Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun?

Pinneberg trifft sein Lämmchen und weiss, dass dies was anderes ist als die sonstigen Frauengeschichten. Lämmchen wird schnell schwanger, sie heiraten und ziehen zusammen nach Ducherow, wo Pinneberg eine Stelle innehat. Durch Intrigen der Frau des Chefs verliert er diese, die Reise geht alsbald nach Berlin, wo er durch die Hilfe des lebenslustigen Jachmann, Freund seiner Mutter, eine Stelle beim Ankleidegeschäft Mandel findet. Was zuerst als grosses Glück erscheint, entpuppt sich als immer grösserer Druck. Die Angestellten werden mit Absatzauflagen unter Druck gesetzt, so dass Pinneberg unter der Angst des Versagens immer kleiner und kleiner wird, bis er schliesslich ganz zusammenbricht. Er wird entlassen und ist fortan arbeitslos. War alles sonst schon weniger als knapp, so sind nun auch die letzten Notgroschen aufgebraucht. Pinnebergs und der mittlerweile auf die Welt gekommene Murkel schlagen sich durch die kalte Welt derer, welche am längeren Hebel sitzen und die kleinen Leute plagen und unterdrücken. Sie kämpfen gegen Amtsschimmel und Arroganz.

Ach, was hat es für einen Sinn? Er ist drin in diesem Betrieb, einer von sechs Millionen, schiebt er sich an den Schaltern vorbei, warum sich aufregen? Zehntausenden geht es schlimmer, Zehntausende haben keine tüchtige Frau, Zehntausende haben nicht ein Kind, sondern ein halbes Dutzend – weiter, Mann Pinneberg, nimm dein Geld und hau ab, wir haben wirklich keine Zeit für dich, du bist nichts Besonderes, dass wir uns nicht mit dir aufhalten können.

Trotz der schwierigen Situation sieht er doch immer auch das Positive, das er hat im Leben: sein Lämmchen und den Murkel. Kriegt er auch oft von aussen zu hören, es sei mutig, in der heutigen Zeit noch Familie zu haben, ist gerade diese Familie der einzige Kraftort dieses kleinen Mannes. Lämmchen ist es, die ihn immer wieder besänftigt, wenn er am Boden ist, der Murkel scheint als Freudenquell, für den es sich lohnt, zu leben. Pinnebergs haben ihre kleine eigene Idylle aufgebaut, welche der Welt trotzt.

Pinneberg sinkt tiefer, die Schmach nagt an ihm. Mehr und mehr fühlt er sich als Ausgestossenen der Gesellschaft. Lämmchen muss mit Flickarbeiten die Familie über Wasser halten. Er findet keine neue Arbeit, sein Selbstverständnis gerät ins Wanken. War er früher adrett gekleideter Angestellter, so sah er heute aus wie ein heruntergekommener Bettler.

Und plötzlich begreift Pinneberg alles […], begreift er, dass er draussen ist, dass er hier nicht mehr hergehört, dass man ihn zu Recht wegjagt: ausgerutscht, versunken, erledigt. Ordnung und Sauberkeit: es war einmal. Arbeit und sicheres Brot: es war einmal. Vorwärtskommen und Hoffen: es war einmal. Armut ist nicht nur Elend, Armut ist auch strafwürdig. Armut ist Makel, Armut heisst Verdacht.

Pinneberg schämt sich – schämt sich vor sich, vor der Welt und auch vor Lämmchen. Er traut sich nicht mehr unter die Augen der Menschen, versteckt sich im Dunkel. Die Welt erscheint nur noch kalt, er ist am Boden. Und wieder rettet ihn Lämmchens Liebe.

In einer einfachen Sprache, die der Geschichte und ihren Protagonisten angepasst ist, erzählt Hans Fallada vom kleinen Angestellten Johannes Pinneberg, seiner Frau Lämmchen (Emma Mörschel) und ihrem Murkel. er zeigt auf, mit welchen Demütigungen die kleinen Leute in der Weltwirtschaftskrise zu kämpfen haben, zeigt ihren Kampf ums Überleben und lässt den Leser hautnah daran teilhaben.

Fazit:

Ein leises Buch, das unaufdringlich und diskret die Zustände der Welt zwischen 1930 und 1932 anhand der Geschichte der Pinnebergs aufzeigt. Absolut lesenswert.

Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun?, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 62. Auflage, Hamburg 2011.

2 Kommentare zu „Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun?

  1. Wir haben es in der Schule gelesen und großes Mitleid empfunden. Unsere Deutschlehrerin war Zeitzeugin und wir die letzte Klasse vor ihrem Ruhestand. Ihr Thema war die Menschenwürde. Sie machte es zu unserem und warnte vor den schleichenden Giften in der Gesellschaft, die sie Anfang der 60er Jahre schon wieder herein ziehen sah ins deutsche Wirtschaftswunderland.

    Später erinnerte ich mich oft in meiner kleinen Familie mit unseren beiden „Murkels“ und meinem „Lämmchen“ an den „Kleinen Mann“ und er gab mir die Kraft, derer es bedarf, wenn man den Kopf oben behalten will.

    Diese Geschichte ist so modern und unvergänglich, weil das Thema, das ihr innewohnt, ein immer währendes ist.

    Ich bin unserer Deutschlehrerin, Fräulein Elisabeth Liebig, dankbar, dass sie den Samen gelegt hat, an dessen Spross ich mich aufrecht halten konnte. Und ich bin Hans Fallada für sein Werk dankbar, das mir zum lebenslangen Wegbegleiter wurde.

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    1. Danke für diese persönliche Geschichte zum Buch. Ich gebe dir recht, die Geschichte ist zu jeder Zeit aktuell. Die Unterdrückung der kleinen Leute, das Ringen um die eigene Menschenwürde. Der tägliche Kampf teilweise, den Kopf oben zu behalten, auch wenn Lasten auf die Schultern drücken. Dies im Blick sollte man eben nie ruhig werden, die Gesellschaft zu durchleuchten und die Missstände zu benennen. In der Hoffnung, dass Samen sich setzen, daraus Sprösslinge wachsen, die bald ihre Blüten treiben.

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