Wiedergutmachung

Kürzlich kam es zu einer Diskussion darüber, ob die Schweiz den ehemaligen Verdingkindern Geld zahlen müsse, ob es mit einer Entschuldung nicht getan sei. Die Stimmen wurden gleich laut, dass man natürlich nur mit Geld aufwiegen könne, was je passiert ist. Das Unrecht war gross, keine Frage, die damaligen Kinder litten, viele haben die Narben in die Gegenwart (oder schon in den Tod) mitgenommen. Macht Geld da was gut? Wiegt es etwas auf? Ist dann alles wieder gut?

Heute las ich den Entsetzensschrei über eine geforderte Steuererhöhung für höhere Einkommen. Die dies Fordernden wurden als Neidhammel bezeichnet, die den besser gestellten den Lohn nicht gönnen. Wie man in der heutigen Zeit noch mehr Steuern fordern könne.

Zurück bleibt die Frage: Wer soll alles bezahlen? Keiner will Steuern bezahlen, Unecht soll mit Geld abgegolten werden, die Infrastrukturen ausgebaut, alles muss funktionieren. Lebt man in einem EU-Staat, muss man noch andere Staaten sanieren (sofern man nicht saniert wird, dann kümmert man sich wohl auch weniger um das Gestern, sondern kämpft mit dem Heute).

Geld regiert die Welt. Am Besten fliesst es vom Himmel, denn es muss einfach da sein, sonst geht gar nicht. Ein „es tut mir leid“ reicht nicht, es muss Geld fliessen. Geld zahlen will aber keiner. Es ist irgendwie verdammt einfach, vom Moralstandpunkt aus zu sagen, wo Geld hinfliessen soll, wenn man das Geld nicht selber zahlt. Täte man das, sähe es sicher anders aus. Moral ist ein verdammt zweischneidiges Schwert. In der Theorie glänzen wir alle drin. Haben Theorien, Ideale. Sehen uns als Widerstandkämpfer im Dritten Reich und Rächer der Opfer im Heute. Praktisch bleiben es leere Worte, die die Handlung anderen zuschreiben.

Nun kann man sagen, mit dem Wort fängt der Kampf an. Zuerst muss etwas benannt sein, bevor es sich setzt, Wirkung zeigt, Handlungen folgen. Nur müsste beim Aussprechen des Wortes in meinen Augen schon die Tragweite der geforderten Handlung miteinbezogen werden. Nur zu fordern, ohne zu sehen, wo die Forderung hinläuft, könnte böse Abstürze zur Folge haben. Aber für den Fall gibt es sicher wieder genug, die in der Theorie alles besser gewusst hätten oder aber einfach nur die Folgen ohne die dahinter liegenden Forderungen anschauen und sie verurteilen.

Gibt es Widergutmachung? Nein, nicht im kollektiven Rahmen. Im Einzelfall kann man geschehenes Unrecht nach Normen abgelten. Gut ist es dann noch nicht, aber das Unrecht wurde sanktioniert. Das ist das Prinzip des Rechts angewendet auf den Einzelfall. Bei kollektivem Unrecht im Stile eines Kriegs, eines Völkermords kann man sicher auch allgemein gültige Gesetzeslaute formulieren. Aber nur da, wo es um allgemeine Forderungen geht. Und auch dann ist nicht alles wieder gut. Wieder gut wird es nie. Man kann es nur in Zukunft besser machen. Und die Fehler der Vergangenheit einsehen. Und beide Seiten müssen lernen, damit umzugehen.

4 Kommentare zu „Wiedergutmachung

  1. Ach, es ist so einfach nach Geld zu rufen. Jemand muss bezahlen! Jemand SOLL bezahlen! Wer ist jemand?
    Und wer soll erhalten? Ehemalige Verdingkinder, klar. Aber welche Verdingkinder? Von den Behörden platzierte? Heimkinder? Was ist mit jenen, die nach Tod eines Elternteils oder im Schuldenfall privat zum Götti oder einem reichen Verwandten kamen und sich dort den Arsch abarbeiten mussten? Was ist mit ehemaligen Flüchtlingskindern, den Rotkreuz-Kindern, die während des ersten und zweiten Weltkrieges hier aufgenommen wurden und ihren Aufenthalt abgearbeitet haben? Die werden nicht „Verdingkinder“ genannt, also erhalten sie nichts, obwohl ihre Traumata dieselben sind? Was ist mit den Verstorbenen Verdingkindern? Ihren Nachkommen?
    Wo anfangen und wo aufhören, wo doch so viel Unrecht geschehen ist. Kann man diese wieder gutmachen, indem man noch mehr Unrecht schafft?

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    1. Sehe ich eben genauso. Wie will man entscheiden, wem was zusteht? Es war hier nicht der Staat, der Unrecht tat. Es waren einzelne Amtsträger, die korrupt waren. Der Staat hat vielleicht weggeschaut, aber wer weiss das so genau? Ging es allen verdingkindern schlecht? Wie ging es den leiblichen Kindern von Bauern damals? Und auch sonst? Wo wurde überall ausgebeutet, wer hat profitiert? Wer steht heute in der Schuld. Das Thema ist so weit gefächert, die Grenzen sind so schwammig. Hier ganz allgemein nach Geld zu rufen, das ist eine sehr undifferenzierte Haltung. Und damit möchte ich nicht das Leid einiger Verdingkinder schmälern. Ich habe einige Bücher von solchen gelesen, kenne persönlich auch eines. Nicht jedes Leid ist mit Geld abzugelten und nicht immer ist der Staat die Ansprechperson. Er kann das Unrecht als Geschehenes anerkennen (finde ich wichtig) und sein Unvermögen, es zu verhindern bekunden. Aber wiedergutmachen?

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      1. Wiedergutmachung ist unmöglich. Die Dämonen, die meinen Grossvater am Ende seines Lebens geplagt haben, die kann kein Geld der Welt wegschicken. Schon die Erlebnisse, die er uns erzhält hat, haben uns Enkel*innen albträumen lassen – ich will nicht wissen, was er uns alles nicht erzählt hat!
        Anerkennung des Leids durch den Staat ist sicher unabdingbar.
        Aber wenn Geld fliesst, dann lieber für eine vollständige Aufarbeitung – so vollständig, dass es weh tut! – und in eine Stiftung, die sich um Therapie und Begleitung ehemaliger Heim- und Verdingkinder kümmert, statt Abfindungszahlungen an Einzelne. Abfindungszahlungen riechen für mich so nach freikaufen-wollen und nach nicht-aufarbeiten-wollen.

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      2. Da sind wir der gleichen Meinung. Das Leid ist gross, man möchte es nicht hören und kann nicht weghören, weil man es nicht darf. Ja, die Aufarbeitung ist wichtig und nötig und die sollte nie am Geld scheitern. Einzelfällen hilft man wenig mit Geldsegen, der Sache noch weniger.

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