Ein Gespräch mit Klaus Siblewski
Inhalt
«Alles, was man selbst erlebt hat, fliesst mit ein in das, was man erzählen möchte. Ich denke, das gilt für die Literatur, das gilt aber auch für die bildende Kunst, die Musik. Schreiben schliesst alles mit ein, ob man es merkt oder nicht.»
Franz Hohler spricht mit Klaus Siblewski über seine Herkunft, seine Familie und sein Aufwachsen. Er erzählt von seinem Weg hin zum Schriftsteller, von seinen einzelnen Stationen und verschiedenen Projekten. Er lässt den Leser teilhaben an seinem Schreibprozess, an Gedanken hinter und zu seinen Büchern, bietet Einblicke in sein Leben und Schaffen. Ein sehr persönliches Buch, das sich mit den verschiedensten Themen beschäftigt, das von Hunden und Spaziergängen, von Fussball und Herkunft, von Ideen und deren Weiterentwicklung, und immer auch vom Schreiben handelt.
Gedanken zum Buch
«Jetzt mache ich ein Jahr lang Auftritte und schreibe, dann sehe ich weiter. Für dieses Jahr meldete ich mich von der Universität ab, und dieses Jahr dauert bis heute an.»
Franz Hohler studierte Germanistik und Romanistik, schrieb daneben kurze Texte, Lieder, Monologe und kleine Szenen. Ihm kam der Gedanke, diese auf die Bühne zu bringen, was ein grosser Erfolg wurde. Obwohl seine Eltern lieber gesehen hätten, wenn er zuerst das Studium abschliesst und dann ein Leben als Schriftsteller ausprobiert, entschied er sich für den anderen Weg: er wollte ein Jahr lang ausprobieren, ob er mit dem Schreiben weitere Erfolge habe, ansonsten ginge er an die Uni zurück. Mittlerweile schaut er auf einige Jahrzehnte dieses freien Schaffens zurück, entstanden sind mehrere Erzählbände, Romane und Bühnenprogramme.
«Für mich war die Welt der Phantasie von grosser Bedeutung. Dort habe ich meine Sujets gesucht, und in der Phantasie ist auch die Groteske daheim. Die Phantasie half mir vorzustellen, wie etwas sein könnte, und nicht bei dem stehen zu bleiben, wie es war.»
Wir gehen durchs Leben und sehen die Welt, wie sie sich uns darstellt. Wir erleben Situationen und nehmen sie für die Realität. Doch ist das alles? Könnte nicht vieles auch anders sein? Könnten aus der scheinbaren Realität nicht viele Möglichkeiten entstehen, wie es auch sein könnte? Was wäre, wenn sich etwas ändern würde? Was wäre, wenn man sich an einem Punkt des Lebens anders entschieden oder die Geschichte einen anderen Gang genommen hätte? Die Fantasie ist ein Türöffner in all die Welten, die hinter der eigentlichen, der sichtbaren, verborgen schlummern und nur darauf warten, entdeckt zu werden. Durch die Fantasie wird eine Vielzahl von Möglichkeiten zum Leben erweckt – realistische, surreale und groteske.
«Ich blickte jetzt auf die Welt, in der ich mich aufhielt. Ich habe immer stärker daran zu glauben begonnen, dass das, was du siehst und erlebst, wenn du aus dem Haus rausgehst, dein Gartentor öffnest und hinter dir lässt, dass dort die Welt beginnt, gleich hinter dem Gartentor oder schon im Garten. Und dass das, was du im Normalbetrieb siehst, die Welt ist, so wie sie ist, und dass es sich lohnt, diese Welt zu beschreiben.»
Aber auch die Welt selbst bietet viel für den, der die Augen offenhält. Wie oft laufen wir durch sie hindurch, sind in Gedanken vertieft und im Geist an einem anderen Ort? Wie oft verpassen wir so das Leben um uns, die kleinen Besonderheiten, die sich im Alltäglichen verbergen? All dies sieht Franz Hohler und beschreibt es in seinen Büchern. Er erzählt von Spaziergängen und davon, was er am Wegesrand sieht, er erzählt von Begegnungen, Eindrücken, Gegenständen und Menschen. Es sind keine spektakulären Berichte von herausragenden Geschehnissen, sondern die kleinen feinen Alltagsbeobachtungen, denen er seine Aufmerksamkeit widmet und dadurch die des Lesers weckt.
«Wir gehen dauernd durch Geschichten. Jeden Tag streifen wir Geschichten, erleben Geschichten, aber bemerken es nicht.»
Es sagte mal jemand, dass der, welcher seine Kindheit überlebt hätte, genug Material zum Schreiben für ein ganzes Leben hätte. Geschichten machen das Leben aus, durch Geschichten erzählen wir uns, wer wir sind und was wir erlebt haben. Geschichten gehören zum Menschsein dazu, sie dienen dem Bewusstwerden der eigenen Existenz. Von Joan Didion stammt der Ausspruch, dass wir uns Geschichten erzählen, um zu leben. Geschichten machen unser Menschsein aus, sie gehören zu unserer Existenz. O5Max Frisch führte den Gedanken fort und sagte, dass wir uns Geschichten erzählen und sie für unser Leben halten. Die Geschichten, die wir uns erzählen, sind nie die ganze Wahrheit, es sind kleine Auszüge aus einem grossen Ganzen, das wir selten wirklich überblicken. Aus dem Grund sind da immer noch viele andere Geschichten im Verborgenen, die wir ausgraben und erzählen könnten.
«Jede Seite wurde so lange geschrieben und wieder geschrieben, bis keine Korrekturen mehr nötig waren. Das mehrmalige Schreiben jeder Seite hat den Vorteil, dass ich in den Schreibfluss hineinkomme und jedes Wort persönlich kenne.»
Jeder Schriftsteller hat seinen eigenen Schreibprozess, der für ihn stimmt. Die einen machen erst genaue Skizzen, wie alles sich entwickelt, um es dann niederzuschreiben, andere schreiben darauf los, um zu sehen, wo die sich entwickelnde Geschichte sie hinführt. Franz Hohler gehört zur zweiten Sorte. Er geht von einer Idee aus und kennt am Anfang das Ende noch nicht – er lässt sich von der sich entwickelnden Geschichte selbst überraschen. Dieses Überraschende, dieses Suchen nach der in der Idee verborgenen Geschichte, macht das Schreiben spannend, so Hohler. Was auf den ersten Blick nach reinem Zufall aussieht, ist auf den zweiten Blick, wenn es um die Sprache geht, alles andere als zufällig, sondern Arbeit, eine Art Komposition mit Worten. Franz Hohler feilt an einzelnen Ausdrücken und Sätzen, bis der Lesefluss zur Geschichte passt. Er zielt auf eine innere Stimmigkeit von Wort, Satz, Melodie.
Fazit
Ein persönliches Buch über das Leben und Schreiben des Schriftstellers Franz Hohler, ein Blick hinter die Kulissen, der ein lebendiges Bild des Menschen hinter den vielen Erzählungen, Romanen und Bühnenstücken zeigt.


Manchmal muss man gar nicht weit gehen, um Geschichten zu finden. Sie sind überall, in der Nachbarschaft, auf dem Friedhof, im Bahnhof, in der Schule oder im Theater. Man findet sie am Morgen, am Abend und dazwischen. Man muss nur die Augen und die Ohren offenhalten.
Es gelingt Franz Hohler, seine Spaziergänge durch wunderbare Sprachbilder und den Blick für die kleinen Details nicht nur lesbar, sondern auch erfahrbar zu machen. Entstanden sind so 52 kurze Texte gespickt mit Erinnerungen des Autors an Kindertage, aktuellen Momentaufnahmen und scharfsinnigen Kommentaren und Gedanken, die nicht selten ein Augenzwinkern mit im Gepäck haben . Nach der Lektüre dieses Buches wird man die Welt beim nächsten Spaziergang mit anderen Augen betrachten. Am liebsten würde man gleich die Schuhe binden und losgehen.
Nachdem Franz Hohler vor 30 Jahren seinen ersten Gedichtband veröffentlichte mit dem Titel Vierzig vorbei, wendet er sich nun – aus gegebenem Anlass wohl – dem Thema zu, welches in der Prosa-Literatur eher ein Tabu ist: dem Älterwerden. Die Dichter befassen sich mehr damit.