbst unangenehme Situationen haben den Vorteil, dass ich sie irgendwann verwenden und dadurch positiv nutzbar machen kann. Bei mir gibt es die Unterteilung in Arbeit und Freizeit nicht. Ich habe auch keine Hobbies – meine liebste Tätigkeit ist das Schreiben.

In deinem neuesten Roman „Der längste Sommer ihres Lebens“ schreibst du von einer Frau, die ihre Träume verwirklichen will und dabei von allen Seiten Gegenwind bekommt. Was hat dich daran gereizt?

Eigentlich schreibe ich über eine Familie, also drei Frauen aus drei Generationen, die alle ihre sehr eigenen Vorstellungen vom Leben haben. Die Tochter radikalisiert sich als Klimaaktivistin ausgerechnet in dem Moment, als ihre Mutter sich um das Amt der Bürgermeisterin bewirbt. Die Großmutter, Matriarchin des familieneigenen Autohauses, findet die Ambitionen beider Frauen absurd, sie will, dass die beiden das Unternehmen weiterführen. Auch Vater und Bruder haben natürlich eine Haltung zum Aktivismus der Tochter, die immer riskantere Dinge tut und sich schließlich sogar in Lebensgefahr bringt. In diesem familiären Spannungsfeld entladen sich Konflikte, die stellvertretend für die Konflikte unserer Gesellschaft stehen und gleichzeitig spannend und unterhaltsam zu lesen sind.

Claudia will ihren Traum verwirklichen, als sie sich zur Wahl stellt. Schon Cora in „Traumfrau mit Ersatzteilen“ hatte Träume, die sie in Angriff nehmen wollte. Was sind deine Träume?

Ich habe meine Träume eigentlich alle verwirklicht, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich würde gerne noch eine Weile weiterschreiben, mit meinem Mann ein paar schöne Reisen machen und mich vielleicht irgendwann auf Enkelkinder freuen. Und ich hoffe, dass die sich zuspitzende Weltlage all das überhaupt noch zulassen wird…

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und seines Umfelds, wie viel von dir steckt in deinen Romanen, in einzelnen Figuren drin?

Meine Romane spiegeln immer etwas von der Lebensphase wider, in der ich mich gerade befinde, aber sie erzählen nicht mein Leben. Auch in vielen Figuren steckt etwas von mir oder den Menschen in meiner Umgebung, aber ich entwickle das immer literarisch weiter. Goethe hat schon recht: Jeder Autor blickt durch seine eigene Brille auf die Welt, und sein Schreiben durchläuft den Filter der Persönlichkeit und individuellen Lebenserfahrung.

Zusammen mit deinem Mann machst du Workshops zum kreativen Schreiben. In Deutschland ist die Meinung, Schreiben müsse man nicht lernen, sondern man hätte dafür Talent oder nicht, immer noch verbreitet. Woher kommt das deiner Meinung nach? Oder anders: Kann man literarisches Schreiben wirklich lernen?

Eine gewisse Grundbegabung fürs Erzählen und den Umgang mit Sprache ist schon Voraussetzung, aber darüber hinaus kann man vieles lernen. Es gibt dramaturgische Modelle und Tools, die einem helfen, eine Geschichte zu strukturieren, spannend zu erzählen und glaubhafte Figuren zu erschaffen. Aber wir bilden in unseren Workshops keine Nobelpreisträger aus, sondern Menschen, die Spaß am Schreiben haben und sich weiter entwickeln wollen. Manche wollen gern publizieren, andere eine Geschichte nur für sich oder ihre Familie erzählen. Wir holen alle da ab, wo sie stehen, und unterstützen sie in ihrer Entwicklung.

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und wieso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Ein Buch muss mich reinziehen und durch originelle Einfälle fesseln, die Charaktere müssen mich interessieren, die Handlung soll mich überraschen. In welchem Genre das stattfindet, ist eigentlich egal, ich lese alles vom Krimi bis zur Hochliteratur. Nur langweilen darf es mich nicht.

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Zu uns in den Schreibkurs zu kommen. Danach weiß er oder sie auf jeden Fall, ob und wie es weitergehen könnte.

Werkstattgespräche – Peter Prange

Foto: Gaby Gerster

Peter Prange, 1955 in Altena geboren, tauchte zuerst studientechnisch in die Romanistik, Germanistik und Philosophie ein und promovierte über die Sittengeschichte der Aufklärung. Den Einstieg ins elterliche Bettengeschäft konnte er sich nicht vorstellen, stattdessen versuchte er sein Glück als Unternehmensberater und in der Wissenschaft, um sich dann dem Schreiben zuzuwenden. Mit dem Bernstein-Amulett gelang ihm der Durchbruch, von da an führte er seine Leser mit seinen Geschichten erzählend durch die Jahrhunderte und Jahrtausende, bevölkert die verschiedenen Zeiten mit seinen Figuren und lässt sie so wieder lebendig werden.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Geboren im Sauerland („Wo Misthaufen qualmen, gibt’s keine Palmen“), lebe ich seit meinem Studium in Tübingen, dem Zentrum der Weltabgeschiedenheit – der perfekte Ort, um zu schreiben. Meine persönliche Biografie ist so langweilig, dass ich mein Leben fortwährend durch die Geschichten substituiere, die ich in meinen Romanen erzähle.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Ich wurde mit einer Dissertation über französische erotische Literatur promoviert: „Das Paradies im Boudoir.“ Welchen Beruf soll man mit einer solchen Ausbildung sonst ergreifen?

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Die Grundideen für meine Bücher fallen buchstäblich vom Himmel auf mich herab, ich kann gar nichts dafür. So kann ich auf die Minute genau bestimmen, wann ich zum Schriftsteller wurde: Am 19. August 1989 um 21:45 Uhr. An dem Tag machte das heute journal mit den Bildern der DDR-Bürger auf, die in Ungarn durch einen Zaun in den Westen flüchteten, Sinnbild des Endes einer Epoche – der Eiserne Vorhang war gefallen. In dem Moment hatte ich die Vision einer Geschichte, die ich selbst gern gelesen hätte: Eine Familie feiert gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ein großes Familienfest, zum Beispiel eine Hochzeit, dann schlägt die Faust Gottes in Gestalt des Kriegsendes in diese Familie hinein und zerstreut deren Mitglieder über ganz Deutschland. Diese brauchen dann ein halbes Jahrhundert, um wieder zusammenzufinden. Die Geschichte des geteilten und wiedervereinten Deutschlands vom Zusammenbruch bis zum Mauerfall. Da niemand sonst diese Geschichte geschrieben hat, musste ich das selbst tun. Dabei herausgekommen ist mein erster Roman, „Das Bernstein-Amulett“. – Ein solcher Einfall stehlt immer am Anfang meiner Romane. Damit stehen die großen Linien fest und es beginnt die Zeit der Arbeit, im Wechselspiel von Imagination und Recherche. Die Etappen dabei sind ein Kurzexposé, in dem ich mir das Warum und Wie der der Geschichte selbst klarmache, dann folgt eine Art Bildertreatment, in der ich Schritt für Schritt die Entwicklung der Handlung wie auch der Protagonisten skizziere, bevor ich mich schließlich an die Ausgestaltung mache.

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Es klingt wie ein Witz, aber es ist so: Ich kann nicht schreiben, zumindest nicht von Hand verkrampft, denn dabei verkrampgt sich meine Muskulatur so sehr, dass nur völlig unleserliches Gekrakel dabei herauskommt. Weshalb ich seit den 80er Jahren ausschließlich am PC arbeite. 

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit oder stören dich andere Menschen nicht?

Mein größter Feind ist meine innere Unruhe. Ich kann mich nicht länger als einen Satz lang konzentrieren, weshalb ich alle paar Minuten aufstehe, telefoniere, in meiner virtuelle Caféteria namens Facebook „Freunde“ auf einen Sprung besuche, kurz vor die Haustür trete und nach dem Wetter schaue usw., bevor ich den nächsten Satz schreibe. Das ist anstrengend, aber anders kann ich nun mal nicht. Also habe ich meinen Frieden damit gemacht.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Von Natur aus bin ich faul und undiszipliniert. Also habe ich mir eine extreme Disziplin angewöhnt. Ich frage mich nie, ob ich inspiriert bin oder nicht, die Antwort wäre ja immer dieselbe: morgen, morgen, nur nicht heute … Also betrete ich jeden Morgen pünktlich um neun mein Arbeitszimmer, öffne weit das Fenster und bitte die Muse freundlich zu mir herein, mich zu küssen. Manchmal kommt sie, meistens nicht. Aber nie kann sie behaupten, ich sei nicht dagewesen.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Schreiben ist wahnsinnig anstrengend, oft auch quälend, man ist ja immer allein, hat niemand anderes als Gesprächspartner außer sich selbst – eine Arbeit für jemand, der Vater und Mutter erschlagen hat. Aber ich tue wahnsinnig gern geschrieben haben.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Nein. Nie.

Deine Romane spielen in der Vergangenheit, was reizt dich daran, diese Zeiten wieder aufleben zu lassen?

Die Antwort ist ebenso unoriginell wie zutiefst ernst gemeint: Um zu erkennen, wie ich wurde, der ich bin bzw. nicht geworden bin.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und seines Umfelds, wie viel von dir steckt in deinen Romanen, in einzelnen Figuren drin?

Ich denke, die Grundvoraussetzung für einen Autor ist eine solide multiple Persönlichkeit. Meine Protagonisten sind allesamt Ausgeburten meiner eigenen Seele, auch die historischen. Wobei ganz interessant ist, dass mir die Schurken immer leichter fallen als die sogenannten Guten.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Mein Credo lautet: Komplexe Geschichten einfach erzählen, ohne simpel zu sein. Wie andere das einordnen, ist mir mittlerweile egal. Zumal ich Horaz auf meiner Seite weiß. Ich zitiere aus dem Kopf: „Aut delectare aut prodesse volunt poetae, aut simul iocunda et idonea dicere vitae.“ Ars poetica, Vers 333 

Dein Buch „Unsere wunderbaren Jahre“ wurde verfilmt. Wie warst du da involviert? Hast du das Drehbuch geschrieben oder mitgeschrieben? Warst du bei der Auswahl der Schauspieler oder am Set dabei?

Die Antwort auf jede Frage lautet nein. Wenn man die Verfilmungsrechte an einen Produzenten verkauft hat, kann er mit dem Stoff machen, was er will.

Wie war es für dich, dein Buch plötzlich als Film zu sehen?

Überraschend. Ich habe mein Buch kaum wiedererkannt. Aber das ging mir bei der Verfilmung meines ersten Romans „Das Bernstein-Amulett“ nicht anders.

Was treibt dich immer wieder an, noch ein Buch zu schreiben? Oder anders gefragt: Wäre ein Leben ohne zu schreiben denkbar für dich?

Nein. Ich kann und will nichts anderes als schreiben. Und das Schreiben ist so wohltuend anders als das wahre Leben. Beim Schreiben bin ich der manchmal liebe, manchmal böse Gott. Nur ich allein habe das Sagen, alle Figuren hören auf mein Kommando. Na ja, meistens … Oder manchmal … Oder vielleicht auch eher selten … 

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und weiso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Darauf habe ich keine pauschale Antwort. Manchmal fasziniert mich das Thema, ein anderes Mal die Sprache, dann wieder die Geschichte. Idealerweise natürlich, wenn alle drei Aspekte zutreffen. Nur eines darf ein Buch nicht: mich langweilen.

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Die Finger davon zu lassen. Oder, um es mit einem Psalmvers zu sagen: «Und ist es auch köstlich gewesen, so war es nur Mühe und Arbeit.» Soll heißen: Man sollte sich alles vor Augen führen, was das Schreiben eines Buches kostet. Verzicht auf einträglichere Arbeit, Verzicht auf Freizeit und Müßiggang, Leben in Isolationshaft, permanente Selbstzweifel bis zur Verzweiflung und Schreibblockaden, die Angst vor dem Scheitern, das Verlachtwerden durch das Publikum, die Einsicht am Ende, dass das eigentlich alles Quatsch ist, was man da macht, immer wieder Geldsorgen – und nicht zuletzt die Frage, ob man das alles nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Liebsten zumuten will. – Will man nach ehrlicher Selbstprüfung dann immer noch schreiben – nun denn, mit Gottes Segen!

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Für die, welche nun Lust zum Lesen bekommen haben, hier zwei Empfehlungen:

Peter Prange: Der Traumpalast

«Ach, was war das Leben doch für eine grossartige Erfindung… Heute, so seine Hoffnung, würde sein Leben endlich wieder in jene erfreulichen Bahnen zurückkehren, die der liebe Gott oder wer auch immer sein Schicksal leitete, seit Anbeginn der Schöpfung für ihn vorgesehen hatte.»

Rahel, eine junge und mutige Journalistin kämpft für ihren Weg in einer Domäne, die für Frauen nicht vorgesehen ist, Tino, Bankier und Freund der schönen Künste, gründet mit der Ufa ein Pendant zu Hollywood. Als die beiden sich begegnen, treffen

grosse Träume, Freiheitssehnsucht, Liebe und Politik aufeinander. Worauf nun setzen und bauen? Es bleibt kein Stein auf dem anderen und das Leben der beiden nimmt eine ungeahnte Wendung.

Peter Prange: Unsere wunderbaren Jahre

«Stell Dir vor, wir zögen in die Ferne, unser Traumland anzuseh’n… Über uns der Mond und tausend Sterne, unser Glück wär’ traumhaft schön…»

Stell dir vor, du hättest Träume und könntest neu anfangen, die Welt stünde dir offen und du hättest 40 DM Startkapital. So geht es sechs jungen Leuten am Tag der Währungsreform 1948. Jeder sucht sein Glück, jeder geht seinen Weg und jeder ist Kind seiner Zeit und repräsentiert diese. Entstanden ist ein Porträt verschiedener Familiengeschichten und ihrer Verbindungen über Generationen sowie ein episches Bild der  Zeitgeschichte.

Werkstattgespräche – Doris Wirth

Doris Wirth wuchs in einem kleinen Ort im Kanton Zürich auf, studierte Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich und der Humboldt Universität Berlin. Nach Berlin zog es sie auch irgendwann, immer mit ein wenig Sehnsucht zurück nach der Schweiz im Herzen. Nach verschiedenen Veröffentlichungen in Magazinen und Anthologien erschien 2013 der erste Erzählband (Edition Thaleia) und 2016 die Erzählung «Kinderspiele» in der Reihe «schöner lesen» bei SuKuLTuR. «Findet mich» ist ihr erster Roman. Doris Wirth unterrichtet Deutsch als Zweitsprache und leitet Schreibwerkstätten. Sie lebt in Berlin.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Eine tiefe und vielleicht auch unendliche Frage gleich zu Beginn… ich bin eine Frau, bin Schweizerin, bin eine Naturliebhaberin, bin Büchermensch und Frau der Sprache durch und durch. Ich bin bald 43 Jahre alt und lebe seit bald 14 Jahren in Berlin, was nie so geplant war, sondern nur als zweijähriger Schreibaufenthalt. Ich vermisse die Heimat, meine Muttersprache und die Freundlichkeit der Menschen, zugleich liebe ich Berlin und seine unendlichen Möglichkeiten, liebe es, wie es 300 Meter weiter ganz anders aussehen kann, liebe es, wie ich jeden Tag gespiegelt bekomme, wie unglaublich viele verschiedene Lebensentwürfe, Meinungen, Antworten auf das Leben und Schicksale es gibt.
Ich bin in der Schweiz aufgewachsen, in Effretikon, einer Kleinstadt, die vor allem in der Kindheit die Vorzüge eines Freibades und eines Eisfeldes hatte. Der Wald vor der Haustür, Pferde, alles fußläufig erreichbar. In der Jugend fand ich es da zu eng und ich orientierte mich gen Winterthur und Zürich, wo ich auch das Kunstgymnasium besuchte. Entgegen meinem ursprünglichen Berufswunsch als Mädchen wurde ich nicht Hundecoiffeuse, sondern studierte Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftstellerin werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Ich schreibe, weil ich schreiben muss. Schreiben ist wie atmen für mich. Schreiben klärt mich, schreiben hilft mir, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen und für mich einen Kompass in der Welt zu haben, einen roten Faden, an dem ich mich entlanghangle, einen Ort, an den ich immer hin kann, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in jeder Verfassung.
Ich wollte Autorin werden, ja, aber ich wollte auch Ärztin werden, Tänzerin und Sängerin. Und Lehrerin. Lehrerin und Autorin bin ich geworden, Ärztin, Tänzerin und Sängerin leider nicht. Das Leben ist etwas zu kurz, um alles zu leben, was ich gerne würde.
In meiner Jugend habe ich viel Tagebuch geschrieben. Es hat mich durch die Jugend getragen, es hat mich gerettet, es war mein Ventil. Und ich habe natürlich Aufsätze geliebt. Als es die Schule nicht mehr gab, und ich war eine der wenigen, die traurig war darüber, musste ich mir neue Gebiete suchen, wie ich Geschichten schreiben könnte. Ich begann, an Schreibwettbewerben teilzunehmen, weil es da Themenvorgaben gab und einen klaren Rahmen, den ich anfangs brauchte. Und so blieb das Schreiben bei mir.

Ich war in einer Berufsberatung und auch da sagte ich, dass ich schreiben will – aber ich sagte es verdruckst, irgendwie traute ich mich nicht, zu diesem Wunsch zu stehen, als wäre es etwas Unerhörtes. Es gibt ja in der Schweiz und auch in Deutschland diesen Geniekult, andere müssen einen entdecken, müssen sagen, dass man gut ist, eine „echte Autorin“ – anders als in Amerika, wo man schreiben lernen kann und mit Leichtigkeit sagen „ich will das“. Nun, ich hatte diese Leichtigkeit nicht, ich habe lange auf ein Eintrittsticket in diese Welt gewartet. Eines Tages im Rahmen der Solothurner Literaturtage und des Schreibwettbewerbs „Open Net“ fragte mich Beat Sterchi: Ist es dir ernst mit dem Schreiben? Daran muss ich heute noch manchmal denken. Ja, es ist mir ernst mit dem Schreiben.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Ich würde sagen, weder noch. Oder sowohl als auch… Also ich bin sicherlich nicht eine jener Autorinnen, die wie eine Architektin ihres eigenen Textes agiert, die alles ins kleinste Detail durchplant, die Figuren am Reißbrett entwirft und sich alle Zusammenhänge und Querverbindungen theoretisch und bis ans Ende ausmalt. Ein Konvolut an Notizen gibt es auf jeden Fall, das hatte ich auch schon bei meinen Kurzgeschichten.

Beim Roman war es anders. Da ich nicht komplett fiktional gearbeitet habe, war es nicht so wie bei einer Skulptur aus Ton, dass man aufbauend arbeitet, eine leere Fläche hat und alles möglich ist. Vielmehr gab es ein Vorbild, es gab diesen Klotz aus „Geschichte“, der vor mir stand. Um diesen Klotz erzählbar zu machen, habe ich erstmal ganz viel recherchiert: gelesen, Filme geschaut, Theoretisches und Interviews mit Betroffenen. Dann habe ich eigene Interviews geführt. Ich war im Archiv, um Familiengeschichten bis ins vorletzte Jahrhundert zu recherchieren. Ich habe also versucht, möglichst viel Objektivierung in diese Geschichte, dieses konkrete Vorbild reinzubringen. Dann habe ich mir die Lebensläufe der Figuren erschrieben. Dabei habe ich versucht, sie mir anzueignen und möglichst mich allen vier Figuren anzunähern, damit ich die Geschichte später nicht nur aus einer Perspektive erzählen würde. Das war mir sehr wichtig, weil jeder es anders erlebt und weil Familie immer ein System ist, ein Geflecht. Schließlich habe ich mir einzelne Szenen auf Post-ist notiert und eine grobe Dramaturgie erstellt. Dann erst, drei Jahre nach den ersten Notizen, habe ich „drauflos“ geschrieben und geschaut, wo mich dann das Schreiben hinführt. Ich habe dann versucht, wie eine Steinbildhauerin aus dem Klotz etwas zu meißeln, was das erzählen würde, was ich erzählen wollte. Was dem Vorbild gerecht würde und trotzdem etwas Neues, Eigenes, Fiktionales sein würde.

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder haust du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Ich schreibe zum Beispiel die Figuren und was ihre Vektoren sind, was sie also antreibt, woher sie kommen und wohin sie gehen, welche Kräfte in ihnen wirken, oder eben auch ein größeres Geflecht aus Szenen, eine Art Mind Map, auf Papier. Ich liebe riesige Papiere, A2 oder A1 für dramaturgische Übersichten. Ich bin ein haptischer Mensch und liebe Papier und Stifte, natürlich ist dickes Zeichenpapier schöner als dünnes Umweltpapier, aber ich nehme, was ich grad zur Hand habe, zur Not Schmierpapier, die Hinterseite von Arbeitsblättern meiner Schüler… Die Lebensläufe der Figuren, das waren gegen 200, 250 Seiten pro Figur, habe ich per Computer geschrieben, die erste Fassung des Romans ebenso. Vielleicht ist es lustig zu erfahren, dass ich mit einem drei-Finger-System schreibe… aber das ganz ordentlich schnell.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit oder stören dich andere Menschen nicht?

Ja, ich würde diesem Menschen zustimmen. Ich bin niemand, die in Cafés arbeitet oder Menschenansammlungen aufsucht. Ich habe einen Schreibraum, wo ich nicht einmal Internet habe (seit ich ein Smartphone mit mobilen Daten besitze, macht es mir einen Strich durch die Rechnung), dieser Raum ist sehr karg eingerichtet und das liebe ich: Dass da nur mein Schreiben stattfindet, sonst nichts.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Ja, Thomas Mann hatte auch diese Möglichkeiten… ich muss Geld verdienen, um meine Wohnung zu bezahlen, meine Rechnungen, Essen und Kleidung und alles Nötige (und auch Unnötiges) für mich und meinen Sohn zu kaufen. Ich ringe seit Jahren damit, wie es am besten ist, aber ich komme immer wieder darauf zurück, dass das Beste zurzeit ist, den Freitag als Schreibtag zu haben. Natürlich hätte ich gerne mehr Zeit zum Schreiben, aber das haut finanziell nicht hin. Ich glaube, dass es viel Disziplin braucht, ja. Ich finde es schwierig, meinen Alltag hinter mir zu lassen und auf Knopfdruck in diese andere Seinsart reinzukommen, die langsamer ist, zulassender, suchender, weniger gesteuert.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftstellerin, was bereitet dir Mühe?

Freude ist: in meinem Raum zu schreiben. In einen Text einzutauchen. Das Gefühl, wenn ich glaube, dass eine Passage gut funktioniert. Und natürlich ist es ein wunderbarer Moment, das eigene Buch in den Händen zu halten. Ich lese auch sehr gerne.
Ich bin nicht so gut darin, Fragen zu beantworten, schreibend schon, aber nicht sprechend. Und manchmal finde ich den Literaturbetrieb anstrengend. Ich finde es schwer, dass man sich immer wieder aufs Neue beweisen und auch verkaufen muss.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Ich freue mich eher, wenn ich Zeit zum Schreiben habe. Auch in den Ferien. Vom Schreiben brauche ich nicht abzuschalten. Ich finde es schwieriger, von meiner Brotarbeit abzuschalten, wo ich Verantwortung für andere Menschen habe. Aber wunderbar abschalten kann ich im und auf dem Wasser. Und im Wald.

In deinem Roman spielt eine psychische Krankheit eine Rolle. Was hat dich an dem Thema gereizt?

Das war, was ich vorher mit dem Klotz meinte: Das Thema war einfach da, ragte in mein Leben hinein auf verschiedene Arten. Ich wurde damit konfrontiert in meinem näheren Umfeld, es betraf mich im größeren familiären Umfeld und auch über Freunde. Ich fühlte eine Art Notwenigkeit, diese Geschichte zu erzählen und mich mit dem Thema der psychischen Krankheit auseinanderzusetzen. Ich fand es sowohl für mich persönlich als auch gesellschaftlich unglaublich wichtig und dringlich.

War es einfach, aus der Sicht eines psychisch Kranken zu schreiben? Wie hast du dich da hineingefühlt?

Nein, einfach war es nicht. Es war spannend. Es gab ja die Idee, dass beim Aufbruch des namenlosen Mannes nicht sofort klar werden würde, dass dieser Mann psychisch krank ist. Sondern dass man es genauso als Abenteuer- oder Schelmengeschichte lesen kann, dass man vielleicht eine leichte Getriebenheit spürt, aber mehr nicht. Und dann erst nach und nach auch durch die Reaktionen der Menschen, denen er begegnet, und durch eine Steigerung in der Sprache, schließlich durch den völligen Verlust der Syntax, in der dieser Erzählstrang gipfelt, deutlich wird, dass der Mann sich in einem psychischen Ausnahmezustand befindet.

Geholfen haben mir vor allem die Interviews mit Betroffenen und die Filme, die ich geschaut habe. Dann habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, dieses innere Erleben sprachlich umzusetzen. Davor hatte ich Respekt, aber ich finde, es ist gut gelungen.

Erwin, dein Protagonist, bricht aus. Trotzdem hinterlässt er Zeichen, will also gefunden werden. Es ist, als ob er einerseits Freiheit suchte, aber doch den Wunsch hat, wichtig genug zu sein, dass man ihn zurückholt. Woher rührt diese Ambivalenz? Oder ist es nur ein Spiel.

Das ist eine sehr gute Frage. Einerseits muss man sagen, dass er ja nicht als psychisch gesunder Mensch die Entscheidung trifft, aus seinem Leben auszubrechen und einen Neustart zu wagen. Sondern es ist eben Teil seiner Psychose, Teil seines Gedankenkonstrukts, in das er sich mehr und mehr verfängt. Ihn fasziniert, und ich glaube, das geht vielen Menschen so, die Möglichkeit, nochmals ganz neu anzufangen, nicht festgelegt zu sein durch all das gelebte Leben, nicht determiniert durch seine Rolle als Familienvater, Geschäftsmann, Nachbar etc. Zugleich gefällt ihm der Gedanke, dass er wie bei diesem Brettspiel, dass es in den 1980er gab, Scotland Yard, wie in den Thrillern, die er liest, der findige Gejagte ist, der sich eine neue Identität zulegt und nach dem gesucht wird. In seinem Wahn ist das ein großes Abenteuer, dass er im Wald lebt, dass er ohne Geld auskommt, dass er der Held ist, nach dem gesucht wird, dass er die Familie in ein „Spiel“ verwickelt. Und ja, da ist diese Ambivalenz: Er will ausbrechen und ganz frei sein, ohne jede Vergangenheit, und zugleich will er gesucht, gefunden werden, schneidet die Bande zu seiner Familie nicht ganz ab, sondern legt ihnen eine Fährte.

Du erzählst die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Was hat dich dazu verleitet? Man könnte doch denken, es wäre einfacher, nur in einen Kopf schauen zu müssen.

Gerade weil es in meinem Umfeld verschiedene Vorfälle gab, die Auslöser waren, diese Geschichte zu erzählen, war es mir wichtig, dass es nicht ein „Betroffenen-Bericht“ werden würde. Das hätte ich auch machen können und das wäre genauso legitim, aber das wollte ich nicht. Ich wollte einen Roman, eine Fiktion, und ich wollte nicht aus der Perspektive einer Betroffenen schreiben, die über ihre psychisch kranke Mutter, ihren Vater, Bruder oder Schwester schreibt. Ich wollte vermeiden, dass es eine Ich-Perspektive eines Menschen gibt, der nur aus seiner Sicht auf den „Verrückten“ draufschaut. Weil psychische Krankheit immer die ganze Familie betrifft, wollte ich unbedingt allen vier Personen eine Stimme geben und sie aus ihrer Perspektive auf das Geschehen blicken lassen. Trotz allem liegt natürlich ein besonderes Gewicht auf Erwin, weil er ja quasi eine doppelte Perspektive hat: Einmal in seinen Kapiteln, dazu zusätzlich im ganzen Strang der Abenteuergeschichte, wo wir noch näher an ihm dran sind und dicht mit ihm erleben, in seinen Kopf schauen können.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Nun ist jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und seines Umfelds, wie viel von dir steckt in deinen Romanen, in einzelnen Figuren drin?

Auf jeden Fall viel. Manchmal fand ich es schwierig, diesen Vorbildern, die es gab, gerecht zu werden. Es war ein gewisses Korsett, das ich mir gewählt hatte. Dann wiederum gab es unendlich viele Passagen, wo ich ganz frei erfinden und mich ausleben konnte. Letztlich frage ich mich: Wo steckt mehr von mir drin, in den Passagen, wo ich mich näher an die Vorlage gehalten habe, oder dort, wo ich ganz frei erfunden habe? Ich frage mich: Würde ich über den Kaiser von China schreiben, steckte nicht genau so viel von mir dort drin, weil ich ja nur meine Synapsen habe, mein Gehirn, weil ja alles die Barriere des für mich Vorstellbaren passieren muss und ich letztlich meinen Erfahrungshorizont, zumindest den hypothetischen, nicht verlassen kann? Weil ich ja immer mich als Referenz habe, selbst wenn ich eine Figur schaffe, die genau gegenteilig ist von mir? Also, um Deine Frage zu beantworten: In Florence, Lukas, Erwin und Maria, aber auch in den Großeltern Werner und Claire, steckt viel von mir drin.

Nun ist das Buch endlich da, der Arbeitsprozess dauerte – so habe ich gehört – lange. Ist schon ein nächster Roman in Planung?

Ja, der Arbeitsprozess war sehr lange… zehn Jahre. Und ich hoffe, dass es beim nächsten Buch nicht so lange dauert! Ich werde bald ein Stipendium haben in den Bergen und dort dann zumindest mit den Vorarbeiten für den nächsten Roman beginnen.

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und wieso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Das Buch muss mich reinziehen. Ganz einfach. Ob es das über die Geschichte macht, das Thema oder sie Sprache, ist letztlich einerlei. Ich habe zum Beispiel, als ich während des Studiums ganz viele Bücher für die Akzessliste lesen musste, festgestellt, dass ich Remarque nicht mehr aus der Hand legen wollte und wie ein Kind nachts unter der Bettdecke mit der Taschenlampe weiterlesen wollte. Da wurde mir, nach vielem etwas mühseligen, intellektuellem Lesen wieder bewusst, wieviel Spaß es macht, wenn ein Buch einfach spannend ist und einen guten Plot hat. Natürlich liebe ich Bücher, wenn sie eine herausragende Sprache haben. Da braucht es dann nicht viel Handlung, da kann zum Beispiel Ilma Rakusa eine Nachmittagsstimmung in einem Zimmer im Süden in ihren Bildern heraufbeschwören und es ist ein Hochgenuss, das zu lesen. Nur das Thema an sich reicht glaube ich nicht aus, wenn das Thema spannend ist, aber weder Geschichte noch Sprache überzeugen, dann muss mich das Thema schon sehr fesseln, dass ich das Buch nicht weglege.
Ich glaube, Michael Ende hat mal gesagt oder geschrieben, dass Literatur das Fantastische haben muss, das Andere – seine unendliche Geschichte ist ja eine wahnsinnig schöne und unglaublich gut gelungene Parabel auch über das Erzählen selbst. Das hat mich oft beschäftigt, und ja, es stimmt, natürlich ist es wundervoll, wenn ein Buch Dinge ermöglich, die im echten Leben nicht möglich sind, wenn es einen mitnimmt auf eine Reise. Und zugleich war immer mein Interesse, sowohl beim eigenen Schreiben als auch beim Lesen, dass auch das Normale, das Leben selbst, das kleine Alltägliche erzählbar gemacht werden soll und kann und dass wir da genau so viel Schönes, Abgründiges und Spannendes finden.

Wenn du fünf Bücher deines Lebens (vielleicht auch zu verschiedenen Zeiten desselben) nennen könntest, welche wären das?

  • Die unendliche Geschichte (Michael Ende)
  • Montauk (Max Frisch – mit Auszügen aus dem wunderbaren Gedicht von Ingeborg Bachman „In diesen Tagen steh ich auf mit den Birken“…)
  • Die hellen Tage (Zsuzsa Bánk)
  • Der rote Seidenschal (Federica de Cesco)
  • Sommerhaus, später (Judith Hermann)

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Es klingt lapidar, aber: Tu es. Ich habe mir in meinem Schreibraum einen Zettel aufgehängt: Schreib den verdammten Roman, niemand sonst außer du kann es tun! Manchmal, wenn ich dabei war, den Mut zu verlieren, habe ich den Zettel wieder gelesen. Das Wichtigste ist, es zu tun. Dranzubleiben. Sich die Geschichte zu erschreiben, sie zu überarbeiten, nicht aufzugeben. Durchhaltewillen und Disziplin zu haben. Nicht an später zu denken, sondern ans Jetzt. Und trotzdem manchmal auch zu visionieren: Davon zu träumen, wie es sein würde, das Buch in den Händen zu halten, wie es riechen würde, wie dick, wie schwer es wäre, welche Farbe es haben würde, wie sich der Leineneinband unter der Fingerkuppe anfühlte.

Wer nun neugierig geworden ist:

Doris Wirth: Findet mich

„Es ist ein Spiel, das er schon immer mal spielen wollte: Finding me. Auf und davon. Alles zurücklassen, was ihn bisher ausmachte… Irgendeiner sein. Einer von vielen. Keiner kennt ihn, keiner nagelt ihn fest.“

Erwin bricht aus. Was anfangs so vielversprechend aussah, hat sich mehr und mehr in etwas verkehrt, das ihm nicht mehr zusagt. Von der heilen Familie, die er einst gründen wollte, ist nur mehr ein Alltag in Eintönigkeit übrig, in dem ihm die Bestätigung und vieles mehr fehlen. Erwin verändert sich, wird ungeduldiger, aggressiver, bis er irgendwann die Ketten sprechen und Heim und Familie verlassen muss. Frei sein will er. Das Leben in der Natur erscheint ihm als Traum, in den schönsten Bildern malt er dieses aus und merkt nicht, dass sie einer Psychose entspringen. Eine Situation, die sich für alle Beteiligten unterschiedlich auswirkt, weswegen jeder von ihnen anders drauf blickt und uns an diesem Blick teilhaben lässt.

Werkstattgespräche – Friedrich Ani

Foto: Susie Knoll

Friedrich Ani
Er trat als Sohn einer Schlesierin und eines syrischen Arztes am 7. Januar 1959 in Kochel am See in diese Welt, absolvierte die Schule bis zum Abitur und veröffentlichte bald danach erste Hörspiele und Theaterstücke. In der Drehbuchwerkstatt München der Hochschule für Fernsehen und Film lernte er das Handwerk des Schreibens und publizierte bald schon seinen ersten Roman. Er gewann mehrere Preise, wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, bewegt sich in den unterschiedlichsten Genres, vom Drehbuch über (Kriminal-) Romane bis hin zu Gedichten. Es ist nicht leicht, ihn in wenigen Worten zu beschreiben bei einer solchen Vielfalt.

Für uns hat er die Tür zu seiner Schreib-Werkstatt geöffnet und gewährt uns einen Blick hinein.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Ich bin Schriftsteller, Verfasser melancholischer Kriminalromane, von Gedichten, Hörspielen und Theaterstücken. Geboren an einem See, zu Hause in einem Zimmer in der Stadt.

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für dein Schreiben?

Zu schreiben begann ich, weil ich feststellte, dass mir das Erfinden von Geschichten oder Szenen Freude bereitete. Meine Großmutter las mir viel vor, und ich bekam Lust, mir selbst etwas auszudenken. Ich schrieb, wie andere Kinder auf einer Trommel herumhauen oder plötzlich auf dem Klavier Noten beherrschen, ohne jede Vorkenntnis. Ich schrieb, als hätte ich einen neuen Atem für mich erfunden.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst, ein Konvolut an Notizen oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Ich erstelle ein vages Konzept, ein Exposé mit den Hauptfiguren und einem ungefähren Verlauf der Geschichte. Die Biografien der Figuren sind mir früh vertraut, alles andere muss folgen während des Schreibens.

Wie sieht es mit dem Schreibmaterial aus? Schreibst du den ersten Entwurf von Hand oder hast du gleich in die Tasten? Wenn von Hand, muss es dieser eine Füller sein oder das immer gleiche Papier?

Die meisten Vorarbeiten – Recherchen, Ideen, Fetzen von Dialogen – schreibe ich mit der Hand. Manchmal benutze ich eine meiner mechanischen Schreibmaschinen, wie früher. Dann haue ich in die Tasten, als wären es die siebziger Jahre.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Ich glaube, du würdest dem zustimmen?

Menschen stören grundsätzlich oft. Der größte Feind des Schriftstellers ist der Tod.

Ich las in einem Interview, du bezeichnest dich als Zimmerling. Ein Mensch also, der am liebsten allein in einem Zimmer schreibt. Paul Auster meinte, Schriftsteller seien verwundete Menschen, da sich keiner ansonsten in ein einsames Zimmer zurückzöge. Paul Nizon sagte etwas ähnliches. Beuys würde nun wohl sagen: Zeige deine Wunde. Woher kommt der Wunsch nach dem Alleinsein?

Das Alleinsein beherrsche ich seit früher Kindheit, das habe ich aus verschiedenen Gründen früh lernen müssen, und es wurde Einsamkeit. Aber ich gehe darin umher wie in einem Mantel, ich trage ihn aufrecht, manchmal schnürt er mich ein, dann lege ich ihn vorübergehend ab. Das klappt. Meistens. Nicht lang.

Thomas Mann hatte einen strengen Tagesablauf, in dem alles seine zugewiesene Zeit hatte. Wann und wo schreibst du? Bist du auch so organisiert oder denkst du eher wie Nietzsche, dass aus dem Chaos tanzende Sterne (oder Bücher) geboren werden?

Meine Schreibzeit ist morgens. Bis zum frühen Nachmittag. Das heißt nicht, dass ich die ganze Zeit etwas aufs Papier bringe, es heißt nur, ich laufe nicht weg, bleibe in der Nähe der schweigenden und unsichtbaren Figuren. Sie entscheiden, wann sie auf die Bühne wollen. Na ja, manchmal scheuche ich sie auch raus. Vermutlich gar nicht so selten.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftsteller, was bereitet dir Mühe?

Mühen beim Schreiben sind nicht das Gegenteil von Freude. Schreiben ist mein Werk, ich habe mich dafür entschieden und versuche, der Herausforderung gewachsen zu bleiben.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend? Wie schaltest du ab?

Wenn ich nicht schreibe, sehe ich mich selten als Schriftsteller, eher als jemanden, der etwas ratlos herumsteht. Ich glaube, für solche Leute wurde die Gastronomie erfunden.

Du schreibst in verschiedenen Genres, vom Krimi über Jugendbücher bis hin zur Lyrik. Landläufig heisst es, „Schuster bleib bei deinen Leisten“ – wieso diese Vielfalt?

Anders kann ich nicht leben.

Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiografisch. Dein Ermittler trägt dein Pseudonym von früher. Wie viel von dir steckt in ihm? Und generell in deinen Krimis und anderen Werken?

Meine Autobiografie ist das, was ich schreibe, ich bin in allen Figuren. Vielleicht habe ich deswegen damit begonnen: Um eine Zeitlang wahrhaftig in der Welt zu sein.

Du schreibst keine Krimis nach Lehrbuch, immer überwiegen die Tiefenansichten von Menschen am Rand der Gesellschaft. Was fasziniert dich daran?

Ich wüsste nicht, worüber ich sonst schreiben sollte.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Diese Kategorien sind außerhalb meines Schreibens. Ich bewerte sie nicht, und sie bedeuten mir nichts.

Was treibt dich immer wieder an, noch ein Buch zu schreiben? Oder anders gefragt: Wäre ein Leben ohne zu schreiben denkbar für dich?

Vermutlich, aber ich kenne kein anderes Leben.

Was muss ein Buch haben, damit es dich beim Lesen begeistert und wieso? Legst du Wert auf das Thema, die Sprache oder die Geschichte? Ist das beim eigenen Schreiben gleich?

Ich lese Bücher wegen der Sprache, weniger wegen der Handlung, wegen der Gedanken der Figuren und des Autors, der Autorin, wegen deren Haltung zur Welt und den Menschen. Ich lese, um zu lernen.

Was rätst du einem Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Wenn jemand ernsthaft ein Buch schreiben möchte, muss man ihm nichts raten, dann schreibt er es schon.

Zwei aktuelle Buchempfehlungen aus der grossen Vielfalt von Publikationen:

Friedrich Ani: Lichtjahre im Dunkel (Roman)

„Eines frühen Morgens im Juli wankte ich ins Bad, sah in den Spiegel und bemerkte, dass ich alt geworden war. Das erschien mir kurios.“

Das Aufwachen nach einer durchzechten Nacht ist mitunter schwer. Noch schwerer ist das Leben an sich, in welchem mysteriöse Dinge passieren. Zum Beispiel verschwindet Leo Ahorn eines Tages nach vergeblichen Versuchen, Geld für seinen maroden Laden aufzutreiben. Obwohl seine Frau noch unschlüssig ist, ob sie ihn überhaupt wiederhaben will, muss sie etwas tun. Polizei kommt nicht in Frage, also wendet sie sich an den Privatdetektiv Tabor Süden, von welchem sie allerdings auch nicht vollends überzeugt ist. Bei seinen Ermittlungen trifft dieser auf die unterschiedlichsten Gestalten und erfährt mehr über das wenig glückliche Leben des Verschwundenen. Als ob das nicht alles schon genug wäre, findet sich auch noch eine Leiche, die Polizei mischt nun auch mit und sich ein und plötzlich sieht alles nochmals ganz anders aus.

Friedrich Ani: Stift (Gedichte)

„Worte hauchen, allmählich
Gewöhn ich mich ein, wie die
Anderen auch, so muss es
Sein, wir leben zum Gebrauch“

Friedrich Ani nimmt die Sprache, zerlegt sie in Worte, zerbricht ihre Sätze, gliedert sie neu und entdeckt so die doppelten Böden und eröffnet neue Felder. Seine Gedichte sind Sprachanalysen in Poesie gegossen. Es sind Freilegungen von tieferen Schichten, die zwischen den Zeilen, über Punkte hinaus und durch Buchstaben hindurch schimmern. Es sind Gedichte zum Wiederlesen, zum Wiederkäuen, zum Bedenken. Gedichte, die sich setzen lassen müssen.

Patricia Grob – Nachgefragt

(Bild: Claudia Brandenberger)

Patricia Grob wurde 1978 in der Schweiz geboren und wuchs im Zürcher Oberland auf. Nach einer kaufmännischen Ausbildung entdeckte sie ihre Liebe zum Schreiben und ging dieser in einem Nebenjob für eine Tageszeitung nach. Patricia ist immer auf der Suche nach guten Geschichten, Petrichor oder der 25. Stunde in ihrem Schreiballtag. Von Patricia Grob bei Piper erschienen: «Ein Duo für alle Felle» und «Lobster, Mord und Meeresrauschen».

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

 Das ist schnell erzählt. Ich bin Familienfrau, arbeite und schreibe. Alles in Teilzeit und manchmal auch gleichzeitig.

Wo nahm dein Schreiben seinen Anfang? Oder anders: Wieso schreibst du?

Das hat schon mit Schulbeginn angefangen. Ich glaube das war in der zweiten Klasse, als uns die Lehrerin „Die kleine Hexe“ vorgelesen hat. Das hatte mich sehr gepackt, ich bin nach Hause und habe mir mit Pappkartons und Tesastreifen ein Büchlein zusammengebastelt. Wie schwer konnte es schließlich schon sein, ein Buch zu schreiben?

Heute ist es für mich ein Hobby und ein Ausgleich, mit dem ich den Ernst des Lebens etwas weicher zeichnen kann.

Woher holst du die Ideen für dein Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wann ist es eine Idee und wie wird eine Geschichte draus?

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Wie in „Ein Duo für alle Felle“ war es eine einzelne Begebenheit, die mich zu der Geschichte geführt hat. Ich muss die Figur, deren Stärken und auch Nöte plastisch vor mir sehen. Wenn dann noch ein sagenhafter Konflikt in mir reift und ein Motiv erkennbar ist, ist das bereits die halbe Miete.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Wenn ich munter drauflos schreiben würde, käme ich nie mehr irgendwo an. Wie in der obigen Antwort beschrieben, entsteht mit der Grundidee der Pitch, den ich dann um das komplette „Gerüst“ erweitere. Mir kommen meist viele Ideen, was besonders an den Figuren sein soll. Im wahren Leben haben wir ja auch nicht nur eine Lieblingsbeschäftigung oder Neigung; für die Geschichte ist es dann aber nicht dienlich, wenn eine strickende Kommissarin abends noch tanzen geht, nachdem sie ihre Familie bekocht und nebenbei die kaputte Lüftung im Bad repariert hat. Und gewisse Hobbys sind ja auch nebensächlich (abgesehen von Mord). Da muss man immer schauen, was funktioniert und was nicht.

Wenn man an Schriftsteller denkt und auch Interviews von früher liest, schreiben viele die ersten Entwürfe von Hand, oft sogar mit dem immergleichen Schreibmaterial (Legal Pad und Bleistift oder ein bestimmter Füller). Wie sieht das bei dir aus? Stift oder Tasten?

Es kommt darauf an. Grundsätzlich bleiben mir Sätze besser im Gedächtnis, wenn ich sie von Hand notiere. Trotz all der Digitalisierung ist die Hand-Hirn-Verbindung nicht zu unterschätzen. Gerade bei einer bevorstehenden Deadline käme ich aber mit dem Stift nirgends hin. Wenn mir also nachts ein genialer Satz einfällt, liegt dafür neben meinem Bett ein Stift und Block bereit (und eine Stirnlampe). Dasselbe gilt für kurze Zugreisen oder ähnliches (ohne Stirnlampe). Das Manuskript selbst tippe ich am Laptop.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören dich andere Menschen nicht?

Es sind mehrheitlich Gerätschaften, die mich stören. Mein Handy foutiert sich nicht um mein imaginäres „Bitte nicht stören“-Schild an der Bürotür, sofern ich es nicht lautlos schalte, natürlich. Und das ist mit Familie nicht immer ratsam.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftstellerin, was bereitet dir Mühe?

Das Schöne ist, derart in einer Geschichte zu versinken, dass man nach drei oder mehr Stunden auf die Uhr blickt und erschrocken denkt, es seien doch höchstens zehn Minuten vergangen. Mühe habe ich mit der eigenen wenig vorhandenen Geduld. Die Nebentätigkeit eines Autors ist Warten.

Du schreibst mehrheitlich Krimis, auch in deren lustigen Prägung als Regionalkrimi. Wieso dieses Genre?

Effektiv begonnen hat alles 2018 mit der Idee zu einem Thriller, an welchem ich drei Jahre geschrieben habe. Übrigens liegt er jetzt immer noch in der Schublade (also falls das jetzt ein Verlag liest … 😉). Und dann kam Corona, und eines morgens, mitten zwischen Homeschooling-Wahnsinn und Vormittagsmüdigkeit, klingelte es an der Haustür. Mein erster Gedanke war: das kann ja jetzt auch nur noch der Postbote sein. Und plötzlich war da das Bedürfnis, etwas Lustiges aus dieser Zeit hervorzubringen. Die Idee zum Buch „Ein Duo für alle Felle“ (dem ich sinnigerweise den Arbeitstitel „Wenn der Postbote gar nicht klingelt“ verpasste) war geboren. Eigentlich sollte das mein „die Corona-Zeit sinnvoll nutzen-Buch“ werden, nur für mich (und die Schublade). Dass dann Piper Digital (seit 2024 between pages by Piper) ausgerechnet eine Talentausschreibung mit dem Motto „Abenteuer zu Hause oder vor der Haustür“ laufen hatte, war das i-Tüpfelchen und ich war mit meiner Einsendung, von der ich mir gar nichts erhoffte, einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Regionalkrimis zu schreiben war ein Versuch, aber kein Irrtum 😊.

Regionalkrimis boomen. Stand Rita Falk am Anfang noch fast allein, gibt es sie an allen Orten und von verschiedenen AutorInnen. Was macht in deinen Augen den Erfolg dieser Sparte aus? Und: Fürchtest du nicht, der Markt ist irgendwann übersättigt?

Ich glaube im Vordergrund dieses Genres steht die Leichtigkeit beim Lesen. Man kann gut abschalten und in heitere Situationen abtauchen, in der die Welt nicht mehr so bitterernst genommen wird. Primär geht es nicht unbedingt um das Lösen des Kriminalfalles, sondern das Wie und die Protagonisten, die zwar liebenswert, aber auch mit Ecken und Kanten sein sollen. Gerade in der heutigen Zeit, und das merke ich auch an mir selbst, braucht es diesen literarischen Schalter, den man kippen kann, um das Gedöns der Welt außen vor zu lassen. Dafür eignen sich humorvolle Regionalkrimis ausgezeichnet. Ob jetzt eine baldige Sättigung des Marktes ansteht, vermag ich nicht vorauszusagen, doch gibt es auch bei den Regionalkrimis Nuancen, die bedient werden und gutes Anrecht auf Leserschaft haben.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Braucht es diesen Spagat denn? Schlussendlich unterhält die Literatur so oder so, auch die hohe. Die Unterhaltungsliteratur vielleicht nicht direkt auf dieselbe prägende Art und Weise, aber als Leser:in habe ich je nach Genre auch eine ganz andere Erwartungshaltung. Ich denke nicht, dass das einen Einfluss auf meine Art zu schreiben hat, da ich ja auf ein gewisses Genre festgelegt bin und es eigenartig wäre, in einem Regionalkrimi davon abzuweichen.

Dein neuer Roman spielt an der Küste Dänemarks. Was bewegt eine Zürcher Oberländerin dazu, ihre Geschichte im Norden anzulegen, hört man doch immer, man solle über das schreiben was man kennt) was bekannte Schriftsteller natürlich immer wieder erfolgreich ignorierten)?

Mich hat eine zweitägige, je fast acht Stunden dauernde Autofahrt in einem bis unters Dach gepackten Opel und mit Kleinkind nach Grenaa (Dänemark) auf die Idee gebracht. Land und Leute haben mich inspiriert; auch wenn ich mir diese Autofahrt nie wieder antäte. Dass man über das schreiben soll, was man kennt, unterschreibe ich sofort.

Du zeichnest sehr originelle und witzige Figuren – haben diese reale Paten oder sind sie frei erfunden?

Dankeschön 😊. In ihren Merkmalen und Handlungen sind sie frei erfunden. Ich kann aber nicht abstreiten, dass mein Vater Postbote war, wie mein Protagonist Paul in „Ein Duo für alle Felle“. Dennoch hat er nie Kätzchen von Bäumen gerettet und zu entsorgende Kaffeekapseln gab es damals auch noch nicht 😉. Zudem war eine meiner Tanten eine fröhliche, geradlinige und vife Persönlichkeit, die ich immer ein bisschen in der Figur von Tante Tilli in „Lobster Mord und Meeresrauschen – Tante Tilli ermittelt“ gesehen habe. Gewisse Konstitutionen sind deswegen möglicherweise ein wenig „geborgt“. Es muss jetzt aber niemand Angst haben, dass er oder sie demnächst in einem neuen Krimi landet.

Wie viel steckt von dir in deinen Büchern?

Es lässt sich kaum verhindern, dass persönliche Meinungen und Prägungen auf die Buchfiguren übergehen. Ansonsten wäre authentisches Schreiben wohl kaum möglich. Trotzdem verpasse ich meinen Figuren nicht bewusst irgendwelche meiner Charakterzüge, das wäre der Figurenentwicklung wohl kaum dienlich. Und obwohl meine Bücher humorvoll sind, empfinde ich mich ja eher als unlustig.

In Amerika sind Kurse in kreativem Schreiben schon lange populär, in unseren Breitengraden scheint immer noch die Idee vom Genie vorzuherrschen und das Lernen des Handwerks wird eher stiefmütterlich behandelt. Ist Schreiben lernbar? Und wenn ja, wieso scheint das fast verpönt bei uns?

Da sprichst du ein interessantes Thema an. Denn in unseren Breitengraden sind diese Schreibkurse teilweise schlicht unerschwinglich. Meiner Meinung nach bedarf es schon einer gewissen Grundbegabung, die man mitbringen muss. Danach kommt viel über die Erfahrung mit „learning by doing“ zusammen. Es kommt auch immer auf das persönliche Ziel an. Schreibt man für sich im stillen Kämmerlein, weil es einen glücklich macht, oder soll der literarische Wurf irgendwann publiziert werden? Wobei Letzteres mit einer entspannten Erwartungshaltung verfolgt werden sollte.

Was rätst du einem (jungen) Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Schreiben. Schreiben. Schreiben. Und Geduld aufbringen. Nicht nur für andere, sondern vor allem für sich selbst. Gerade wenn es mal „nicht so läuft“. Wohldosierte Hartnäckigkeit und Demut vor der Meinung anderer schaden ebenfalls nicht. Und ganz wichtig ist es, keine hohen Erwartungen zu haben. Ein Plot kann noch so genial und durchdacht sein – wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, nützt einem das nichts. Ein offenes Auge und gesunder Menschenverstand bewahren einen zusätzlich vor den hochtrabenden „Pseudo“-Verlagen, die einem (unerfahrenen) Autoren nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Danke, liebe Patricia, für deine Einblicke in deinen Schreiballtag!

Bücher von Patricia Grob:

«Lobster, Tod und Meeresrauschen – Tante Tilli ermittelt»


«Tilli blieben jetzt genau 30 Tage Zeit, um sich aus Alexanders Greifarmen zu winden, ihre Spuren zu verwischen und auf Nimmerwiedersehen unterzutauchen. Und je eher ihr das gelang, umso besser. Deshalb musste sie diese verbleibende Zeitspanne unbedingt um 29 Tage unterbieten.»

Als ihr geldgieriger Neffe ihr eröffnet, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank habe und deswegen in einer Seniorenresidenz untergebracht werden soll, gibt es für Tilli nur eines: Sie muss hier weg. Eigentlich war Las Vegas vorgesehen, doch landen tut sie in Dänemar, genauer an der dänischen Küste in Grenaa. Ein Weiterflug ist erst in zwei Tagen anberaumt. Als dann auch noch die Leiche ihres Exmanns angespült wird, sieht sie jedoch die Gelegenheit, diese 48 Stunden sinnvoll zu nutzen und auf eigene Faust zu ermitteln. Für eine ehemalige Politesse sollte das ein Kinderspiel sein.

Eine witzige Geschichte mit authentischen und eigenwilligen Charakteren, die sich in einem Zug weglesen lässt.

„Ein Duo für alle Felle“


Als Paul endlich Rentner ist, freut er sich auf eine ruhige Zeit und langes Ausschlafen am Morgen. Alles, was ihm vorher vergönnt war. Diese Rechnung hat er ohne seine Enkel gemacht, die ihm einen Hund schenken, obwohl er mit diesen Fellbündeln nichts am Hut hat. Mässig begeistert von diesem neuen Mitbewohner ist der nächste Schrecken nicht weit: Drei Mitbewohner im Seniorenheim seiner Lebenspartnerin sterben überraschend und kurz darauf verschwindet diese selbst. Da muss etwas Übles dahinterstecken, dessen ist sich Paul sicher. Getarnt als Postbote macht er sich auf die Suche nach seiner Freundin. Dass ihm dabei mancherlei widerfährt, bleibt nicht aus…

Sunil Mann – Nachgefragt

 Sunil Mann wird am 21. Juni 1972 im Berner Oberland/Schweiz als Sohn indischer Einwanderer geboren. Er verbringt seine Jugend bei Pflegeeltern in Spiez und besucht in Interlaken das Gymnasium. Nach einem erfolgreichen Studienabbruch in den Fächern Psychologie und Germanistik (in Zürich) versucht er sich im Gastgewerbe mit einem halbherzigen Besuch der Hotelfachschule Belvoirpark. Danach arbeitete er 20 Jahre als Flugbegleiter, unterbrach aber immer wieder für mehrmonatige Aufenthalte im Ausland (Israel, Ägypten, Japan, Indien, Paris, Madrid, Berlin, etc.), so dass er genügend Zeit zum Schreiben hatte. Er wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Seit 2018 lebt er als freischaffender Autor in Zürich, wo er sein Heim mit einer wachsenden Anzahl Bücher und Ginflaschen teilt.

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Aufgewachsen in einer eher ländlichen Umgebung, ziemlich behütet, andererseits aber auch von klein auf an eine besondere Familiensituation gewohnt. Das Pendeln zwischen den sehr schweizerischen Pflegeeltern und meiner sehr indischen Mutter gehörte zu meinem Leben, und dieser konstante Spagat zwischen den Kulturen hat mich nachhaltig geprägt. Schon früh wusste ich, dass ich schreiben wollte. Da damals aber keine Ausbildung in der Richtung existierte, musste ich meinen Weg selber finden. Was ich im Moment als enorm mühsam empfand. Im Nachhinein hat sich das aber als Vorteil erwiesen. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt, die mir jetzt noch zugutekommen. Dieser Weg hat mich auch gelehrt, mich für mein Ziel einzusetzen, Frusttoleranz zu entwickeln und mich nicht von Fremdmeinungen beirren zu lassen.

Du sagtest in unserem letzten Interview, dass Schreiben für dich nicht nur ein Hobby sei, das zum Beruf wurde, sondern etwas, das dein Leben reicher macht. Würdest du das noch so sehen? Oder anders: Wieso schreibst du?

Das würde ich immer noch unterschreiben. Ich kann mir keine Tätigkeit vorstellen, die mich glücklicher macht als Schreiben. Ich tue das, weil ich erstens glaube, dass ich es kann. Mittlerweile habe ich Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Genres gesammelt und gemerkt, dass Schubladen eine sinnlose Erfindung engstirniger Menschen sind. Zweitens bin ich – nicht zuletzt aufgrund meiner Biografie – in der Lage, Dinge zu erzählen, die sonst niemand erzählt, Themen anzusprechen wie zum Beispiel Alltagsrassismus, um die die meisten anderen Autor*innen (und auch die Medien, notabene) einen grossen Bogen machen. Und drittens zahlt es die Miete und den einen oder anderen Drink.

Woher holst du die Ideen für dein Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte draus?

Ideen kommen überallher. Sei es ein Zeitungsausschnitt, ein unfreiwillig mitgehörtes Handygespräch im Tram, Netflix oder auch mal von einem Roman, den ich gelesen habe. Eine Idee allein reicht allerdings in der Regel nicht für ein ganzes Buch (es gibt da Ausnahmen), meist ist es bloss ein Denkanstoss, von dem aus sich dann irgendwie eine eigenständige Geschichte entwickelt. Wie genau, habe ich immer noch nicht herausgefunden. Mein Gehirn macht das selbstständig, sobald der Druck (nahende Abgabetermine!) gross genug ist.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Auch wenn das in gewissen literarischen Kreisen verpönt ist, arbeite ich fast immer mit einem Plot. Also einem vorskizzierten Ablauf einer Geschichte. Gerade bei Kriminalromanen ist das sehr hilfreich, damit man sich nicht in der Handlung verliert oder zu geschwätzig wird. Allerdings verändert sich dieser Ablauf, sobald ich mit dem Schreiben beginne. Da kommen mir plötzlich Dutzende neuer Ideen. Es gilt dann abzuwägen, was hineingehört und was man besser weglässt. Damit verändert sich zwangsläufig die Storyline. Ich habe vermutlich noch nie das Buch geschrieben, das ich mir ursprünglich vorgestellt habe. Die Ausnahme ist „In bester Absicht“, mein erster „literarischer“ Roman. Da habe ich ohne Plot gearbeitet und stattdessen diverse Szenen separat geschrieben, sie dann zusammengehängt und anschliessend die inhaltlichen Lücken gefüllt.

Wenn man an Schriftsteller denkt und auch Interviews von früher liest, schreiben viele die ersten Entwürfe von Hand, oft sogar mit dem immergleichen Schreibmaterial (Legal Pad und Bleistift oder ein bestimmter Füller). Wie sieht das bei dir aus? Stift oder Tasten?

Der grösste Teil der Vorarbeit findet bei mir im Kopf statt. Ich überdenke die Geschichte, die ich erzählen will, so oft, bis sie zu mir gehört, bis ich sie richtig spüren kann. Dann erst schreibe ich einen Handlungsablauf auf, immer auf dem Laptop.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht?

Ich bevorzuge Stille, im Café oder im Zug muss ich immer den Gesprächen ringsum zuhören. Ausserdem fände ich es wahnsinnig prätentiös, mit dem Laptop in der Öffentlichkeit rumzusitzen und die Welt wissen zu lassen, dass ich Schriftsteller bin.

Meiner Ansicht nach ist aber der grösste Feind eines Autors nicht die Umwelt, sondern mangelnde Disziplin.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftstellerin, was bereitet dir Mühe?

Dass ich vom Schreiben leben kann und dass es mir immer noch Spass macht, ist ein Privileg. Das bedeutet auch eine gewisse Freiheit. Wenn ich die Nase voll habe von Zürich und seinem Wetter, kann ich auch mal irgendwo an die Sonne reisen und dort weiterarbeiten. Und ich liebe es, mich in Themen zu vertiefen, zu recherchieren. Mühe macht mir eigentlich fast nichts, höchstens vielleicht der ganze Bürokram, den ich natürlich auch erledigen muss, Auftraggebern nachrennen, die vergessen, die Gagen zu zahlen, die Steuererklärung.

Du hast in verschiedenen Genres geschrieben, vom Krimi über Kinderbücher bis hin zur Liebesgeschichte nun. Wieso dieser Wechsel?

Mich treiben beim Schreiben hauptsächlich zwei Dinge an: Neugier und Lust. Deswegen probiere ich gerne neue Dinge aus, bewege mich auch mal aus der Komfortzone raus in unbekannte Gefilde. Was ich nie sein wollte, ist ein One-Trick-Pony, also jemand, der immer genau dasselbe macht. Glücklicherweise wird das auch vom Publikum akzeptiert.

Es gibt die Einteilung zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur (was oft einen abschätzigen Unterton in sich trägt). Was hältst du von dieser Unterteilung und hat sie einen Einfluss auf dich und dein Schreiben?

Ich finde das eine erschreckend antiquierte Haltung, die dringend abgeschafft gehört. Im englischen Sprachraum existiert sie schon lange nicht mehr. Dort werden auch Kriminalromane mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet, Kinderbücher in wichtigen Tageszeitungen besprochen. Was hierzulande wohl bei manchen für Schnappatmung sorgen würde. Gewisse Entscheidungsträger*innen klammern sich krampfhaft an diese Unterteilung, wobei – mir zumindest – nicht ganz klar ist, weshalb. Es gibt in allen Bereichen hervorragende Werke, aber natürlich auch Schrott. Gerade bei der Vergabe von wichtigen Literaturpreisen, die der Sichtbarkeit zuträglich sind, eine Vielzahl von Genres systematisch auszuschliessen, zeugt von einer unglaublichen Ignoranz. Vermutlich müssen wir einen Generationenwechsel in den Feuilletons und Literaturgremien abwarten, bis sich diesbezüglich etwas ändert.

Du bist immer wieder in Schulen, liest da vor Klassen. Wie bist du dazu gekommen und was reizt dich daran?

Ich habe mittlerweile vier Kinderbücher und zwei Jugendbücher geschrieben. Lesungen für diese Altersgruppen (vor allem für Jugendliche) funktionieren in der Regel nicht so gut als öffentliche Veranstaltungen. Gerade die älteren bringt man kaum dazu, freiwillig eine Lesung zu besuchen. Glücklicherweise setzen aber viele Schulen auf Leseförderung und laden dazu Autor*innen ein. Hinzu kommen all die kantonalen und regionalen Organisationen, die in ihren Programmen grossflächig Schullesungen anbieten. Das ist zwar zeitweise anstrengend, weil es bis zu vier Lesungen pro Tag sind, andererseits macht es mir auch Freude, den Lernenden zu zeigen, dass Literatur nicht zwangsläufig trocken und langweilig sein muss. Und die Diskussionen im Anschluss sind sehr bereichernd, man bekommt Einblick in die Welt der heutigen Jugend.

Eine neue Studie zeigt, dass das Leseverhalten von Schweizer Kindern zu denken gibt, das Leseverständnis ist bei einem Viertel der Kinder stark eingeschränkt bis teilweise gar nicht vorhanden. Wie erlebst du das?

Das ist leider schon länger so. Man darf auf gar keinen Fall verallgemeinern, aber es gibt Schüler*innen, die nicht in der Lage sind, einer Erzählung zu folgen. Entsprechend fehlt dann auch das Verständnis, das heisst, sie wissen im Anschluss nicht, was ich ihnen vorgelesen habe. Meiner Meinung nach hat das auch damit zu tun, dass ihnen zu Hause nie jemand vorgelesen hat. Was wiederum oft mit der beruflichen Situation der Eltern zusammenhängt und ob diese selber lesen. Das Gelesene kurz zusammenzufassen, hilft da teilweise, aber das Kernproblem ist damit natürlich bei Weitem nicht gelöst.

In Amerika sind Kurse in kreativem Schreiben schon lange populär, in unseren Breitengraden scheint immer noch die Idee vom Genie vorzuherrschen und das Lernen des Handwerks wird eher stiefmütterlich behandelt. Ist Schreiben lernbar? Und wenn ja, wieso scheint das fast verpönt bei uns?

Grundsätzlich ist alles lernbar, davon bin ich überzeugt. Ob man dann auch gut in dem Bereich ist, hängt davon ab, wie viel Talent vorhanden ist, ob man was zu erzählen hat und inwiefern man bereit ist, sich wirklich ins Zeug zu legen. Wichtig ist dabei, dass man eine eigene Sprache entwickelt, eine eigenständige Art des Erzählens. Dass es bei uns so wenig Angebote dazu gibt, hängt womöglich damit zusammen, dass man in der Schweiz künstlerischen Tätigkeiten gegenüber eher misstrauisch eingestellt ist. Ich werde oft gefragt, ob ich auch einen richtigen Beruf habe.

Du bietest auch Schreibworkshops für junge Erwachsene an. Wieso die Einschränkung?

Das ist eigentlich immer die Entscheidung des Veranstalters. Ich werde im Frühjahr 2024 wieder einen Kurs im Literaturhaus Aargau geben, der sich explizit an junge Erwachsene richtet. Und einen an der Octopus Schreibschule in Zürich für Kinder zwischen neun und zwölf. Aber es gibt etliche Workshops für Erwachsene. Bei Octopus, aber auch in der Geschichtenbäckerei oder bei Schreibszene.ch

Was rätst du einem (jungen) Menschen, der ernsthaft ein Buch schreiben möchte?

Sich erst einmal zu überlegen, was er schreiben möchte, wie die Geschichte verlaufen soll. Vor allem das Ende ist wichtig, damit er nicht unterwegs plötzlich steckenbleibt. Und dann gibt’s nichts anderes als sich hinzusetzen und zu schreiben. So regelmässig wie irgend möglich.

Herzlichen Dank, lieber Sunil, für deine Zeit und diese aufschlussreichen Antworten!

Sunil Manns Homepage: https://www.sunilmann.ch/

Franz Hohler: Das Jahr, das bis heute andauert

Ein Gespräch mit Klaus Siblewski

Inhalt

«Alles, was man selbst erlebt hat, fliesst mit ein in das, was man erzählen möchte. Ich denke, das gilt für die Literatur, das gilt aber auch für die bildende Kunst, die Musik. Schreiben schliesst alles mit ein, ob man es merkt oder nicht.»

Franz Hohler spricht mit Klaus Siblewski über seine Herkunft, seine Familie und sein Aufwachsen. Er erzählt von seinem Weg hin zum Schriftsteller, von seinen einzelnen Stationen und verschiedenen Projekten. Er lässt den Leser teilhaben an seinem Schreibprozess, an Gedanken hinter und zu seinen Büchern, bietet Einblicke in sein Leben und Schaffen. Ein sehr persönliches Buch, das sich mit den verschiedensten Themen beschäftigt, das von Hunden und Spaziergängen, von Fussball und Herkunft, von Ideen und deren Weiterentwicklung, und immer auch vom Schreiben handelt.

Gedanken zum Buch

«Jetzt mache ich ein Jahr lang Auftritte und schreibe, dann sehe ich weiter. Für dieses Jahr meldete ich mich von der Universität ab, und dieses Jahr dauert bis heute an.»

Franz Hohler studierte Germanistik und Romanistik, schrieb daneben kurze Texte, Lieder, Monologe und kleine Szenen. Ihm kam der Gedanke, diese auf die Bühne zu bringen, was ein grosser Erfolg wurde. Obwohl seine Eltern lieber gesehen hätten, wenn er zuerst das Studium abschliesst und dann ein Leben als Schriftsteller ausprobiert, entschied er sich für den anderen Weg: er wollte ein Jahr lang ausprobieren, ob er mit dem Schreiben weitere Erfolge habe, ansonsten ginge er an die Uni zurück. Mittlerweile schaut er auf einige Jahrzehnte dieses freien Schaffens zurück, entstanden sind mehrere Erzählbände, Romane und Bühnenprogramme.

«Für mich war die Welt der Phantasie von grosser Bedeutung. Dort habe ich meine Sujets gesucht, und in der Phantasie ist auch die Groteske daheim. Die Phantasie half mir vorzustellen, wie etwas sein könnte, und nicht bei dem stehen zu bleiben, wie es war.»

Wir gehen durchs Leben und sehen die Welt, wie sie sich uns darstellt. Wir erleben Situationen und nehmen sie für die Realität. Doch ist das alles? Könnte nicht vieles auch anders sein? Könnten aus der scheinbaren Realität nicht viele Möglichkeiten entstehen, wie es auch sein könnte? Was wäre, wenn sich etwas ändern würde? Was wäre, wenn man sich an einem Punkt des Lebens anders entschieden oder die Geschichte einen anderen Gang genommen hätte? Die Fantasie ist ein Türöffner in all die Welten, die hinter der eigentlichen, der sichtbaren, verborgen schlummern und nur darauf warten, entdeckt zu werden. Durch die Fantasie wird eine Vielzahl von Möglichkeiten zum Leben erweckt – realistische, surreale und groteske.

«Ich blickte jetzt auf die Welt, in der ich mich aufhielt. Ich habe immer stärker daran zu glauben begonnen, dass das, was du siehst und erlebst, wenn du aus dem Haus rausgehst, dein Gartentor öffnest und hinter dir lässt, dass dort die Welt beginnt, gleich hinter dem Gartentor oder schon im Garten. Und dass das, was du im Normalbetrieb siehst, die Welt ist, so wie sie ist, und dass es sich lohnt, diese Welt zu beschreiben.»

Aber auch die Welt selbst bietet viel für den, der die Augen offenhält. Wie oft laufen wir durch sie hindurch, sind in Gedanken vertieft und im Geist an einem anderen Ort? Wie oft verpassen wir so das Leben um uns, die kleinen Besonderheiten, die sich im Alltäglichen verbergen? All dies sieht Franz Hohler und beschreibt es in seinen Büchern. Er erzählt von Spaziergängen und davon, was er am Wegesrand sieht, er erzählt von Begegnungen, Eindrücken, Gegenständen und Menschen. Es sind keine spektakulären Berichte von herausragenden Geschehnissen, sondern die kleinen feinen Alltagsbeobachtungen, denen er seine Aufmerksamkeit widmet und dadurch die des Lesers weckt.

«Wir gehen dauernd durch Geschichten. Jeden Tag streifen wir Geschichten, erleben Geschichten, aber bemerken es nicht.»

Es sagte mal jemand, dass der, welcher seine Kindheit überlebt hätte, genug Material zum Schreiben für ein ganzes Leben hätte. Geschichten machen das Leben aus, durch Geschichten erzählen wir uns, wer wir sind und was wir erlebt haben. Geschichten gehören zum Menschsein dazu, sie dienen dem Bewusstwerden der eigenen Existenz. Von Joan Didion stammt der Ausspruch, dass wir uns Geschichten erzählen, um zu leben. Geschichten machen unser Menschsein aus, sie gehören zu unserer Existenz. O5Max Frisch führte den Gedanken fort und sagte, dass wir uns Geschichten erzählen und sie für unser Leben halten. Die Geschichten, die wir uns erzählen, sind nie die ganze Wahrheit, es sind kleine Auszüge aus einem grossen Ganzen, das wir selten wirklich überblicken. Aus dem Grund sind da immer noch viele andere Geschichten im Verborgenen, die wir ausgraben und erzählen könnten.

«Jede Seite wurde so lange geschrieben und wieder geschrieben, bis keine Korrekturen mehr nötig waren. Das mehrmalige Schreiben jeder Seite hat den Vorteil, dass ich in den Schreibfluss hineinkomme und jedes Wort persönlich kenne.»

Jeder Schriftsteller hat seinen eigenen Schreibprozess, der für ihn stimmt. Die einen machen erst genaue Skizzen, wie alles sich entwickelt, um es dann niederzuschreiben, andere schreiben darauf los, um zu sehen, wo die sich entwickelnde Geschichte sie hinführt. Franz Hohler gehört zur zweiten Sorte. Er geht von einer Idee aus und kennt am Anfang das Ende noch nicht – er lässt sich von der sich entwickelnden Geschichte selbst überraschen. Dieses Überraschende, dieses Suchen nach der in der Idee verborgenen Geschichte, macht das Schreiben spannend, so Hohler. Was auf den ersten Blick nach reinem Zufall aussieht, ist auf den zweiten Blick, wenn es um die Sprache geht, alles andere als zufällig, sondern Arbeit, eine Art Komposition mit Worten. Franz Hohler feilt an einzelnen Ausdrücken und Sätzen, bis der Lesefluss zur Geschichte passt. Er zielt auf eine innere Stimmigkeit von Wort, Satz, Melodie.

Fazit
Ein persönliches Buch über das Leben und Schreiben des Schriftstellers Franz Hohler, ein Blick hinter die Kulissen, der ein lebendiges Bild des Menschen hinter den vielen Erzählungen, Romanen und Bühnenstücken zeigt.

Herta Müller: Mein Vaterland war ein Apfelkern

Inhalt

«Mein Vaterland war
ein Apfelkern man
irrte umher zwischen
Sichel und Stern»

In einem ausführlichen Gespräch mit Angelika Klammer erzählt Herta Müller von ihrem Aufwachsen in Rumänien, von ihren Fantasien und Ängsten als Kind. Sie erzählt von der Bespitzelung, von der Unterdrückung, von der Auswanderung, erzählt von Leid und dem Erbe eines solchen Aufwachsens. Und immer wieder spricht sie auch von ihrem Schreiben, vor allem dem an der „Atemschaukel“, sowie vom Kleben ihrer Collagen.

Gedanken zum Buch

„Privat anständig bleiben bedeutet öffentlich versagen.“

Im sozialistischen System Rumäniens hatte man zwei Möglichkeiten: Einerseits Gehorsam und Kooperation, dann konnte man es zu etwas bringen, andererseits aber Verweigerung und Ablehnung, dann hatte man kaum eine Chance, wurde im Gegenteil verfolgt, bespitzelt, diffamiert und ausgeschlossen – auf oft subtile Art. Herta Müller hat die Kooperation mit klaren Worten abgelehnt. Es blieb nicht ohne Konsequenzen für sie. Sie wurde verleugnet, schikaniert und verlor schlussendlich ihre Stelle. Sie nahm das im Kauf, weil alles andere nicht mit dem zusammengepasst hätte, was sie von sich als Mensch erwartete.  

„Es kann einen niemand zwingen, so zu werden, wie man erzogen worden ist, oder so zu bleiben.“

Blinder Gehorsam ist der Weg des geringsten Widerstands. Er entbehrt jeglicher Selbstverantwortung, weil man einfach in vorgespurten Mustern bleibt, ohne diese zu hinterfragen. Für Herta Müller kam das nicht in Frage. Sie sah sich in der Pflicht, ihren Werten gemäss zu handeln, was bedeutete, nicht mit einem ausbeuterischen und faschistischen Regime zusammenzuarbeiten. Dass sie sich damit keine Freunde machte, liegt auf der Hand. Allerdings sieht sie das nicht als Heldenleistung Ihrerseits, sondern als Selbstverständlichkeit und Pflicht als verantwortungsbewusster Mensch.

„Umwege, weil es die richtigen Wege beim Schreiben gar nicht gibt. Nein, ich glaub, die Umwege sind die richtigen Wege. Ich muss doch, um einen Satz zu schreiben, aus den sprachlichen Gewohnheiten der Wörter ausscheren, die Wörter finden sich aufgrund von Takt und Klan, sie werden auf unerwartete Weise genau und sagen, was ich nicht wusste, dass ich es weiss, zum ersten Mal.“

Texte fliessen nicht einfach druckreif aufs Papier, sie finden ihren Weg über die Suche nach dem richtigen Wort, nach den richtigen Zusammenhängen und dem klangvollen Zusammenspiel von Wörtern. Texte werden so förmlich komponiert, bis durch die Kombination von Wort, Takt und Klang ein Ausdruck ihrer Bedeutung entsteht.

„das Schreiben ist eine innere Notwendigkeit gegen einen inneren Widerstand. Ich schreibe immer für und gegen mich selbst.“

Es ist keine Option, nicht zu schreiben, das Schreiben sucht sich seinen Weg. Die Worte wollen zu Papier gebracht werden, und so ergreift das Schreiben Besitz vom Schreibenden und lässt ihn nicht mehr los. Es ist Kampf und Freiheit, es ist eine Notwendigkeit aus sich selbst heraus.

„das Schreiben hat mit dem Schweigen zu tun, nicht mit dem Reden. Die Sätze sagen natürlich etwas, aber das hat man mit sich selber ausgemacht, man war in der Komplizenschaft mit dem Schweigen, nicht mit dem Reden.“

Schreiben ist ein Tun, das darüber Reden bringt wenig. Um Schreiben zu können, braucht es die Ruhe, das Schweigen, denn nur in dieser Stille zeigen sich die Wörter, formen sie sich zu Sätzen, dabei Form, Rhythmus, Klang gehorchend. Wer viele Worte schreibt, steht oft im Verdacht, auch viel zu reden, das Gegenteil ist meist der Fall: Das zu Sagende braut sich im Stillen, im Schweigen zusammen, und bricht  dann als Schrift heraus, fliesst quasi komponiert zu Papier.

Ein wunderbar tiefgründiges, persönliches, informatives, intelligentes Gespräch einer mutigen und spannenden Frau und einer grossartigen, sprachgewaltigen Autorin.

Fazit
Ein persönliches, bewegendes Buch mit tiefen Einblicken in die sozialistische Welt Rumäniens, das Aufwachsen in ihr sowie das Schreiben und Kleben von Literatur. Sehr empfehlenswert.

Hinter die Kulissen geschaut: Bettina Storks

Wir lesen Bücher und tauchen in Welten ein. Doch wer hat diese Bücher geschrieben, die Welten geschaffen? Ich schaue gerne Autoren über die Schulter, frage sie, wieso sie schreiben, wie sie schreiben und was sie bewegt. Dieses Mal habe ich bei Bettina Storks nachgefragt:

Bettina Storks wurde 1960 in Waiblingen geboren, studierte in Freiburg und Tübingen Neuere deutsche Literaturgeschichte, Romanistik und Kulturwissenschaften und promovierte im Fach Literaturgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg über die Prosa Ingeborg Bachmanns. Bis 2008 arbeitete sie in einem baden-württembergischen Staatsbetrieb als Redakteurin. In diesem Jahr erhielt sie ein Stipendium vom Förderkreis deutscher Schriftsteller Baden-Württemberg und verschrieb sich darauf ganz dem Schreiben literarischer Texte. Das Debüt erschien 2016:  „Das Haus am Himmelsrand“ bei Bloomsbury (Piper). Weitere folgen bald.

Bettina Storks lebt mit ihrer Familie am Bodensee. 

Zum Interview

Wer bist du? Wie würdest du deine Biografie erzählen?

Verheiratet, tierliebend, zur Zeit leider ohne Hund (meine Hündin Anfang des Jahres verstorben). Wir leben am schönen Bodensee. Nach dem Abitur habe ich Literaturgeschichte und Kulturwissenschaften studiert, dann über die Prosa Ingeborg Bachmanns promoviert, viele Jahre redaktionelle Tätigkeit, heute bin ich vollberuflich Schriftstellerin. 

Wieso schreibst du? Wolltest du schon immer Schriftstellerin werden oder gab es einen Auslöser?

Ich habe 25 Jahre als Redakteurin gearbeitet und mich erst spät an kreatives Schreiben herangewagt. Jetzt arbeite ich an meinem zehnten Roman. Ich empfinde meine heutige Arbeit als großes Privileg. Es ist schön, wenn man das, was man tut, nicht als Arbeit empfindet (na ja, die meiste Zeit jedenfalls). 

Woher holst du die Ideen für dein Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte draus?

Eigentlich entscheide ich mich schon immer für Themen, die mich persönlich bewegen, mich emotional packen. Das kommt vor allem bei meinen Familienromanen zum Tragen. Die Konflikte in Familien bilden ja eine unerschöpfliche Ressource für tiefgründige Geschichten, Geheimnisse. In meinem aktuellen Romanprojekt heißt es: „Das familiäre Gedächtnis vergisst nichts.“ Diese Überzeugung treibt mich sozusagen an.

Wenn du auf deinen eigenen Schreibprozess schaust, wie gehst du vor? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreibst du drauflos und schaust, wo dich das Schreiben hinführt?

Alles beginnt mit einer Geschichte, die man möglichst in fünf Sätze fassen kann. Ich weiß, wie sie anfängt, wie sie ausgeht, welche Figuren die Hauptrolle spielen. Erdachte Geschichten leben von der Plausibilität, vom Ausschlussverfahren. Meistens beginne ich mit einem Prolog, um ein Gefühl für die Geschichte zu bekommen. Ich plotte sehr bewusst durch. Oft habe ich 30 Seiten Plot, an die ich mich nicht akribisch halten muss, aber sie bilden die Grundlage für einen Roman.

Wie schreibst du? Noch mit Papier und Stift oder alles am Computer? Und: Hat das Schreibmittel deiner Meinung nach einen Einfluss auf den Schreibprozess?

Ich schreibe auf meinem Laptop. Bevor ich loslege, habe ich unzählige Notizbücher vollgekritzelt und mache das die ganze Zeit über, ich nutze also beides. Ich könnte mir niemals vorstellen, meine Texte zu sprechen und habe das mal versucht, auf Spaziergängen, Szenen, die mir einfallen aufzuschreiben. Das geht nur in Stichworten, aber nicht als flüssiger Text.  

Gab es Zeiten in deinem Leben, wo der Schreibfluss versiegte? Und wenn ja, wie gingst du damit um?

Es gibt immer Phasen mit Blockaden. Ich habe gelernt, dass sie ihren Grund haben. Oft stimmt im Plot etwas nicht, wenn das Schreiben nicht will. Die Muse küsst nicht freiwillig. Inspiration kommt durch Arbeit.

Ich hörte mal, der grösste Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchst du zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören dich andere Menschen nicht?

Also, ich persönlich brauche tatsächlich Ruhe, die ich glücklicherweise habe. Manchmal vermisse ich eine atmosphärische Bibliothek zum Arbeiten, wie früher während des Studiums, die Uni-Bibliothek oder das Deutsche Seminar (solche öffentlichen Arbeitsplätze helfen tatsächlich bei Blockaden). Ich ziehe mich völlig zurück, wenn ich schreibe, umso schöner, wenn man Feierabend macht und sich mit dem Mann zum Abendessen oder Kochen in der eigenen Wohnung verabredet. Was sagte Ingeborg Bachmann: „Denken ist solitär, allein sein eine gute Sache.“ Schreiben ist wirklich eine einsame Angelegenheit. Für mich war das aber noch nie ein Manko, sondern ein Privileg.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend oder bist du ständig „auf Sendung“? Wie schaltest du ab?

Oh je! Ja, leider bin ich ständig auf Sendung. Jeder Ferienort wird abgespeichert, Fotos gemacht für künftige Settings. Künftige Romanthemen schwingen immer mit. Das Regulativ eines Ehemanns bewirkt hier Wunder.

Was sind für dich die Freuden beim Leben als Schriftstellerin, was bereitet dir Mühe?

Am Anfang finde ich plotten, also Geschichten entwickeln, sehr mühsam. Erst im fortgeschrittenen Schaffensprozess macht mir die Entwicklung Freude. Das Schreiben selbst geht mir ziemlich leicht von der Feder, aber erst, wenn die Vorarbeit erledigt ist. Sie bildet sozusagen das Fundament.

Goethe sagte einst, alles Schreiben sei autobiographisch. Wie viel von Bettina Storks steckt in deinen Büchern?

Ich gebe ihm unbedingt recht, die Frage ist nur, wie gut man seine Geschichten und das, was einen bewegt, tarnt. Am Ende möchte man ja seine persönlichen Geheimnisse wahren.   

Du hast viele Romane nach realen Gegebenheiten geschrieben, was reizt dich an dieser Form? Und wie stösst du auf die Geschichten?

Außer bei Bachmann-Frisch durch Zufall. In Menerbes (Provence) entdeckte ich das Haus von Dora Maar, Picassos Geliebter, und fing an zu recherchieren. In Dieulefit habe ich die Rettungsgeschichte von über tausend Flüchtlingen entdeckt und schrieb einen Roman darüber. Es ist immer nur die Frage, wie man Historisches umsetzt.

Bei wahren Gegebenheiten sind gewisse Meilensteine im Leben der Protagonisten vorgegeben. Fällt es dir leichter, dich an diesen entlangzuschreiben, oder ist die ganz freie Form einfacher?

Beides hat seine Vor- und Nachteile. Die freie Form erlaubt natürlich mehr Freiheiten, Fantasien. Im konkreten Fall Bachmann-Frisch oder im Vorgänger Dora Maar und Picasso bestand die wirkliche Herausforderung darin, wahre Begebenheiten dramaturgisch aufzuarbeiten. Beide Paare boten glücklicherweise viel Drama, wobei bei Bachmann-Frisch die Dramatik weniger im Außen als im Inneren der Protagonisten angelegt ist. Das Innenleben finde ich immer viel spannender als das handlungsorientierte Erzählen. 

Dein achtes  Buch handelt von der Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Wenn man deinen Lebenslauf kennt, sind das für dich alte Bekannte. Wieso hast du dich nun entschieden, diese Geschichte aufzuschreiben?

Eigentlich ergab sich das im Gespräch mit meinem Verlag Aufbau. Als ich sagte, ich hätte über Bachmann promoviert, war es klar, dass ich den Stoff mache.

Nun kam der wohl lange erwartete Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch heraus. Oft hörte man die Frage, ob man diese privaten Zeugnisse lesen dürfe, zumal Ingeborg Bachmann das nicht wollte. Was denkst du dazu? Der Briefwechsel wirft ein neues Licht auf die Beziehung, die vorher die vorher einem Mythos gleich immer wieder das Bild des Opfers Ingeborg Bachmann und den bösen Beziehungstyrannen Max Frisch dargestellt wurde. Man konnte schon vorher ahnen, dass das nicht ganz der Realität entspricht. Hat es dich überrascht? Und vor allem: Würdest du dein Buch heute anders schreiben?

Ich habe die Opfer- und Täterrolle in meinem Roman nicht bedient, weil mir seit meiner Promotion über Ingeborg Bachmanns Prosa klar war, dass solche Kategorien nicht weiterführen. Es waren zwei erwachsene Menschen, die sich wissentlich aufeinander eingelassen haben. Schuldzuweisungen führen doch nur ins Leere. Und ja, ich würde das Buch genauso schreiben wie vor zwei Jahren.

Hast du schon ein neues Projekt? Wird es wieder eine historische Begebenheit oder ein rein fiktiver Roman werden? Kannst du etwas verraten?

Nach meinem aktuellen Roman Die Kinder von Beauvallon schreibe ich wieder an einem Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht. Diesmal bewege ich mich in Polen, ein Land, das mich schon immer reizt und zu dem ich autobiographische Verbindungen habe. (Der Roman ist mittlerweile erschienen)

Die meisten Schriftsteller lesen auch viel – gibt es Bücher, die dich geprägt haben, die dir wichtig sind, Bücher, die du empfehlen würdest?

Wer mich unbedingt geprägt hat ist die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev. Ich liebe ihre Art des Schreibens, die Themen, die sie aufgreift. Sie hält im Alltag den Finger in die Wunde.

Welche fünf Tipps würdest du einem angehenden Schriftsteller geben?

Sich selbst treu bleiben, Geduld, Dranbleiben, eine gewisse Zwanghaftigkeit schadet nicht, Struktur und „gute Bücher lesen“.

„Dass die Menschen besser lernen, im Dialog zu sein“

Für uns als Gesellschaft würde ich mir wünschen, dass die Menschen besser lernen, im Dialog zu sein, aufeinander zu achten, anderen Meinungen und dahinterstehenden Ängsten und Sorgen offen gegenüberzutreten.

Vor einiger Zeit fragte mich Walter Pobaschnig an, ob ich bereit wäre, ihm für ein Interview ein paar Fragen zu beantworten. Ich war bereit und erzählte über meinen Tagesablauf, meine Gedanken, was ich in unserer Zeit wichtig oder wünschenswert finde und welche Rolle Kunst und Literatur in meinen Augen haben. Herausgekommen ist dieses Interview:

5 Fragen an KünstlerInnen zur Gegenwart – Sandra von Siebenthal

Das Zitat am Ende stammt übrigens von Rilke:

Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.

Carsten Henn – Nachgefragt

Carsten Henn wurde 1973 in Köln geboren, studierte zuerst Völkerkunde bis zum Magister, 1997 in Adelaide/Australien neben Völkerkunde auch Yoga und Weinbau. Danach war er erst Radiomoderator, betrieb eine wöchentliche Comedy-Show und arbeitet heute als freier Weinjournalist für nationale und internationale Magazine und prämiert als Mitglied verschiedener Jurys Weine. Daneben schreibt er in diversen literarischen Genres.

Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biografie erzählen?

Ich bin ein Autor und eigentlich war ich nie etwas anderes. Als ich noch nicht schreiben konnte habe ich mir miserabel gereimte Liedtexte ausgedacht und meine Familie damit malträtiert. In der Grundschule habe ich dann im Alleingang eine Schülerzeitung geschrieben – und selbst kopiert.

Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen konkreten Auslöser?

Kurzfristig wollte ich auch Astronaut, Detektiv und Koch werden, aber Schriftsteller kam direkt danach. Das Gute am Schriftstellerdasein: auf eine gewisse Art kann man dabei alles sein, was man will. Und die Weltraumforschung wie auch Restaurantgäste sind sicher froh, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.

Sie haben in verschiedenen Genres geschrieben, unter anderem Krimis, darunter auch kulinarische Kurzkrimis oder Sachbücher und sie machten „literarische Ausflüge“, wie sie es selber nennen. Daneben entdecken sie Wein, sind selbst Besitzer eines Weinbergs und schreiben journalistisch über Wein und Genuss. Wäre es nicht einfacher, immer im gleichen Gewässer zu fischen oder brauchen Sie die Abwechslung, um sich nicht selbst zu langweilen? Und: Reichen 24-Stunden-Tage, das alles unter einen Hut zu bringen?

Es wäre sicher einfacher immer im selben Gewässer zu fischen, aber auch langweiliger. Ich bin neugierig und folge konsequent meinen Leidenschaften. Und erst hinterher schaue ich in meinen Terminkalender. Allerdings ist es irgendwie schon dasselbe Gewässer, aber ein großes: dass des Genusses. Darin finden sich zum Beispiel Weine, Whiskys, oder gutes Essen aber auch Bücher. Und in diesem Gewässer bin ich sehr, sehr gerne Fisch.

Woher holen Sie Ihre Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt und sieht man viel, aber wie wird eine Geschichte daraus?

Wenn ich wüsste, wo die Ideen herkommen, würde ich jeden Tag hingehen, um mir ein paar zu holen. Ich weiß es nicht, und irgendwie ist genau das auch das Schöne daran. Sie kommen irgendwoher, man muss nur bereit sein, wenn sie anklopfen.

Wenn Sie auf Ihren eigenen Schreibprozess schauen, wie gehen Sie vor? Mit Papier und Stift oder am Computer? Entsteht zuerst ein durchdachtes Gerüst oder aber schreiben Sie drauf los und schauen, wo das Schreiben hinführt? Variiert das in den verschiedenen Genres?

Ich schreibe am Computer, denn ich mag die Möglichkeit Dinge hin- und herschieben zu können, Leerstellen zu lassen, die ganze Freiheit, die man hier hat. Das Grundgerüst jeden Romans steht vor dem Schreiben, bei Krimis detaillierter als zum Beispiel bei Liebeskomödien. Aber mir ist ganz wichtig während des Schreibprozesses wahrzunehmen, wie ein Roman sich entwickelt und die Figuren an der langen Leine zu lassen. Sie sollen ja ein Eigenleben entwickeln, und das verändert dann automatisch den Plot. Insofern: plotten ist extrem wichtig, aber ich hänge nicht sklavisch daran.

Wie gehen Sie mit Schreibblockaden um? Gibt es diese überhaupt?

Bei mir sind es gottseidank nur kleinere, die nie länger als drei Tage dauern. Eine solche Blockade ist immer ein Zeichen für eine unbeantwortete Frage. Die sollte man dringend klären. Insofern sind solche Blockaden hilfreich, denn sie weisen einen auf ein Problem hin, etwas das man nicht genug durchdacht hat.

Ich hörte mal, der größte Feind des Schriftstellers sei nicht mangelndes Talent, sondern die Störung durch andere Menschen. Brauchen Sie zum Arbeiten Stille und Einsamkeit, oder stören Sie andere Menschen nicht? Wo schreiben sie bevorzugt?

Andere Menschen stören mich nicht per se, in der Bahn kann ich zum Beispiel sehr gut schreiben. Menschen, die mit mir reden wollen, sind dagegen tatsächlich problematisch. In der Regel schreibe ich allein, nur mit meinen Katzen.

Hat ein Schriftsteller je Ferien oder Feierabend oder sind Sie ständig „auf Sendung“? Wie schalten Sie ab?

Während eines Romans bin ich potenziell immer „auf Sendung“. Wenn ich keinen Roman schreibe, sind meine Antennen auf Empfang gestellt. Die Idee für einen Roman kann jederzeit kommen. Richtig Feierabend oder Ferien gibt es deshalb nicht. Das will ich aber auch genau so.

Goethe sagte einst, alles Schreiben sei autobiographisch. Wie viel von Carsten Henn steckt in Ihren Büchern, zum Beispiel in Ihrem neusten Roman „Der Buchspazierer“?

Die Hauptfiguren sind von meinem Vater und meiner Tochter inspiriert. So klare Inspirationen sind aber eher ungewöhnlich für mich. Ich versuche auch grundsätzlich nicht zu hinterfragen, wie viel von mir in einer Figur steckt, das nimmt dem Schreibprozess seine Unschuld und auch sein Mysterium. Mir fällt deshalb manchmal erst Jahre später auf, was ich alles über mich preisgegeben habe, ohne es selbst zu wissen.

„Der Buchspazierer“ ist eine feinfühlige, herzerwärmende Geschichte über den Bücherfreund Carl, der seine Kundschaft mit für ihre Situation passenden Bücher versorgt. Gibt es Bücher, die Sie geprägt haben, die Ihnen wichtig sind? Gibt es Bücher, die Sie ans Herz legen möchten, weil sie diese als besonders wertvoll erachten?

Viele. Und in jeder Lebensphase andere. Eine der großartigen Sachen bei Büchern ist, wie viele verschiedene es davon gibt. Für jeden ist etwas dabei. Und das Suchen und Auswählen ist Teil des Genusses, und auf eine gewisse Weise auch schon Teil des Lesens.

Welche fünf Tipps würden Sie einem angehenden Schriftsteller geben?

Schreiben. Lesen. Nicht auf den Erfolg hinschreiben, sondern das schreiben, was einen bewegt und interessiert. Guten Kaffee trinken. Katzen anschaffen. Mindestens zwei.