Julia Cruschwitz/ Carolin Haentjes: Femizide. Frauenmorde in Deutschland

Inhalt

„Frauenmord ist keine Familientragödie.
Frauenmord ist keine Beziehungstat.
Frauenmord ist kein Eifersuchtsdrama.
FRAUEN WERDEN GETÖTET, WEIL SIE FRAUEN SIND.
ES HEISST FEMIZID.“

Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet, einfach weil sie eine Frau ist. Jeden zweiten Tag versucht ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten – und das sind nur die bekannten Fälle. Viele Kinder werden durch solche Taten traumatisiert, weil sie dabei sind, oder auch umgebracht. Hunderte Kinder werden so jedes Jahr zu Halbwaisen.

Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes wollen mit ihrem Buch „Femizide“ aufrütteln und ein Thema ins Bewusstsein bringen, welches viel zu wenig bekannt ist. Sie haben dazu mit Menschen aus relevanten Gebieten wie der Wissenschaft, der Polizei, Sozialarbeit oder dem Rechtssystem geredet, liessen betroffene Überlebende zu Wort kommen und analysierten Studien.

Wir haben ein Problem, aber es ist lösbar – mit den nötigen Massnahmen auf verschiedenen Ebenen. Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes zeigen sie auf.

Weitere Betrachtungen

„Die Ursache der Gewalt […liegt] in gesellschaftlichen Strukturen. Männliche Machtansprüche seien in der Gesellschaft immer noch akzeptiert, die Geschlechterrollen hätten sich in der Tiefe nicht verändert, beispielsweise sei es immer noch ungewöhnlich, wenn eine Frau mehr verdiene als ihr Mann oder gesellschaftlich höher stehe, und viele Männer hätten ein Problem damit.“

Femizide sind nicht nur einzelne Gewalttaten, auch hier haben wir es mit einem strukturellen Problem zu tun. Noch immer herrscht in vielen Köpfen das alte Rollenbild der männlichen Dominanz vor, der Mann hat das starke Geschlecht auf allen Ebenen zu sein, die Frau ihm unterlegen und von ihm beschützt. Wenn ein so denkender und fühlender Mann nun in eine Situation kommt, in welcher er seine Rolle in Gefahr sieht, muss er sich wehren, das gebührt seiner Männlichkeit und seiner Ehre. Nun ist dieses Rollenbild nicht bei allen Männern gleich stark (oder überhaupt noch da) und nicht jeder mit einem solchen wird seine Partnerin irgendwann umbringen, aber das Rollenbild birgt eine Gefahr in sich, die im schlimmsten Fall tödlich ausgehen kann. Aus diesem Grund ist es wichtig, diese Rollenbilder ins Bewusstsein zu bringen und sie durch neue, gleichberechtigtere zu ersetzen.

„In der Mehrzahl der Fälle wurde mit erheblichem Aufwand reflektiert, geplant und entschlossen gehandelt… In mehr als 90% der Tötungen kam es im Vorfeld zu Stalking – das ist ein untrügliches Warnzeichen für mögliche Gewalt. Ein weiteres, starkes Warnsignal sei es, wenn Männer massive Kontrolle während der Beziehung auf ihre Partnerin ausübten.“

Femizide passieren selten aus dem Nichts und auch kaum je spontan. Sie werden von langer Hand geplant, aus einer Wut heraus, aus Berechnung, aus dem Gefühl, dass diese Frau nicht mehr zu leben verdient, weil sie eben diese Frau ist. Oft wird fälschlicherweise angenommen, in der Beziehung vorher müsste es schon zu Gewalt gekommen sein, damit die Gefahr eines Femizids gegeben sei. Was oft schon während der Beziehung passiert, ist eine sich steigernde Dominanz des Mannes der Frau gegenüber. Ihr Bewegungsradius wird eingeschränkt und kontrolliert. Dem ist nicht so. Die meisten Femizide passieren nach Trennungen, oft, wenn ein neuer Partner im Spiel ist. Im Vorfeld kam es oft zu Stalking, oft auch zu Drohungen, die leider zu wenig wahrgenommen werden, weil die Sensibilität und das nötige Wissen in dem Bereich fehlt bei den Behörden.

„Es braucht politischen Willen, damit ein Hochrisikomanagement eingeführt wird, das allen an einem Fall Beteiligten ermöglicht, die Gefahr zu erkennen und Betroffene zu schützen. Das setzt voraus, die Gefahr zu erkennen und Betroffene zu schützen. Das setzt voraus, dass auch häusliche Gewalt und Stalking als schwerwiegendes öffentliches Problem erkannt werden. Diese Haltung muss auf allen Ebenen vorhanden sein.

Persönlicher Bezug

„Verbleibt eine Frau in einer Beziehungs- oder Liebesgemeinschaft, … in der sie stets mit Misshandlungen und Demütigungen rechnen muss und aus der sie sich mit einem Mindestmass an Selbstverantwortung hätte befreien können, kann im Falle einer Körperverletzung keine staatliche Entschädigung beansprucht.“

Dies war Teil der Begründung der Ablehnung einer Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz, welches Opfern von Gewalt, welche unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden dadurch unterstützen soll. In diesem Satz zeigt sich ein grosser Teil der Problematik, nämlich das mangelnde Wissen um die Hintergründe solcher Taten. Oft geht dem versuchten Femizid eine lange Leidensstrecke der Frau voraus. Sie hat über Jahre Erniedrigungen, Gewalt und Kontrolle erfahren. Sie ist dadurch immer schwächer geworden in ihrer Selbstwahrnehmung, so dass ihr schlussendlich sowohl die Kraft wie auch der Glaube fehlt, es allein schaffen zu können. Zudem lässt ein solcher Mann seine Frau nicht einfach gehen. Entweder schafft er es, sie mit überzeugend klingenden Argumenten zu halten, oder aber er kann sie mit Drohungen in eine Angst versetzen, die jegliche Handlungsmacht der Frau auslöscht.

Das in diesem Entscheid sichtbare Unverständnis zeigt sich leider auch bei den behandelnden Behörden, so dass eine Frau, die es zur Polizei oder gar vor Gericht schafft, damit rechnen muss, nicht ernst genommen zu werden und keine dringend nötige Hilfe zu erhalten. Dafür das Risiko auf sich zu nehmen, ist doppelt schwer.

Es gibt viel zu tun, wir können das Problem der häuslichen Gewalt nicht länger ignorieren. Auf Stufe der Polizei. gibt es vielerorts Ausbildungen und Handlungsanleitungen, wodurch mehr Sensibilität und ein besserer Umgang mit diesem Problem gewährleistet ist. Sieht man teilweise Gerichtsurteile und die dahinterliegenden Begründungen (es finden sich einige in dem Buch), stehen einem die Haare zu Berge. Ich hoffe und wünsche mir, dass dieses Buch aufrüttelt, dass es an den richtigen Stellen gelesen wird und Handlungen auslöst.

Fazit
Ein analytisches, differenziertes, ausführliches Buch über Femizide, deren Hintergründe und Bedingungen sowie der offensichtlichen Mängel, die es in unserer Gesellschaft und bei unseren Behörden im Umgang damit noch gibt. Sehr empfehlenswert.

Autorin
Julia Cruschwitz studierte Kommunikationswissenschaften, Hispanistik und Literaturwissenschaften und ist seit 2003 als freie Autorin fürs Fernsehen tätig. Für ihre Beiträge wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Carolin Haentjes arbeitet seit ihrem Studium der Politik-, Kultur- und Literaturwissenschaften als freie Journalistin und Feature-Autorin, unter anderem für das Deutschlandradio und den Mitteldeutschen Rundfunk.

Angaben zum Buch
Herausgeber: S. Hirzel Verlag GmbH; 1. Edition (25. November 2021)
Taschenbuch: 216 Seiten
ISBN-Nr.: 978-3777630298

8 Kommentare zu „Julia Cruschwitz/ Carolin Haentjes: Femizide. Frauenmorde in Deutschland

  1. Ein wichtiges Thema. Zuerst dachte ich, ja alles richtig aber wieder Typisch nur weil sie Frauen sind und was ist mit den Männern, die von ihren Frauen geschlagen werden? Aber die Ableitung ist absolut plausibel und ich stimme voll zu, dass das klassische Rollenbild noch sehr tief verwurzelt ist.

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    1. Es gibt Männer, die von Frauen geschlagen werden und leider ist das noch ein zu grosses Tabu, gerade auch, weil sich die Männer oft schämen, darüber zu sprechen, sie müssen doch ihr Männerbild aufrechterhalten. Ich denke, diese Rollenbilder schaden uns allen, weil sie alle in etwa hineinzwängen, das die Autonomie untergräbt.

      Bei Femiziden geht es aber wirklich um Tötung und der Grund ist das Frausein. Es gibt zwar auch Fälle von Frauen, die ihre Männer umbringen, die sind aber eher selten und meist anders motiviert.

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  2. Wer verstehen will,
    muß aus der Wertung aussteigen;
    wer verurteilen will, muß das Verstehen meiden.

    🌾

    Zitat: „Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind.“

    Das ist Unsinn.

    Man/frau muß schon sehr tief im Kriegsgraben
    stecken, um so etwas formulieren zu können. 🤗

    Werden Männer getötet, weil sie Männer sind?
    Werden Kinder getötet, weil sie Kinder sind?

    Ich bedauere es genau so wie die Helferinnen in den Frauenhäusern, wenn gerade verprügelte Frauen schon nach wenigen Tagen zu ihren Männern zurück wollen.

    Hier zeigt sich, daß das einfach gestrickte Täter-Opfer-Schema nicht paßt.

    🌾

    „Ich bin kein Opfer!
    Es ist nichts Glorreiches, Opfer zu sein.“

    …sagt Eva Mozes Kor

    (eine Frau, die Auschwitz und den Arzt Mengele überlebt hat)

    🌾

    „Wir müssen mit dem Anklagen aufhören.“
    „Vergebung und Heilung sind wichtig.“

    ― Eva Mozes Kor

    Mit ihrem Anliegen sehe ich mich im Einklang.

    Gefällt 1 Person

  3. Wenn es um Leben oder Tod geht, werden allermeist die Schwächeren von den Stärkeren getötet: Die Kinder, weil sie Kinder sind, die Frauen, weil sie Frauen sind und die Männer, weil sie Männer sind. Diese Stärkeren sind bei ihrer Tat zwar nur physisch die Stärkeren, aber diese Stärke genügt, wenn es um Leben oder Tod geht. Leider bleibt bei mir die Frage offen, wie und warum es dazu kommt, dass Stärke auf diese Weise missbraucht wird. Was müsste im Vorfeld geschehen, dass wir nie mit Tötungsabsichten einem Anderen gegenüber stehen?

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    1. Gerade bei Femiziden gibt es mittlerweile gute Kenntnis darüber, wieso es dazu kommt und worauf im Vorfeld zu achten wäre. Leider wird das Ganze in Deutschland je nach Bundesland mehr oder weniger kommuniziert und in den nötigen Stellen integriert.

      Wenn es natürlich auch Morde an Männern und Kindern (und an anderen Frauen als hier gemeint) gibt, so stellen Femizide eine eigene „Gattung“ dar, weil hier wirklich das Frausein der Tötungsgrund ist. Die Frau, die dem Mann nicht so Untertan war wie er das wollte, die es wagte, ihn zu verlassen, wird (mit dem Tod) bestraft. Teilweise greifen diese Männer (und es sind in dem Fall halt wirklich Männer) zuerst zum grausamen Mittel, die Kinder zu töten, um der Frau Schmerz zuzufügen.

      Es ist ein trauriges Thema, der Gedanke, dass jeden Tag ein Versuch einer solchen Tötung stattfindet, macht betroffen.

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