Lesemonat April

Wieder ist ein Monat vorbei, es war lesetechnisch ein grossartiger, bereichernder, beglückender. Dass ich ihn in Spanien verbrachte, liess die Sonne nicht nur aus Büchern, sondern auch vom Himmel scheinen, was ich sehr genoss.

Ich bin diesen Monat intensiv mit Max Frisch beschäftigt gewesen, habe einige Dokumentationen und Interviews geschaut und auch zwei Biografien gelesen. Dazu fand ich auf Youtube noch eine grossartige Inszenierung von Max Frischs «Andorra», die ich euch nur ans Herz legen kann.

Müsste ich meine Lesehighlights nennen, wären natürlich alle Bücher von und zu Max Frisch dabei, ich beschränke mich auf eines und so wären es dann die vier:

Ich tauchte mit Judith Hermann in ihr Schreiben und Leben ein, wir pendelten zwischen Traum und Wirklichkeit und waren uns nie ganz im Klaren, was nun wozu gehörte. 

Ich las bei Claire Keegan vom Leben eines Mädchens in einem Umfeld, in dem es an Liebe und eigentlich auch allem anderen fehlt, und das in einem neuen Umfeld erst lernen muss, dass es Liebe, Vertrauen und Zuwendung gibt und es diese auch geniessen darf. 

Ich lebte bei Martin Suter mit Tom und Dr. Stotz in dessen Villa und saugte die Geschichten über Melody, die verschollene Liebe von Dr. Stotz auf. Immer schwebte die Frage über uns allen: Was geschah mit Melody?

Ich pendelte mit Max Frisch zwischen Technik und Liebe hin und her, reiste mit Homo Faber nach Südamerika und Italien, um schliesslich in Griechenland zu landen, wo ein Kreis sich schloss. 

Ich beschäftigte mit Themen Schreiben, Wahrheit und Illusion, Identität und Zuschreibung, Schuld, Liebe und vielen mehr. Und ich freue mich auf einen neuen Lesemonat. 

Was waren eure Lesehighlights im April?

Hier die vollständige Liste:

Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagtEine Geschichte vom Schreiben und vom Leben und von der Verwebung von beidem. Eine Geschichte, die zwischen Traum und Wirklichkeit pendelt, nie ganz klar offenbarend, was wozu gehört. Eine Geschichte, die eigentlich keine ist, sondern ein Schreibfluss der Erinnerungen und der versuchten Einordnung derselben. Wir hätten uns alles gesagt – und irgendwie doch alles verschwiegen. 4
Claire Keegan: Das dritte LichtEin kleines Mädchen wird bei Verwandten abgeladen, weil die Mutter wieder schwanger und so ein Maul weniger zu stopfen ist. Plötzlich findet sich das Kind in einer Umgebung voller Liebe und Leichtigkeit, kann sich kaum drauf einlassen, weil klar ist: Irgendwann muss sie zurück. Ein Buch voller Wärme und Poesie. 5
Ingeborg Gleichauf: Jetzt nicht die Wut verlieren. Max Frisch – eine BiografieEin sehr literarisches, informatives, persönliches Porträt eines Schriftstellers und Menschen mit kurzen Analysen der wichtigsten Werken.5
Daniel Glattauer: Die spürst du nichtEine Sozialstudie in Romanform, bei der ein Flüchtlingsmädchen im Ferienpool reicher Leute ertrinkt, was von den Medien und in den Kommentarspalten derselben ausgeschlachtet wird. Angereichert wird alles mit ein paar Klischees und einem Erzähler, der sich immer wieder quasi an den Leser wendet und sich mit diesem verbündet. Nicht uninteressant, aber teilweise zu gewollt. 4
Anneleen van Offel: Hier ist alles sicherAls Immanuel seine Mutter Lydia bittet, nach 10 Jahren Funkstille nach Israel zu kommen, zögert sie erst. Als sie dann da ist, ist er tot, er hat sich das Leben genommen. Lydia reist durch Israel und gleichzeitig auch durch ihre Vergangenheit, auf der Suche nach ihrem toten Sohn, nach sich, nach allem, was sie verloren hat. Nach einem fast körperlich schmerzhaften, niederdrückenden Anfang sprachlich und inhaltlich gut und einnehmend, doch dann liess es langsam los und hat mich verloren.  3
Joy Williams: Stories13 Kurzgeschichten aus dem amerikanischen Alltag des Kleinbürgertums. Sozialstudien, welche die Herausforderungen desselben offenlegen, ohne dabei zu psychologisieren oder zu plakativ darstellend zu werden. Mit viel Charme, Sprachkunst und einer guten Prise Humor gewürzt. Mich hat es doch nicht durchgehend gepackt, es wirkte oft zu beliebig und planlos. 3
Martin Suter: MelodyTom, ein junger Jurist, wird vom Altnationalrat Dr. Stotz, seine Lebenserwartung beträgt noch ein Jahr, beauftragt, seine noch vorhandenen Dokumente zu ordnen und durch gezielte Selektion nur das zu bewahren, das dem Bild entspricht, das Dr. Stotz hinterlassen möchte. In der gemeinsamen Zeit erzählt Dr. Stotz Tom von seiner grossen Liebe Melody, die eines Tages, kurz vor der Hochzeit, einfach verschwunden ist, ihn aber ein Leben lang nicht mehr losgelassen hat. Nach Stotz’ Tod macht sich Tom mit Laura, der Grossnichte von Dr. Stotz auf der Suche nach der Wahrheit um die Geschichte mit Melody. Was ist wirklich passiert damals?5
Urs Bircher: Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911 – 1981Eine sehr umfassende, objektive Biografie, die das Leben und Schreiben Max Frischs in die politische Zeit der Schweiz und die kulturellen Gegebenheiten einbettet. Ohne Verklärung aber mit der nötigen Zugewandtheit zeichnet Urs Bircher das Bild dieses streitbaren, tiefgründigen, selbstreflexiven, neugierigen, dem Schreiben mit Akribie und Sprachgenauigkeit verfallenen Menschen. Er stützt sich dabei auf das Werk und auf Gespräche mit noch lebenden Weggenossen Frischs. Vermutlich für Schweizer Leser interessanter als für andere. 4
Max Frisch: AndorraEin Lehrer rettet Andri, vorgeblich einen jüdischen Jungen, von den Schwarzen jenseits der Grenze und zieht ihn als seinen Sohn auf. Andri wird von den Andorranern diskriminiert und mit Klischeevorstellungen überhäuft, die er schliesslich selbst glaubt – obwohl er eigentlich kein Jude ist, sondern der leibliche Sohn des Lehrers und einer Frau aus dem Land der Schwarzen. Als diese zu Besuch kommt, will der Lehrer Andri die Wahrheit sagen, doch dieser glaubt ihm nicht, dass er sein Sohn ist, zu sehr haben die Zuschreibungen sein Selbstbild geprägt. Schliesslich dringen die Schwarzen in Andorra ein, nehmen Andri mit und töten ihn. Ein Stück über Macht, Rassismus, Vorurteile und Identität. 5
Max Frisch: Homo FaberEin Techniker lernt auf einer Schiffsreise eine junge Frau, Sabeth, kennen. Die beiden reisen zusammen nach Rom, später nach Athen zu ihrer Mutter, Hanna, die Fabers frühere Freundin war. Dass Sabeth seine Tochter sein könnte, will er nicht sehen. Doch dann geschieht ein Unglück. Ein grossartiger Roman über das Leben, über Lebensentwürfe, über Schuld und Liebe.5
Layla AlAmmar: Das Schweigen in mirTag für Tag beobachtet die junge Frau die Nachbarn hinter ihren Fenstern in ihren Wohnungen. Es ist die einzige Form, wie Beziehungen zu Menschen für sie möglich sind. Sie kriegt Einblicke in die ganzen Gewohnheiten der einzelnen Menschen, in Leben, die so fern von ihrem eigenen sind. Selbst ist sie aus dem Krieg geflüchtet, aus Syrien mit Schleppern und zu Fuss, unter traumatischen Bedingungen in England gelandet. Es hat ihr förmlich die Sprache verschlagen. Für eine Zeitung soll sie ihre Erinnerungen an den Krieg und die Flucht festhalten, damit mehr Verständnis für die Situation von Flüchtlingen geschaffen werden kann. Nur: Wie könnte man das je verstehen?   4

Hier noch der Link zum Youtube-Video:

https://www.youtube.com/watch?v=gxjjz1U7sgU

2 Kommentare zu „Lesemonat April

  1. Mein Lesehighlight ist klar Brigitte Reimanns „Franziska Linkerhand“ gewesen – die Sprache, die Beschreibung, dieses Einweben der Psyche in die Zeitgeschichte all dies bringt Reimann leichterhand zuwege und hat mich einmal wieder daran erinnert, wie schön, melodiös Literatur sein kann. Die Sache mit Bachmann und Frisch habe ich auf Eis gelegt, erst einmal, aber Montauk las ich mit größtem Vergnügen, mit Stiller mein liebstes Buch von ihm. Viele Grüße!!

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s