Bettina Balàka (Hg.): Wechselhafte Jahre. Schriftstellerinnen übers Älterwerden

Inhalt

«Nichts ist schwieriger abzustreifen als eine von aussen übergestülpte Identität.» Alida Bremer

Und plötzlich ist man in dem Alter, das man früher als steinalt betrachtete. Und irgendwie hatte man es weder kommen sehen noch mitbekommen. Nun passen plötzlich Begriffe wie Wechseljahre, Klimakterium und Mittelalter auf einen, man hört von Veränderungen und fragt sich, wann sie kommen, wie sie sich auswirken und wie man damit umgehen wird.

«Manchmal fühlt man sich wie dreissig und dann geht man plötzlich an einem Spiegel vorbei und sieht jemanden, der um einiges älter ist. Es dauert einen Moment, bis man das innere Bild mit dem äusseren in Einklang bringt, bis man sich selbst erkennt.» Bettina Balàka

Dieses Buch versammelt humorvolle, realistische, poetische und sachliche Texte von Schriftstellerinnen über ihr eigenes Älterwerden und ihren Umgang damit. Es berichtet von Gutem und Schwierigerem, von Chancen und Herausforderungen.

Gedanken zum Buch

«Es ist von Bedeutung, dass ich nicht bemerkte, wie es begann. Einen Anfang jedoch muss es gegeben haben, den einen Tag, an dem ich morgens vor dem Spiegel beschloss, den Rock nicht anzuziehen…» Ruth Cerha

Im Leben passiert nichts von heute auf morgen, es ist ein schleichender Prozess, der einem selbst, weil man immer dabei ist bei den für sich gesehen unmerklichen Veränderungen. Man passt sich an die kleinen Zipperlein an, gewöhnt sich an die Schmerzen, nimmt die kleinen Veränderungen zwar wahr, denkt sich aber nichts dabei. Bis man damit konfrontiert wird, dass etwas passiert ist, das förmlich an einem vorbei gegangen ist und einen doch betrifft.

«Ich gehe verloren, etwas in mir geht verloren. Ich brauche nicht danach zu suchen, denn nicht, was war, muss wiederhergestellt werden. Ich brauche etwas anderes: mich selbst in meiner neuen Form. Als Frau, die weiss, wer sie in diesem Alter ist, welche Bedürfnisse sie hat, und die sich trotz Einschüchterungen nicht davon abhalten lässt, diese Bedürfnisse auszudrücken.» Ulrike Draesner

Nun ist man noch die gleiche, aber doch nicht mehr dieselbe. Man steht vor einem neuen Lebensabschnitt, der einerseits gefühlt ist, andererseits auch von aussen gezeigt wird. Die Aufmerksamkeit schwindet mehr und mehr, die Menschen rundherum scheinen jünger zu werden, man selbst bemerkt neue Bedürfnisse und Ansprüche, treibt sich mich anderen Themen – auch Lebensthemen – um. Oft passieren auch Brüche, die es zu bewältigen gilt: Kinder ziehen aus, Männer kommen abhanden, alte Lebensträume kommen plötzlich auf. Mit all dem will umgegangen werden.

«Altsein ist abhängig vom Geschlecht und von der historischen Epoche.» Bettina Balàka

Alter ist dabei viel mehr als nur eine Zahl, es ist bestimmt von gesellschaftlichen Konventionen darüber, was wann sein sollte. So oder so durchläuft man im Leben verschiedene Stufen und wird dementsprechend von aussen gesehen. Und genau davon handelt dieses Buch: Von den jeweiligen Altersstufen und dem Umgang mit dem Älterwerden. Die einzelnen Texte sind sehr unterschiedlich, so dass wohl nie jeder alle anspricht, aber sicher für viele etwas dabei ist. Entstanden sind so verschiedene Innensichten, die wohl keine neue Erkenntnis liefern, aber das Gefühl, mit all dem nicht allein zu sein, sondern in guter Gesellschaft.

Fazit
Ein kurzweiliges, unterhaltsames und sehr menschliches Buch über das Älterwerden als Frau in der heutigen Gesellschaft.

Herausgeberin und Autorinnen
Bettina Balàka, 1966 in Salzburg geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Georg-Trakl-Förderungspreis für Lyrik 2018 und dem Theodor-Körner-Preis 2004. Zuletzt erschien ihr erstes Jugendbuch »Dicke Biber« Leykam 2021), das mit dem Kinderbuchpreis für junge Leser*innen ausgezeichnet wurde. www.balaka.at

Die Texte stammen von:
Marlene Streeruwitz, Barbara Honigmann, Katja Oskamp, Barbara Frischmuth, Katrin Seddig, Linda Stift, Barbara Hundegger, Sabine Scholl, Marianne Gruber, Zdenka Becker, Alida Bremer, Ruth Cerha, Renate Welsh, Ulrike Draesner und Bettina Balàka.

Angaben zum Buch

  • Herausgeber ‏ : ‎ Leykam; New Edition (27. Februar 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 192 Seiten
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3701182633

Rezension: Silvio Blatter – Wir zählen unsere Tage nicht

Wollen wir sein, wer wir sind?

Severin hörte Isa die Treppe herunterkommen. Sie lebten seit vielen Jahren in dem grossen Haus, doch Severin hätte die Schritte seiner Frau auch unter vielen anderen sogleich erkannt.

Isa Lerch, erfolgreiche Radiomoderatorin am Ende ihrer Karriere, und Severin, passionierter Künstler, sind seit vielen Jahren verheiratet. Glücklich. Sie haben zwei Kinder, die beide schon ausser Haus leben, beide haben einen völlig anderen Weg als ihre Eltern eingeschlagen, haben sich für ein bürgerliches Leben entschieden. Eine Flucht?

Auch wenn Isa und Severin beide in ihren Projekten aufgehen, sich oft kaum sehen, ist die Liebe präsent.

Severin begehrte Isa noch immer.
Doch sie waren kein symbiotisches Paar, nie gewesen. Es war das erste Mal in dieser Woche, dass sich Isa und Severin am Tisch gegenübersassen, es war Freitag.

Isa und Severin stehen vor einem neuen Lebensabschnitt. Die glänzenden Jahren gehen ihrem Ende zu, die Kinder sind gross, das Alter steht vor der Tür. Die Zeit eines solchen Umbruchs ist immer auch die Zeit der (Rück-)Besinnung: Wie haben wir gelebt? War es das Leben, das wir wollten? Wohin führt der Weg jetzt? Wo stehen wir?

Silvio Blatter versteht es in seinem neusten Roman Wir zählen unsere Tage nicht, das Leben von Eva und Severin an der Schwelle in eine neue Zeit in einer klaren Sprache, tiefgründig und doch einfach, fast beiläufig, dabei weder oberflächlich noch distanziert, zu erzählen.

Der Sohn liebte die Mutter.
Mit dem Vater hatte er Schwierigkeiten. Der Vater kam ihm zu nah. Oder er kam gar nicht an ihn heran. Sie waren beide überempfindlich. Es fehlte ihnen das Gespür für die Distanz. Dabei liebte Mathias auch seinen Vater. Leider nicht immer gleich stark, und heute liebte er ihn gar nicht.

Es ist ein Roman, der Gegensätze aufgreift wie alt und jung, Bürger und Künstler, Eltern und Kinder. Es geht um Beziehungen zwischen Generationen, zwischen Geschlechtern, innerhalb von Familien und im Beruf. Es ist die Geschichte von solchen, die gehen, und anderen, die kommen – und von der Beziehung zwischen ihnen. Einfühlsam legt Blatter dem Leser das Innenleben seiner Figuren offen, zeigt ihre Beweggründe, ihre Ängste, ihre Hoffnungen. Er lässt den Leser mitfühlen und auch verstehen – ab und an auch wiedererkennen. Dabei driftet er nie ins Psychologisierende ab, lässt der Geschichte eine gewisse Leichtigkeit. Ganz grosse Schreibkunst!

Fazit:
Tiefgründige Analyse vom Leben, von der Liebe, von Familie, Beruf und dem Umgang mit dem Älterwerden. Sehr empfehlenswert.

 

Zum Autor
Silvio Blatter
Silvio Blatter wurde am 25. Januar 1946 in Bremgarten (AG) als Sohn einer Arbeiterfamilie geboren. Nach dem Besuch der Bezirksschule absolviert er das Lehrerseminar, unterrichtet anschliessend, um dann einige Monate in der Metallindustrie zu arbeiten. Es folgen sechs Semester Germanistik an der Universität Zürich, um wieder in die Industrie zurückzukehren. 1975 absolvierte Blatter beim Schweizer Radio DRS eine Ausbildung zum Hörspielregisseur und liess sich nach Aufenthalten in Amsterdam und Husum als Schriftsteller in Zürich nieder. Heute pendelt der Autor zwischen Malerei und Schriftstellerei, lebt in Zürich und München.

 

Angaben zum Buch:
BlatterGebundene Ausgabe: 304 Seiten
Verlag: Piper Verlag (9. März 2015)
ISBN-Nr.: 978-3492056458
Preis: EUR 19.99 / CHF 29.90

 

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