In unseren Breitengraden wachsen wir mit klaren Ordnungen auf. Es gibt für alles eine passende Schublade, die mit den entsprechenden wertenden Zuschreibungen versehen ist: Gut, schlecht, wertvoll, mangelhaft, erstrebenswert, etc. Diese Kriterien machen auch vor der Kunst nicht Halt. Auf der einen Seite gibt es die Unterhaltungsliteratur, die Unterhaltungsmusik, auf der anderen die hohe Literatur, die anspruchsvolle Musik. Je nachdem, welcher Sorte du dich verschreibst, steigen oder sinken dein Wert und Ansehen. Als Literaturwissenschaftlerin und Philosophin, die sich über viele Jahre mit den anspruchsvollen Büchern dieser Welt beschäftigt hat, wiegt das umso schwerer. Das sah ich einmal, als ich es wagte, nach Monaten mit Buchtipps aus der anspruchsvollen Literatur und Philosophie, einen Monat (in diesen Welten so gesehen) eher seichte Kost zu lesen. Die Bemerkungen blieben nicht aus. Ob mir der Verstand mit dem Niveau meiner Bücher in den Keller gerutscht sei, war noch eine der netteren. Irgendwie traf mich das damals, obwohl ich mir immer sagte, dass solche Bemerkungen sich eher selbst entlarven, als dass sie mich abwerten. Bei solchen Dingen zählt die Ratio leider oft wenig, die Gefühle überwiegen.
Nur: Was ist die Konsequenz? Nur noch hohe Literatur lesen, mich nur noch mit Kant und Konsorten beschäftigen statt mit eher populären Schreibern? Wozu? Um denen die Argumente zu nehmen? Natürlich sind die erstgenannten Bücher und ihre Autoren wunderbar und wichtig und tiefgründig und vieles mehr, doch ja, ich mag auch anderes. Sogar sehr. Ich liebe Krimis und Thriller und das, seit ich ein Kind bin. Es geht nichts über einen spannenden Fall in Buch- oder Filmform. Das Lesevergnügen, das Gepackt- und nicht mehr losgelassen Werden: Grossartig. Und ja, ich liebe Krimis auch, weil sie eine Möglichkeit sind, viele Themen auf eine spielerische Weise anzupacken, sie nebenher ins Bewusstsein zu rufen. Soziale Ungerechtigkeiten, menschliche Abgründe, Beziehungsschwierigkeiten, politische Machenschaften – nirgends sonst taucht man auf so unbeschwerte Weise hinein, kommt ihnen lesend so nah.
Zudem mag ich den Gedanken der Gerechtigkeit, der immer irgendwie mitschwingt. Ich mag es, wenn am Schluss das/der Gute siegt. Ich mag es, wenn Verbrechen aufgeklärt werden, wenn Unrecht ans Licht kommt und geradegerückt wird. Am meisten mag ich es, wenn dies nicht auf zu seichte Weise passiert, sondern verstrickt und verschachtelt ist. Ich mag die verschiedenen Figuren, mag es, mitzuraten, mir den Kopf zu zerbrechen. Ich mag es, involviert zu sein, emotional und rational. Und ja, ich mag die menschlichen Sonderbarkeiten, die Abgründe, die dunklen Seiten – sie alle haben in Krimis und Thrillern eine Plattform.
Was ich nicht mag? Schubladisierungen, Hierarchien, Bewertungen, die zu Abwertungen führen. Schon gar nicht beim Lesen. In meinen Augen gibt es nur zwei Kriterien für Bücher: Es gefällt oder es gefällt nicht. Das erste soll man lesen, das andere lassen. Ausschlaggebend ist nicht, was man liest, sondern dass man liest, finde ich. Denn: Lesen heisst den eigenen Horizont erweitern. Es heisst, in fremde Welten eintauchen und andere Lebensmöglichkeiten kennenlernen. Es bedeutet, miterleben und mitfühlen zu können, ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit Spass.

