Bildbetrachtungen: Paul Cézanne, Stillleben mit Äpfeln und Orangen

Wie spontan hingeworfen wirkt der Aufbau in dem Bild. Ein zusammengerafftes Tischtuch, darauf ein Teller, eine Karaffe und eine Etagere, zudem Äpfel und Orangen, alles auf einem schrägstehenden Tisch mit ebenso gerafften Tischtücher im Hintergrund, die noch dazu mit einem Mustermix aufwarten. Aber: Bei Cézanne war das kein Zufall, keine Willkür, sondern eine mit Bedacht gewählte Anordnung, was sich schon daran zeigt, dass es mehrere Versionen dieses Arrangements gibt. Die einzelnen Gegenstände wurden so lange umplatziert, bis sie ein harmonisches und ausgewogenes Ganzes ergaben. Ist das geglückt, stellt sich dieser spontane Eindruck ein.

Durch die teilweisen Umrandungen hat das Bild etwas Zeichnerisches. Einzelne Gegenstände sind durch Linien von ihrer Umgebung abgetrennt, wirken aber doch mit dieser wie eine Einheit, was dem Gleichgewicht zu verdanken ist, das Paul Cézanne in diesem Bild hergestellt hat. Die leuchtenden Farben der Früchte, das helle Weiss des Tischtuches bilden einen Gegensatz zu den eher gedämpften Tönen der anderen Tischtücher und der braunen Wand im Hintergrund. Der Blick wird durch das Helle neben dem Dunkeln gelenkt, Hell und Dunkel stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Ruhige Flächen stehen neben Mustern, klare Formen neben Faltenwürfen.

Man versteht sowohl Picassos wie auch Matisses Hochachtung vor diesem Maler, durch den die Malerei in neue Sphären gelenkt wurde. Sie standen damit nicht allein.

In dem Bild finden sich erste Ansätze der Idee, die später zum Kubismus führte: Die gleichzeitige Betrachtung einzelner Objekte aus unterschiedlichen Perspektiven. Während der Krug eher frontal ausgerichtet ist, blicken wir beim Teller von oben drauf. Die verschiedenen Ansichten der Äpfel und Orangen lassen die beiden Früchte auch von allen Seiten sichtbar werden. Cézanne gilt denn auch als Vorbote des Kubismus, zudem als Erneuerer der Gattung Stillleben, welche ihren Höhepunkt im 17. Jahrhundert in den Niederlanden gehabt hatte.

Zum Künstler
Paul Cézanne wurde am 19. Januar 1839 in Aix-en-Provence geboren. Nach der Schule begann er auf Wunsch des Vaters das Studium der Rechtswissenschaft, das er aber schon bald mehr und mehr vernachlässigte, um sich dem Zeichnen und dem Verfassen von Gedichten zu widmen und besuchte Kurse an der Abendschule. Später zog er auf Anraten seines Freundes Emile Zola nach Paris, wo er sich an der École des Beaux-Arts bewarb, aber abgelehnt wurde und fortan an der freien Académie Suisse Aktkurse besuchte. Daneben kopierte er im Louvre die alten Meister, eine Übung, die übrigens viele Maler der damaligen Zeit machten, so auch Henri Matisse. Cézanne wurde in Paris nicht heimisch, zog bald zurück nach Aix-en-Provence und arbeitete da in der Bank seines Vaters, sehr zu dessen Freude, er hoffte er sich doch den Sohn als Nachfolger. Er hat den Irrtum wohl bald erkannt, immerhin unterstützt er seinen Sohn finanziell mit dem Existenzminimum, als dieser zurück nach Paris zog, nur um erneut von der École des Beaux-Arts abgelehnt zu werden. Wieder ging er an die Académie Suisse, die damals dem Realismus verpflichtet war. Er machte die Bekanntschaft vieler später berühmter Maler wie Pissaro, Monet, Sisley oder Renoir.

„Von niemanden abhängen, der Mann seines Herzens, seiner Grundsätze, seiner Gefühle sein: nichts habe ich seltener gesehen.“

Cézanne wollte die Kunst erneuern, er wollte weg von den eingetretenen Pfaden, die Wirklichkeit sollte realistisch wiedergegeben werden, ungeschönt. Damit hob er sich von der vorherrschenden Kunst Frankreichs ab, was ihm auch beim Publikum keine Pluspunkte einbrachte. Seine Bilder wurden drum nicht in den offiziellen Kunstsalons, sondern im „Salon des Refusées“ ausgestellt. Der Publikumserfolg sollte sich aber schon bald einstellen.

„Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, die schönen Formeln unserer erlauchten Vorgänger beizubehalten. Machen wir uns doch frei davon und studieren wir die schöne Natur, versuchen wir ihren Geist herauszuheben, suchen wir uns doch so auszudrücken, wie es unserem persönlichen Temperament entspricht. Im übrigen, auch die Zeit und das Nachdenken verändern so nach und nach unser Sehen, und am Ende finden wir zum Verständnis.“

Sehr gerne malte Paul Cézanne unter freiem Himmel, die wunderbarsten Landschaftsbilder sind so entstanden. Diese Leidenschaft sollte aber auch sein Verhängnis werden, kam er doch bei einem solchen Mal-Ausflug in ein Unwetter und verlor in dem Treiben das Bewusstsein. Zwar wurde er gerettet, war aber so unterkühlt, dass er eine Lungenentzündung entwickelte und schliesslich am 22. Oktober 1906 starb.

Cézannes Schaffen durchlief mehrere Phasen:
Das frühe Werk war beeinflusst von der französischen Romantik und dem frühen Realismus. Dicker Farbauftrag und kontrastierende dunkle Farben beherrschen diese „dunkle Phase“.

Es folgte eine impressionistische Phase, beeinflusst von Pissaro und Manet. Schon bald verliess er den Impressionismus wieder, um sich einer flächigeren und an der Perspektive ausgerichteten Malweise zuzuwenden.

Er wandte sich den Stillleben zu, ein Höhepunkt in seinem Schaffen. Dabei legte er den Schwerpunkt weniger auf die einzelnen Gegenstände, sondern auf deren Anordnung und die ganze Bildkomposition. Das zeigt sich am vorgestellten Stillleben deutlich.

Auch in die Porträtmalerei begab sich unser Künstler, dies vor allem auch, um sich ein Auskommen zu sichern, verkauften die sich doch gut.

Langsam zog er sich aus der Realität zurück, die vorgefundenen Motive wichen frei erfundenen, Phantasie trat an die Stelle der Realität. In dieser Phase verlegte er sich mehr und mehr auf die Aquarellmalerei.

Grundlage von aller Malerei war für Cézanne das Zeichnen. Das wahre Schauen, das wirkliche Erfassen der Gegenstände, um sie sich auf diese Weise wirklich anzueignen, war zentral für seine Kunst:

„Das ganze Wollen des Malers muss schweigen. Er soll in sich verstummen lassen alle Stimmen der Voreingenommenheit. Vergessen! Vergessen! Stille schaffen! Ein vollkommenes Echo sein. […] Ich sehe! […] Um das zu malen muss dann das Handwerk einsetzen, aber ein demütiges Handwerk, das gehorcht und bereit ist, unbewusst zu übertragen.

Pieter Breughel der Ältere, ‚Der Blindensturz‘

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Bildbetrachtungen

„Es beginnt in der Schule, und man geht durchs Leben, indem man wiederholt, was andere gesagt haben. Ihr seid also Menschen aus zweiter Hand.“ Krishnamurti (Der Flug des Adlers)

Das klingt natürlich sehr ketzerisch, und doch ist in meinen Augen ein Funken Wahrheit dabei. In der Schule erzählt ein Lehrer seiner Klasse etwas und die Schüler müssen das glauben und lernen. So sagte Michel Bréal einst:

„Ein Professor ist ein Mann, der lehrt, was er nicht weiss.“

Gerade in der heutigen Welt, die sich in einem immer schnellen Tempo verändert, so dass keiner wissen kann, wo sie morgen stehen wird, ist es schwierig, wirklich sinnvolles und nützliches Wissen zu vermitteln. Einerseits ist es fraglich, ob das Wissen von heute morgen noch Gültigkeit hat, andererseits ist es noch unsicherer, ob das Wissen morgen noch von Bewandtnis ist. Zudem ist reines Wissen besser im Computer gespeichert und abrufbar, als in menschlichen Köpfen mit ihren Vergesslichkeiten.

Doch es soll hier nicht um Schulkritik gehen, sondern um ein Bild, nämlich Pieter Breughels ‚Der Blindensturz‘, ein Tempera-Gemälde von einer Grösse von 154 x 86 cm, gemalt 1568.

Eine Gruppe von sechs Blinden will in der Kirche um Almosen betteln. Sie machen sich auf den Weg, verfehlen aber den richtigen und irren in der Folge umher. Die sechs tragen diverse Utensilien bei sich, die darauf deuten, welche Funktion sie beim Betteln gehabt hätten. Einer hätte musiziert (ein Instrument unter dem Gewand), ein anderer gesammelt (der Teller am Gürtel). In einer Diagonale von links oben nach rechts unten stolpern die sechs dem Fall entgegen, der erste, der Anführer, liegt schon am Boden, der zweite ist schon im freien Fall, streckt noch die Hand aus, um zu versuchen, sich aufzufangen.

Das Bild ist in gedämpften Tönen und einer reduzierten Palette aus mehrheitlich Naturtönen gehalten, einzig ein roter Pullover und rote Socken bringen etwas Farbe hinein, wobei auch das Rot gedämpft ist.

Das Bild geht auf ein Gleichnis in der Bibel zurück, so heisst es im Matthäus-Evangelium:

„Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer. Wenn aber ein Blinder den anderen führt, so fallen sie beide in die Grube.“

Jesus meint damit die Pharisäer, die er als blinde Blindenführer sieht, welche das Volk in die Irre führen würden. Ein ähnliches Gleichnis findet sich nicht nur in der Bibel, sondern auch in indischen religiösen Schriften:

„So laufen ziellos hin und her die Toren, wie Blinde, die ein selbst auch Blinder anführt.“ (Katha Upanishaden)

Oder in den frühen buddhistischen Sutren des Pali-Kanon:

„Angenommen es gäbe eine Reihe blinder Männer, jeder in Berührung mit dem nächsten: der erste sieht nichts, der mittlere sieht nichts, und der letzte sieht nichts. Ebenso, Bhārdvāja, gleichen die Brahmanen, was ihre Behauptung angeht, einer Reihe blinder Männer: der erste sieht nichts, der mittlere sieht nichts, und der letzte sieht nichts“


Die Welt wird immer unübersichtlicher und manchmal findet man den richtigen Weg nicht. Wie froh ist man dann über jemanden, der einem zeigt, wo dieser entlangführt und wie man ihn gehen kann. Man vergisst dabei zwei Dinge: Wir wissen nicht, wie der andere seinen Weg gefunden hat und ob er wirklich richtig ist. Und: Es ist sein Weg, der für ihn funktionierte und ihn zu seinen Zielen führt. Jeder Mensch ist anders und jeder Mensch hat eigene Ziele, die sich aus diesem So-Sein ergeben. Auch der Weg dahin kann nur ein eigener sein, einer, der einem entspricht.

„Du kannst von niemandem abhängig sein. Es gibt keinen Führer, keinen Lehrer, keine Autorität. Es gibt nur dich – deine Beziehung zu anderen und zur Welt.“ Krishnamurti (Einbruch in die Freiheit)

Zudem geben wir mit der Befolgung anderer Lehren die eigene Freiheit auf. Wir begeben uns in eine Abhängigkeit und verlernen nach und nach das eigene Denken und die die Fähigkeit, eigene Lösungen zu finden.

Manchmal stehen wir am Scheideweg, wissen nicht, welchen Weg wir nun nehmen sollen. Schlussendlich ist es wichtig, sich für einen zu entscheiden. Wie der andere gewesen wäre, werden wir nie herausfinden. Keinen zu wählen wäre aber die schlechteste Option. Wie schrieb Robert Frost in seinem wunderbaren Gedicht „The road not taken“:

„Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both

I shall be telling this with a sigh

I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.“

(Das ganze Gedicht findet ihr HIER