Ich flehe nicht um Gnade. Ich habe diesen Staat bekämpft, und er hat mich bekämpft, und wir schulden einander nichts. Wir schulden Treue nur dem eigenen Anspruch.
Nach zwanzig Jahren Haft ist der ehemalige RAF-Terrorist Jörn vom Bundespräsidenten begnadigt worden. Seine Schwester Christiane lädt für das erste Wochenende in Freiheit die alten Freunde auf ein abgelegenes Landgut ein. Alle Freunde haben früher mit der Revolution sympathisiert, dann aber ihren Platz im bürgerlichen Leben gefunden. So sitzen sie sich gegenüber, die, deren Leben weiter ging und der, dessen Leben stehen geblieben war. Während er noch immer dem Gedankengut von damals verhaftet ist, sich in der neuen Welt und in der Freiheit vor allem nicht richtig wohl fühlt, suchen die alten Freunde ihren Standpunkt zwischen Distanz, Neugier und Nostalgie. In der Auseinandersetzung mit Jörn werden sie aber immer mehr auch auf ihre eigene Biographie zurückgeworfen, erkennen die Schwachpunkte in ihrem eigenen Leben. Sie erkennen ihre Lebenslügen und erinnern ihre Lebensträume. Sie erkennen die Realität als Exil, in welches sie flüchteten, weil die Träume nicht lebbar waren. Stück für Stück für Stück wird die Vergangenheit wieder lebendig.
Wir bewahren die Jugend in uns, können zu ihr zurückkehren und uns in ihr wiederfinden, aber sie ist vergangen – Wehmut zog ihnen durchs Herz und Mitgefühl, füreinander und für sich selbst.
Es ist eine Geschichte über Schuld und Sühne, über richtig und falsch. Allerdings sind diese Urteile nicht klar verteilt, sondern jeder sucht für sich die Wahrheit im Ganzen. Jeder versucht, sich und sein Leben zu verteidigen, vor sich und vor anderen. Die wahre Verbundenheit und Freundschaft ist nicht mehr zu spüren, die Jahre haben zu viel Distanz geschaffen. Trotzdem will jeder seinen Beitrag leisten, ob aus Schuldgefühlen, aus Dankbarkeit, dass man selber einen anderen Weg hatte oder aus Nostalgie und Freundschaft heraus, wird nicht klar.
Das Stück spielt vornehmlich an einem Ort, in dem alten Haus auf dem Land, die Besetzung ist auf wenige Menschen beschränkt. So mutet es fast wie eine Aufführung auf einer Theaterbühne an. Die Themen sind vielfältig, oft nur am Rande angeschnitten. Vieles kommt nicht über Allgemeinplätze hinaus. Trotzdem ist Schlinks Erzählung nicht oberflächlich oder beliebig, sondern führt ohne Pathos oder wirklich schmerzvolle Anklage vor Augen, wie sich Lebensanschauungen verändern können im Laufe eines Lebens, was passiert, wenn sie das nicht tun und vor allem auch, dass sie nie ganz weg sind, sondern im Untergrund weiter ihre Fäden ziehen. Zentrales Thema dabei ist das Miteinander, sowohl im zwischenmenschlichen wie im staatlichen Gebilde. Nach welchen Regeln und mit welchen Maximen soll man zusammen leben? Wann lohnt es für den einzelnen, sich an die Regeln zu halten und wann muss er sie brechen?
Fazit:
Ein lesenswertes, kurzweiliges Buch, welches lehrreich ist ohne moralinsauer zu werden. Es spannt den Bogen über eine ganze Bandbreite an Themen wie Liebe, Krieg, Revolution, Vergangenheit und Gesellschaftsvertrag und präsentiert diese in einer klaren und flüssigen Sprache packt.
Bernhard Schlink: Das Wochenende, Diogenes, Zürich 2008.
Ein Kommentar zu „Bernhard Schlink: Das Wochenende“