Lieber Papa
Das fühlte sich alles nicht gut an. All die offenen Fragen. So viel, das ich nicht verstehen konnte. Gerade war alles noch gut gewesen. Und nun? Stand alles in der Schwebe. Ich konnte nichts tun. Dir nicht helfen. Nichts sagen, denn alles wirkte nur platt.
«Das wird schon wieder.»
«Du schaffst das.»
Würde ich es aussprechen, sprach ich auch die Möglichkeit an, dass es nicht so sein könnte.
«Das wird schon wieder gut.»
Hörte ich plötzlich von dir. Wie konntest du so etwas sagen?
Dann schwiegen wir beide. Tauschten höchstens ein paar Belanglosigkeiten aus, weil alles andere unpassend erschien. Zudem schien es, als ob nichts wirklich zu dir durchdrang. Als wärst du in einer grossen Blase von Unsicherheit und Fragen gefangen.
Ich erinnere mich, wie du immer gesagt hattest, dass man nie ins Krankenhaus gehen solle. Die fänden da immer etwas und danach sei man wirklich krank, sagtest du. Ich fragte mich, was sie wohl bei dir finden werden. Was hatte dir aus dem Nichts die Sprache verschlagen?
«Das wird wieder gut.»
Du sagtest es nochmals. Und ich wusste nicht, ob du mich oder dich überzeugen wolltest. Vielleicht beide.
«Bestimmt!»
Sagte ich und glaubte es nicht. Hoffte es aber.
«Es muss!»
Sagte ich.
Dann verliess ich das Krankenhaus. Ich rannte fast, als sei ich auf der Flucht. Als liesse sich all das abschütteln. Ich lief durch Strassen und Gassen, vorbei an Läden und über den Fluss hin zum Bahnhof. Ich war blind für alles um mich, lief wie in einem Tunnel aus Gedanken, Gefühlen und Ängsten.
Ich stieg in den Zug. Fuhr weg von dir. Nahm nur die Trauer mit.
(«Alles aus Liebe», XXXX)
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