Gedankensplitter: Zeig mir, wer ich bin

«Meine eigene Identität ist elementar abhängig von dialogischen Beziehungen zu anderen.» Charles Taylor

Wer bin ich? Was macht mich aus? Oft hört man in Bezug auf die Selbsterkenntnis, man solle in sich gehen, um in der Stille herauszufinden, wer man wirklich ist, was einen im Kern ausmacht. Das setzt in meinen Augen zu spät ein: Wirklich erfahren, wirklich erleben kann ich mich nur im Umgang mit anderen. Erst durch meinen Austausch mit anderen Menschen komme ich mir selbst auf die Spur, durch ihre Reaktion auf mich, aber auch durch meine auf sie.

Diese Begegnungen dann in einem stillen Moment mit mir selbst zu «besprechen», in einem inneren Dialog herauszufinden, was diese Erlebnisse über mich sagen, ist wertvoll und wichtig, vor allem dann, wenn ich merke, dass ich mich immer mal wieder verrenne, in Muster verfalle, die mir nicht gefallen oder gar nicht guttun.  

Hannah Arendt beschreibt den Menschen als sprachliches Wesen, das als Faden im Gewebe sich in das menschliche Miteinander und damit die Welt einwebt. Menschsein heisst, dazugehören. Dies ist auch die tiefe Sehnsucht des Menschen: Als Ich und somit Ganzes ein Teil eines grösseren Ganzen zu sein. Dies ist problematisch in einer Zeit, in der sich Menschen immer mehr zuhause einschliessen und sich hinter dem eigenen Computer verschanzen, wo sie sich zwar als Teil einer virtuellen Gemeinschaft sehen, dabei oft verkennen, dass diese  ein mehrheitlich ideelles Konstrukt ist. Ein wirklicher Dialog kommt selten zustande, zumal die homogen gestalteten Begegnungsräume einen solchen obsolet machen, das zu Sagende fügt sich nahtlos in den Einheitsbrei geteilter Meinungen ein.

Sylvia Plath sagte

«Geh raus und tue etwas. Nicht dein Zimmer ist dein Gefängnis, du bist es.»

Wollen wir uns also auf die Spur kommen, müssen wir in Beziehung treten. Erst wenn wir uns zeigen, können wir uns selbst wirklich sehen.

Öffne die Tür

Ich komme als Mensch
und ich will zu dir.
Lass mich herein,
öffne die Tür.

Nimm mich ganz an,
so wie ich halt bin,
sieh meinen Kern,
so den ganz tief drin.

Oft sind wir nur so,
wie’s and’ren gefällt,
wir passen uns an,
der ganzen Welt.

Vergessen dann schnell,
wer wir wirklich sind,
vergessen ganz schnell,
das innere Kind.

Dann spielen wir Rollen,
mal jene, mal die,
nur den, der wir sind,
den spielen wir nie.

Drum brauchen wir einen,
der uns so nimmt,
der uns erkennt,
wenn alles stimmt.

Und wie er bei uns,
so wir auch bei ihm,
von Mensch zu Mensch,
es führt nichts umhin.

So sitzen dann ich
und du vis-à-vis,
hätt’ ich nen Wunsch:
Es wär nur dies!

©Sandra Matteotti