Gedankensplitter: Der sichere Ort

„In der Trostlosigkeit der Provinz muss man sich etwas schaffen, das wir… ‘Querencia’ nannten, einen Ort, an dem man sich gegen alles gesichert fühlt.» Simone de Beauvoir («In den besten Jahren)

Im Spanischen gibt es den Begriff „querencia“. Er bedeutet, sich einen Ort zu schaffen, an dem man sich geborgen und sicher fühlt, ein Zuhause für die eigene Seele quasi. Ich mag dieses Bild. Es trägt in sich die Sehnsucht nach der Geborgenheit und auch die Möglichkeit, die für sich selbst zu schaffen, selbst – und gerade, wenn – es im Aussen unangenehm, gefährlich, betrüblich scheint. Das kann das eigene Bett sein, das Sofa, ein Stuhl am Küchentisch, ein Baum im Wald – es ist ein Ort, den man für sich dazu bestimmt, dieser Zufluchtsort zu sein. Manchmal baut man ihn sich auch im Innern. Man bildet Mauern, hinter denen man sich verschanzt, so dass nichts von all dem, was einen traurig macht, stört, verunsichert, mehr durchdringt. Leider dringt dann auch viel Schönes nicht mehr durch, wir werden verschlossen, undurchdringlich, sind abgekapselt vom wirklichen Empfinden dessen, was ist und was gut ist, guttun könnte. 

„Auch der grösste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.“ Laotse

Wo ist die Grenze? Wo kann ich Mauern einreissen, wo brauche ich sie? Welche Mauern haben ihre Funktion erfüllt und ich brauche sie nicht mehr, welche sind noch immer dringend nötig? Manchmal hilft es vielleicht, zuerst ein Fenster in die Mauer zu schlagen, aus dem man rausschauen kann. Vielleicht ist es manchmal der erste kleine Schritt, der hilft, weitere zu gehen. Es muss nicht alles aufs Mal sein, nicht immer von jetzt auf gleich. Auch kleine Schritte führen zum Ziel. Manchmal sogar nur die. 

Gnade

Als ich aus der Dusche kam, sassest du auf dem Balkon. Ich stellte mich hinter dich und blickte mit dir in den Innenhof. Solche Innenhöfe hatte ich in der Schweiz noch nie gesehen. Häuser rundherum, ganz viele Fenster auf denselben Platz hin ausgerichtet und hinter allen sassen Menschen, die dann und wann während ihres alltäglichen Lebens hindurch sahen. Was das wohl für Menschen waren? Familien? Einzelgänger? Alte Menschen, junge?

Die Häuser waren alle schon älter, dicht an dicht standen sie, jedes anders, und doch bildeten sie eine Einheit. Auch die Fenster unterschieden sich, es gab grosse, kleine, welche mit zuklappbaren Läden, andere mit Rollos. Vor einigen standen Blumen, vor anderen kleine Kompostkübel. Alle waren sie geschlossen, dunkle Scheiben, hinter denen sich das Leben abspielte. Trotzdem wirkte der Innenhof nicht verschlossen. Er wirkte weit und lebendig. Überall Bäume, Büsche, ein kleiner Weg, der sich hindurchschlängelte. Gestern waren wir ihn entlang gegangen, als wir zum Laden an der Ecke wollten. Er wirkte schon vertraut auf mich, ich hatte ihn mir erlaufen.

Ich fragte dich, worüber du nachdenkst. Über die Gnade, sagtest du. Ich konnte mir darunter nichts vorstellen. Was das sei, fragte ich dich. Du sprachst von Zuwendung und Verzeihen. Gnade sei das, was das Leben lebenswert mache, indem es erträglich werde, frei von allen Zwängen und Gesetzen. Du sprachst von Gottes Gnade. Du hattest nie an ihn geglaubt, mit den Jahren hatte sich das geändert. Ich konnte dir nicht folgen, aber das hat uns nicht getrennt. Im Gegenteil. Ich stellte es mir schön vor, an eine Gnade zu glauben. An etwas, das sich wärmend um einen legt, wenn man sich verloren fühlt. Irgendwie hatte ich das bei dir gefunden. Vielleicht verstand ich es doch.