Gespräche mit Max Frisch

Wenn ich zurückblicke, kommt es mir manchmal so vor, als sei ich um ihn rumgeschlichen. Ich habe ihn immer wieder präsentiert bekommen. Im Gymnasium mit der Pflichtlektüre «Andorra», die ich (natürlich!) so ziemlich verweigert habe. Die Auszüge, die ich mitkriegte, waren wenig prickelnd. Später sah ich Reden. Interviews. Sie waren beeindruckend. Er beeindruckte mich. In seiner Vehemenz, seiner Streitbarkeit, seiner Tiefe, seiner Argumentation. Ich war radikal. Er auch. Das gefiel mir. Ich hob ihn innerlich hoch, wollte reinstechen, doch beim Lesen seiner Bücher lockerte sich der Griff merklich. Zeit ging ins Land.

Diese Dynamik hat sich mehrfach wiederholt. Wieder auf ihn stiess ich über meine Faszination für Ingeborg Bachmann – die abgrundtiefe Beziehungsgeschichte zog mich in den Bann und die Behandlung derselben durch die germanistische Zunft liess die gerechtigkeitsorientierte Philosophin in mir lauthals (innerlich) protestieren. So sehr ich sie schätzte und mich verbunden und sogar vertreten fühlte: Das war zu einseitig. Ich wollte Max Frisch sicher keinen Persilschein ausstellen, den er für sich selbst nie gefordert und wo er ausgeteilt wurde, immer verurteilt hatte, aber: Die unglaublich wunderbare, bewundernswerte, charismatische, begabte Dichterin war selbst kein Kind von Traurigkeit, kein Unschuldsengel und sicher kein einfaches Wesen. Die Täter-Opfer-Zuschreibung konnte nicht aufgehen. Die nun jüngst endlich zugänglichen Briefe legen es offen – auf beiden Seiten.

War es nur landsmännische Loyalität, die mich immer wieder in die Bresche springen liess? Nein. Es war ein tief empfundenes Verständnis für die Zweifel, Nöte, Radikalitäten, und eine Neugier. Und der gehe ich nun nach. Nicht biographisch. Nicht germanistisch. Nicht wissenschaftlich. Rein interesse-gelenkt. Ich trete ins Gespräch mit dem Autoren, der den Dialog hochhielt. Und ich teile ab und zu meine Gedanken zu Sätzen, die ich so finde bei ihm.

Ich freue mich auf dieses Eintauchen. Ich würde mich freuen, wenn der Dialog ein offener würde, neue Gedanken zu Sätzen geäussert würden, ein Diskurs entstünde, Denken gelebt und laut gemacht würde. Seid ihr dabei?

4 Kommentare zu „Gespräche mit Max Frisch

  1. Ich bin dabei, liebe Sandra, guten Morgen,
    Wie du das dann organisierst, weiß ich natürlich nicht, aber das wäre natürlich sehr schön.
    Habe aktuell nur wenig Zeit, möchte dir aber mitteilen, dass ich mich über deine Veröffentlichungen auch zu Osho sehr gefreut.
    Zu Osho fällt mir ein toller Satz ein:
    Vertraue dir, und wenn du dir einmal nicht vertraust, dann vertraue dir trotzdem.
    Darum geht es, glaube ich im Leben, mir aber natürlich auch anderen zu vertrauen.
    So freue ich mich weiter über deine schönen Texte und Veröffentlichungen.
    Wünsche dir einen sonnigen und bunten Donnerstag, liebe Sandra.
    Liebe Grüße von Matthias.

    Gefällt 1 Person

    1. Guten Morgen Matthias
      Lieben Dank, das freut mich natürlich sehr! Auch danke für das Osho-Zitat. Ich denke, Vertrauen ist eine zentrale Sache im Leben, aber auch eine schwierige mitunter, vor allem, wenn es mal enttäuscht wurde.

      Liebe Grüsse
      Sandra

      Like

  2. Vielen Dank für die tollen Beiträge, liebe Sandra. Ich bin seit kurzem dabei und kann nur gratulieren. Freue mich schon jedes mal auf das nächste Posting.

    Auch ich habe den Briefwechsel IB – MF gelesen, ja regelrecht „verschlungen“. Irgendwo in den sehr gut ausgearbeiteten Kommentaren steht die Anmerkung des Germanisten Höller, es habe sich in dieser Beziehung, wo man keinem einseitig Schuld vorwerfen dürfe, wohl um ein „gegenseitiges Verhängnis“ gehandelt. Mir kommt dies sehr schlüssig vor.

    Und ja, man darf das (Auto-)Biographische zum Literarischen in Beziehung setzen. Beide, IB und MF haben sich auch intensiv mit biographischen Elementen und deren Bedeutung für ihre Poetik auseinandergesetzt und untereinander ausgetauscht.

    Eine Sache möchte ich erzählen, weil sie mir nahegegangen ist: Ich war vor einigen Tagen in Rom, wo sich bekanntlich auch Frisch und Bachmann immer wieder in wechselnden Wohnungen aufhielten – Bachmann auch vor und nach dieser Beziehung. Ich hatte etwas Zeit, und so suchte ich aus Interesse all die Orte auf, wo IB Quartier bezogen hatte. Lange lebte sie nach Beendigung der Beziehung in der Via Bocca di Leone, wo denn auch eine Gedenktafel angebracht ist. Die letzten Monate ihres Lebens allerdings, vor ihrem so tragischen Tod, zog sie noch in ein anderes Quartier im Palazzo Sacchetti in der Via Giulia 66. Zufall oder nicht, diese Wohnung befindet sich schräg gegenüber der Via Giulia 102 – jenes Haus, in dem Sie und Frisch gemeinsam ihre erste Wohnung in Rom bezogen hatten…

    Herzliche Grüße aus Wien
    Christian

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Christian, ich danke dir für deine Worte, die mich sehr freuen. Danke auch für deine Leseeindrücke zum Briefwechsel, die sich doch mit meinen decken. Das Verhängnis trifft es wirklich gut.

      Zufall oder nicht? Eine schwierige Frage. Was sicher ist: Die Beziehung hat beide nie losgelassen. Max Frisch wurde in einem Interiew viele Jahre später, er war schon alt, zu Bachmann gefragt. Er zögerte, rang fast, man merkte ihm an, das ist noch nicht vorbei, da hing was nach (bilde ich mir ein). Ich beneide dich ein wenig um das Wandeln auf Ingeborg Bachmanns Spuren, das hätte mir auch gefallen.

      Herzliche Grüsse
      Sandra

      Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s