Grenzen einreissen

«In den Zwischenräumen finden die interessantesten Gespräche statt.» James Bridle

So lange wir in Gegensätzen denken, wird es nie ein Miteinander geben. So lange wir Fronten bauen, gibt es keine Beziehungen. So lange jeder denkt, seine Meinung sei dir richtige, seine Sicht entspräche der einzig möglichen Wahrheit, werden wir nie ein umfassendes Bild erhalten, denn dazu bedürfte es einer Öffnung hin zum anderen. 

Wir müssen die Demut wiederentdecken, mit der wir sehen, dass wir alle verwundbare Wesen sind, welche weit davon entfernt sind, über allem zu stehen. Wir müssen aufhören, die Macht an uns reissen zu wollen, auch die Deutungsmacht ist kein Privatbesitz. Im Wissen, dass wir alle Organismen in einem grösseren Organismus sind, die alle miteinander in Beziehung stehen und dabei jeder den anderen auch stückweise in sich trägt, weil die Grenzen diffus sind, zeigt sich, dass unsere krampfhafte Suche nach Abgrenzung und Ausstossung zu nichts Gutem führen kann, weil sie uns von der Welt, zu der wir gehören und ohne die wir selbst nicht leben können, trennt. 

___

Vom Verfasser des Zitats oben, James Bridle, ist ein spannendes Buch erschienen, das ich nur empfehlen kann:

James Bridle: Die unfassbare Vielfalt des Seins.
James Bridle löst darin die Grenzen zwischen Natur und Technik auf und zeigt auf, wie wir alles zusammen denken können und müssen.


Lebenskunst: Grenzen setzen

Sagst du auch oft ja zu etwas, obwohl alles in dir nein schreit? Gibst du auch oft deine Wünsche auf, um die eines anderen zu erfüllen? Wie oft steckst du zurück und wieso? Ich las mal den Spruch:

«Ein Ja zu jemand anderem kann ein Nein zu dir selbst sein.»

Wo wir uns zu sehr verbiegen, in unseren Bedürfnissen übergehen, verneinen wir uns in unserem Sein selbst. Wir nehmen unsere Grenzen nicht wahr und ernst, überfordern und benachteiligen uns. Und oft leiden wir dann. Nicht selten geben wir sogar anderen die Schuld, fühlen uns nicht wahrgenommen, werfen ihm vor, seine Bedürfnisse immer erfüllt zu kriegen. Dabei haben wir das oft selbst so gesteuert. Wieso tun wir das?

Wir sind Bindungswesen. Ohne Bindungen, ohne Beziehungen zu anderen Menschen, ohne das Gefühl, dazuzugehören und dies auch zu spüren, können wir nicht leben. Oft lernen wir schon als kleines Kind, dass wir auf eine Weise sein müssen, um in Ordnung zu sein. Unsere Grenzen werden schon von klein auf übergangen und wir lernen, dass das so läuft im Leben, und übernehmen das in unser Erwachsenenich.

Wenn wir oft genug gelitten haben, kommen wir an einen Punkt, wo wir denken:

«So nicht mehr!»

Was tun? Wichtig ist wohl einmal mehr: Hinschauen. Wo übergehe ich mich, wieso tue ich das? Das gelingt, wenn wir eine konkrete Situation anschauen, wo wir uns selbst wieder nicht ernst genommen haben, und unsere Grenzen überschritten wurden und wie das zuliessen. Was ist in der Situation passiert?

Oft sagte eine innere Stimme «nein». Der Verstand setzte ein und brachte viele vernünftig klingende Argumente, wieso doch. Im Körper regte sich was bei all dem. Meisten ignorieren wir den Körper, weisen die innere Stimme als unvernünftig in die Schranken und folgen unserem Verstand, da wir gerade in unserer westlichen Welt mehrheitlich Kopfmenschen sind, als solche erzogen und be-lehrt wurden. Und genau da liegt auch das Problem: Der Verstand speist sich oft aus äusseren Stimmen, hier werden die Forderungen aus dem Elternhaus, aus Erziehung und Bildung und auch die Erwartungen unserer Gesellschaft laut. Das Ich redet oft wenig mit, zumindest nicht aus sich selbst heraus. Erst wenn wir lernen, auf all unsere Kanäle zu achten: Körper, Intuition und Verstand, werden wir auch lernen, was wir wirklich wollen. Und wir werden lernen, darauf zu hören und es umzusetzen. Weil wir es uns wert sind.

Ignorierst du deine Grenzen oft?

3 Inspirationen – Woche 26

Endlich Sommer und endlich wieder in Spanien. Fast ein Jahr ist vergangen seit meinem letzten Aufenthalt in meiner zweiten Heimat hier, umso grösser war erst die Sehnsucht und dann die Freude, wieder hier zu sein. Ich bin mit vielen Projekten im Kopf und Hoffnungen hierher gekommen und seit der Ankunft auch schon fleissig am Arbeiten. Das tut richtig gut! Ich merke, wie hier immer viel mehr Lebensfreude und Schaffenskraft in mir sind. Und ja, das Geniessen kommt auch nicht zu kurz, was aber leicht ist bei der Umgebung. Nur schon all die wunderbaren Farben, die Sonne und vor allem: Das Meer.

Was hat mich diese Woche inspiriert?

  • Als mich diese Woche eine Mail erreichte, ich müsse sofort sämtliche Gedichte von Erich Fried aus dem Blog nehmen, da diese rechtlich geschätzt seien, ich ansonsten eine Strafe erwarten müsse, hat mich das zuerst aus der Bahn geworfen. Erstens hatte ich gedacht, mit meinem Engagement der sonst eher stiefmütterlich behandelten Lyrik zu helfen und somit auch dem Verlag, und zweitens sah ich durch das Zitieren in einem Artikel, der oft durchaus literaturwissenschaftliche Ansätze trägt, die Rechte nicht verletzt. Nun denn – ich fügte mich, löschte auch Gedichte anderer nicht gemeinfreier Autoren und merkte, wie die Luft draussen war. Doch dann regte sich etwas und es kamen neue Ideen, solche auch, die schon lange im Kopf waren, aber noch nicht angepackt, obwohl sie mich reizten. Was soll ich sagen:

Manchmal wird aus einem vermeintlichen Übel etwas Gutes.

  • Mein Englisch war früher sehr gut, auch heute ist das Verständnis lesend und hörend gut, nur das Sprechen habe ich stark vernachlässigt und dadurch verloren geglaubt. Wenn ich in Situationen kam in der letzten Zeit, wo ich etwas sagen musste, wurde ich unsicher und durch diese Unsicherheit fiel mir alles schwer. Dann war ich kürzlich in einem Restaurant, auf dem Weg zur Toilette kam ich an einem Ehepaar mit Hund vorbei, die ich ansprach. Schon bald befand ich mich in einem angeregten Gespräch mit ihnen – auf Englisch. Es ging wunderbar. Dies vermutlich darum, weil ich nicht musste, weil ich mich gar nicht fragte, ob ich das kann, sondern einfach loslegte. Ich habe daraus dies gelernt:

Wenn ich mich nicht mit meinen eigenen Unsicherheiten lähme, kann ich mehr, als ich mir zutraue.

  • Ein Interview mit Adolf Muschg hat mich sehr inspiriert. Es ging um Grenzen und wie nur durch diese Freiheit überhaupt möglich ist – eine Sicht, die ich teile. Grenzenlose Freiheit ist nicht nur undenkbar, sondern auch nicht wirklich wünschenswert, wäre der Mensch doch eine Insel, wollte er sie irgendwie haben. Grenzen bringen auch Sinn und Kreativität. Wäre das Leben grenzenlos, wo läge der Sinn, es zu gestalten? Wären Möglichkeiten unendlich, was wollte man noch finden oder kreativ selber schaffen?

HIER das Video des Interviews.