Gespräche bei Wein

„Ach du meine kleine Knutschkugel, ich liebe dich ja so!“

„Wieso nennst du mich eigentlich immer Knutschkugel? Bin ich so fett?“

„Nein, mein Schmetterling, du bist die Schönste im ganzen Land.“

„Also war ich früher hässlich? Ich meine, ein Schmetterling entsteht durch die Verwandlung aus einer Raupe?!?“

„Nein, mein…. ich weiss nun auch nicht mehr, was sagen, ich fühle mich hier grad wie vor dem Richter, dem ich mich verantworten müsste für ein Verbrechen, von dem ich nicht mal weiss, dass ich es begangen habe.“

„Du verstehst mal wieder gar nichts.“

„Das kannst du nun so nicht sagen! Ich habe alles immer nur gut gemeint und nun sitze ich quasi auf dem Beichtstuhl und hoffe auf Vergebung meiner nie begangenen Sünden.“

„Richter, Pfarrer, wieso nicht gleich Gott?“

„Gott ist tot! Sagte schon Nietzsche.“

„Stimmt. Wir verstehen uns ja doch!“

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2017_37-17_zwei

Für die abc.etüden, Woche 37.17: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche vom Etüdenerfinder und Maler Iz (bei Twitter als @odradet https://twitter.com/odradet) und lauten: Knutschkugel, Verwandlung, Beichtstuhl.

Der Ursprungspost: HIER

 

Szenen einer Ehe

Sie so: „Du musst einfach lernen, deine Fehler einzugestehen.“

Er so: „Wir müssen beide lernen, dass wir Fehler haben. Auch du hast deine.“

Sie so: „Da hast du recht. Wobei: Wenn ich so nachdenke… eigentlich fällt mir grad keiner ein, ich finde mich ziemlich gut. Eigentlich bin ich fast perfekt.“

Tagesroutinen

Schon wieder so ein Tag. Einer gleicht dem anderen. Das Frühstück kommt um sieben, also zu einer Zeit, zu der kein normaler Mensch Hunger hat. Zwei Scheiben Brot, Butter, Marmelade. Hans nimmt immer zwei Tassen Kaffee mit viel Milch dazu. Das erzählt er jedem, der es hören will. Den anderen auch. Nach dem ersten Tag mit zwei Scheiben hat er allerdings gesagt, eine Scheibe reiche auch. Schliesslich esse er zu Hause auch nur eine und hier mache er ja nichts als rumzuliegen.

Hans liegt nicht alleine hier, er teilt das Spitalzimmer mit drei Männern in seinem Alter. Also eigentlich dachte er, als er eintrat, das seien alles alte Männer, bis er merkte, dass er der Älteste in der Runde ist. Wenn man aber die anderen sähe, würde man das nicht glauben. Sagt Hans. Und er muss es ja wissen, er liegt hier täglich.

Die Tage sind lang, schon der Morgen zieht sich hin. Irgendwann kommt die Visite. Heute sind sie zu fünft. Der leitende Arzt – den hat er noch nie gesehen, bislang kam eine junge Assistenzärztin, eine sehr nette – mit vier angehenden Ärztinnen. Die waren auch schon dabei, alle jung, sehr jung. Am Anfang hätte er gedacht, das seien Schwestern, so jung hätten die ausgesehen. Aber nein, das seien alles schon angehende Ärztinnen. Aber alle sehr nett, beeilt er sich zu sagen. Der Arzt redet dann auch von diesem und jenem, vornehmlich um den heissen Brei. Hans findet, das hätte ihm die nette Ärztin am Vortag alles schon erklärt und da hätte er es auch verstanden. Er hört drum gar nicht mehr richtig zu. Dann sind der Redner und seine Entourage auch schon weg und beim nächsten Bett.

Hans seufzt schon innerlich. Der da Liegende hat immer zu jammern. Ständig läutet er nach dem Personal, ständig tut was weh, fehlt was – und dann ist doch nichts. Ausserdem beklagt der sich über alles. Klingelt nach den Schwestern, weil die Bauarbeiter vor dem Spital zu laut sind. Reklamiert, weil sonst zu viel Lärm herrscht. Aber kürzlich, da liess der doch Musik laufen in einer Lautstärke, da kriegte man Kopfschmerzen von. Hans hat ihm dann gesagt, er solle die Musik runterschrauben. Es war zwar gute Musik, aber laut war sie. Zu laut. Und das von dem, dem sonst alles zu laut ist. Denkt Hans. Und erzählt es, wenn er jemanden hat, dem er es erzählen kann.

Schon bald kommt das Mittagessen. Er mag die Krankenhausküche nicht. Sie sähe immer schön angerichtet aus, aber nach dem ersten Bissen sei fertig. Alles hat so einen komischen Beigeschmack, findet Hans. Er kann sich das nicht erklären. Schliesslich kochen da Köche. Er zwingt sich immer, eine oder zwei Gabeln zu essen von allem. Immerhin sei es gut für die Figur, erzählt Hans seinem Besuch. Er hätte schon zwei Kilo abgenommen. Der Schalk sitzt ihm im Nacken beim Erzählen. Wenn man Hans kennt, weiss man wohl, an welche Leckereien er denkt, mit denen er die Gewichtsverluste wieder beheben will.

Aber nun kommt erst mal das Mittagessen, dann ein lang(weilig)er Nachmittag, dann das Abendessen mit gleichem Nicht-Ess-Ritual und dann die Nacht. Und morgen startet alles wieder neu. Und Hans wird alle Gedanken wieder neu denken. Und wenn Besuch kommt, erzählt er davon.

Und jeden Tag kommt Sabine vorbei, setzt sich zu Hans, hört sich alles an und nickt. Und sie ist froh, ihn hier reden zu hören, denn zu Hause ist der Platz auf dem Sofa plötzlich leer. Und im Bett schnarcht niemand mehr und hält sie vom schlafen ab. Fast glaubt sie nun, ohne das nicht mehr schlafen zu können.

Max Frisch: Fragebogen II

FrischFragebogenVor einiger Zeit startete ich mit dem ersten Fragebogen von Max Frisch Fragebogen (HIER) Ich kündigte damals an, dass ich mir in unregelmässigen Abständen ausgewählte Fragen weiterer Fragebogen vornehme – heute kommen wir also zum zweiten Fragebogen. Er fiel mir schwerer als der erste, da ich die Fragen vielfach merkwürdig fand und das Thema an sich auch keines ist, das mich wirklich tief interessiert (obwohl ich eine Zeit lang sehr gerne Hochzeitssendungen schaute, was aber mehr mit der Zeremonie als mit der Institution zu tun hatte):

Fragebogen II

  1. Ist die Ehe für Sie noch ein Problem?

Nicht grundsätzlich. Einerseits erachte ich die Ehe als eine sinnvolle rechtliche Institution, die gewisse Dinge für die beiden Vertragspartner regelt. Des Weiteren hat die Ehe durchaus einen ideellen Wert für gewisse Menschen als Zeichen der Zusammengehörigkeit, als Bund vor Staat oder auch Kirche. Ich mag Hochzeiten und ich mag den Gedanken, dass zwei Menschen einen Weg miteinander gehen. Klar kann man sagen, das ginge auch ohne Trauschein – aber es geht auch mit. Jeder muss für sich selber entscheiden, welche Variante ihm besser zusagt – mit allen Konsequenzen.

    1. Was haben Sie andern öfter geraten:
      a) dass sie sich trennen?
      b) dass sie sich nicht trennen?

Ich halte wenig von solchen Ratschlägen, da schlussendlich der andere sein Leben leben muss. Wenn ich ihm raten würde, sich zu trennen, ist er nachher allein und muss damit umgehen. Klar kann ich für mich denken, dass ich mich in der Situation trennen würde (wobei ich nicht weiss, ob ich es auch wirklich täte, wenn ich in der Situation wäre – es ist also reine Spekulation). Ich kann dem anderen zuhören, kann versuchen, ihm zu helfen, eine für ihn gute Entscheidung zu treffen und ihn dann darin unterstützen. Alles andere ist in meinen Augen nicht angebracht.

  1. Welche Probleme löst eine gute Ehe?

Keine. Sie bringt aber keine neuen wie eine schlechte.

  1. Wie erklären Sie es sich, dass Sie bei sich selbst oder beim Partner nach einer Schuld suchen, wenn Sie an Trennung denken?

Schon Heidegger sagte: Alles hat einen Grund. Es hilft uns, wenn wir einen Grund (mir ist das Wort lieber als Schuld, wobei ich umgangssprachlich wohl von Schuld sprechen würde, dies aber nicht im wirklichen Sinne des Wortes gemeint) für etwas haben, denn dann können wir unser Verhalten rechtfertigen und es dadurch auch vordergründig verstehen.

  1. Wenn Kinder vorhanden sind: fühlen Sie sich den Kindern gegenüber schuldig, wenn es zur Trennung kommt, d. h. glauben Sie, dass Kinder ein Anrecht haben auf unglückliche Eltern? Und wenn ja: bis zu welchem Lebensalter der Kinder?

Ich denke, Kinder verlieren immer bei Trennungen – es gibt wohl nur wenige Ausnahmen. Die Frage nach dem Anrecht auf unglückliche Eltern empfinde ich als sehr plakativ und polemisch. Glücklich ist man auch getrennt nicht zwangsläufig, dann hätten die Kinder dann also unglückliche Eltern, die obendrein noch getrennt sind. Und ja, ich fühle mich schuldig, dass ich meinem Kind keine „heile“ Familie bieten konnte, ich hätte mir das gewünscht. Ich denke, das wünschen sich wohl die meisten Eltern, wenn sie Kinder kriegen.

  1. Wenn Sie vernehmen, dass ein Partner nach der Trennung nicht aufhört, Sie zu beschuldigen: schliessen Sie daraus, dass Sie mehr geliebt worden sind, als Sie damals ahnten, oder erleichtert Sie das?

Weder noch. Ich denke, das der Grund wären noch immer vorhandene Verletzungen und Frustrationen über eine nicht erfolgreiche Ehe. Das hätte wohl wenig mit dem Grad der Liebe zu tun und wäre auch kein Grund für ein Gefühl der Erleichterung.

  1. Was pflegen Sie zu sagen, wenn es in Ihrem Freundeskreis wieder zu einer Scheidung kommt, und warum haben Sie’s bisher den Beteiligten verschwiegen?

Wohl nur, dass ich es schade und traurig finde, wenn Beziehungen zerbrechen. Für alle Beteiligten. Und: Das konnte ich ja nicht vor dem Bruch sagen.

    1. Wenn Sie die Wahl hätten zwischen einer Ehe, die als glücklich zu bezeichnen ist, und einer Inspiration, einer Intelligenz, einer Berufung usw., die das eheliche Glück möglicherweise gefährdet: was wäre Ihnen wichtiger:
      a)als Mann
      b)als Frau

Schwer zu sagen. Ich glaube, jeder wünscht sich eine glückliche Beziehung, da man aus einer solchen unglaublich viel Kraft schöpfen kann. Da Beziehungen aber doch häufig endlich sind, würde ich mich wohl für die Berufung entscheiden, da diese mir ja entspräche und wohl ein Leben lang bliebe, mir durch das Ausleben derselben auch Glück bescheren würde – und vielleicht fände sich ja ein gleich Berufener oder jemand, der mit dieser Art der Berufung leben könnte. Und sonst bliebe ich halt glücklich berufener Einzelgänger. Ich denke, das könnte mir durchaus gut liegen.

  1. Halten Sie Geheimnislosigkeit für ein Gebot der Ehe oder finden Sie, dass gerade das Geheimnis, das zwei Menschen voreinander haben, sie verbindet?

Wenn mit Geheimnis gemeint ist, man tut etwas hinter dem Rücken des anderen im Wissen, dass dieser nicht damit klar käme, im Wissen, dass man damit gemeinsame Regeln verletzt, dann erachte ich das Geheimnis als keine verbindende Angelegenheit, sondern als etwas, das tief drin trennt. Ich bin aber nicht der Meinung, dass man vor dem Partner das Innerste nach aussen drehen muss. Das hat Arthur Schnitzler in seinem Stück „Die Traumnovelle“ schön beschrieben. Der Vorsatz, dem anderen alles zu erzählen, hat das Ehepaar fast in den Abgrund geführt.

Vielleicht regen euch die Fragen ja auch an? Wenn ihr mitmachen wollt, würde ich mich sehr freuen, wenn ihr mir den Link zu eurem Beitrag in den Kommentar schreibt und/oder diesen Beitrag hier bei euch verlinkt. #FrischsFragebogen

Zum Autor
Max Frisch
Max Frisch (1911-1991), einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, konnte nicht nur mit dem Wort etwas erschaffen: Er arbeitete auch erfolgreich als Architekt. Über journalistische Arbeiten und erste literarische Versuche fand er schließlich seinen eigenen Stil als Autor. In seinen Essays, Erzählungen, Hörspielen, Dramen und Romanen war er nicht nur ein großer Literat, sondern auch ein streitbarer Humanist. Sein kritischer Geist rieb sich an seiner Schweizer Heimat ebenso wie an Demagogen in aller Welt – um doch anlässlich seines 75. Geburtstags ernüchtert festzustellen: „Am Ende der Aufklärung steht das goldene Kalb.“ Bekannt wurde er u. a. mit den Romanen „Stiller“, „Homo Faber“ und „Sein Name sei Gantenbein“ sowie Theaterstücken wie „Andorra“ und „Triptychon“.

Angaben zum Buch:
Taschenbuch: 96 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag (24. August 1998)
ISBN: 978-3518394526
Preis: EUR 6 / CHF 9.90

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Sologamie – ein neuer Trend

Heute habe ich es beschlossen: Ich heirate mich selber. Man kann das nun, das sei ein Trend. So kann ich mir und der Welt beweisen: Ich liebe mich und das sollen alle wissen. Wir wollen nie mehr auseinander gehen – also ich und ich. Ich habe bei mir also um meine Hand angehalten, habe mich mit Tränen in den Augen angeblinzelt und dann ja gesagt. Und nun tun wir es.

Wobei: Da frage ich mich: Die Scheidungsrate liegt bei 50%. Wieso sollte es mir mit mir selber besser gehen als anderen? Ich meine, ich kenne mich ja schon gut, aber so ab und an gehen mit mir schon die Pferde durch.

Ich schelte mit mir: Was muss ich auch immer alle Romantik kaputt machen, alles hinterfragen, ständig das Haar in der Suppe suchen?

Aber he: Man muss ja zuerst nachdenken, bevor man handelt. Man kann ja nicht einfach so drauflos preschen. Und: Nehmen wir mal an, ich komme zum Schluss, ich kann mit mir nicht mehr länger verheiratet sein, weil wir das Heu schlicht nicht auf derselben Bühne haben: Was dann? Wer zieht aus? Ich oder ich? Und wo gehe ich hin? Und was passiert aus mir? Werde ich dann frei sein? Oder weinen? Brauche ich einen Anwalt oder zwei? Einer könnte ja befangen sein oder parteiisch.

Es ist nicht zum Aushalten. Was eigentlich eine schöne Sache sein sollte, wird nun so zerredet. Wir gehen nun schon so lange zusammen, wir haben uns nie getrennt, 44 Jahre lang nicht. Gut, ab und an waren wir nicht einer Meinung, ab und an hätten wir uns auf den Mond schiessen können. Aber: So im Grossen und Ganzen klappt es doch ganz gut mit uns? Ich bringe die Ratio rein, wenn ich mal wieder in kreativen Idealismen schwebe, ich bringe die Leichtigkeit rein, wenn der Verstand mal wieder alles berechnen und sortieren will. Wir sind ein gutes Team.

Das denken sie aber alle. Die einen schwören auf Gegensätze, die andere auf gleiche Charaktere. Den einen wird es langweilig, die anderen verbrennen sich die Finger. Wer brennt denn und wer gähnt von uns? Ich oder ich?

So ne Ehe sollte gut überlegt sein. Und man muss ja nicht jedem Trend folgen. Ich beschliesse also, weiter in wilder Ehe mit mir zusammenzuleben. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch morgen so friedlich und fröhlich weiter.

Nur eine Frage hätte ich noch:

 Wenn nicht mich, wen dann??

Tim Parks: Thomas & Mary (Rezension)

Wenn Fronten härter und Gräben tiefer werden

Inhalt

Er fragt sich, ob er auf seine Frau warten und sie zur Rede stellen soll, aber es ist nur ein flüchtiger Gedanke. Im Grunde ist sie diejenige, die ihn zur Rede stellen sollte.

ParksThomasThomas und Mary sind seit 30 Jahren verheiratet. Sie leben ihr Leben in einer Routine, die sich über die Jahre gebildet hat. Das wirklich Verbindende sind wohl die Kinder, welche aber nun gross sind – die Tochter ist schon ausgezogen. An ihrer Stelle zieht ein Hund ein. Es ist mit ihm wie mit allem: Es ist nicht ganz klar, ob er der Ehe von Thomas und Mary eher zu- oder abträglich ist. Die beiden reden schon lange nicht mehr miteinander, was aber gar nicht neu zu sein scheint.

Tatsächlich ging es, wenn sie zusammen waren, oft darum, über ihre gemeinsamen Bekannten herzuziehen, was vielleicht der Grund ist, warum aus diesen Bekannten keine gemeinsamen Freunde wurden.

Beurteilung
Thomas & Mary ist ein Buch über eine Ehe. Es ist eine Ehe, wie es vermutlich viele gibt, eine Ehe, die nicht durch spezielle Eskapaden, Ausbrüche oder Dramen daherkommt – und doch nicht wirklich eine Beziehung ist. Das Buch ist mehrheitlich aus Thomas’ Sicht geschrieben. Er reiht Erinnerungen aneinander, nicht chronologisch, einfach so, wie sie ihm in den Sinn kommen. So entsteht aus vielen kleinen Stücken langsam ein Bild. Es ist das Bild von vielen kleinen Lügen, Verletzungen, Verurteilungen.

Gezeichnet wird das ganz normale alltägliche Leben zweier Menschen, die sich selber in einer Beziehung gefangen haben und beständig an den Mauern arbeiten. Sie reden nicht miteinander, sondern eher aneinander vorbei. Sie haben die eingefahrenen Muster zweier Menschen, die über Jahre daran gearbeitet haben, sie zu entwickeln, und die diese nun meisterhaft beherrschen. Sichtbar werden sie an Bemerkungen, Gesten, Verhaltensweisen.

All das erzählt Tim Parks in einer einfachen, gut lesbaren Sprache, die fast mündlich anmutet – was in dem Fall gut passt, sind es doch Thomas’ Gedanken, denen wir meist folgen. So greift die Form den Inhalt auf und macht diesen noch authentischer.

Als Leser sitzt man vor dem Buch und fragt sich immer mehr: Kann das so weiter gehen? Kommen sie da nochmals raus? Und wenn ja: Wie? Tim Parks ist es gelungen, zu zeigen, dass es eigentlich keinen Schuldigen gibt in dieser Geschichte. Es ist das Miteinander, das langsam weniger wird. Es sind die Gräben, die tiefer werden durch ausbleibende Zärtlichkeiten, mangelndes Interesse, fehlendes Miteinander. So ist eine eigentlich stille, tiefe Geschichte entstanden, die aber bei alledem leicht erzählt wird. Das ist grosse Erzählkunst.

Fazit:
Ein authentisches, menschliches und sprachlich stimmig erzähltes Buch über die eingefahrenen Muster einer langjährigen Ehe. Empfehlenswert.

Der Autor
Tim Parks, geb. in Manchester, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seit 1981 lebt er in Italien.

Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet, u.a. den Somerset Maugham, Betty Trask und Llewellny Rhys Awards. Er unterrichtet Literarisches Übersetzen an der Universität Mailand, schreibt für den New Yorker und die New Review of Books, und seine Übersetzungen umfassen die Werke von Moravia, Calvino, Calasso, Tabucchi und Machiavelli. Zuletzt erschien Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen (Kunstmann 2016).

Angaben zum Buch:
Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
Verlag: Piper Verlag (15. Februar 2017)
Übersetzung: Ulrike Becker
ISBN-Nr 978-3956141645
Preis: EUR 22 / CHF 31.90
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Rezension: Silvio Blatter – Wir zählen unsere Tage nicht

Wollen wir sein, wer wir sind?

Severin hörte Isa die Treppe herunterkommen. Sie lebten seit vielen Jahren in dem grossen Haus, doch Severin hätte die Schritte seiner Frau auch unter vielen anderen sogleich erkannt.

Isa Lerch, erfolgreiche Radiomoderatorin am Ende ihrer Karriere, und Severin, passionierter Künstler, sind seit vielen Jahren verheiratet. Glücklich. Sie haben zwei Kinder, die beide schon ausser Haus leben, beide haben einen völlig anderen Weg als ihre Eltern eingeschlagen, haben sich für ein bürgerliches Leben entschieden. Eine Flucht?

Auch wenn Isa und Severin beide in ihren Projekten aufgehen, sich oft kaum sehen, ist die Liebe präsent.

Severin begehrte Isa noch immer.
Doch sie waren kein symbiotisches Paar, nie gewesen. Es war das erste Mal in dieser Woche, dass sich Isa und Severin am Tisch gegenübersassen, es war Freitag.

Isa und Severin stehen vor einem neuen Lebensabschnitt. Die glänzenden Jahren gehen ihrem Ende zu, die Kinder sind gross, das Alter steht vor der Tür. Die Zeit eines solchen Umbruchs ist immer auch die Zeit der (Rück-)Besinnung: Wie haben wir gelebt? War es das Leben, das wir wollten? Wohin führt der Weg jetzt? Wo stehen wir?

Silvio Blatter versteht es in seinem neusten Roman Wir zählen unsere Tage nicht, das Leben von Eva und Severin an der Schwelle in eine neue Zeit in einer klaren Sprache, tiefgründig und doch einfach, fast beiläufig, dabei weder oberflächlich noch distanziert, zu erzählen.

Der Sohn liebte die Mutter.
Mit dem Vater hatte er Schwierigkeiten. Der Vater kam ihm zu nah. Oder er kam gar nicht an ihn heran. Sie waren beide überempfindlich. Es fehlte ihnen das Gespür für die Distanz. Dabei liebte Mathias auch seinen Vater. Leider nicht immer gleich stark, und heute liebte er ihn gar nicht.

Es ist ein Roman, der Gegensätze aufgreift wie alt und jung, Bürger und Künstler, Eltern und Kinder. Es geht um Beziehungen zwischen Generationen, zwischen Geschlechtern, innerhalb von Familien und im Beruf. Es ist die Geschichte von solchen, die gehen, und anderen, die kommen – und von der Beziehung zwischen ihnen. Einfühlsam legt Blatter dem Leser das Innenleben seiner Figuren offen, zeigt ihre Beweggründe, ihre Ängste, ihre Hoffnungen. Er lässt den Leser mitfühlen und auch verstehen – ab und an auch wiedererkennen. Dabei driftet er nie ins Psychologisierende ab, lässt der Geschichte eine gewisse Leichtigkeit. Ganz grosse Schreibkunst!

Fazit:
Tiefgründige Analyse vom Leben, von der Liebe, von Familie, Beruf und dem Umgang mit dem Älterwerden. Sehr empfehlenswert.

 

Zum Autor
Silvio Blatter
Silvio Blatter wurde am 25. Januar 1946 in Bremgarten (AG) als Sohn einer Arbeiterfamilie geboren. Nach dem Besuch der Bezirksschule absolviert er das Lehrerseminar, unterrichtet anschliessend, um dann einige Monate in der Metallindustrie zu arbeiten. Es folgen sechs Semester Germanistik an der Universität Zürich, um wieder in die Industrie zurückzukehren. 1975 absolvierte Blatter beim Schweizer Radio DRS eine Ausbildung zum Hörspielregisseur und liess sich nach Aufenthalten in Amsterdam und Husum als Schriftsteller in Zürich nieder. Heute pendelt der Autor zwischen Malerei und Schriftstellerei, lebt in Zürich und München.

 

Angaben zum Buch:
BlatterGebundene Ausgabe: 304 Seiten
Verlag: Piper Verlag (9. März 2015)
ISBN-Nr.: 978-3492056458
Preis: EUR 19.99 / CHF 29.90

 

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Rezension: Diane Brasseur – Der Preis der Treue

Ist Liebe teilbar?

„Geliebte“ – dieses Wort gefällt mir gar nicht. ich bringe es mit dem Getuschel meiner Klassenkameraden in der Grundschule in Verbindung.
Ich habe eine Geliebte, habe ein Verhältnis. Ich bin untreu.
Mehrmals täglich sage ich mir das, um mich selbst davon zu überzeugen. Ich habe das Gefühl, die Gedanken eines anderen zu denken.

Er ist 54, Pariser Anwalt, seit 19 Jahren verheiratet und er hat eine Tochter. Er liebt seine Frau, aber er vermisst Alix, wenn er nicht bei ihr ist. Alix ist 23 Jahre jünger und seine Geliebte seit einem Jahr. Unter der Woche wohnt er bei ihr in Paris, am Wochenende geht er heim zu seiner Frau und seiner Tochter nach Marseille. Er müsste sich entscheiden und stellt sich vor, wie die Dinge liefen, würde er sich entscheiden oder käme seine Frau hinter die Affaire. Er stellt sich vor, wie Alix mit ihm Schluss machen würde oder was passieren könnte, wenn er seine Frau verliesse. Und immer schiebt er die Entscheidung wieder hinaus.

Mit Alix kann ich die Zeit zwar nicht zurückdrehen, aber sie bietet mir, in einer Lebensphase, in der meine Perspektive sich verengt, die Chance, noch mal von vorn anzufangen. […] Es ist toll, sich sagen zu können: Das ist noch drin!

Der namenlose Ich-Erzähler beschreibt sein Leben zwischen zwei Frauen. Er denkt über die Liebe nach, über seine Beziehung zu seiner Familie und der zu Alix. Er spielt in Gedanken die verschiedensten Szenarien durch, um schlussendlich doch alles zu belassen, wie es ist. Er denkt die Gedanken der beiden Frauen, stellt sich ihre Reaktionen auf verschiedene Situationen vor, ohne je eine davon zu erleben. Er lebt zwei Leben, die beide seines sind. Und keines kann er sich vorstellen, zu verlassen. Er liebt seine Frau, er liebt Alix. Weihnachten steht vor der Tür, geplant ist eine Reise mit der Familie nach New York. Eigentlich er geeignete Zeitpunkt, endlich eine Entscheidung zu treffen.

In einer klaren Sprache, ohne grosse Sentimentalität, erzählt Diane Brasseur die Geschichte des Anwalts, der neben seiner Frau eine junge Geliebte hat. Dabei geht es nicht um Schuld, nicht um falsch oder richtig. Es geht um Gefühle, um Entscheidungen, um das Leben, das nicht immer erklärbar ist. Es geht um Entscheidungen, die man trifft, treffen muss und auch getroffen hat – und wie man damit umgeht.

Fazit:
Nachdenklich, dicht, sprachlich und inhaltlich packend. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Diane Brasseur
Diane Brasseur, 1980 geboren, ist in Straßburg aufgewachsen und hat einen Teil ihrer Schulzeit in Großbritannien verbracht. Nach ihrem Filmstudium in Paris begann sie, als Script Supervisor zu arbeiten, unter anderem für bekannte Regisseure wie Albert Dupontel und Olivier Marchal. Diane Brasseur lebt in Paris.

Angaben zum Buch:
BrasseurTreueTaschenbuch: 176 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag (1. April 2015)
Übersetzung: Bettina Bach
ISBN-Nr.: 978-3423260695
Preis: EUR 14.90 / CHF 29.90
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Frau muss sich Würde mit Geld verdienen

Wieder einmal definiert eine Frau, was sich für Frauen gehört und was nicht. Und sie schreibt einen Artikel darüber. Eigenes Geld zu verdienen sei eine Frage der Würde. Sagt sie. Frau muss sich also Würde verdienen, sie kommt ihr nicht ihres Daseins wegen zu. Die gute Schreiberin zeichnet eine Welt in schwarz und weiss. Da gibt es entweder die selber arbeitenden Würdenträgerinnen (und Arbeit ist nur, was man ausser Haus und für Geld tut) und die verwöhnten Weibchen, die sich würdelos aushalten lassen, nichts anderes können als mit der Kreditkarte zu winken.

Als man sich für Emanzipation stark machte, ging es darum, dass Frauen dieselben Rechte erhalten sollen wie Männer. Es sollen ihnen genauso viele Möglichkeiten offen stehen wie Männern auch. Dass das Schaffen der Möglichkeiten ihnen aber die Wahl nehmen soll, sich frei zu entscheiden, stand da nirgends. Genau das passiert aber heute. Wer sich für ein traditionelles Rollenmodell entscheidet, wird gleich als wenig emanzipiert (im besten Fall), wenn nicht gar als Verräter an der Sache (im schlimmsten) hingestellt.

Noch heute ist es so, dass sehr viele Betreuungsaufgaben in der Familie (von Kindern bis hin zu pflegebedürftigen Familienmitgliedern) an Frauen hängen. Für Arbeit daneben ist oft kaum Zeit oder Kraft. Dieser Umstand ist sicher nicht ideal, vor allem, wenn er aus der Not heraus Rollen aufzwingt, die so nicht gewollt sind. Der Frau, die in dieser Rolle ist, nun noch die Würde abzusprechen und sie zusätzlich noch kleinzumachen, macht die Situation sicher nicht besser. Da diese Frauen aber nichts verdienen, tut die Verfasserin genau das.

Und dann gibt es noch Familien, in denen Rollen verteilt sind. Einer arbeitet ausser Haus, einer im Haus. Einer betreut mehrheitlich die Kinder, der andere arbeitet für Geld. Beide müssen (und wollen) sich auf einander verlassen können, denn nur so funktioniert das. Bei dem Modell sei die Frau nicht auf Augenhöhe. Sie sitzt also quasi automatisch auf einem tieferen Level als der Mann. Und ohne verdientes Geld entbehrt sie auch der Würde. Heisst es im Artikel. Komischerweise spielt dieser das Modell für den Mann nicht durch. Was, wenn der Hausmann ist? Klar ist das nicht so häufig, aber es gibt auch das.

Artikel wie dieser sind es, die Frauen in Modelle zwingen. Fügen sie sich nicht, sind sie unten durch. Und es sind selten Männer, die solche Artikel schreiben, die solche Verhaltensmaximen aufstellen für Frauen. Und genau mit solchen Artikeln wird bewirkt, dass eben die Betreuungsaufgaben, die Frauen (oft unentgeltlich) übernehmen, nichts wert ist, gering geschätzt wird. Für mich ist diese Sicht menschenverachtend und frauenverachtend.

 

Rezension: Jenny Offill – Amt für Mutmassungen

Das Leben probieren

Sie erinnert sich an den ersten Abend, an dem sie wusste, dass sie ihn liebte, daran, wie die Angst über sie hereinbrach. Sie hatte den Kopf an seine Brust gelegt und seinem Herzschlag gelauscht. Eines Tages wird es das nicht mehr geben, hatte sie gedacht. Das verzweifelte Nein, Nein, Nein.

Sie will Kunstegomanin werden, ohne Beziehung, ohne Ehe, allein und unabhängig. Dann lernt sie ihn kennen und lieben. Die Liebe macht ihr Angst, aber sie heiratet ihn und sie kriegen ein Kind. Sie denkt viel. Denkt über sich nach, über ihn, liebt das Kind, liebt ihn. Das Leben geht weiter, sie meistern Hürden, neue kommen. Es bleibt die Liebe, doch sie ist nicht nur einfach.

Ich wollte nur, dass du mich über alles liebst.

Jenny Offill erzählt in ihrem Roman Amt für Mutmassungen die Geschichte einer Ehe. Sie erzählt von einer Frau, die mit dem Leben kämpft, die Angst vor dem Leben und der Liebe hat und sich doch immer wieder neu drauf einlässt. Sie erzählt diese Geschichte in Gedankenfetzen, in Situationshappen, die oft das Wichtige aussparen, welches doch zwischen den Zeilen schimmert und Folgen hat. Sie erzählt von einem Leben, das immer neue Hürden mit sich bringt, immer neue Fragen aufwirft, Raum für immer neue Ängste öffnet.

Amt für Mutmassungen ist ein Buch über Selbstzweifel, Hoffnungen, Liebe und Angst. Es ist ein tiefgründiges Buch, das den Inhalt in die Form giesst, indem die vielen Lücken der Gewissheit, wie das Leben läuft, in die Lücken des Textes übergehen, und doch in Form einer Ahnung durchscheinen. Die Sprunghaftigkeit des Denkens der Frau spiegelt sich in der Kurzatmigkeit der Sprache und der Zerstückeltheit des Textes wieder. Der nicht lineare Lebenslauf, die Uneindeutigkeit richtiger Lebensentscheide findet in den Gedanken- und damit auch Textsprüngen seine Entsprechung. Ein Buch, das packt, das hinterfragt, das mehr Fragen als Antworten bietet und nachdenklich macht, indem es dann und wann wie ein Spiegel wirkt.

 

Fazit:
Ein packendes, hinterfragendes, , tief gehendes und eindringliches Buch voller Fragen und weniger Antworten. Sehr empfehlenswert.

 

Zum Autor
Jenny Offill
Jenny Offill wurde 1968 in Massachusetts geboren und lebt heute in New York. Sie unterrichtet an verschiedenen Universitäten Kreatives Schreiben. Ihr Debütroman Annas kosmischer Kalender (1999) wurde für den L. A. Times First Book Award nominiert. Sie schreibt Kurzgeschichten, Kinderbücher, Essays und Artikel u.a. für die Washington Post. Amt für Mutmaßungen, ihr zweiter Roman, wurde mit dem Ellen Levine Award ausgezeichnet.

 

Angaben zum Buch:
OffillamtGebundene Ausgabe: 176 Seiten
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (29. September 2014)
Übersetzung: Melanie Walz
ISBN: 978-3421046222
Preis: EUR 17.99/ CHF 26.90

 

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Szenen einer Ehe

Er, nennen wir ihn Heinrich, weilte gerade auf Geschäftsreise in fernen Landen. Die Lande waren so fern, dass Zeiten verschoben, Umstände anders waren und Teiche dazwischen lagen. Eines Abends rief der gute Mann seine Frau, nennen wir sie Claudia, an, und sagte ganz aufgeregt: „Du, ich muss dir unbedingt erzählen, was mir gestern Nacht passiert ist. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht, ich konnte mich im ersten Moment kaum erholen von dem Anblick.“

Claudia ganz Ohr, dachte einerseits das Schlimmste, andererseits nur das Beste, auf alle Fälle erwartete sie etwas aussergewöhnlich Spannendes, so dass sie vor lauter Anspannung nicht mehr rausbrachte als: „Ach ja?“

Heinrich, seines Zeichens Mann und dazu kein schweigsamer, hub gleich zu erzählen an: „Wir hatten doch gestern Vollmond. Als ich rausschaute, sah ich aber keinen Mond, ich sah nur dessen Corona. Alles sonst war finster.“

Claudia konstatierte, dass mit Corona wohl kein Bier gemeint sei und der gute Mann somit wohl auch keinen Mann auf dem Mond erblickt hatte, sondern ihr von einer Mondfinsternis erzählte.

Als ob Heinrich ihre Gedanken gehört hätte, fügte er hinzu: „Das war eine Mondfinsternis. So etwas kommt nur selten vor.“

Claudia wartete.

Heinrich schwieg.

Claudia sagte nur vorsichtig: „Ach ja?“

Heinrich schwieg. Es hörte sich wie ein abwartendes Schweigen an, was natürlich nicht geht, da man Schweigen nicht hört oder wenn, dann nur dadurch, dass eben nichts gesagt wird, man also nichts hört. Als das Schweigen nicht enden wollte und so ein schweigendes Telefonat eher komisch ist, fragte Claudia mal vorsichtig nach: „Das war nun alles? Ich meine, kommt da noch was oder war das schon die Pointe?“

Auf der anderen Seite der Leitung hörte man ein ungläubiges Ausschnaufen. Heinrich verstand offensichtlich diese so unglaublich anmutende Ignoranz und nicht nachvollziehbare Gleichgültigkeit seinen so herausragenden Erlebnissen gegenüber nicht.

Claudia fragte sich noch immer, was denn nun das Spannende daran gewesen sei. Da war kein Mond. Also kein sichtbarer. Kann ja mal passieren.

Richard Yates: Eine strahlende Zukunft

Künstlerträume und das reale Leben

Kaum aus der Army entlassen, geht Michael Davenport nach Harvard, wo er bald darauf Lucy Blaine kennenlernt.

Sie war nicht das hübscheste Mädchen, dem er je begegnet war, doch das erste hübsche Mädchen, das je so viel Interesse an ihm gezeigt hatte, und er wusste, dass er aus dieser Mischung viel Nutzen schlagen konnte.

Die beiden heiraten – eher auf Lucys Ansinnen hin denn auf Daves. Dass Lucy reich ist und das weitere Leben komfortabel sein könnte, passt dem aus der Mittelschicht stammenden Dave nicht ins Konzept, will er es doch als Schriftsteller selber schaffen. Er heuert in einem Verlag in der Lizenzabteilung an, sie suchen ein einfaches Appartement in New York. Das schriftstellerische Werk kommt nicht wirklich voran, als er eines Tages Tom Nelson, einen Maler trifft, der es geschafft hat, seinen Traum als Künstler lebt. Dave wird förmlich von Neid zerfressen,

„Er hat mir erzählt – und das war nicht geprahlt; verdammt, nichts von dem, was der kleine Mistkerl sagt, ist geprahlt […]

Der Umzug aufs Land – mittlerweile sind sie eine Familie – macht die Situation nicht besser. Während Nelson in einem luxuriösen Anwesen lebt, reicht es für die Davenports für ein verwinkeltes kleines Hexenhaus, der erste Gedichtband erscheint zwar, ist aber nicht der Erfolg, von dem Dave träumte, die hochtrabenden Wünsche und Träume bleiben solche, Unzufriedenheit wächst.

Hin und wieder blickte er vom Gehsteig zwischen den Bäumen zu den funkelnden Sternen am schwarzen Himmel hinaus, als wollte er fragen, ob je – ach, irgendwann – eine Zeit käme, in der er lernte, etwas richtig zu machen.

Aus der allgemeinen Unzufriedenheit wachsen die Zweifel aneinander, die sich steigern, bis sich das Paar schlussendlich trennt. Die Trennung löst wie so oft keine Probleme, neue kommen in Form von Alkohol, gescheiterten Beziehungsversuchen dazu, das Leben nimmt keinen Lauf, es tritt eher an Ort.

„Weißt du, was wir getan haben, Lucy? Du und ich? Wir waren ein Leben lang voller Sehnsucht. Ist das nicht absolut schrecklich?“

Eine strahlende Zukunft zeichnet ein Bild von ausgemalten Illusionen, die wie Seifenblasen platzen. Es ist ein Buch von ehrgeizigen Menschen, die alles vor sich sehen und nicht dahin gelangen, wo sie sein wollen. Es ist die Geschichte des Scheiterns, das Bild des amerikanischen Traums vom Aufstieg, der in diesem Fall ein Traum bleibt. Richard Yates schrieb hier einen Künstlerroman, bei dem der Wunsch nach dem Künstlertum das bürgerliche Leben als ungenügend blossstellt und damit der Unzufriedenheit Boden schafft.

In klarer Sprache, ohne Sentimentalität wird die Geschichte von Menschen erzählt, die sich mit immer neuen Hürden konfrontiert sehen, die sie meistern müssen, um zu realisieren, dass Träume manchmal genau das sind: Träume.

Fazit:
Ein sprachlich gelungenes, in seiner Geschichtsführung stimmiges und inhaltlich packendes Buch. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Richard Yates
Richard Yates wird 1926 in Yonkers, New York, geboren, lebt später in Kalifornien. Neben kurzen Tätigkeiten als Werbetexter und Redenschreiber für Senator Robert Kennedy arbeitet er hauptsächlich als Schriftsteller: Er ist der Autor von sieben Romanen und zwei Erzählbänden, die zu seinen Lebzeiten kaum Beachtung finden, heute jedoch zu den wichtigsten Werken der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts gehören. Richard Yates stirbt 1992 in Birmingham, Alabama.

 

Angaben zum Buch:
YatesZukunftGebundene Ausgabe: 496 Seiten
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (10. März 2014)
Übersetzung: Thomas Gunkel
Originaltitel: Young Hearts Crying
ISBN-Nr.: 978-3421046116643279
Preis: EUR  22.99 / CHF 35.90

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Philip Roth: Jedermann

Das Alter als Leinwand für den Lebensfilm

Er hatte dreimal geheiratet, hatte Geliebte und Kinder gehabt und war in einem interessanten Beruf sehr erfolgreich gewesen, aber jetzt schien die Flucht vor dem Tod zur zentralen Aufgabe seines Lebens und körperlicher Verfall sein ganzer Lebensinhalt geworden zu sein.

Er ist ein Jedermann, bezeichnet sich als Durchschnittsmenschen. Dreimal war er verheiratet, hinterlässt drei Söhne, die ihn hassen, was er nicht begreift, und eine Tochter, die ihn vergöttert, was er ebenso wenig begreift. Nach einem Leben voller Fehler, auf die er nun mit Reue, nachdenklich, ab und an selbstanklagend und mit Unverständnis für das eigene Tun und den Lauf der Geschichte zurückblickt, nimmt das eigene Vergehen, der Weg durch Krankheiten, die Endlichkeit des Körpers eine immer zentralere Rolle ein.

Aber es ist ja gerade das Alltägliche daran, was am meisten schmerzt, die wieder einmal erneuerte Erkenntnis der Unabweislichkeit des Todes, die alles überwältigt.

Jedermann ist ein Buch über Verlust, Reue, das Leben, das Alter und das Sterben. Es ist ein Buch von gescheiterten Beziehungen, von den Gründen, die zum Scheitern führen und von falschen Entscheidungen, die dem Leben eine Prägung geben. Es ist ein Buch des Lebensabends voller Rückbesinnung, von Krankheiten, die aus dem Nichts kommen und ein Buch des Todes, der – drohend bevorstehend – das Leben reflektiv wiedererleben lässt. Schlussendlich muss der Jedermann des Buches erkennen, dass er vor seinem Tod nicht fliehen kann, dass er ihn annehmen muss – wie so vieles mehr.

„Aber man kann die Wirklichkeit nicht ummodeln“, sagte er leise, indem er ihren Rücken und ihre Haare streichelte und sie sanft im Arm schaukelte. „Man kann es nehmen, wie es kommt. Halt dich tapfer, und nimm es, wie es kommt. Anders geht es nicht.“

Ein tiefgründiger Roman über das ganz alltägliche Leben und einen ganz normalen Menschen. Sprachlich klar, inhaltlich gewaltig, umfasst er ein ganzes Leben auf wenigen Seiten, die dicht gefüllt sind und beim Lesen doch irgendwie leicht dahingleiten.

Fazit:
Ein tiefgründiger Roman über das ganz alltägliche Leben und einen ganz normalen Menschen. Sehr empfehlenswert.

Zum Autor
Philip Roth
Philip Roth wurde 1933  in Newark, New Jersey, in eine Familie mit europäisch-jüdischem Hintergrund geboren. Er gewann verschiedene wichtige US-amerikanische Literaturpreise und geniesst die Anerkennung der internationalen Schriftstellervereinigung P.E.N. Oft wird er in einem Atemzug mit Faulkner, Bellow und Dos Passos genannt. Sein erstes Buch mit Short Storys erschien 1959, darauf folgten Romane und Erzählungen mit meist explosiver Wirkung, führten die thematisierten Beziehungen mit ihren Zwängen, Neurosen und anderen Schwierigkeiten doch oft zu Skandalen. Bis 1992 unterrichtete Roth an verschiedenen Universitäten. Liebe, Sexualität und Tod sind bis heute die Themen seines Werks. Philip Roth lebt – nach Stationen in Rom, Chicago, London und New York – in Connecticut. Von ihm erschienen sind unter anderem Portnoys BeschwerdenProfessor der BegierdeJedermann, Der menschliche Makel,  Amerikanisches Idyll.

 
Angaben zum Buch:
RothJedermannTaschenbuch: 160 Seiten
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag (1. März 2008)
Übersetzung: Werner Schmitz
ISBN-Nr.: 978-3499245947
Preis: EUR  8.95 / CHF 15.90

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Paula Fox: Was am Ende bleibt

Sophie und Otto Bentwood leben eine Ehe, wie sie wohl nicht unüblich ist für ein gutbürgerliches Paar in New York. Er Anwalt, Hauptverdiener, sie Drehbuchautorin und Übersetzerin, allerdings seit einiger Zeit eher lustlos in ihrem Tun, bestreiten sie mehr neben- denn miteinander ihren geordneten Alltag, bis Sophie eines Tages von einer streunenden Katze gebissen wird. Ein eigentlich unbedeutendes Ereignis, das eine Wende einzuläuten scheint.

Plötzlich, ausgezehrt von der nervösen Erregung, die sie für einen Augenblick ihre Müdigkeit und die eintönige Stumpfheit dieses frühen Morgens hatte vergessen lassen, vergrub sie ihr Gesicht am Bettrand. Otto begann etwas apathisch ihren Rücken unter dem Nachthemd zu streicheln. Sie war dankbar, dass sie nicht gestritten hatten – ihr fehlte die Energie dazu – , aber gleich hinter ihrer Dankbarkeit türmte sich eine düstere Enttäuschung auf. […]Eine Träne kullerte ihr über die Wange. Sie würde sich niemals von ihm befreien.

Ein Paar, das vordergründig alles hat, strauchelt nach und nach über die Unzulänglichkeiten im Selbst wie im Miteinander. Sophies Stimmungsschwankungen treffen auf Ottos Lebenssattheit, gesteigerte Sensibilität kämpft mit Rechenschaft und Moral.

Es war eine Belagerung im Gange – schon seit langer Zeit, aber die Belagerten selbst waren die Letzten, die sie ernst nahmen.

Paula Fox gelingt es in ihrem berühmtesten (und auch verfilmten) Roman, in einer klaren, nüchternen Sprache das Bild einer Mittelschichtsehe zu zeichnen und damit auch die Gesellschaft, in der diese Beziehung gelebt wird (oder eben nicht), zu spiegeln. Es gelingt ihr, auf eine subtile Weise die inneren Vorgänge in den äusseren Handlungen zu spiegeln, so dass die Charaktere plastisch werden, ihr Verhalten nachvollziehbar ist und man auch das nicht explizit Geschriebene implizit mitnimmt, versteht, weiterdenkt.

Ein tiefgründiger Roman, der die Seelenlandschaft zweier Menschen offenlegt, ohne dabei psychologisierend zu sein, eine packende Geschichte, die in nur drei Tagen passiert, aber einen ganzen Lebensentwurf umfasst und offenlegt.

Abgeschlossen wird das Buch mit einem Essay von Jonathan Franzen, der über seine eigenen Erfahrungen als Schriftsteller, sein Schreiben, sein Lesen, sein Leben berichtet. Er beschreibt zudem die Wirkung der Charaktere im Roman, die durch die Erzählweise von Paula Fox lebendig und lebensnah werden.

Ich kann Sophie Bentwood genau kennen und von ihr ebenso ungezwungen sprechen wie von einer guten Freundin, weil ich meine eigenen Erfahrungen mit Angst und Entfremdung in mein Bild von ihr habe einfliessen lassen.

Ein gelungener Abschluss eines grossartigen Buches.

Fazit:
Ein sprachlich gelungenes, in seiner Geschichtsführung stimmiges und inhaltlich packendes Buch. Sehr empfehlenswert.

 

Zum Autor
Paula Fox
Paula Fox wurde am 22. April 1923 in New York geboren. Sie veröffentlicht zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, sechs Romane und zuletzt zwei autobiographische Bücher. Paula Fox lebt heute in New York. Von ihr erschienen sind unter anderem Der Gott der Alpträume, Was am Ende bleibt, Luisa, Ein Dorf am Meer, In fremden Kleidern, Der kälteste Winter.

 

Angaben zum Buch:
FoxEndeGebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: C.H.Beck Verlag (13. März 2013)
Übersetzung: Sylvia Höfer
Sonstiges: Mit einem Essay von Jonathan Franzen
ISBN-Nr.: 978-340664711643279
Preis: EUR 18.95 / CHF 28.70

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Internetbekanntschaft

Er: Hallo Schöne, bist du schon lange auf dieser Dating Plattform?
Sie: Hallo Fremder, seit einem Monat – du?
Er: Ich seit einer Woche. Hast du schon viele Männer kennengelernt?
Sie: Es geht so, kurz gesprochen, aber alle scheinen nur „das Eine“ zu wollen. Zudem sind viele eigentlich verheiratet und suchen was für nebenher.
Er: Ist dir Treue wichtig?
Sie: Sie ist absolute Bedingung.
Er: Was ist dir sonst wichtig in einer Beziehung?
Sie: Dass man zusammen lachen kann, ähnliche Interessen hat, gemeinsam am gleichen Strick zieht, für einander da ist, gemeinsam etwas aufbauen kann. Die gemeinsame Wellenlänge halt. Vertrauen, Liebe, aber auch Freiraum.
Er: Und Sexualität?
Sie: Klar, dass dich das wieder interessiert. Sie gehört dazu, schöne Sexualität ist etwas Wunderbares, aber sie ist nicht zentral.
Er: Hast du Hobbies? Dinge, die dir wichtig sind?
Sie: Radfahren, ins Kino gehen, lesen, stricken, nähen – ach, und noch vieles mehr.
Er: Müsste dein Partner das alles auch mit dir machen?
Sie: Nein, ich habe ja auch Freundinnen. Mit einer gehe ich immer ins Kino, die andere liest dieselben Bücher und wir reden drüber, dann ist da noch meine Freundin Karin, mit der ich über Gott und die Welt spreche.
Er: Würdest du für einen Partner deine Hobbies aufgeben; wie ist es mit deinen Freunden?
Sie: Nein, niemals.
Er: Wieso denn nicht?
Sie: Meine Freunde begleiten mich schon lange, ich kann mit ihnen lachen, wir teilen Interessen, sie sind für mich da, wie auch ich für sie. Das gibt man nicht so einfach auf.
Er: All das, was du nun aufzähltest, ist dir auch in einer Beziehung wichtig. Sexualität nicht. Wieso also ist dann Treue eine absolute Bedingung? Wieso würdest du einen Partner verlassen, nur weil er einen dir nicht so wichtigen Punkt nicht ausschliesslich mit dir teilt, während du die dir wichtigen Punkte durchaus mit verschiedenen Menschen teilen kannst?
Sie:…

Wieso eigentlich?