Ich habe vor einiger Zeit beschlossen, keine Verrisse zu schreiben. Einerseits würde ein fundierter Verriss verlangen, dass ich das Buch zu Ende lese, wofür mir die Zeit zu schade ist, weil so viele Bücher auf mich warten, die ich wirklich lesen mag. Bücher, die mich nicht packen, breche ich ab. Oft nach wenigen Seiten, manchmal auch später. Zudem würde auch das Schreiben des Verrisses Zeit brauchen, die mir auch wieder von für mich passenderer Literatur abginge – und ich sage explizit nicht besserer Literatur.
Nun bin ich von Haus aus Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin, darin geübt, Literatur zu analysieren, zu taxieren nach diversen Kriterien. Von einer Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin hörte ich in einem Interview, dass Literaturkritik sich selbst verrate, wenn keine Verrisse geschrieben würden. Erst diese machten die Kunst der Kritik zu einer objektiven, sachlichen, wertvollen. Der Verweis auf das, was nicht funktioniert, was schlecht geschrieben ist, was Mängel aufweist, runde das Bild der Literatur auf dem Markt ab. Verzichte man darauf, schaffe man damit auch die Literaturkritik ab.
Wenn man sich fragt, wozu Literaturkritik überhaupt dienen soll, vor allem, wenn sie in den Medien stattfindet, dann steht für mich die Literaturvermittlung an vorderster Stelle. Ich möchte Menschen zum Lesen animieren, ich möchte auf Bücher hinweise, die ich gut fand, und auch sagen, wieso ich sie gut fand (wobei auch Schwächen durchaus thematisiert werden können). Ich sehe schlicht keinen Sinn darin, die Zeit der Lesenden und den Platz in den Medien für etwas zu nutzen, von dem sie nichts haben ausser dem Rat, etwas nicht zu lesen. Und dieser Rat beruht auf meinem persönlichen Geschmack und meiner individuellen Lesevorliebe.
Die Frage, die sich zudem stellt, ist: Was ist gute Literatur, was macht sie aus? Formale Kriterien wie Stil, Ausdruck, Sprache, Aufbau und einige mehr sind sicher wichtig und richtig, doch was für mich beim Lesen immer am meisten zählt, ist: Packt mich das Buch so, dass ich es lesen will? Stösst das Buch in mir auf Resonanz, so dass ich mich in das Buch hineinziehen lasse und am Schluss als eine andere herauskomme, als ich es am Anfang war? Bücher sind für mich Welten, in die wir tauchen. Nicht jede Welt ist für jeden Menschen, aber es gibt sicher für jeden Menschen eine passende Welt (in Form von Büchern sogar viele passende Welten).
Ich sehe es als meine Aufgabe (und der widme ich mich mit Herzblut und aus Überzeugung), Menschen zum Lesen zu animieren, indem ich auf Bücher hinweise, die ich für lesenswert halte. Und so bleibe ich bei meinem Entschluss, auch künftig keine Verrisse zu schreiben. So bleibt es nicht aus, dass ich viele Bücher nicht bespreche, die aktuell wären, die vielleicht auch gelobt werden oder gar in einem Kanon vorkommen. Johann Wolfgang von Goethe schrieb in seinem «Faust»:
«Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.»
So halte ich es mit den Kritiken: Die Bücher, welche mir zu Herzen gingen, bespreche ich von Herzen, in der Hoffnung, dass sie noch weiteren LeserInnen zu Herzen gehen werden.
