Jeremy Rifkin: Die empathische Zivilisation

RifkinZivilisation

Jeremy Rifkin schöpft aus der ganzen Menschengeschichte, um seine These des von Natur auf Empathie angelegten Menschen zu stützen. Dabei bedarf es zur Entwicklung dieser Anlage immer das Bewusstsein des Selbst sowie die Wahrnehmung der anderen als ebensolche Individuen. Im Miteinander können die Anlagen zur Empathie entwickelt werden.

 

 

Unsere empathische Prädisposition ist kein fehlersicherer Mechanismus, der es uns erlaubt, unsere Menschlichkeit zu vervollkommnen. Sie stellt vielmehr eine Chance dar, die Menschheit zu einer Grossfamilie zu machen. Allerdings muss die Empathie ständig trainiert werden.

Rifkin besticht durch sehr fundierte und genaue Abläufe der Menschheitsgeschichte, verortet verstärktes Aufkommen von Empathie nach Krisen und Revolutionen, welche er sehr detailliert und dadurch auch oft zu ausschweifend und langatmig präsentiert. Ob all der Geschichtsflut geht die Argumentationskette oft unter. Überzeugen seine Geschichtskenntnisse mit Fakten, erscheinen seine Fazits in Bezug auf die Empathie mehr als Spekulation und wenn auch sinnvoll klingende, doch nicht wirklich belegte Gedankenexperimente. Dass Rifkin ob all der Geschichtsflut die Jahre der beiden Weltkriege völlig ignoriert, bei 1920 aufhört und 1947 wieder einsetzt, mutet merkwürdig an. Auch verwundert es, dass er über die gelebte Empathie der Jungsteinzeit besser informiert scheint als über heute, wo er alles in der Schwebe empfindet. Wie genau die gelebte Empathie der Jungsteinzeit fundiert gewusst werden kann, ist mir auch nach dem Lesen des Buches ein Rätsel.

Trotz dieser Kritikpunkte finden sich in dem Buch einige sehr zutreffende Analysen der menschlichen Psyche und ausführliche Beschreibungen der Entwicklungen der Menschlichen Identität und deren Erforschung durch die Wissenschaft. Rifkin erkennt die Problematik der heutigen auf Materialismus eingestellten Welt deutlich und benennt die damit einhergehende Tendenz zur Selbstsucht, welche der Empathie im Wege steht.

Je materialistischer der Mensch eingestellt ist, desto weniger grosszügig ist er im Umgang mit anderen, desto weniger versetzt er sich in sie hinein, desto geringer ist seine Achtung von deren Standpunkten. Die Selbstlosigkeit weicht der Selbstsucht.

Die Untersuchungen zum Glückssyndrom lassen vermuten, dass eine Gesellschaft mit einem gewissen behaglichen Lebensstandard und relativ geringen Unterschieden im Vermögen und Einkommen wahrscheinlich die glücklichsten Bürger hervorbringt.

Wie realisierbar er die Lösung eines auf gleichem Einkommen und gleichem Vermögen basierenden Staates wäre, lässt er offen, ebenso zeigt sich an der Verwendung des Wortes „wahrscheinlich“, dass es auch reine Spekulation ist, dass dann alles besser und der Mensch glücklich wäre.

Fazit
Ein sehr informatives, detailliertes Geschichtsbuch, das in Bezug aufs Hauptthema der Empathie oft falsche Schlüsse zieht und zu Spekulationen neigt. Lesenswert als Ganzes, streng thematisch eher enttäuschend.

Angaben zum Buch:
Taschenbuch: 480 Seiten
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag; Auflage (15. Dezember 2011)
Übersetzung: Ulrike Bischoff, Waltraut Götting, Xenia Osthelder
Preis: EUR: 11.99 ; CHF 19.90

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