Aus dem Atelier: Melancholie

„Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, dass ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.“

(Rainer Maria Rilke, 1899)

Auch sie gehören zum Leben, die dunklen Stunden. Auch in ihnen liegt eine Schönheit, die man wohl meist erst hinterher sieht – oder zu sehen versucht, um ihnen zumindest einen Sinn zu geben. Doch was wäre all das Licht, gäbe es kein Dunkel? Gäbe es überhaupt Licht? Und gäbe es ohne Licht Dunkelheit?

Habt einen lichtvollen Tag!

Aus dem Atelier: Sichtweisen

Wenn eine Zeichnung entsteht, was war zuerst? Eine Botschaft, die ihren Ausdruck suchte? Ein Ausdruck, die sich durch die Interpretation erschliesst? Was will der Künstler sagen? Und was sagt er? Was liest der Betrachter? Soll er was sehen? Ich glaube, Picasso war es, der sinngemäss fragte, ob der, welcher nach der Bedeutung eines Kunstwerks sucht, auch nach dem Bedeutung des Vogelgesangs fragt. Nun ist das natürlich ein denkbar schlechter Vergleich, da der Vogelgesang in der Tat eine Aussage hat, für einen Zweck, nämlich dem der Kommunikation existiert. So rational war aber die Frage nicht.

Ich glaube ja, dass Kunst da entsteht, wo keine Absichten mehr sind. Da, wo man nicht etwas ausdrücken will, drückt sich etwas aus, das da ist. Das ist nicht so esoterisch gemeint, wie es klingt, ich denke nicht an eine übersinnliche Macht oder höhere Quelle, sondern an all das, was im Menschen drin ist und sich einen Weg nach draussen bahnen will. Die einen schreiben es sich von der Seele, die anderen reden, die Dritten malen, einige kochen, putzen, laufen…

Und selbst wenn dieses Bild ein Ausdruck von etwas Innerem ist, heisst das nicht, dass der Betrachter genau das auch sehen kann oder gar muss. Ist es nicht viel interessanter, zu hören, was der Betrachter hört, als das, was der Künstler wollte? Dadurch würde etwas offensichtlich, was wir im Alltag oft vergessen: Es gibt verschiedene Sichten auf den gleichen Gegenstand. Um die richtige zu kämpfen ist eigentlich eine Unsinnigkeit, die zu nichts als Zwietracht führt. Eine Wahrheit gibt es nicht. Oder wie Heinz von Förster sagte:

„Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.*

Aus dem Atelier: Sportliche Skizzen

«Sport ist Mord.» Winston Churchill

Als junger Mann Leistungsschwimmer, wandte er sich später anderen Leidenschaften zu. Seine Aussage ist wohl so gemeint, dass wirklicher Leistungssport immer mit viel Aufwand und Anstrengung verbunden ist.

Sport ist gesund. Sagen andere. Ich würde nicht so weit gehen, Sport als Mord zu bezeichnen, aber langweilig ist er in meinen alleweil. Ein notwendiges Übel quasi, weil es mir danach immer besser geht. Und so raffe ich mich nach meiner Yogasitzung immer auf und steige auf den Hometrainer für 10-15 Minuten. Und damit es nicht zu langweilig wird, habe ich ein Brett auf die Lenkstange gelegt und kritzle nun vor mich hin. Reduziert mit Bleistift und Leuchtstift (was halt so da liegt). Und schwupps, ist die Zeit um und die Skizze fertig. Bis zum nächsten Tag.

Mögt ihr Sport?

Habt einen schönen Tag!

Tagesbild: Sich zeigen

„Geliebt wirst du einzig, wo du dich schwach zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“ Theodor Adorno

Sich zu zeigen, erfordert Mut. Man macht sich verletzbar. Was, wenn der andere das ausnutzt? Was, wenn die Reaktion auf die eigene Offenheit eine Wunde schlägt? Wie oft verstecken wir uns deswegen hinter Masken und Floskeln, tarnen Schwächen mit Humor oder vordergründiger Stärke. Indem wir das tun, bestätigen wir uns immer wieder selbst, dass Schwächen nicht gezeigt werden dürfen. Wir zementieren die Erwartungshaltung, immer stark sein zu müssen, und hadern mit uns selbst, weil wir es nicht immer sind.

Wie wohltuend, wenn man einen Ort gefunden hat, an dem man sich zeigen darf, einen Ort, an dem man weiss, dass einem nichts passiert, auch wenn man nicht stark ist. Ich vermute aber, dass man diesen nur findet, wenn man sich selbst zugestehen kann, dass die Schwächen ein Teil von einem sind, und man diesen Teil akzeptiert wie alle anderen Teile. Erst alle Teile machen das Ganze aus, machen uns zu dem Menschen, der wir sind.

Habt einen schönen Tag!

Tagesbild: Blick in die Zukunft

„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen…“ Rilke

Als ich kürzlich mein Skizzenbuch durchblätterte – es füllt sich im Sauseschritt, so dass ich heute für eine Nachschubbeschaffung ausziehen muss -, merkte ich, in wie kurzer Zeit ich mich und meine Bildsprache (Motive, Medien, Ausdruck) weiterentwickelt habe. Immer wieder erinnerte ich mich an einzelne Phasen, an damalige Gefühle, Intentionen – und ja: Ab und zu auch das Gefühl:

Das ist es, nun habe ich es.

Immer wieder ging es weiter.

Es sind sicher nicht alle Skizzen und Zeichnungen eine Meisterleistung. Einiges funktionierte schlicht nicht, wie ich mir das ausgedacht hatte, bei anderem sind die Proportionen und andere Stilmittel aus dem Lot. Und doch macht es Freude, jede einzelne Skizze auf dem Weg zum Heute anzuschauen. Ich habe kurz überlegt, die Skizzenbuchpraxis ganz aufzugeben, da ich schlicht zu sehr im Buch und zu wenig auf grösseren und losen Formaten arbeite, doch diese Erfahrung hat das revidiert. Ich bleibe dabei, allerdings wirklich nur noch für die Studien und Versuche, danach geht es raus in die freie Welt – sprich: Papier und Leinwände.

Ich bin heute an einem ganz anderen Ort als damals, als ich dieses Porträt zeichnete. Trotzdem mag ich es nach wie vor noch sehr und kann mir gut vorstellen, auch wieder solche zu machen – am liebsten vor Ort in einem Café oder anderen Orten mit vielen Menschen. Manchmal, wenn mir vor Ort die Möglichkeit fehlt, mache ich ein Foto und zeichne dann zu Hause. Nicht ganz dasselbe, aber immer noch viel Spass, da durch das Zeichnen die Erinnerung an den Moment auch wieder wach wird.

Fast scheint mir, er blickt in die Zukunft. Was er wohl da sieht?

Habt einen schönen Tag!

Tagesbild: Morgenritual

„Der Rhythmus des Körpers, die Melodie des Geistes und die Harmonie der Seele schaffen die Symphonie des Lebens.“ B.K.S. Iyengar

Wenn ich abends ins Bett gehe, freue ich mich immer schon aufs Aufstehen. Ich mag Nächte nicht, am liebsten würde ich sie schon früh wieder beenden, halte dann aber doch bis vier bis halb fünf im Bett aus. Der Vernunft gehorchend. Doch dann, dann fängt mein Tag an und er tut es immer gleich: Mit mir selbst. Ich trinke meinen Kaffee, mache mir Gedanken, mache erste Fingerübungen auf der Gitarre, zeichne und gehe dann auf die Yogamatte. Sie ist mein Erdungspunkt, mein Ort, an dem sich oft Schleier lüften, die vorher über den Dingen lagen. Während ich im Fluss meines Atems durch meine Asanas gehe, klärt sich mein Geist und lässt mich plötzlich Dinge sehen, die vorher verborgen waren. Dann kommen mir neue Ideen, Lösungen für Probleme, Einsichten zum meinem Sein und Tun. Bei den Balanceübungen merke ich auch, ob ich wirklich ruhig bin oder eher aus dem Lot. Ich bin sehr dankbar für diese Praxis, die ich nun doch schon bald 20 Jahre regelmässig in meinem Leben habe.

Habt ihr auch Rituale, die euch wichtig sind?

Habt einen schönen Tag!

Tagesbild: Blösse

„Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern.“ Heinrich Heine

Wenn es um die Blösse geht, kommt eine Hemmung mit auf. Wir wollen sie vermeiden, wir fürchten, von anderen in sie hineingedrängt zu werden oder aber sie selbst zu zeigen. Das zeigt sich schon in verschiedenen Redewendungen.

„Sich keine Blösse geben.“
„Jemanden blossstellen.“

Der Blösse liegt nicht nur die blosse Nacktheit zugrunde, sondern auch die Scham. Wann im Leben lernen wir die? Wann ist der eigene Körper plötzlich nicht mehr das Natürlichste der Welt, sondern etwas, mit dem wir nicht zufrieden sind, das wir verändern und gar verbergen wollen?

Kann man wieder verlernen, was man mal gelernt hat? Wie viel Freiheit wäre plötzlich im Leben, könnte man sich zeigen? In seiner ganzen Blösse. Innerlich wie äusserlich.

„Wer nackt Würde zeigt, gibt sich keine Blösse.“ Klaus Ender, Fotograf

Habt einen schönen Tag!

(Skizzen im Skizzenbuch)uch)

Tagesbild: Ein schöner Rücken…

„Ein hübsches Lärvchen ist ein Schmuck, der schnell vergeht,
Ein Röslein, das nicht lang in voller Blüte steht,
Ein Reiz der flüchtig an der äussern Haut nur klebt,
Indes ein schöner Geist die Zeiten überlebt.“

Zwar mag man Molière recht geben, dass die inneren Werte die wichtigeren sind als die äusseren, und doch ziehen sie unweigerlich an, die Schönheiten dieser Welt. Zum Glück ist es nicht immer ein Abwägen zwischen zweien, und zum noch grösseren Glück lässt ein wunderbares Wesen oft das Aussen schön erscheinen.

Es gab vor Jahren einen Schlager, der hiess „Für mich bist du schön“. Für mich liegt da die Schönheit der Beziehung drin, das Empfinden, das Schönheit entdecken lässt. Und wer weiss: Wenn wir mit offenem Blick durch die Welt und auf Menschen zu gehen, entdecken wir vielleicht überall Schönheit. So könnten wir die Welt zu einer schönen machen für uns, doch noch mehr: Ich bin überzeugt, die Welt und die Menschen in ihr werden sich auch öffnen und dasselbe anstreben, wenn ihnen mit Offenheit und Zugewandtheit begegnet wird.

Ein weiteres Kapitel der Morgengedanken einer Idealistin…

Habt einen schönen Tag!

(Aquarellstift auf Papier)

Tagesbild: Skizze aus dem Vorhof des Grauens

Das Schöne an Skizzenbüchern ist, dass Wartezeiten fast erwünscht und teilweise viel zu kurz sind. Das Porträt entstand beim Zahnarzt… ich hätte lieber weitergezeichnet…
Irgendwann verschwand mein Modell im Klo, ich bin bis heute nicht sicher, ob sie wirklich musste oder aber bemerkt hat, dass ich sie zeichne… etwas, womit ich noch hadere: wie zeichne ich unbemerkt?

Habt einen schönen Tag! 💕

Tagesbild: Ich bin ich

„Ich bin ich, und hoffe, es immer mehr zu werden.“ Paula Moderson-Becker

Das schrieb Paula Moderson-Becker im Jahre 1906 an Rainer Maria Rilke. Dieses Ich war es, das sie immer wieder erforschte. Das „Erkenne dich selbst“, welches seit dem Orakel von Delphi den Menschen immer wieder antreibt, war ihr grosses Anliegen. Sie war sich dabei bewusst, dass dieses Ich immer auch eingebunden ist in ein grosses Ganzes, dass es Teil von etwas ist und von dem geprägt. So war die Selbsterforschung immer auch ein Erforschen der Rolle der Frau in der Gesellschaft, in der Familie, in der Beziehung – und ja, von sich selbst als Künstlerin und als Frau an sich.

Als ich vor langer Zeit mein Philosophiestudium begann, stand diese Frage, welche auch eine der grössten und zentralsten der Philosophie ist, im Zentrum meines Forschens: Was ist der Mensch und was kann er sein. Sicherlich auch geprägt durch meine eigene Geschichte ergründete ich die Frage des Ichs in der Welt, in der Mit- und Umwelt. Was ist sein Platz, wer ist der Einzelne und wie setzt er sich in Beziehung oder wird in diese gesetzt. Dass ich nun zeichnend und malend auch an diesen Punkt gekommen bin, erstaunt so gesehen wenig – selbst wenn ich es anfangs nicht gedacht und schon gar nicht geplant hatte.

Irgendwo las ich mal, dass Kunst immer auch eine Selbsterforschung ist. Da scheint was dran zu sein. Wobei: Ist nicht das wach gelebte Leben an sich eine?

Habt einen schönen Tag.

(im Bild: eine Skizze aus meiner neuen Reihe mit Porträts, Aquarellstift auf Papier)

Tagesbild: Der Stoiker

Manchmal muss man stoische Gelassenheit an den Tag legen, die Dinge nehmen, wie sie nun mal kommen. Noch viel Schlimmer als alles, was kommt, ist nämlich die Mördergrube, die wir daraus machen.

So wusste schon Epiktet:

„Einige Dinge stehen in unserer Macht, andere hingegen nicht. In unserer Macht sind Urteil, Bestrebung, Begier und Abneigung, mit einem Wort alles das, was Produkt unseres Willens ist. Nicht in unserer Macht sind unser Leib, Besitz, Ehre, Amt, und alles was nicht unser Werk ist. Was in unserer Macht ist, ist seiner Natur gemäß frei, kann nicht verboten oder verhindert werden; was aber nicht in unserer Macht steht, ist knechtisch, kann verwehrt werden, gehört einem anderen zu… prüfe nach den von dir angenommenen Grundregeln, besonders nach der ersten, ob es zu den in unserer Macht stehenden Dingen gehöre oder nicht. Gehört es zu den nicht in unserer Macht stehenden, so halte dies Wort bereit: »Es berührt mich nicht.«“

(Bleistiftskizze im Skizzenbuch)

Tagesbild: Der Nachtschwärmer

Guten Morgen

Abschied
Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt. 
Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes 
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes 
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt. 

Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen, 
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ, 
zurückblieb, so als wärens alle Frauen 
und dennoch klein und weiß und nichts als dies: 

Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen, 
ein leise Weiterwinkendes – , schon kaum 
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum, 
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.
Rainer Maria Rilke

Noch ist es dunkel draussen, doch bald bricht der neue Tag und damit auch die neue Woche an. Für mich ist es die letzte Woche in Spanien, dann geht es zurück in die graue und doch eher kühle Schweiz. Auch wenn ich mich auf vieles freue, hängt ein wenig Wehmut in der Luft. Das ist immer so bei den Abschieden. Beim Leben an zwei Orten überwiegt klar das Schöne und Gute, aber es fehlt auch immer etwas, etwas, das eben am anderen Ort ist. Aber noch lasse ich der Wehmut keinen zu grossen Platz, ich habe noch viele Ideen, die ich diese Woche noch umsetzen will, dann freue ich mich noch auf viele schöne Momente hier.

Habt einen schönen Tag!