Hannah Arendt: Denken ohne Geländer

‚Denken ohne Geländer’, das ist es in der Tat, was ich zu tun versuche.

Das vorliegende Buch beinhaltet zentrale Texte aus Hannah Arendts Schriften sowie Auszüge aus Briefen zu Themen, die Hannah Arendt bewegten und ihre Auseinandersetzung damit zeigen. Das Buch bietet damit eine Einführung in zentrale Gedankengänge, offenbart die klare Strukturiertheit von Hannah Arendts Denken und ihre Genauigkeit bei der Analyse von Zusammenhängen und Verwendung von Begriffen.

Denken ohne Geländer ist in fünf Teile gegliedert, von denen der erste die Philosophie allgemein behandelt. Es werden Fragen behandelt wie wo wir sind, wenn wir denken, was Denken überhaupt ist und wie es mit der Sprache zusammenhängt.

„Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste“ – weil Denken Lebendigsein ist, so wie Arbeiten Leben ist.

Arbeiten – Denken – Lieben sind die drei Modi des schieren Lebens, aus denen nie eine Welt entstehen kann und die daher eigentlich welt-feindlich, anti-politisch sind.

Der zweite Teil ist Arendts politischem Denken gewidmet. Der historische Sinn des Politischen liegt, so Arendt, in der Freiheit. Der Staat als Gewaltmonopol ist dazu legitimiert, dieses zu nutzen um dieselbe für seine Bürger zu gewähren – als ein Nicht-beherrscht-Werden und Nicht-Herrschen. In der Gegenwart stellt sich allerdings eher die Frage, ob Politik überhaupt noch Sinn ergebe, was den Erfahrungen von Totalitarismus und Terror geschuldet sei. Die Auseinandersetzung mit den Begriffen Macht, Stärke, Gewalt, Kraft und Terror zeigen Arendts Wertlegung auf präzise Begrifflichkeiten.

Nirgends tritt das selbstzerstörerische Element, das dem Sieg der Gewalt über die Macht innewohnt, schärfer zutage als in der Terrorherrschaft, über deren unheimliche Erfolge und schliessliches Scheitern wir vielleicht besser Bescheid wissen als irgendeine Zeit vor uns. Terror und Gewalt sind nicht dasselbe. Die Terrorherrschaft löst eine Gewaltherrschaft ab, und zwar in den, wie wir wissen, nicht seltenen Fällen, in denen die Gewalt nach Vernichtung aller Gegner nicht abdankt.

Der dritte Teil über das politische Handeln widmet sich hauptsächlich der jüdischen Geschichte, der jüdischen Armee, dem Kampf gegen den Antisemitismus und der Eichmann-Kontroverse. Daneben findet sich ihr Artikel zu Little Rock, der Frage nach des gleichberechtigten Schulbesuchs von schwarzen und weissen Kindern in einer Schule in den USA.

Im vierten Teil finden sich Texte über die Situation des Menschen und das, was den Menschen als solchen ausmacht an Fühlen und Handeln. Lebensthemen wie die Liebe, Treue, Schmerz und das Alter werden feinfühlig und durchdacht behandelt.

…für die Meinung, dass nur die Liebe die Macht hat zu vergeben, spricht immerhin, dass die Liebe so ausschliesslich auf das Wer-jemand-ist sich richtet, dass sie geneigt sein wird, Vieles und vielleicht Alles zu verzeihen.

Den abschliessenden fünften Teil füllen Lebensgeschichten aus. Es finden sich neben Texten zu Rahel Varnhagen, Jaspers und Heidegger Briefausschnitte aus Arendts vielfältigen Briefwechseln mit Heinrich Blücher, Mary McCarthy und Gertrud und Karl Jaspers.

…wie ich auf Deinen Brief gewartet habe, kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Das ist das Band, das mir immer wieder klarmacht, dass ich nicht verlorengehen kann. Denn wenn Du nicht da bist, bin ich gleich wieder so verletzbar wie früher.

Fazit:
Eine breite Zusammenstellung von Texten zu den verschiedensten Themen, die Hannah Arendt in ihrer klaren Art zu denken behandelt hat. Macht Lust auf mehr. Absolut empfehlenswert.

Zur Autorin:
Hannah Arendt
(eigentlich Johanna Arendt)
Geboren am 14. Oktober 1906 in Linden bei Hannover als Tochter jüdischer Eltern. Obwohl sie sich keiner religiösen Gemeinschaft anschloss, sah sie sich immer als Jüdin.
Studium bei Martin Heidegger (die Liebschaft ist wohlbekannt) und später Promotion bei Karl Jaspers. 1933 Flucht nach Frankreich, 1940 Internierung im Lager Gurs, aus welchem ihr die Flucht gelang. 1941 Ankunft in New York. Verschiedene Tätigkeiten fürs Überleben und auch aus Überzeugung, daneben Publikation mehrerer Artikel. Später Lehrtätigkeit und mehrere für die Philosophie herausragende Werke (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Eichmann in Jerusalem, Vita Activa). Sie stirbt am 4. Dezember 1975 in New York.

ArendtDenkenGeländer

Angaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: Piper Verlag (6. Auflage 1. Oktober 2006)
ISBN-Nr: 978-3492248235
Preis: EUR 9.99; CHF 16.90

7 Kommentare zu „Hannah Arendt: Denken ohne Geländer

  1. Habe gerade „Vita activa“ auf dem Tisch und lese hier und da rein. Schön, diese Zusammenstellung und Gedankenschnipsel, die Lust auf mehr Arendt-Lektüre machen! Sie hatte ein sehr gutes Gespür, wo Machtanspruch beginnt und Selbstbewusstsein aufhört.

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  2. Ich habe mich im letzten Jahr in und außerhalb der Universität viel mit Arendt beschäftigt. Dieses Buch kannte ich noch nicht, es klingt aber unheimlich spannend. Vor allem, um sich einen Überblick zu schaffen, lohnt es sich sicherlich. Vielen Dank für die Vorstellung. 😊

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    1. Ich habe Hannah Arendt leider auch nur ausserhalb des Studiums gelesen – im Studium selber war sie nie Thema, obwohl ich Politische Philosophie als Schwerpunkt hatte.

      Ich habe ja ziemlich alle ihre Werke (noch nicht alle ganz gelesen, nur damit da keine zu hoch gegriffenen Illusionen entstehen 😉 ), inklusive Tagebücher und viele Briefwechsel, aber ich finde dieses Buch immer wieder eine Goldgrube, weil es in der Tat ganz viel von ihr auf lesbare Weise zusammenbringt.

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      1. Davon bin ich leider noch etwas entfernt, aber das kommt dann alles nach und nach. 😉 Spätestens jetzt wäre es dann auf meine Wunschliste gewandert.

        Wir hatten uns in Germanistik im letzten Semester mit Hannah Arendt als Leserin und ihren Eindrücken zu Heine, Kafka, Brecht und Conrad gewidmet. Teilweise in Zusammenhang mit „Verborgene Tradition“. Das war auch wirklich spannend! 🙂

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        1. Das klingt in der Tat spannend – Mir fiel ein, dass ich „Macht und Gewalt“ von ihr mal gelesen habe im Studium. Das war aber witzigerweise auch in der Germanistik. Ansonsten waren es auch da mehrheitlich die Herren. Da das Thema Frauenliteratur aktuell so präsent ist – ich habe mich dem ja auch gewidmet hier -, kommt man ins Zählen. Und natürlich ist es nicht in Ordnung, wie es lief damals. Ich habe dann auch gedacht, ich lese mal nur noch Frauen. Aber nein, die Männer schrieben ja schon auch grossartig. Ich belass es wohl bei sowohl – als auch… wie eigentlich meistens im Leben.

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