Gedankensplitter: Blumen überall

«There are always flowers for those who want to see them.» Henri Matisse

Gestern kam der Schnee und hüllte die Welt in eine märchenhafte Stille. Wo vorher noch Farben und Lärm und Unruhe war, breitete sich eine alles überdeckende Ruhe ein. Durch die Fenster sah ich die Schneeflocken tanzen, die Lichter verwandelten sie in funkelende Sterne, die vom Himmel fielen. Hätte ich nicht gewusst, dass ich später noch heimfahren muss mit dem Auto, hätte ich es noch viel mehr genossen. 

Als ich heute Morgen aufwachte, schaute ich in eine tief verschneite Winterlandschaft. Und selbst wenn ich den Winter nicht wirklich mag, weil er mir zu kalt ist, so verzaubern mich diese Momente doch immer wieder aufs Neue. 

Blumen sieht man draussen keine mehr, zum Glück steht bei mir zu Hause ein wunderbarer Blumenstrauss in den buntesten Herbstfarben, so dass mein Leben doch bunt bleibt. Vielleicht ist es ja immer so: Wenn man das Leben farbig will, muss man selbst zur Farbe greifen. 

Habt einen schönen Tag!

Gedankensplitter: Das Leben als Fest

«Ich weiss, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig? Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes, intensives Fest.» Paula Becker

Das schreibt Paula Becker mit gerade mal zwanzig Jahren. Ist es eine Ahnung auf ein wirklich kurzes Leben? Anzeichen dafür kann sie keine gehabt haben. Oder ist es eine Lebensphilosophie? Ähnlich wie Rilke, sie ist mit ihm befreundet, sagt:

«Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest.»

Was machte Paulas Leben zu diesem Fest? Ich denke, es war ihr unbeirrtes Einstehen für sich und ihre Kunst. Es war ihre Leidenschaft und die Bereitschaft, alles in Kauf zu nehmen, wenn sie dieser nur Raum geben konnte.

«Ich sehe, dass meine Ziele sich mehr und mehr von den Euren entfernen werden, dass Ihr sie weniger und weniger billigen werdet. Und trotz alledem muss ich ihnen folgen… Ich strebe vorwärts, gerade so gut als ihr, aber in meinem Geist und in meiner Haut und nach meinem Dafürhalten.» Paula Becker

Sich freimachen vom Gefallen-Wollen. Das war wohl schon immer ein Thema, vor allem für Frauen, es ist es aber in der heutigen Zeit wohl noch mehr mit all den Sozialen Medien, in denen es auf Klicks ankommt, die darüber bestimmen, ob man akzeptiert und dazugehörend sei oder eben nicht. Vielleicht ist es da aber wie bei der Lebensdauer: Nicht die Zahl der Klicks zählt, sondern die Menschen dahinter und das Miteinander im Tun und gegenseitigen Sehen und gesehen Werden – gesehen werden als Mensch, der man ist.

Gedankensplitter: Heimat in der Liebe

«Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.»

Diese Worte schrieb einst Mascha Kaleko, nachdem sie im Leben immer wieder merken musste, dass es Heimat für sie in der Welt nicht zu geben schien. Vertrieben von den Nazis war sie nachfolgend immer auf der Suche nach einem Ort, der dem Gefühl, eine Heimat zu haben, nahekam. Gefunden hat sie es nicht an einem Ort, sondern bei ihrem Mann.

Hannah Arendt ging das gleich. Nach der nicht lebbaren Liebe zu Heidegger heiratete sie, doch die Ehe stand unter keinen guten Stern. Sie sagte selbst einst, sie könnte nicht leben ausserhalb der Liebe, doch immer fürchtete sie auch, sich in dieser selbst verlieren zu müssen. Als sie Heinrich Blücher 1936 kennenlernte, war sie endlich angekommen – in der Heimat und bei sich:

«Immer noch scheint es mir unglaubhaft, dass ich beides habe kriegen können, die grosse Liebe und die Identität mit der eigenen Person. Weiss aber nun endlich auch, was Glück eigentlich ist.» Hannah Arendt

Ihre 34 Jahre dauernde Beziehung war im Grunde ein grosses, intensives Gespräch. Im Miteinander des Sprechens erschufen sie ihre gemeinsame Welt.

«Zwischen zwei Menschen entsteht manchmal, wie selten. eine Welt. Die ist dann die Heimat.» Hannah Arendt

Zusammen sprechen heisst gemeinsame Welten schaffen. Das sollten wir vielleicht bedenken, wenn wir wieder dabei sind, uns abzugrenzen, zu sagen: «Mit denen sprechen wir nicht.» Welten entstehen immer zwischen Menschen. Keiner erschafft sie für sich allein.

Habt einen schönen Tag!

Gedankensplitter: Eigene Wege

«He has come to his own»

Das schreibt Hannah Arendt einem Freund und bezieht sich dabei auf Heinrich Blücher, der bis 52 auf der Suche war und sich vor allem im Exil in Ameriika schwer tat. Was für eine schöne Wendung und was für eine wichtige Sache: Den eigenen Weg gehen. Das finden, das einem entspricht und darauf vertrauen, dass es ein tragender Weg ist. Den Mut aufbringen, ihn zu gehen. Manchmal muss man sich dazu auch die Erlaubnis geben, weil das «du kannst doch nicht» so laut aus einem schreit.

Als ich den Satz las, dachte ich plötzlich: Es gibt kein gelingendes Leben auf dem falschen Weg. Klar geht man auch auf ihm durchs Leben, aber ist es wirklich gelungen in Sinne einer tiefen Zufriedenheit? Vielleicht ist das auch, was Buddha (ich glaube, er war es), meinte, als er sagte:

«Es gibt keinen Weg zum Glück, Glück ist der Weg.»

Wenn ich irgendwann auf mein Leben zurückblicken würde, möchte ich sagen können: «I did it my way». Und Elvis sänge dazu.

Habt einen guten Start in die neue Woche!

Gedankensplitter: Loslassen

«Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.» Heraklit

Der Herbst zeigt sich schon deutlich, bald färben sich die Blätter der Bäume bunt und fallen zu Boden. Die Welt ist im Wandel, sie lässt los und bereitet sich auf die winterliche Ruhe ein, nach der wieder Neues spriessen wird. In der indischen Philosophie gibt es die drei Götter Brahma, Vishnu und Shiva. Sie verkörpern den Kreislauf des Lebens mit dem Entstehen, Erhalten, Zerstören. Landläufig sehen wir im Zerstören, in den Brüchen und Umbrüchen ein Übel. Wir wollen das Gute behalten, es nicht loslassen. Doch wenn wir uns anklammern und nichts gehen lassen, kann auch nichts Neues entstehen. Wie viel wäre uns entgangen, wäre nicht immer wieder etwas Neues in unser Leben getreten. Wir sässen noch heute im Laufstall und würden mit Murmeln spielen. 

«Das Leben gehört dem Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.» Johann Wolfgang von Goethe

Ich passe mich wohl aktuell den Jahreszeiten an. Eine grosse Leseflaute brachte mich dazu, über die (eigenen) Bücher zu gehen und zu sehen, was ich will, was gut ist, was ich loslassen muss. Das sind immer schwierige Zeiten im Moment, die aber im Nachhinein Früchte tragen. 

«Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun.» Buddha

So bin ich gespannt, wie die Reise weitergeht. Gegen die Leseflaute hilft hoffentlich ein Klassiker, es muss mal wieder Geistesnahrung sein. Und über allem schwebt noch immer die Musik und auch die Zeichenstifte habe ich wieder hervorgeholt nach langer Pause. 

Wie habt ihr’s mit dem Loslassen? Habt einen schönen Tag!

Gedankensplitter: Alles gut!

«Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Romanze.» Oscar Wilde

Manchmal treffe ich mich mit anderen Menschen, wir tauchen in den Abend hinein bei einem Essen und Gesprächen. Es kommt vor, dass ich ins Erzählen komme, dass ich ausbreite, was in mir vorgeht, meine Gefühle, Ängste, auch Unzulänglichkeiten ausbreite, weil es sich aus dem Gespräch heraus so ergibt. Es sind Abende, in denen ich eine Nähe und eine Verbundenheit spüre, weil eine grosse Offenheit im Raum ist und der Austausch ein wirklicher ist, ein sich Einlassen auf den anderen. Gegenseitig. Es sind Abende, die ein Gefühl des Getragenseins in einem Miteinander in sich tragen und die dieses über den Abend hinaustragen ins Leben hinein. Ich fühle mich genährt.

Und doch kann es vorkommen, dass ich mich am nächsten Morgen frage: Habe ich zu viel erzählt? Habe ich zu Tiefes preisgegeben? Mich zu sehr offenbart? Die Mauern zu sehr eingerissen. Mir kommt der Gedanke: Was könnte nun der andere über mich denken? Zu welchen Gedanken, Bewertungen wird ihn mein Erzähltes bringen? Muss ich mich in Zukunft bedeckter halten?

Ich merke, wie mich diese Gedanken im Gegensatz zu früher nur noch schnell streifen und ich zum Schluss komme: Nein, es ist gut, wie es ist. Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste. Es war, wie es war, ist, wie es ist – und es darf so sein. Alles gehört zu mir. Und selbst wenn jemand meine Offenheit in einer Form gegen mich. Verwendet, so ist das seine Sache, nicht mein Problem. Und dann ist da nur noch dieses schöne Gefühl, einen wertvollen Abend erlebt zu haben.

Habt einen schönen Tag!

Gedankensplitter: Mutter

Mutter:  ein Mysterium im Universum, eine Rolle mit vielen Zuschreibungen, ein Ideal, ein Wunsch, eine Sehnsucht, die Ursache allen Übels und der hochgelobte Quell von Honig und Milch. Und alles davon ist oft geglaubt und ebenso oft reine Fantasie.

Kaum etwas ist so behaftet und so beladen wie das Muttersein. Von der Natur so eingerichtet, dass gewisse körperliche Gegebenheiten dazu führen, dass etwas in einem Menschen wächst und später mal in die Welt entlassen wird, sieht man sich als austragendes Wesen vom Zeitpunkt der Empfängnis mit den diversesten Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert. Die bedingungslose Liebe wird schon gefordert, bevor man die paar formierten Zellklumpen von blossem Auge sehen kann, das nun adäquate Verhalten von allen Seiten an einen herangetragen. Ist der neue Erdenbürger erstmal auf der Welt, nimmt das alles noch zu. Ein eigenes Leben? Vergiss es. Du hast nun für ein anderes Wesen da zu sein und zu sorgen. Daneben musst du selbstverständlich auch noch alles andere, was gesellschaftlich, privat und politisch gefordert ist, erfüllen. Das widerspricht sich oft? Egal. Dazu kommt: Kinder werden immer Kinder bleiben, also hört auch die Sorge nie auf – und die Zuschreibung. Alles, was dieses Kind irgendwann mal falsch macht, kann man auf die Mutter zurückführen. Weil sie war und tat, wie sie war und tat, ist das nun alles so.

Und so sitzen wir hier alle als Kinder von Müttern. Und ja. Sagen danke. In allen erdenklichen Tonlagen und Bedeutungsnuancen.  

Hier ein paar Mutterbücher passend zum Tag:

  • Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter – wenn am Gewicht der Mutter das ganze Familienleben aufgehängt wird – vordergründig.
  • Delphine de Vigan: Das Lächeln meiner Mutter – wie sich an eine Mutter erinnern, die schöner und toller war als alle, wenn auch kühl und distanziert? Wie mit ihrem Freitod umgehen? Eine Suche nach Antworten über das eigene Aufwachsen.
  • Vigdis Hjorth: Die Wahrheiten meiner Mutter – Eine Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die keine ist und doch präsent.
  • Edouard Louis: Die Freiheit einer Frau – ein schonungsloser und liebevoller Blick auf die eigene Mutter, die den Weg in die Freiheit sucht
  • Simone de Beauvoir: Ein sanfter Tod – ein persönlicher und tiefgründiger Blick auf das Sterben der Mutter und die Erinnerungen, die dadurch ausgelöst werden
  • Gisèle Halimi: Alles, was ich bin – vom Aufwachsen als ungeliebte Tochter
  • Albert Cohen: Das Buch meiner Mutter – wehmütige Erinnerungen an eine Mutter, im Bewusstsein, sie zu Lebzeiten zu wenig gesehen und geschätzt zu haben.

Damit wünsche ich euch einen schönen Tag.

Gedankensplitter: Liebe zur Literatur

«Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune.» Johann Wolfgang von Goethe

Wenn ich mir die aktuellen Neuerscheinungen im Bereich Philosophie und Soziologie anschaue, frage ich mich manchmal: Welchen Lebensbezug hat all das noch? Wie oft betreffen die gestellten Fragen wirklich den Menschen in seinem Sein, in seinem Alltag, den jeder zu bestreiten hat? Sogar lebensrelevante Fragen der Politik und des Zusammenlebens werden auf eine Weise thematisiert, dass ihnen jeglicher konkrete Lebensbezug genommen ist. Verfasser der Bücher sind mehrheitlich sehr intelligente, oft namhafte Grössen des Universitätsbetriebs oder aber der frei forschenden Intelligenzia. Manchmal scheint es, als ob sie sich gegenseitig die Bälle zuspielten, wie ich dereinst auf dem Pausenplatz am Pingpongtisch.

Ich habe mich lange in diesem hochgeistigen Umfeld bewegt. Und ja ich tat es gerne, ich ging darin auf, weil es etwas war, das ich konnte. Es lag mir, mich in Gebiete zu vertiefen, sie zu erfassen und sie auf konzise Weise wieder von mir zu geben. Das gab mir eine Rechtfertigung für mein Tun, das ich mir hart erkämpft hatte als Klassenaufsteigerin, die ich war, geschlagen noch mit diversen Eigenheiten, die nicht mehrheitskompatibel waren. Es war ein Feld, in dem ich mich behaupten konnte. Ich hatte das dringend nötig, da ich ausser meinem Geist nicht viel hatte, auf das ich vertraute im Leben, vor allem nicht in Bezug auf mich und meinen Stand in diesem.

Nietzsche sagte einst, dass alle Philosophie obsolet sei, wenn sie nicht zum Leben tauge. Ob seine eigene diesem Anspruch genügte, mag ich bezweifeln, doch abgesehen davon stimme ich ihm zu. Schaut man in die Welt, sieht man da Probleme, die in neuen philosophischen Büchern und den meisten geführten Diskussionen kein Thema mehr zu sein scheinen. Die behandelten Themen in der Politik und in den Universitäten haben mit denen des wirklichen Lebens wenig gemein. Die ehemals linken Kreise, die sich um Armut sowie Ausnutzung und Diskriminierung von Unterprivilegierten bemühten, haben sich auf Nischen verlegt, mit denen sich die Mehrheit der Not leidenden Menschen nicht mehr identifizieren können, die rechten Parteien sahnen ab, weil sie vordergründig lebenspraktische Anliegen behandeln. Wir mögen am Schluss vielleicht eine Sprache definiert haben, die keiner mehr sprechen kann, und für alle Befindlichkeiten entsprechende Toiletten gebaut haben. Daneben darben alte Menschen in Armut, alleinerziehende Mütter wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, und einst hart erkämpfte Rechte (straffreier Schwangerschaftsabbruch z. B.), werden nach und nach wieder eliminiert. Ich bin mir der Plakativität dieser Aussagen bewusst, doch sie ist ebenso gewählt.

Die Philosophie hätte so viel zu sagen. Es ist eine Disziplin, die den Überblick hat, und das in einer Zeit, in der man alles in immer noch kleinere Einheiten fasst und die Interdisziplinarität ignoriert, obwohl die wirklich grossen Denker, die wir noch heute kennen, immer das grosse Ganze betrachtet haben und sich ihr Erfolg gerade daraus speiste. Es scheint fast, als hätte Hannah Arendt recht gehabt, als sie sinngemäss sagte, dass da, wo die Philosophie endet, die Literatur einsetzt, weil vieles nicht in abstrakten Begriffen zu erfassen sei, sondern in Geschichten erfahrbar werde.

Die gelehrten Philosophen, die in ihrem Elfenbeinturm sitzen und sich an ihren geistigen Höhenflügen ergötzen, rümpfen oft die Nase über die, welche Geschichten erzählen. Das erscheint ihnen als eine minderwertige Form des Ausdrucks und die Geschichten werden oft als Befindlichkeiten abgetan. Diese Geringschätzung von Autor und Form war auch der Grund, wieso einst Peter Bieri unter Pseudonym zum Romancier wurde. Er hatte recht daran getan, denn als es aufflog, sank er in der Achtung seiner Fachkollegen merklich. Er hat es zum Glück gut verkraftet und seinen Lesern (und seinen Studenten) viel geschenkt).

Wenn man bedenkt, dass der Mensch seit Urgedenken Geschichten erzählt, dass das Erzählen von Geschichten gar oft als den Menschen ausmachende Seinsweise definiert wird, verwundert diese Geringschätzung auf den ersten Blick. Auf den zweiten könnte man sie so deuten, dass man sich durch den abstrakt elaborierten Code über das Allgemeinmenschliche erheben und zum Übermenschen werden möchte. Und ja, wer träumt nicht vom kleinen bisschen Ruhm, vom erhabenen Moment als Pfau im Hühnerstall. Aber vielleicht ist es auch ganz anders:

Beim Schreiben über all das, fällt mir auf, wie sehr sich meine Sprache der Materie anpasst. Die vielen wissenschaftlichen Artikel und Beiträge haben sich in mein Schreiben eingebrannt. Während meine literarische Sprache einen eigenen Stil hat, der komplett anders ist, verfalle ich ohne es zu wollen oder bewusst zu wählen beim Schreiben eines sachlichen Themas in den Duktus der Fachsprache. Eine spannende Selbst-Beobachtung, die eine weitere Möglichkeit der Erklärung mit sich bringt.

Ich trug immer beide Lieben in mir: die zur Literatur und die zur Philosophie. Angefangen hat alles mit Literatur, danach schwang mal die eine, mal die andere oben auf. Missen würde ich keine wollen, doch merke ich, dass das Pendel mit zunehmendem Alter wieder dahin zurückschlägt, wo ich herkam: zur Literatur. Ich bin sehr dankbar für die Philosophie im Rücken, als Unterbau, als Denkschule, als Zettelkasten, auf welchen ich immer wieder zurückgreifen kann beim Lesen und Schreiben. Aber: Die Philosophie, wie ich sie heute erlebe, in all ihrer Abgehobenheit, ihrem Anspruch, ihrer Geziertheit, sie holt mich nicht mehr ab, sie spricht nicht mehr zu mir. Es ist und bleibt immer das gleiche, was mich umtreibt: Der Mensch in seinem Lebensumfeld, sein Sein und Mit-Sein. Ich suche es in den Büchern, ich finde es in der Literatur. Und ja, in ihr steckt alles drin: Philosophie, Kultur, Zeitgeschichte, Lebensrealität. Man muss sie nur finden. Und das kann jeder für sich selbst tun. Für mich ist das ein Stück Freiheit.

Gedankensplitter: Von Entschlüssen und Gewohnheiten

Wie oft habe ich mir schon vorgenommen, von gewissen Dingen zu lassen, mich nicht mehr zu sehr unter Druck zu setzen, mein übersteigertes Pflichtgefühl, das nur aus mir selbst entspringt, zu mässigen, wenn schon nicht abzulegen. Und immer wieder ertappe ich mich dabei, nach einer kurzen Zeit des Gelingens langsam wieder ins alte Fahrwasser zu geraten. Lernresistent? 

Da ich die Dinge nicht nur ablegen will, weil sie unnötig sind, sondern weil ich merke, dass sie mir schlicht nicht gut tun, was sich einerseits psychisch in einer Angespanntheit, Deprimiertheit, Melancholie ausdrückt, andererseits aber auch körperliche Folgen hat, ist es umso ärgerlicher, dass ich daran festhalte. Masochistin?

Und so bin ich wieder an einem Punkt, an dem ich von Neuem denke, dass ich es nun endlich tue: Raus aus dem Leben mit all dem, was nicht gut tut und nicht zwingend darin sein muss. Und ja, dieses Mal wird das gelingen. Wirklich! Utopistin?

Ach, vielleicht einfach ich. 

Habt einen schönen Tag!

Gedankensplitter: Die Wahl, wie man leben will

«Jede Zeit wie jeder Mensch hat ein gewisses Gedankenfeld, über das hinaus nichts wahrgenommen wird.» Bertha von Suttner

Eigentlich ist es schon lange bekannt: Wir nehmen nur einen kleinen Bruchteil dessen wahr, was ist. Vor allem was einen selbst betrifft, hat man oft blinde Flecken, Dinge, die von aussen offensichtlich sind, die man selbst nicht sieht. Diese blinden Flecke bei sich und in der Wahrnehmung des Aussen sind vielem geschuldet: Der Zeit, in der wir leben, der Kultur, in der wir aufgewachsen sind, dem Umfeld, in dem wir uns bewegen, und verschiedenen anderen Prägungen aus Erfahrungen und Erlebnissen. Wir sind geprägte Menschen und agieren aus diesen Prägungen heraus. Sind wir ihnen ausgeliefert?

Teilweise wohl schon, zumindest so lange, bis wir uns bewusst werden, dass wir sie haben und sie zu ergründen suchen. Dass dies nicht immer angenehm ist, liegt auf der Hand. Wer im Dunkeln buddelt, kann auf Dreck stossen. Den wollen wir oft nicht sehen, wollen uns die Hände nicht schmutzig machen. 

«Bedenke, was du bist: vor allem ein Mensch, das bedeutet, ein Wesen, dass keine wesentlichere Aufgabe hat als seinen freien Willen.» Epiktet

Im Buddhismus heisst es, dass die schönste Lotusblume aus dem Sumpf kommt. Es braucht wohl immer beide Seiten, um Leben zu kreieren. Die dunklen, düsteren Seiten zu verneinen, zu verurteilen, wird an keinen guten Ort führen, denn das macht uns zu Sklaven dieser Arbeit. Sie anzunehmen, hinzusehen, ihre Funktion anzuerkennen, aber ihnen dann nicht mehr Macht zu geben, sondern unser Sein und Tun aktiv dem Guten hinzuwenden, wäre die bessere Alternative. So würden wir zu den Menschen, die wir sein wollen, im Wissen, dass alles in uns steckt, aber wir die Wahl haben, was wir leben wollen. 


Gedankensplitter: Schokoladenseiten des Lebens

Kürzlich dachte ich so mir, ob nicht oft die Ferien, die wir verlebten, in den Erzählungen im Nachhinein am schönsten sind. Sind wir nicht oft darauf bedacht, ein möglichst strahlendes Bild von uns selbst zu zeichnen, um in den Augen der anderen gut dazustehen? Alles, was nicht schön ist, was schief geht, werten wir als persönliche Niederlage, die wir nicht zeigen wollen. Es wird aber auch von uns erwartet: Wenn wir schon das Glück haben, in die Ferien gehen zu dürfen (und Ferien sind immer positiv konnotiert, Arbeit als Pflicht und Muss – dass es auch Menschen gibt, die das anders sehen, kann und will man nicht verstehen), dann sollen wir uns gefällig auch freuen, dankbar sein und das zeigen. Es gab einen Auslöser für diese Gedanken:

Ich bin seit einiger Zeit in Spanien, an einer wirklich traumhaften Lage in einem ebensolchen Haus. Das Wetter war die ganze Zeit bewölkt, es regnete sogar viele Tage und auch der Wind trieb sein stürmisch-himmlisches Spiel. An den kühlen Tagen sass ich bei 16 Grad in meinem Arbeitszimmer, da dieses schlecht isoliert ist – für eine Frostbeule wie mich nicht ganz leicht.

Als ich an einem frühen Morgen rausschaute, ging die Sonne hinter dem Berg auf, der Himmel war blau, das Meer lag malerisch still drunter. Ich machte ein Foto und stellte es ins Netz. Dieses Bild vor meinem Fenster hielt genau 10 Minuten an, danach kamen Wolken, Nebel, Regen und Sturm. Aber das war das Bild, das ich von meinem Tag postete. Ist es auf den Sozialen Medien nicht oft so? Es wird der Schein eines Glücksmoments ins Licht gerückt und die Summe solcher Momente als ganzes Leben verkauft. Der Betrachter sitzt vor seinem Bildschirm und denkt an die eigenen vielen weniger glitzernden Momente und fühlt sich der Ungerechtigkeit des Lebens ausgesetzt. Würde man all die ins Netz stellen, würde man damit kaum 1000e von Likes erhalten, ausser, man verpackt auch die in eine im Grossen und Ganzen sehr privilegiert aussehende Bilderwelt.

Vor einigen Tagen wurde ich gefragt, wie es mir ginge, wie es in Spanien sei, sagte ich, dass es mir ausser einer verlebten Lebensmittelvergiftung sehr gut gegangen war und noch ging, nur das Wetter hätte nicht ganz mitgespielt. Ich erzählte von den Stürmen und den Regenschauern, nicht als Klage, doch ich war gefragt worden und das war die Realität. Da hörte ich: «Du sitzt an einem so schönen Ort und beklagst dich?» Nein, tue ich nicht, aber soll ich wirklich eitel Sonnenschein erzählen, wenn Regen fliesst?

«Es geht mich nichts an, was andere über mich sagen und denken.» Anthony Hopkins

Vermutlich ist es ja so: Wer an mir etwas Negatives finden will, der wird das wohl ohne Mühe tun. Wie viel Zeit habe ich in meinem Leben damit verbracht, Menschen beweisen zu wollen, wer ich bin und dass das in Ordnung ist. Es reicht, wenn ich es weiss, und es gibt viele, die das auch so sehen.

Gedankensplitter: Der sichere Ort

„In der Trostlosigkeit der Provinz muss man sich etwas schaffen, das wir… ‘Querencia’ nannten, einen Ort, an dem man sich gegen alles gesichert fühlt.» Simone de Beauvoir («In den besten Jahren)

Im Spanischen gibt es den Begriff „querencia“. Er bedeutet, sich einen Ort zu schaffen, an dem man sich geborgen und sicher fühlt, ein Zuhause für die eigene Seele quasi. Ich mag dieses Bild. Es trägt in sich die Sehnsucht nach der Geborgenheit und auch die Möglichkeit, die für sich selbst zu schaffen, selbst – und gerade, wenn – es im Aussen unangenehm, gefährlich, betrüblich scheint. Das kann das eigene Bett sein, das Sofa, ein Stuhl am Küchentisch, ein Baum im Wald – es ist ein Ort, den man für sich dazu bestimmt, dieser Zufluchtsort zu sein. Manchmal baut man ihn sich auch im Innern. Man bildet Mauern, hinter denen man sich verschanzt, so dass nichts von all dem, was einen traurig macht, stört, verunsichert, mehr durchdringt. Leider dringt dann auch viel Schönes nicht mehr durch, wir werden verschlossen, undurchdringlich, sind abgekapselt vom wirklichen Empfinden dessen, was ist und was gut ist, guttun könnte. 

„Auch der grösste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.“ Laotse

Wo ist die Grenze? Wo kann ich Mauern einreissen, wo brauche ich sie? Welche Mauern haben ihre Funktion erfüllt und ich brauche sie nicht mehr, welche sind noch immer dringend nötig? Manchmal hilft es vielleicht, zuerst ein Fenster in die Mauer zu schlagen, aus dem man rausschauen kann. Vielleicht ist es manchmal der erste kleine Schritt, der hilft, weitere zu gehen. Es muss nicht alles aufs Mal sein, nicht immer von jetzt auf gleich. Auch kleine Schritte führen zum Ziel. Manchmal sogar nur die. 

Gedankensplitter: Leben und Schreiben

Du fragst, warum mein Leben Schreiben ist?
Ob es mich unterhält?
Die Mühe lohnt?
Vor allem aber, macht es sich bezahlt?
Was wäre sonst der Grund? …
Ich schreib allein
Weil eine Stimme in mir ist, Die will nicht schweigen.
Sylvia Plath

Schon früh fand sie ihre Bestimmung und haderte doch ein Leben lang damit: Dem Schreiben. War es ihr einerseits das wichtigste, beklagte sie andererseits, dass sie dadurch ihre anderen Rollen im Leben nicht nach den eigenen Massstäben der Perfektion ausfüllen konnte. Dieser Zwiespalt zwischen Leben und Schreiben durchdringt auch ihr Werk, es ist so also das zentrale Thema ihres Schreibens und ihres Lebens.

Ich denke, jeder, der sein Leben dem Schreiben widmet, kennt diesen Drang, schreiben zu wollen. Und es gelingt mal besser, mal schlechter, ihm nachzukommen, ohne dabei zu viel zu vernachlässigen. Nur: Ohne zu schreiben fehlte so viel vom eigenen Sein und Sinn, dass dadurch die Kraft für den Rest auch abhanden kommt. Ein Konflikt, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint.

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Buchtipp:
Simone Frieling: Sylvia Plath. Jeder sollte zwei Leben haben, erbersbach & simon 1922.

Ein gelungener Einstieg in das Leben und Schaffen einer grossartigen, melancholischen, tiefgründigen, vielschichtigen Schriftstellerin. Simone Frieling beschreibt mit vielen Tagebucheinträgen, Briefen und Zitaten Plaths Beziehung zu ihren Eltern, die komplizierte Beziehung zu ihrem Ehemann Ted Hughes wie auch ihre immer wiederkehrenden Zweifel und inneren Konflikte.

Gedankensplitter: Durch Vernunft in die Freiheit

«Das menschliche Unvermögen in Mässigung und Beschränkung der Affekte nenne ich Unfreiheit. Denn der den Affekten unterworfene Mensch ist nicht in seiner eigenen Gewalt, sondern in der des Schicksals, unter dessen Herrschaft er sich dermassen befindet, dass er oft, obschon er das Bessere sieht, dennoch dem Schlechteren nachzufolgen gezwungen wird.» Baruch de Spinoza

Aus dem Bauch heraus handeln. Es wird oft als ursprünglich, als authentisch, als intuitiv bewertet und hochgehalten. Mittlerweile ist bekannt, dass das unüberlegte, unreflektierte aus dem Bauch hinaus Handeln in keiner Weise einfach frei ist, sondern nur die eigenen Prägungen reflektiert. Hinzu kommt, dass dieses «aus dem Bauch heraus» oft auch schlicht einem Affekt folgt, dass hochkommende Impulse ungefiltert in Aktion übergehen. Das kann mitunter nicht nur zu unerwünschten Ergebnissen führen, es erweist sich manchmal auch als schlichtweg dumm, wie man mit einer Mässigung der Affekte und einer Hinzunahme des Denkens leicht eingesehen hätte. Nicht umsonst wohl halten viele Philosophie das Denken hoch, nennen gar die Vernunft eine Macht, auf die wir nicht unfreiwillig verzichten sollen.

Baruch de Spinoza sieht in den Affekten einen Weg in die Unfreiheit. Indem wir uns ihnen hingeben, geben wir das Steuer aus der Hand. Wir verzichten auf das wichtige Mittel, das uns selbst zum Herrn unseres Lebens macht: Die Vernunft.

«Ich werde also hier von der Macht der Vernunft handeln, indem ich zeige, was die Vernunft an sich über die Affekte vermag, und sodann was Freiheit des Geistes oder Glückseligkeit ist, woraus wir ersehen können, wieviel mächtiger der Weise ist als der Ungebildete.» Baruch de Spinoza

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Am 21. Februar vor 347 Jahren ist Baruch de Spinoza (24.11.1632 – 21.2.1677) gestorben. Ich hebe mein Glas auf einen Denker, dessen Bücher uns auch heute noch viel zu sagen haben.

Gedankensplitter: Die eigene Haltung ergründen

«Es hiess…. sie sei ein gefallenes Mädchen… Von gefallenen Männern hörte man bei uns nie. Männer konnten wahrscheinlich nicht fallen.» Emmy Hennings

Hat sich wirklich so viel verändert? Wenn zwei dasselbe tun, ist es wirklich dasselbe im Auge der Gesellschaft? Sind nicht noch immer die Frauen die Beäugten in einer von Männern definierten und von vielen (auch Frauen) weiter verteidigten Welt? Und immer wieder schauen wir weg, weil das Hinschauen die Forderung stellte, aufzubegehren. Und wir fragen uns: Was bedeutet das für uns? So hier und heute? Es ist einfacher, gegen die heute definierten Täter der Vergangenheit zu richten und sich gegen sie zu stellen. Im Hier und Jetzt gehen wir oft den Weg der Norm, den der Anpassung, weil wir denken, keine Wahl zu haben. Die Wahl haben wir wohl, nur gefallen uns die Konsequenzen oft nicht. Und dann sagen wir, dass wir nicht konnten, aber schon gewollt hätten. 

Kann man es verübeln? Muss man es? Ist es feige? Oder einfach lebenspraktisch? Das sind alles Wertungen, die von aussen draufgestülpt werden. Ich glaube, der erste Schritt wäre das Eingeständnis: Ich hätte gekonnt, hatte aber zu viele persönliche Gründe, die mich hinderten. Wenn diese Ehrlichkeit schon mal da wäre, wäre ein zweiter Schritt viel einfacher: Sich anders zu entscheiden, weil ja ganz viele sich eingestehen würden, dass sie eine Wahl hätten. Und ehrlich würden. Und damit vielleicht auch gemeinsam einstehen würden, so dass die Konsequenzen teilweise wegfielen. 

Eine Utopie? Ein Weg?